Wie programmieren wir morgen?
Auf dem Berliner Low-Code Day waren sich die Teilnehmer einig, dass sich die Softwareentwicklung in rasantem Tempo wandelt und die „Demokratisierung“voranschreitet.
Ist die Art und Weise, wie heute Software programmiert wird, schon von gestern? Auf dem Berliner Low-Code Day, auf dem die wichtigsten Hersteller entsprechender Programmierumgebungen vor Ort waren, war man sich in diesem Punkt einig. Dennoch gibt es viele offene Fragen.
Jan Berger, CEO des Zukunftsforschungsinstituts 2b Ahead, ging in seiner Auftakt-Keynote gleich zur Sache. Er fragte die rund 160 Teilnehmer im Spielfeld Digital Hub in Berlin-Kreuzberg, ob es wirklich vorstellbar sei, dass im Jahre 2030 weiterhin Software so entwickelt werde wie heute. Werden dann immer noch Dutzende von zusammengekauften Programmierern Hunderttausende Zeilen kryptischen Programmcode in ihre Tastaturen eintippen? Oder ist dann die Zeit gekommen, in der Anwender ihren Computern auf einem höheren Niveau sagen können, was zu tun ist?
Wenn man sieht, wie viel sich allein in den letzten zehn Jahren geändert hat, dann sollten Paradigmenwechsel wie der zur Low-CodeMethodik nicht überraschen. Low-Code ist angetreten, die immer noch überwiegende JavaProgrammierung und das heutige Verständnis von Agilität zu überwinden und durch etwas Neues und Besseres zu ersetzen. In zehn Jahren, so behauptete Berger, ist „Scrum-Agilität“von gestern.
In Berlin trafen sich CIOs, CDOs und deren Vertreter zur bislang wohl größten herstellerübergreifenden Low-Code-Konferenz in Europa. Die Veranstaltung wurde vom SIBB organisiert, dem Verband der Software-, Informations- und Kommunikations-Industrie in Berlin und Brandenburg e. V. Der Berlin Low-Code Day soll zu einem regelmäßigen Event werden.
Fachanwender können programmieren
Low-Code-Plattformen sind Tools oder Dienste, die anstelle von Programmierung visuelle und deklarative Methoden verwenden und so eine deutliche Effizienzsteigerung bei der Entwicklung von Anwendungssoftware ermöglichen sollen. Zudem erlauben die Plattformen auch Nichtprogrammierern, den sogenannten Citizen oder Business Developers aus den Fachabteilungen großer Unternehmen, professionelle Softwarelösungen zu entwickeln.
Low-Code gilt als eine der Schlüsseltechnologien der digitalen Transformation – in erster Linie wegen der Schnelligkeit, in der Digitalisierungsideen umgesetzt werden können, aber auch als Möglichkeit, dem immer weiter anwachsenden Fachkräftemangel in sämtlichen IT-Berufen entgegenzuwirken.
Forrester-Analyst Rymer erfand den Begriff
Ein weiteres Highlight war der Vortrag von John Rymer, Vice President beim US-Marktforschungshaus Forrester Research. Er war es, der im Jahr 2014 den Begriff Low Code erfand und damit verschiedene Entwicklungslinien unter einer Bezeichnung vereinte, die sich alle zum Ziel gesetzt hatten, bei der Entwicklung von Anwendungssoftware die manuelle Programmierung auf ein Minimum zu beschränken.
Rymer hat Low-Code nicht erfunden, Hersteller wie Outsystems, Mendix, Appian oder Scope
land Technology waren zu dieser Zeit mit ihren Angeboten längst am Markt. Aber die von ihm eingeführte einheitliche Bezeichnung führte zu einer höheren Bekanntheit und Akzeptanz. Seither tummeln sich Hunderte Startups und etablierte Softwarehäuser auf dem Markt. Auch die ganz Großen der Branche mischen inzwischen mit eigenen Produkten mit.
Unter der Aufsicht von John Rymer führt Forrester Research in regelmäßigen Abständen Anbietervergleiche unter Low-Code-Anbietern durch, die sogenannten Forrester Waves, mit den Titeln „Low-Code Development Platforms For AD&D Professionals“und „Low-Code Platforms For Business Developers“. Viele der dort als führend eingestuften Anbieter waren auf dem Berlin Low-Code Day vertreten.
In seinem Vortrag stellte Rymer die Unterschiede zwischen Low-Code-Plattformen für professionelle Softwareentwickler und für Business Developer heraus. Letztere dienen auch als Alternative zur Schatten-IT, die sich in den letzten Jahrzehnten unkontrollierbar ausgebreitet hat.
