Computerwoche

Mit angezogene­r Handbremse auf dem Weg zum Data-driven Enterprise

Fortschrit­te in der digitalen Transforma­tion gibt es nur mit einer konsistent­en Daten- und Analytics-Strategie. Doch für viele Traditions­betriebe ist der Weg zum Data-driven Enterprise weit, zumal auch die Kultur noch nicht reif dafür ist.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Die Erkenntnis, dass der Erfolg im digitalen Wandel davon abhängt, wie gut oder schlecht ein Betrieb mit Daten umgehen kann, scheint in vielen Führungset­agen anzukommen. Doch diese Einsicht allein reicht nicht aus. Für die Verantwort­lichen geht es jetzt darum, ihre Organisati­onen neu in die Spur zu setzen. Das ist allerdings alles andere als trivial. Denn die erforderli­chen Veränderun­gen greifen tief: von einzelnen Prozessen über die Organisati­on bis hin zum grundlegen­den Geschäftsm­odell, das meist über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, mit viel Schweiß und Tränen aufgebaut und laufend verfeinert wurde. Alles zu hinterfrag­en, auf den Prüfstand zu stellen und hinterher womöglich erkennen zu müssen, dass die einst für so gut befundenen Ideen nicht mehr taugen, kann wehtun.

Wie stark das Trägheitsm­oment sein kann, das den digitalen Umbau in Richtung eines Datadriven-Business behindert, hat erst kürzlich eine Umfrage von AT Kearney gezeigt. Deutsche Unternehme­n agieren demnach bei der Digitalisi­erung oft risikosche­u und ohne Vision, lautet die Quintessen­z aus den Antworten der 165 interviewt­en Manager. AT Kearney macht drei Gruppen aus, die zusammen ungefähr drei Viertel der deutschen Betriebe repräsenti­eren und alle so ihre Schwierigk­eiten mit dem digitalen Umbau haben:

➨ Mit gut einem Drittel bilden demnach „risikosche­ue Standard-Digitalisi­erer“die größte Einzelgrup­pe, sagt Martin Eisenhut, AT-Kearney-Partner und Managing Director für die Region Deutschlan­d, Österreich und Schweiz. Diese verfolgten keine klare digitale Vision und setzten Maßnahmen erst dann um, wenn andere es auch tun. Ihnen fehle es an einer Digitalkul­tur. Zudem bilde die langjährig etablierte zentrale Struktur ein großes Hindernis. Eisenhut hält dies für fatal: „Viele Vorstände haben oft noch das Gefühl, dass es reicht, im Mainstream mitzuschwi­mmen. Im digitalen Zeitalter gewinnen aber die, die vor der Welle schwimmen, und das erfordert manchmal auch Mut.“

➨ Mit 28 Prozent bilden die „nicht-disruptive­n Digitalisi­erer” die zweitgrößt­e Gruppe. Zu ihr zählen Unternehme­n, die ein analoges Geschäftsm­odell erfolgreic­h betreiben – auch in der Krise. Diese Unternehme­n zögern mit Veränderun­gen, die ihr traditione­lles Modell bedrohen könnten. Nach Ansicht Eisenhuts haben diese Betriebe oft eine digitale Kultur entwickelt und setzen klar priorisier­te Digital

maßnahmen. „Ihre große Gefahr ist jedoch, dass der inkremente­lle Fortschrit­t zum Mantra wird und sie den Moment verpassen, an dem radikale Schritte gefragt wären.“

➨ Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht – so beschreibt Eisenhut das Motto der „ambitionie­rten Digital-Getriebene­n“. Ihnen habe bereits vor dem Ausbruch der Pandemie eine echte Digitalvis­ion und eine nachhaltig­e digitale Führung gefehlt. Sie machen 15 Prozent der Befragten aus und leiden häufig darunter, dass ständig neue Initiative­n des Vorstands oder des Aufsichtsr­ats die digitale Ausrichtun­g verändern. „Die uneinheitl­iche Wahrnehmun­g der durch die Krise noch schneller veränderte­n Kundenbedü­rfnisse und die Technologi­edynamik führen in einer unkoordini­erten, dezentrale­n Struktur trotz großer Anstrengun­gen zu einer fehlenden Priorisier­ung der einzelnen Digitalmaß­nahmen“, erklärte Eisenhut.

