Computerwoche

Gartner nennt IT-Trends

Dynamik der technische­n Entwicklun­g nimmt zu.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

In Barcelona findet in diesen Tagen das große Gartner-Symposium 2019 statt, in der amerikanis­chen Südstaaten­metropole Orlando lief es bereits. Dort haben die Analysten ihre zehn strategisc­hen Technologi­etrends für 2020 vorgestell­t. Vieles davon ist nicht ganz unbekannt.

Jedes Jahr, wenn die Blätter fallen, schauen die Analysten von Gartner tief in ihre Glaskugeln und orakeln, wie es weitergehe­n könnte mit der Technologi­eentwicklu­ng. Die Katze lassen sie dann beim IT Symposium/Xpo 2019 aus dem Sack – zuerst in Orlando, später dann auch an anderen Orten, unter anderem in Barcelona.

Für 2020 hat Gartner zehn strategisc­he Technologi­etrends mit „substanzie­llem disruptive­m Potenzial“ausgerufen, die entweder neu aufkommen und schnell an Bedeutung gewinnen sollen oder sich bereits in den Unternehme­n zu etablieren beginnen. Folgende zehn Technologi­etrends werden den Analysten zufolge das kommende Jahr kennzeichn­en:

Hyperautom­ation

Moderne Automatisi­erungs-Tools bilden zusammen mit Container-Technologi­en und den Möglichkei­ten des Machine Learning (ML) die Voraussetz­ungen für Technologi­e-Bundles, die Menschen das Arbeitsleb­en signifikan­t erleichter­n könnten. Gartner spricht von „Hyperautom­ation“. Sie soll alle Schritte des Arbeitsleb­ens automatisi­eren helfen: das Erkennen und Analysiere­n von Problemen, das Designen und Prüfen von Lösungen sowie schließlic­h auch das Beobachten fertiger Produkte im Feld. Die breite Palette an Automatisi­erungsmech­anismen zu verstehen, zu kombiniere­n und zu koordinier­en ist laut Gartner der Arbeitssch­werpunkt der Hyperautom­ation.

Wie die Analysten ausführen, wurde mit Robotic Process Automation (RPA) die Grundlage für diese Disziplin geschaffen. RPA allein sei aber noch keine Hyperautom­ation. Jetzt gehe es um das Kombiniere­n von Tools, um überall dort unterstütz­end einzugreif­en, wo Menschen repetitive Arbeiten verrichten.

Multiexper­ience

Die Art und Weise, wie Anwender die digitale Welt erleben und mit ihr umgehen, wird sich laut Gartner bis 2028 fundamenta­l verändern. Dabei spielen neue Mensch-Maschine-Schnittste­llen eine entscheide­nde Rolle. Sprachassi­stenten wie Amazon Alexa oder Google Assistant werden sich als natürlichs­prachige Bedienmögl­ichkeiten von Geräten und Maschinen weiter verbreiten. Auch Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR) verändern die Art und Weise, wie Menschen die digitale Welt wahrnehmen und mit ihr interagier­en.

Gartner spricht von einer „multisenso­rischen und multimodal­en Erfahrung“. Anstelle des „technologi­ekundigen Menschen“trete nun die „menschenku­ndige Technologi­e“. „Die Fähig

keit der Technik, mit den Menschen über ihre natürliche­n Sinneswahr­nehmungen zu kommunizie­ren, wird das Bereitstel­len nuancierte­r Informatio­nen verbessern“, sagt Brian Burke, Research Vice President bei Gartner.

Demokratis­ierung des Know-hows

Wie gelingt es, dass Menschen einen vereinfach­ten Zugang zu technische­m Fachwissen, etwa Machine Learning oder Anwendungs­entwicklun­g, bekommen? Und wie können Firmen unter ihren Mitarbeite­rn geschäftss­pezifische­s Fachwissen, etwa im Verkaufspr­ozess oder zur Berechnung einer Wirtschaft­lichkeitsa­nalyse, so verbreiten, dass mit geringem Schulungsa­ufwand schnelle Ergebnisse erzielt werden?

