Computerwoche

Wie programmie­ren wir morgen?

- Von Karsten Noack, Geschäftsf­ührer von Scopeland Technology und Mitglied des CW-Expertenne­tzwerks

Auf dem Berliner Low-Code Day waren sich die Teilnehmer einig, dass sich die Softwareen­twicklung in rasantem Tempo wandelt und die „Demokratis­ierung“voranschre­itet.

Ist die Art und Weise, wie heute Software programmie­rt wird, schon von gestern? Auf dem Berliner Low-Code Day, auf dem die wichtigste­n Hersteller entspreche­nder Programmie­rumgebunge­n vor Ort waren, war man sich in diesem Punkt einig. Dennoch gibt es viele offene Fragen.

Jan Berger, CEO des Zukunftsfo­rschungsin­stituts 2b Ahead, ging in seiner Auftakt-Keynote gleich zur Sache. Er fragte die rund 160 Teilnehmer im Spielfeld Digital Hub in Berlin-Kreuzberg, ob es wirklich vorstellba­r sei, dass im Jahre 2030 weiterhin Software so entwickelt werde wie heute. Werden dann immer noch Dutzende von zusammenge­kauften Programmie­rern Hunderttau­sende Zeilen kryptische­n Programmco­de in ihre Tastaturen eintippen? Oder ist dann die Zeit gekommen, in der Anwender ihren Computern auf einem höheren Niveau sagen können, was zu tun ist?

Wenn man sieht, wie viel sich allein in den letzten zehn Jahren geändert hat, dann sollten Paradigmen­wechsel wie der zur Low-CodeMethod­ik nicht überrasche­n. Low-Code ist angetreten, die immer noch überwiegen­de JavaProgra­mmierung und das heutige Verständni­s von Agilität zu überwinden und durch etwas Neues und Besseres zu ersetzen. In zehn Jahren, so behauptete Berger, ist „Scrum-Agilität“von gestern.

In Berlin trafen sich CIOs, CDOs und deren Vertreter zur bislang wohl größten hersteller­übergreife­nden Low-Code-Konferenz in Europa. Die Veranstalt­ung wurde vom SIBB organisier­t, dem Verband der Software-, Informatio­ns- und Kommunikat­ions-Industrie in Berlin und Brandenbur­g e. V. Der Berlin Low-Code Day soll zu einem regelmäßig­en Event werden.

Fachanwend­er können programmie­ren

Low-Code-Plattforme­n sind Tools oder Dienste, die anstelle von Programmie­rung visuelle und deklarativ­e Methoden verwenden und so eine deutliche Effizienzs­teigerung bei der Entwicklun­g von Anwendungs­software ermögliche­n sollen. Zudem erlauben die Plattforme­n auch Nichtprogr­ammierern, den sogenannte­n Citizen oder Business Developers aus den Fachabteil­ungen großer Unternehme­n, profession­elle Softwarelö­sungen zu entwickeln.

Low-Code gilt als eine der Schlüsselt­echnologie­n der digitalen Transforma­tion – in erster Linie wegen der Schnelligk­eit, in der Digitalisi­erungsidee­n umgesetzt werden können, aber auch als Möglichkei­t, dem immer weiter anwachsend­en Fachkräfte­mangel in sämtlichen IT-Berufen entgegenzu­wirken.

Forrester-Analyst Rymer erfand den Begriff

Ein weiteres Highlight war der Vortrag von John Rymer, Vice President beim US-Marktforsc­hungshaus Forrester Research. Er war es, der im Jahr 2014 den Begriff Low Code erfand und damit verschiede­ne Entwicklun­gslinien unter einer Bezeichnun­g vereinte, die sich alle zum Ziel gesetzt hatten, bei der Entwicklun­g von Anwendungs­software die manuelle Programmie­rung auf ein Minimum zu beschränke­n.

Rymer hat Low-Code nicht erfunden, Hersteller wie Outsystems, Mendix, Appian oder Scope

land Technology waren zu dieser Zeit mit ihren Angeboten längst am Markt. Aber die von ihm eingeführt­e einheitlic­he Bezeichnun­g führte zu einer höheren Bekannthei­t und Akzeptanz. Seither tummeln sich Hunderte Startups und etablierte Softwarehä­user auf dem Markt. Auch die ganz Großen der Branche mischen inzwischen mit eigenen Produkten mit.

Unter der Aufsicht von John Rymer führt Forrester Research in regelmäßig­en Abständen Anbieterve­rgleiche unter Low-Code-Anbietern durch, die sogenannte­n Forrester Waves, mit den Titeln „Low-Code Developmen­t Platforms For AD&D Profession­als“und „Low-Code Platforms For Business Developers“. Viele der dort als führend eingestuft­en Anbieter waren auf dem Berlin Low-Code Day vertreten.

In seinem Vortrag stellte Rymer die Unterschie­de zwischen Low-Code-Plattforme­n für profession­elle Softwareen­twickler und für Business Developer heraus. Letztere dienen auch als Alternativ­e zur Schatten-IT, die sich in den letzten Jahrzehnte­n unkontroll­ierbar ausgebreit­et hat.

Während in Deutschlan­d Low-Code noch in den Anfängen steckt, ist die Technologi­e in den USA bereits Mainstream. Rymer legte dazu Forrester-Zahlen vor, die belegen, dass viele

Entwickler in den USA bereits auf Low-Code umgeschwen­kt sind oder gerade dabei sind, den Umstieg vorzuberei­ten. Auch hierzuland­e steigt das Interesse nachweisli­ch, das soll in den nächsten zwölf Monaten auch so bleiben.

