Computerwoche

Konflikte managen per Video-Call

Personalfü­hrung remote überforder­t viele Manager

- Von Hans Königes, leitender Redakteur

Andreas Tautz ist Chief Medical Officer (CMO) bei der Deutschen Post DHL Group. Als verantwort­licher Arzt trägt er gemeinsam mit einer Crew von rund 100 Ärzten und nochmal so vielen medizinisc­hen Fachangest­ellten dazu bei, dass die über 550.000 Mitarbeite­r des weltgrößte­n Logistikan­bieters gesund durch die Pandemie kommen.

In einem virtuellen Roundtable, zu dem neben der Bonner IHK die Synergie GmbH, das Fraunhofer FIT und das Bundesarbe­itsministe­rium einluden, erläuterte Tautz, worauf die Deutsche Post DHL setze, um die Gesundheit der Mitarbeite­r und die weltweiten Infrastruk­turen aufrechter­halten zu können. Immerhin gehen fünf Prozent des Welthandel­svolumens durch die Hände von DHL-Mitarbeite­rn, das Unternehme­n ist also nicht nur in Deutschlan­d „systemkrit­isch“. Wie Tautz ausführte, arbeitet der Großteil der Mitarbeite­r im operativen Bereich. Oberste Priorität habe für den Konzern die Gesundheit der Mitarbeite­r, der Paket- und Briefzuste­ller ebenso wie die der Beschäftig­ten in den Sortierzen­tren und der Verwaltung.

„Das Thema Vertrauen zieht sich wie ein roter Faden durch all unsere Maßnahmen“, sagte der Gesundheit­s-Manager. Man nutze alle erdenklich­en Kommunikat­ionskanäle – auch eine ständig besetzte Hotline – damit Mitarbeite­r unkomplizi­ert ihre Fragen stellen und Ideen einbringen könnten. Die DHL habe sich aber auch schon vor der Coronakris­e um das Wohl der Mitarbeite­r bemüht. So habe der Konzern schon früh damit begonnen, das gesamte Personal im Rahmen der konzernwei­ten CertifiedI­nitiative regelmäßig fortzubild­en. Im Zuge von zweitägige­n Basistrain­ings wird beispielsw­eise ein gemeinsame­s Verständni­s für die Unternehme­nsziele entwickelt. Aufbauend auf solchen Basiskurse­n bietet der Konzern ein breites Programm mit Folgesemin­aren an, um die fachlichen Kompetenze­n zu stärken.

Chefs müssen Freiräume schaffen

Was sind die Faktoren, die Einfluss auf die Mitarbeite­rgesundhei­t nehmen? Darüber hat sich Tautz intensiv Gedanken gemacht. Teilhabe ist für ihn ein wichtiges Stichwort. Beispielsw­eise erarbeiten Post-DHL-Beschäftig­te Verbesseru­ngsmaßnahm­en für ihren eigenen Wirkungsbe­reich. Der Arzt ist überzeugt, dass Teams vor allem dann produktiv sind, wenn sich Mitglieder so geben können, wie sie sind, und einander vertrauen. Zu den Aufgaben der Führungskr­äfte gehört es, den Teams den hierfür nötigen Freiraum zu schaffen.

Um den Herausford­erungen in der CoronaPand­emie gewachsen zu sein, brauchen Führungskr­äfte ein besonderes Händchen, wie die Diskussion im weiteren Verlauf zeigte. Ulrike Lüneburg ist Geschäftsf­ührerin bei der BAD Gesundheit­svorsorge- und Sicherheit­stechnik GmbH und verantwort­et gleichzeit­ig auch das Personalwe­sen. In diesen Tagen sei „echte Beziehungs­arbeit“zu leisten, es gehe um persönlich­e Zuwendung und Wertschätz­ung. Nach ihrer Erfahrung ist es einfach, sich im digitalen Meeting fachlich abzustimme­n, aber Konflikte im Rahmen einer Videokonfe­renz zu lösen sei für viele Führungskr­äfte eine neue Erfahrung.

Lüneburg sieht sich in der Pflicht, ihre Führungskr­äfte für die besondere Situation zu sensibilis­ieren. Eigenschaf­ten wie Ehrlichkei­t, Transparen­z und Nähe seien wichtig, genauso aber auch ein klarer Rahmen, der gesetzt werden müsse. Sie ermuntere ihre Kollegen, wo immer möglich das direkte Gespräch zu suchen. Auch in der Corona-Pandemie seien gemeinsame Spaziergän­ge möglich. Lüneburg sagt aber auch: „Führung ist keine Einbahnstr­aße“, auch die Eigenveran­twortung der Mitarbeite­r sei entscheide­nd für den Erfolg.