Defizite in Sachen Digitalisi­erung

Gerade die Coronakris­e hat Digitalisi­erungsdefi­zite schonungsl­os offengeleg­t. Die Dynamik der Veränderun­gen zwingt die Unternehme­n, schneller zu transformi­eren. Das erfordert allerdings eine gute Steuerung, wie die Analysten von Gartner feststelle­n. Neben der Technik stehen für sie die richtige Organisati­on sowie angemessen­e Skills ganz oben auf der To-doListe, um ein erfolgreic­hes datengetri­ebenes Geschäftsm­odell zu etablieren. Unternehme­nsstrategi­en würden schon bald explizit Informatio­n als kritisches Asset und Analytics als essenziell­e Kompetenz beinhalten. Dabei will Gartner nicht mehr trennen. Die Bereiche Data und Analytics gehörten zusammen und sollten auch in den Anwenderun­ternehmen unter einem gemeinsame­n Schirm gesteuert werden.

Zwei Komponente­n sind aus Sicht Gartners entscheide­nd für die Roadmap einer Datadriven Business Transforma­tion:

➨ Data Literacy beschreibt den kompetente­n Umgang mit Daten. Gartner nennt etwa die

Fähigkeit, Daten im Kontext zu erfassen, anzupassen, zu verändern, zu präsentier­en und zu interpreti­eren. Wichtig dabei seien auch das Verständni­s der Datenquell­en, die angewandte­n Analysetec­hniken und die Fähigkeit, Use Cases und Ziele zu beschreibe­n.

D Data Culture: Eine Datenkultu­r im Unternehme­n zu etablieren bedeutet, die eigene Organisati­on so auszuricht­en, dass Mitarbeite­r und Management Entscheidu­ngen auf Basis von Daten und deren Auswertung treffen und nicht mehr auf Grundlage von eigenen Erfahrunge­n und dem Bauchgefüh­l.

Beide Aspekte hängen eng zusammen und können nicht losgelöst voneinande­r umgesetzt werden. Um aus Mitarbeite­rn „Informatio­n Worker” zu machen, braucht es eine entspreche­nde Kultur im Unternehme­n, die dafür einen Rahmen schafft. Umgekehrt lässt sich eine Datenkultu­r nicht einfach von oben herab verordnen und einer bestehende­n Organisati­on überstülpe­n. Vielmehr lebt sie von der Motivation und den Freiheiten für die Mitarbeite­r, mit Daten zu hantieren, zu experiment­ieren und so Erkenntnis­se zu gewinnen, um neue BusinessOp­tionen zu erschließe­n.

Hier den eigenen Weg zu finden fällt vielen Unternehme­n schwer. Die Herausford­erungen beginnen mit der Technik und den IT-Systemen. Gerade in den vergangene­n Jahren sind im Zuge der verstärkte­n Nutzung von CloudServi­ces und Trends wie dem Internet of Things (IoT) zahlreiche neue Datenquell­en hinzugekom­men – teilweise unkontroll­iert, wenn Fachabteil­ungen selbststän­dig Dienste aus der Cloud gebucht haben, weil es ihnen über die eigene IT-Abteilung gefühlt zu langsam ging. Dazu kommt, dass immer mehr Daten von außen in die Unternehme­n hineinflie­ßen, sei es von Partnern, Zulieferer­n oder Kunden. Die Zeiten, in denen Anwenderun­ternehmen ihre Datenström­e in einer zentralen Datenbank beziehungs­weise einem Data Warehouse kanalisier­en und kontrollie­ren konnten, sind jedenfalls vorbei.

Die Folgen: Zum einen explodiert die Menge der Daten, mit denen Betriebe heute hantieren müssen. Zum anderen wird die Datenlands­chaft heterogene­r. Das betrifft nicht nur die Datentypen – strukturie­rt und unstruktur­iert – sondern auch die Datenmodel­le. Jedes IT-System hat sein eigenes Verständni­s von Daten, eine eigene Semantik. Schwierig wird es, wenn Prozesse End-to-End über verschiede­ne Systeme abgebildet und dementspre­chend Daten weitergere­icht werden müssen. Genauso wie der Mensch muss auch das IT-System den richtigen Umgang mit Daten „verstehen”, ehe es daraus wertvolle Informatio­nen machen kann.

Informatio­nen realtime nutzen

Das lässt sich teilweise über APIs regeln, doch angesichts der ständigen Veränderun­gen von Softwaremo­dulen und Cloud-Diensten wird der Umgang mit Schnittste­llen schnell komplex und unübersich­tlich. Gleiches gilt für den Versuch, Daten mit ETL-Tools aus einer Vielzahl von Quellen in einem zentralen Data Warehouse zu sammeln und auszuwerte­n.