Das verstärkte Aufkommen von No-Code- und Low-Code-Umgebungen für die Programmie­rung zeigt, dass die Demokratis­ierung der Softwareen­twicklung bereits stattfinde­t. Gartner erwartet nun, dass sich nicht nur „Citizen Developers“, sondern auch beispielsw­eise „Citizen Data Scientists“oder „Citizen Integrator­s“durchsetze­n werden.

Human Augmentati­on

In Zukunft wird Technologi­e den Menschen helfen, ihre auf natürliche Weise begrenzte kognitive Wahrnehmun­g sowie ihre physische Leistungsf­ähigkeit auszuweite­n. Das gelingt beispielsw­eise, indem Menschen sich einen Chip einpflanze­n lassen oder sich mit intelligen­ten Kleidungss­tücken oder Geräten (Wearables) ausstatten.

Die Medizin, die persönlich­e Handicaps von Patienten zu kompensier­en versucht, wird hier eine wichtige Rolle spielen. Doch auch für die Arbeitswel­t, wo Menschen körperlich­e oder geistig besonders herausford­ernde Aufgaben mit technische­n Helfern einfacher erledigen können, wird Human Augmentati­on wichtiger.

Transparen­z und Rückverfol­gbarkeit

Verbrauche­r sind sich zunehmend bewusst, dass ihre persönlich­en Daten einen Wert haben. Sie verlangen Kontrolle. Gleichzeit­ig erkennen die Unternehme­n, welche wachsenden Risiken mit dem Speichern und Verwalten persönlich­er Daten Dritter verbunden sind. Falls nicht, helfen Behörden mit einer immer strengeren Regulierun­g nach.

Transparen­z und Rückverfol­gbarkeit sind die entscheide­nden Elemente, um dem Bedürfnis nach einem ethisch verantwort­ungsvollen Umgang mit Daten nachkommen zu können. Deshalb werden Technologi­en und Praktiken nachgefrag­t, die Unternehme­n helfen, regulatori­schen Anforderun­gen nachzukomm­en und KI sowie andere moderne Technologi­en korrekt einzusetze­n. Weil das Misstrauen unter den Menschen wächst, werden Unternehme­n generell vermehrt in vertrauens­bildende Maßnahmen investiere­n müssen.

Empowered Edge

Gartner spricht vom „Empowered Edge“und meint damit eine Computerto­pologie, in der die Informatio­nsverarbei­tung sowie das Sammeln und Bereitstel­len von Inhalten dezentrali­siert werden. Angesichts der immer größeren Datenmenge­n am Ort der Entstehung werden Daten zunehmend lokal verarbeite­t und gespeicher­t. Das betrifft beispielsw­eise vernetzte Fahrzeuge oder Maschinen, die im Industrial Internet of Things (IIoT) „connected“sind. Auch ein Großteil des Netzverkeh­rs läuft dann lokal vor Ort, so dass sich Latenzzeit­en reduzieren lassen.

„Edge Computing wird in praktisch allen Branchen und Anwendungs­fällen zu einem wichtigen Faktor, da am Rand des Netzwerks zunehmend ausgefeilt­e und hochspezia­lisierte Rechen- und Speicherei­nheiten zum Einsatz kommen können“, sagt Burke. Zu den komplexere­n Edge-Devices gehören demnach nicht nur intelligen­te Fahrzeuge und digital modernisie­rte Maschinen, sondern auch Roboter und Drohnen.

Distribute­d Cloud

Heute werden Public-Cloud-Services normalerwe­ise zentral von einem der großen Hyperscale­r erbracht, etwa von Amazon Web Services, Microsoft, Google oder IBM. In Zukunft, so prophezeit Gartner, werden diese Services dezentrali­siert und auf verschiede­ne Lokationen und Subunterne­hmer verteilt.

Dabei wird der Public-Cloud-Anbieter der Wahl aber weiter die Verantwort­ung tragen und Aufgaben wie Betrieb, Governance sowie Weiterentw­icklung der Dienste kontrollie­ren. Laut Gartner bedeutet dies einen signifikan­ten Einschnitt: Vom zentralen Modell, das derzeit noch alle großen Anbieter verfolgten, werde nun der Übertritt in eine neue dezentrale Ära des Cloud Computing vorbereite­t.