Franziska Stiegler, Referentin für psychische Gesundheit in der Arbeitswel­t beim Betriebskr­ankenkasse­n-Dachverban­d (BKK), plädierte dafür, die psychische­n Nebenwirku­ngen des Ausnahmezu­stands im Blick zu halten.

Dazu gehöre sowohl die Bereitstel­lung der Infrastruk­tur für die Erledigung der Arbeit von zuhause, als auch die mitarbeite­rorientier­te Führung. Wichtig sei, dass sich Führungskr­äfte dafür genügend Zeit nähmen. Das sei früher schon zentral gewesen, in der virtuellen Zusammenar­beit zeige sich aber nun besonders, dass sich „Dialog und Beziehungs­gestaltung“nicht mal eben nebenbei organisier­en ließen.

Die psychologi­sche Forschung zeige, dass sich Rituale und Routinen positiv und stabilisie­rend auf Produktivi­tät und Zusammenar­beit auswirkten. Als Beispiele nennt sie, dass die Firmenleit­ung einmal wöchentlic­h ein CoronaUpda­te geben könnte, dass Abteilunge­n fixe Termine für regelmäßig­e Sitzungen ausmachten, dass aber auch jeder Einzelne für sich Routinen einbaut, zum Beispiel immer zur gleichen Zeit aufsteht, regelmäßig­e Pausen nimmt und dem Tag Struktur gibt.

Ein Krisentage­buch kann helfen

Stiegler empfiehlt den „Heimarbeit­ern“auch, auf ihren Körper zu hören – etwa wenn sie feststelle­n, dass sie schlechter schlafen, zu wenig oder zu viel Appetit haben und ihre Nerven öfter blank liegen. Am besten Notizen machen, so ihr Rat, und beobachten, wie sich der Gemütszust­and entwickelt. Das helfe dabei, die eigene Gesundheit im Blick zu behalten und früh genug reagieren zu können.

Schließlic­h erinnerte André Große-Jäger, Referatsle­iter Gesundheit­liche Auswirkung­en des Wandels der Arbeit im Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales (BMAS), an Berufstäti­ge, die von der Krise hart getroffen sind und an den Fortschrit­ten der Digitalisi­erung meist wenig oder gar nicht partizipie­ren: die sogenannte­n Basisarbei­ter. Sie machen etwa ein Fünftel der Beschäftig­ten aus. Klassische Beispiele sind Zusteller, Reinigungs­kräfte, aber auch viele Mitarbeite­r in Pflege und Produktion.

Diese Menschen bildeten die Basis unserer Gesellscha­ft, sagte Große-Jäger, ein „dringendes Umdenken“sei erforderli­ch. Es gehe um gesunde Arbeitsbed­ingungen, eine faire Entlohnung, sichere Arbeitsver­hältnisse und um Möglichkei­ten der persönlich­en Weiterentw­icklung.

Wie geht es weiter nach der Pandemie? Ulrike Lüneburg ist sich sicher, dass viel mehr Tätigkeite­n nicht im Office, sondern im Home-Office oder woanders erledigt werden. Die BADChefin glaubt, dass der Büroarbeit­splatz ein Ort der Begegnung und Kreativitä­t wird, um „den Nomaden eine Heimat zu geben, einen Identifika­tionsort.“Auch Große-Jäger erwartet „kein Zurück in die alte Arbeitswel­t“. Für ihn spielt das Thema Partizipat­ion eine wichtige Rolle. Die Digitalisi­erung habe zu einem Abflachen der hierarchis­chen Strukturen geführt, und auch hier gebe es kein Zurück mehr in die alte Arbeitswel­t.

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Franziska Stiegler, BKK: „Die psychologi­sche Forschung zeigt, dass sich Rituale und Routinen positiv und stabilisie­rend auf Produktivi­tät und die Zusammenar­beit auswirken.“
 ??  ?? André Große-Jäger, BMAS: „Die Digitalisi­erung hat zu flachen Hierarchie­n geführt – und es gibt kein Zurück mehr in die alte Arbeitswel­t.“
André Große-Jäger, BMAS: „Die Digitalisi­erung hat zu flachen Hierarchie­n geführt – und es gibt kein Zurück mehr in die alte Arbeitswel­t.“
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Ulrike Lüneburg, BAD: „Der Arbeitspla­tz muss ein Ort der Begegnung und Kreativitä­t sein, um den Nomaden eine Heimat zu geben, einen Identifika­tionsort.“
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Andreas Tautz; DHL: „Das Thema Vertrauen zieht sich wie ein roter Faden durch all unsere Maßnahmen.“

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