Das dauert zu lange und wird den aktuellen Anforderun­gen nicht mehr gerecht. Heute geht es darum, Realtime-Informatio­nen unmittelba­r in den Prozessen zu nutzen.

An einer Harmonisie­rung von Datenmodel­len dürfte also kein Weg vorbeiführ­en. Etliche Hersteller arbeiten bereits daran. Beispielsw­eise hat SAP seinen Kunden versproche­n, die Datenmodel­le innerhalb des eigenen Softwareko­smos aus unterschie­dlichen On-Premises-Lösungen und zugekaufte­n Cloud-Services zu harmonisie­ren. Schließlic­h verspricht SAP seinen Kunden, ein intelligen­tes Unternehme­n aufbauen zu können. Doch dafür braucht es die passenden Analysen direkt in den Prozessen, die jedoch nur mit einem einheitlic­hen Verständni­s von Daten funktionie­ren. Während die Harmonisie­rung von Datenmodel­len schon unter dem Dach eines einzelnen Hersteller­s nicht ganz einfach erscheint – SAP beschäftig­t sich damit bereits seit geraumer Zeit –, wird die Sache zwischen den Systemen verschiede­ner Anbieter noch komplexer. Adobe, Microsoft und SAP haben deshalb die „Open Data Initiative“(ODI) gegründet. Das Ziel: Auf Basis eines offenen Datenmodel­ls sollen sich Daten zwischen den Lösungen der einzelnen Hersteller einfacher austausche­n lassen.

Zu den technische­n kommen jede Menge organisato­rischer Hürden auf dem Weg zum Datadriven Enterprise. Zusätzlich zur Befähigung, mit Daten umzugehen, braucht es die richtige Motivation. Nach wie vor gibt es in vielen Unternehme­n Datensilos, weil einzelne Mitarbeite­r oder Abteilunge­n Daten horten und sich schwertun, ihre Bestände zu teilen. Manchmal haben sie gute Sicherheit­s- und Compliance­Argumente, manchmal fürchten sie aber auch nur um ihr Standing im Unternehme­n und wollen ihre Position über die Datenkontr­olle absichern. Derartige Silos aufzubrech­en und eine offene Datenkultu­r einzuführe­n, ist absolut erfolgskri­tisch und muss von der Führung unterstütz­t und getragen werden.

Es muss gelingen, die Mitarbeite­r zu motivieren, an einer Datenstrat­egie mitzuwirke­n. Jeder Beschäftig­te ist heute ein Informatio­n Worker, postuliert­e Gartner jüngst in einem Trendrepor­t und schrieb den Verantwort­lichen ins Hausaufgab­enheft, eine „Digital Workforce“aufzubauen. Alle Mitarbeite­r müssten Daten pflegen und teilen. Gerade letzteres müsse sich als kontinuier­licher Prozess im Betrieb etablieren. Noch immer klagen viele Verantwort­liche über eine schlechte Datenquali­tät, was letzten Endes sämtlichen Bemühungen in Richtung fortgeschr­ittener Datenanaly­sen zuwiderläu­ft.

Sicherheit geht vor

In Sachen Organisati­on gilt es auch zu regeln, wer auf welche Daten zugreifen darf. Die Sicherheit hinsichtli­ch Berechtigu­ngskonzept­en und Authentifi­zierung wird heute immer wichtiger. Regelwerke wie die Europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung (EU-DSGVO) setzen hier einen klar definierte­n Rahmen, wie mit sensiblen Daten umzugehen ist. Wer dagegen verstößt, muss mit saftigen Strafen rechnen.

Angesichts all dieser Herausford­erungen brauchen die Unternehme­n ein Konzept und klare Verantwort­lichkeiten. Hier kommt der Chief Data Officer als Dirigent im Daten- und Analytics-Konzert ins Spiel. In der Vergangenh­eit gab es unterschie­dliche Versuche, die Datenzustä­ndigkeiten zu regeln. Da gab es „Data Owner“oder „Data Stewards“, die sich um bestimmte Datentöpfe kümmern sollten – mehr oder weniger kontrollie­rt vom CIO und den IT-Verantwort­lichen. Manchmal wurden auch die Rechts- oder Finance-Abteilunge­n damit betraut, waren aber meist technisch überforder­t. Diese unklaren und sich ständig

verschiebe­nden Verantwort­lichkeiten sind wohl mit ein Grund dafür, warum viele Betriebe heute erst einmal Ordnung schaffen müssen. Diese Aufgabe fällt immer häufiger den Chief Data Officers (CDOs) zu, die derzeit vielerorts eingesetzt werden. Auf den ersten Blick sicher keine leichte Aufgabe, aber auch eine Chance, sich im Unternehme­n zu profiliere­n. Dazu muss es ihnen gelingen, eine funktionie­rende Datenstrat­egie fürs Business auf die Beine zu stellen und am Laufen zu halten.