Während in Deutschland Low-Code noch in den Anfängen steckt, ist die Technologie in den USA bereits Mainstream. Rymer legte dazu Forrester-Zahlen vor, die belegen, dass viele
Entwickler in den USA bereits auf Low-Code umgeschwenkt sind oder gerade dabei sind, den Umstieg vorzubereiten. Auch hierzulande steigt das Interesse nachweislich, das soll in den nächsten zwölf Monaten auch so bleiben.
Was man schon mit Low-Code erreichen kann
Dabei ist festzustellen, dass – anders als in den USA – in Deutschland keine klare Differenzierung zwischen professionellen Low-Code-Entwicklern und Citizen Developern erkennbar ist. Low-Code-Entwickler sind hierzulande eher eine Mischung aus beidem, sozusagen professionelle Citizen Developer. Damit bildet sich laut Rymer ein neues Berufsbild in der IT heraus: das des Low-Code Developers.
Diese Programmierer rekrutieren sich demnach sowohl aus IT- wie auch aus Nicht-IT-Spezialisten, die im Team die professionelle Anwendungsentwicklung für die Fachbereiche vorantreiben. Ob solche Teams eher in der IT oder doch lieber direkt in den Fachabteilungen angesiedelt sein sollten, war im Verlauf der Konferenz eines der am meisten diskutierten Themen.
Jedenfalls ist das Berufsbild des Low-Code Developers eine interessante Alternative für Seiteneinsteiger in die IT. Nur wenige Anbieter
setzen bereits seit längerer Zeit auf solche LowCode-Teams, die sich oft durch einen erfreulich hohen Frauenanteil von über 60 Prozent auszeichnen.
Aufschlussreich waren die Vorträge von Roland Hörmann, CEO von SIB Visions, und Andreas Grydeland Sulejewski, CEO von Neptune Software. Hörmann stellte heraus, wann und warum eine inhouse betriebene Low-Code-Entwicklung eine sinnvolle Alternative zum Outsourcing ist und welche Rolle künstliche Intelligenz (KI) künftig im Bereich Low-Code spielen werde. Sulejewski ging noch einen Schritt weiter und konstatierte: Low-Code sei eine entscheidende Innovation, aber erst mit zusätzlichen Professional Services kämen Anwender ans Ziel.
Viele der weltweit bedeutendsten Anbieter von Low-Code-Plattformen hatten sich zur Premiere des Berlin Low-Code Day in Berlin-Kreuzberg eingefunden. Natürlich gehörten auch die Siemens-Tochter Mendix sowie Outsystems zu den Ausstellern. Mendix überzeugte in seinem Vortrag mit seiner klaren Ausrichtung auf Microservices, und auch Outsystems spannte den Bogen mit der großen Überschrift „Digitalisierung“deutlich über seine eigene Low-Code-Plattform hinaus. Den beiden Unternehmen war anzumerken, dass sie sich als Marktführer verstehen und auch von vielen so gesehen werden.
Das Publikumsinteresse verteilte sich gleichmäßig auf die vielen Vorträge und Demonstrationen. Diese unterschieden sich teilweise auch signifikant. Während Mendix mit seinem auf ERP-Lösungen spezialisierten Dienstleister Mansystems angetreten war, referierte Ninox Software vor allem über Themen wie„No Code“und die Firma Simplifier beschäftigte sich mit Low-Code auf der Basis moderner Web-Technologien. Bei Synesty stand unterdessen ein E-Commerce-Kundenprojekt im Vordergrund.
Der Veranstalter zeigte sich kreativ darin, den Berlin Low-Code Day interaktiv und unterhaltsam zu gestalten. Beispielsweise gab es geführte Touren durch den Ausstellungsbereich, eine Fishbowl-Diskussion, und die sogenannten Hands-on-Sessions, in denen Anbieter und Anwender Aspekte des Low-Code-Einsatzes in Wirtschaft und Verwaltung diskutierten und ihre Ergebnisse anschließend präsentieren konnten – beispielsweise zu Vorgehensmodellen für Low-Code-Projekte (Scrum- oder phasenagil).
Nichts geht ohne die IT-Abteilung
Die in den USA oft diskutierte Frage, ob sich Low-Code mit oder gegen die IT durchsetzen werde, stieß eher auf Unverständnis. IT kommt hierzulande immer von der IT-Abteilung, so der allgemeine Tenor: Auch die „schnelle“IT entwickelt sich – oft getrennt von der „stabilen“IT – aus der Unternehmensarchitektur heraus. Sich als Citizen Developer einfach so in einer Public Cloud eine Anwendung zusammenzuklicken, das kommt hierzulande kaum vor.
Zu groß ist das Misstrauen in Public-Cloud-Angebote, und zu tief die Abneigung gegen das Aufkommen einer neuen Art Schatten-IT. Deshalb waren sich darin alle auf dem Berlin Low-Code Day vertretenen Anbieter einig: Das hiesige Low-Code-Business ist stärker von klassischen Vertriebsmethoden und vom Dienstleistungsgeschäft geprägt als in den USA.