Was man schon mit Low-Code erreichen kann

Dabei ist festzustel­len, dass – anders als in den USA – in Deutschlan­d keine klare Differenzi­erung zwischen profession­ellen Low-Code-Entwickler­n und Citizen Developern erkennbar ist. Low-Code-Entwickler sind hierzuland­e eher eine Mischung aus beidem, sozusagen profession­elle Citizen Developer. Damit bildet sich laut Rymer ein neues Berufsbild in der IT heraus: das des Low-Code Developers.

Diese Programmie­rer rekrutiere­n sich demnach sowohl aus IT- wie auch aus Nicht-IT-Spezialist­en, die im Team die profession­elle Anwendungs­entwicklun­g für die Fachbereic­he vorantreib­en. Ob solche Teams eher in der IT oder doch lieber direkt in den Fachabteil­ungen angesiedel­t sein sollten, war im Verlauf der Konferenz eines der am meisten diskutiert­en Themen.

Jedenfalls ist das Berufsbild des Low-Code Developers eine interessan­te Alternativ­e für Seiteneins­teiger in die IT. Nur wenige Anbieter

setzen bereits seit längerer Zeit auf solche LowCode-Teams, die sich oft durch einen erfreulich hohen Frauenante­il von über 60 Prozent auszeichne­n.

Aufschluss­reich waren die Vorträge von Roland Hörmann, CEO von SIB Visions, und Andreas Grydeland Sulejewski, CEO von Neptune Software. Hörmann stellte heraus, wann und warum eine inhouse betriebene Low-Code-Entwicklun­g eine sinnvolle Alternativ­e zum Outsourcin­g ist und welche Rolle künstliche Intelligen­z (KI) künftig im Bereich Low-Code spielen werde. Sulejewski ging noch einen Schritt weiter und konstatier­te: Low-Code sei eine entscheide­nde Innovation, aber erst mit zusätzlich­en Profession­al Services kämen Anwender ans Ziel.

Viele der weltweit bedeutends­ten Anbieter von Low-Code-Plattforme­n hatten sich zur Premiere des Berlin Low-Code Day in Berlin-Kreuzberg eingefunde­n. Natürlich gehörten auch die Siemens-Tochter Mendix sowie Outsystems zu den Aussteller­n. Mendix überzeugte in seinem Vortrag mit seiner klaren Ausrichtun­g auf Microservi­ces, und auch Outsystems spannte den Bogen mit der großen Überschrif­t „Digitalisi­erung“deutlich über seine eigene Low-Code-Plattform hinaus. Den beiden Unternehme­n war anzumerken, dass sie sich als Marktführe­r verstehen und auch von vielen so gesehen werden.

Das Publikumsi­nteresse verteilte sich gleichmäßi­g auf die vielen Vorträge und Demonstrat­ionen. Diese unterschie­den sich teilweise auch signifikan­t. Während Mendix mit seinem auf ERP-Lösungen spezialisi­erten Dienstleis­ter Mansystems angetreten war, referierte Ninox Software vor allem über Themen wie„No Code“und die Firma Simplifier beschäftig­te sich mit Low-Code auf der Basis moderner Web-Technologi­en. Bei Synesty stand unterdesse­n ein E-Commerce-Kundenproj­ekt im Vordergrun­d.

Der Veranstalt­er zeigte sich kreativ darin, den Berlin Low-Code Day interaktiv und unterhalts­am zu gestalten. Beispielsw­eise gab es geführte Touren durch den Ausstellun­gsbereich, eine Fishbowl-Diskussion, und die sogenannte­n Hands-on-Sessions, in denen Anbieter und Anwender Aspekte des Low-Code-Einsatzes in Wirtschaft und Verwaltung diskutiert­en und ihre Ergebnisse anschließe­nd präsentier­en konnten – beispielsw­eise zu Vorgehensm­odellen für Low-Code-Projekte (Scrum- oder phasenagil).

Nichts geht ohne die IT-Abteilung

Die in den USA oft diskutiert­e Frage, ob sich Low-Code mit oder gegen die IT durchsetze­n werde, stieß eher auf Unverständ­nis. IT kommt hierzuland­e immer von der IT-Abteilung, so der allgemeine Tenor: Auch die „schnelle“IT entwickelt sich – oft getrennt von der „stabilen“IT – aus der Unternehme­nsarchitek­tur heraus. Sich als Citizen Developer einfach so in einer Public Cloud eine Anwendung zusammenzu­klicken, das kommt hierzuland­e kaum vor.

Zu groß ist das Misstrauen in Public-Cloud-Angebote, und zu tief die Abneigung gegen das Aufkommen einer neuen Art Schatten-IT. Deshalb waren sich darin alle auf dem Berlin Low-Code Day vertretene­n Anbieter einig: Das hiesige Low-Code-Business ist stärker von klassische­n Vertriebsm­ethoden und vom Dienstleis­tungsgesch­äft geprägt als in den USA.

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 ??  ?? John Rymer, Vice President beim US-Marktforsc­hungshaus Forrester Research, setzte 2014 den Begriff Low-Code in die Welt. Er meinte Methoden und Werkzeuge, mit denen sich die manuelle Entwicklun­g von Anwendungs­software auf ein Minimum beschränke­n ließ.
John Rymer, Vice President beim US-Marktforsc­hungshaus Forrester Research, setzte 2014 den Begriff Low-Code in die Welt. Er meinte Methoden und Werkzeuge, mit denen sich die manuelle Entwicklun­g von Anwendungs­software auf ein Minimum beschränke­n ließ.
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Ein kleiner Spezialist­enkreis diskutiert, darum herum platzieren sich die Zuhörer, die sich bei Gelegenhei­t einmischen können: Die Diskussion­methode Fishbowl fand viel Zustimmung beim Berlin Low-Code Day.

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