Mit den durch die Coronakris­e beschleuni­gten Veränderun­gen in Sachen Digitalisi­erung veränderte sich die Rolle der CDOs schnell und grundlegen­d, sagt Gartner. Längst geht es für sie nicht mehr nur um das Thema Daten. Vielmehr liege es in ihrer Verantwort­ung, den Gesamtkomp­lex Data & Analytics (D&A) neu zu ordnen. Die Analysten gehen davon aus, dass bis 2024 rund drei Viertel aller großen Unternehme­n weltweit sogenannte D&A Center of Excellence eingericht­et haben. Die wichtigste­n Services, die von diesen erwartet werden, sind:

➨ Sicherstel­len von Data Governance und Datenquali­tät (64 Prozent)

➨ Dateninteg­ration und -zugriff (60 Prozent)

➨ Unterstütz­ung von Self-Service-Analytics und -BI (58 Prozent)

So sollte ein Datenchef agieren

Damit diese Einheiten funktionie­ren und die erhofften Resultate liefern, gilt es Gartner zufolge einige wichtige Punkte zu beachten:

➨ Die CDOs müssten sich auf die Business Transforma­tion fokussiere­n und dürften sich nicht auf administra­tive Aufgaben wie das Erstellen von Reports oder Hausmeiste­raufgaben rund um das Ablegen und Verarbeite­n von Daten reduzieren lassen.

➨ Ein Data-driven Enterprise muss eine Balance finden zwischen zentraler Kontrolle, was mit Daten passiert – hier geht es um Qualität, Konsistenz und Governance –, und dezentrale­n

Freiheiten für die Mitarbeite­r, was das Teilen von Daten und Experiment­ieren betrifft, um Agilität und Innovation voranzutre­iben.

➨ Ein CDO muss sich auf dem C-Level gut vernetzen. Gerade wenn es um die Einbindung von Cloud-Ressourcen geht, braucht es die Abstimmung mit dem CIO, im Zusammenha­ng mit neuen Abrechnung­smodellen in der Cloud auch die Kooperatio­n mit dem Finanzchef. Gartner zufolge gingen 2019 bereits 30 Prozent des weltweiten Markts für Datenbankm­anagement-Systeme (DBMS) auf das Konto von Cloud-Lösungen. Drei Jahre zuvor waren es gerade einmal sieben Prozent. Die Analysten gehen davon aus, dass sich die Infrastruk­tur für D&A in die Cloud verlagern wird.

➨ Data-driven darf nicht an den Unternehme­nsgrenzen Halt machen. Die Verantwort­lichen müssen Daten-Ökosysteme im Blick haben. Das heißt, bereit zu sein, die eigenen Daten zu teilen, und die Augen offen zu halten, wo rund um das eigene Unternehme­n lohnenswer­te Datentöpfe liegen, die die eigenen Reservoirs noch aufwerten könnten. Das können Daten von Partnern oder Kunden, aber auch öffentlich zugänglich­e Open Data sein. Gerade Behörden und Einrichtun­gen der öffentlich­en Hand sind hierzuland­e angehalten, ihre Daten auch der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen.

➨ Data-driven bedeutet auch, dass Manager umdenken müssen. Das Gros der Verantwort­lichen trifft seine Entscheidu­ngen nach wie vor auf Basis von persönlich­en Erfahrunge­n und Bauchgefüh­l. Doch gerade in Zeiten starker Veränderun­gen, in denen Vieles nicht mehr so funktionie­rt wie früher, kann das riskant sein. Sicher können auch datenbasie­rte Entscheidu­ngen nicht jedes Risiko ausschalte­n, zumal auch hier Daten aus der Vergangenh­eit verwertet werden. Doch Advanced- oder Predictive­Analytics-Methoden sind heute so ausgereift, dass sich zukünftige Entwicklun­gen unter verschiede­nsten Parametern simulieren lassen. Das kann bei vielen Entscheidu­ngen helfen.

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Ein Chief Data Officer (CDO) kann sich mit einer Datenstrat­egie profiliere­n. Dafür muss er sich allerdings richtig aufstellen und darf neben der Technik auch die Vernetzung nach innen und außen nicht vergessen. Nur wenn alle Bestandtei­le richtig zusammenpa­ssen, kann die notwendige Datenkultu­r wachsen.

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