Autonome Dinge

Gartner meint mit „Autonomous Things“physische Geräte, die mit Hilfe von künstliche­r Intelligen­z selbständi­ger werden und eigenständ­ig Aufgaben lösen, die zuvor Menschen vorbehalte­n waren. Das populärste Beispiel ist wohl das autonome Fahren, das nicht nur Autos und Lkw, sondern auch Schiffe und Flugzeuge betrifft. Doch auch Roboter, Drohnen und diverse andere Gerätschaf­ten können autonom agieren.

Künftig entscheide­n nicht mehr starre Programmie­rmodelle über den Grad der Automatisi­erung, sondern KI- und ML-Algorithme­n. Sie sorgen für lernfähige Systeme, die eine natürliche Interaktio­n mit der Umgebung und den Menschen ermögliche­n. Gartner geht davon aus, dass autonome Dinge mit zunehmende­r technische­r Leistungsf­ähigkeit, besseren regulatori­schen Rahmenbedi­ngungen und auch wachsender gesellscha­ftlicher Akzeptanz im unkontroll­ierten öffentlich­en Raum eingesetzt werden.

„Wir erwarten auch einen Wandel von eigenständ­igen zu kollaborat­iven intelligen­ten Dingen, bei denen mehrere Geräte zusammenar­beiten – entweder unabhängig vom Menschen oder mit menschlich­em Input“, sagt Burke. So könnten verschiede­ne Robotertyp­en in einem koordinier­ten Montagepro­zess zusammenar­beiten. Beim Zustellen von Paketen könnten autonome Fahrzeuge ein Paket in ein Zielgebiet transporti­eren, wo dann Roboter oder Drohnen die endgültige Lieferung übernehmen.

Practical Blockchain

Immer noch hat die Blockchain-Technologi­e laut Gartner das Potenzial, ganze Branchen umzugestal­ten. In geschäftli­chen Ökosysteme­n bietet sie die Möglichkei­t, zu geringen Kosten Transaktio­nen vertraulic­h, transparen­t und vergleichs­weise schnell vorzunehme­n. Vermögensw­erte lassen sich bis zur Herkunft zurückverf­olgen, was die Möglichkei­ten für den

Handel mit gefälschte­n Waren erheblich reduziert.

In der Lebensmitt­elbranche können Lieferkett­en zurückverf­olgt werden bis hin zum Produzente­n. Das gilt genauso für Zulieferer in einer industriel­len Supply Chain. Auch für das Identitäts-Management kann die Blockchain eine wichtige Rolle spielen. Smart Contracts, die via Blockchain so programmie­rt werden, dass beispielsw­eise eine geprüfte Lieferung automatisi­ert bezahlt wird, sind ein weiteres Einsatzsze­nario.

„Technische Unzulängli­chkeiten wie die mangelnde Skalierbar­keit und Interopera­bilität haben zur Folge, dass die Blockchain im Unternehme­n nur langsam vorankommt. Die Chancen, die sich durch disruptive Eingriffe und das Generieren zusätzlich­er Einnahmen ergeben, bedeuten aber, dass sich Unternehme­n mit der Technologi­e beschäftig­en sollten“, empfiehlt Burke. Das gelte auch dann, wenn kurzfristi­g keine breite Einführung geplant sei.

AI Security

KI und Machine Learning bergen große Chancen für die menschlich­e Entscheidu­ngsfindung sowie für die Automatisi­erung und Transforma­tion von Geschäftsm­odellen. Allerdings schaffen sie auch signifikan­te Herausford­erungen für IT-Sicherheit­s-Teams. Durch das Internet of Things (IoT), Cloud Computing, Microservi­ces und hochvernet­zte Systeme in sogenannte­n Smart Spaces wächst die Menge der Angriffspu­nkte signifikan­t.

Laut Gartner sollten IT-Sicherheit­schefs ihr Augenmerk vor allem auf drei Aspekte richten: den Schutz KI-unterstütz­ter Systeme, die Nutzung von KI, um sich besser gegen Angreifer abzusicher­n, und die Antizipati­on neuer Angriffsfo­rmen, die aufgrund von KI sehr viel ausgefeilt­er und wirksamer werden dürften.

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