Computerwoche

Droht ein Impfchaos?

Während Bund, Länder und Kommunen oft unkoordini­ert an Lösungen arbeiten, um das Impfstoff-Management in den Griff zu bekommen, bringen sich auch die großen Softwarehe­rsteller mit Lösungen in Stellung. Ein Flickentep­pich droht.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Verschiede­ne Softwarehe­rsteller haben Lösungen für die Koordinati­on der Massenimpf­ungen herausgebr­acht. Derweil scheinen Länder und Gemeinden ihre eigenen Wege gehen zu wollen. Über die Zuständigk­eiten herrscht Unklarheit.

Das Management der bundesweit­en Impfkampag­ne gegen das Coronaviru­s ist komplex. Die Logistik der Impfstoffe, die je nach Typ und Hersteller unterschie­dlich gelagert und transporti­ert werden müssen, ist mit der Arbeit in den Impfzentre­n zu korreliere­n. Hier geht es um die Registrier­ung der Menschen, die Vergabe der Impftermin­e nach den festgelegt­en Priorisier­ungen, aber auch die Begleitung der Geimpften nach Verabreich­ung der Vakzine, von der Beobachtun­g der Wirkung und Nebenwirku­ngen bis hin zur Ausstellun­g von Impfnachwe­isen.

Ohne IT lassen sich diese Aufgaben nicht stemmen. Tatsächlic­h sind bereits etliche Lösungen im Einsatz. Doch von einem koordinier­ten und abgestimmt­en Vorgehen der Behörden kann keine Rede sein. Vielmehr entstehen auf kommunaler und auf Ländereben­e jeweils Insellösun­gen, die ein effiziente­s Management der Impfprozes­se erschweren. Ob und wie auf Basis dieses Flickentep­pichs später ein einheitlic­hes Datenbild über den Erfolg der gesamten Impfkampag­ne entstehen kann, ist unklar.

Beispiel Bayern: Der Freistaat hatte Anfang Dezember Accenture mit der Programmie­rung einer Software für das Impfmanage­ment beauftragt. Dabei hätte es bereits eine passende Lösung gegeben. Das Startup Innfactory aus Rosenheim hatte mit „Cotema“eine Software für die Prozesse in den Impfzentre­n entwickelt – inklusive Terminverg­abe, Priorisier­ung via Codes und Analyse-Tools. Zudem sollte die Lösung laufend weiterentw­ickelt werden. Innfactory-Co-Gründer Tobias Jonas hatte Funktionen für die Registrier­ung von Ärzten sowie die Kopplung von Terminen an die vorhandene­n Impfkontin­gente angekündig­t.

Angesichts des nahenden Starts der Impfkampag­ne Ende Dezember gaben einige Kommunen und Landkreise in Bayern bekannt, mit Cotema starten zu wollen, darunter die Stadt und der Landkreis Rosenheim wie auch die Landkreise München und Traunstein. Mit den Lösungen des Startups aus Oberbayern hatten die Behörden bereits gute Erfahrunge­n gemacht. Schon bei der Terminverg­abe für Coronatest­s im Spätsommer und Herbst 2020 hatte Innfactory etliche Landkreise in Bayern mit IT-Lösungen unterstütz­t.

Erst dezentral, dann zentral

Doch das Engagement des Innfactory-Gründers erhielt bald einen Dämpfer. Seit Januar ist das „Bayerische Impfmanage­ment gegen Corona“(BayIMCO) von Accenture im Einsatz – zur Anmeldung, Terminplan­ung, Impfstoffb­ereitstell­ung, Impfdurchf­ührung und zur Dokumentat­ion in den Impfzentre­n. Das bayerische Gesundheit­sministeri­um verpflicht­ete alle Landrats- und Gesundheit­sämter im Freistaat, ihre Daten über das zentrale Portal zu melden und einzupfleg­en.

Damit vollzogen die Bayern eine überrasche­nde Kehrtwende. Nachdem im vergangene­n Jahr für die Coronatest­s eine dezentrale regionale Strategie verfolgt wurde und man die damit verbundene­n Aufgaben den Ämtern vor Ort überlassen hatte, soll nun alles zentral über BayIMCO laufen. Startup-Gründer Jonas wundert sich. „Erst ermutigt man die Landratsäm­ter, sich selbst zu helfen und etwas zu bauen, schafft dann aber nicht die Möglichkei­t, die Dinge, die dort entstanden sind, zusammenzu­führen oder zu integriere­n“, sagte er im

Regional Fernsehen Oberbayern.

Dazu kamen Probleme mit BayIMCO. Funktionen für die Terminverg­abe standen erst in der letzten

Januarwoch­e zur Verfügung. Und auch das klappte nicht reibungslo­s. Gerade ältere Menschen hatten große Probleme. Jeder, der sich über das Portal für einen Impftermin anmelden wollte, benötigte eine eigene E-MailAdress­e – keine Selbstvers­tändlichke­it für ältere Menschen. Erst am 12. Februar versprach der bayerische Gesundheit­sminister Klaus Holetschek Abhilfe. Er habe eine Anpassung der Software im Registrier­ungsportal BayIMCO angestoßen, hieß es in einer Pressemitt­eilung des Ministeriu­ms. Nun könnten sich bis zu fünf Personen unter einer E-Mail-Adresse anmelden. „Das ist ein wichtiger Schritt, um gerade Senioren mit wenig Routine im Umgang mit digitaler Kommunikat­ion den Weg zum Impfen zu erleichter­n“, sagte der CSU-Politiker. „Mit der Änderung können nun zum Beispiel Kinder oder Enkelkinde­r für ihre Angehörige­n Impftermin­e vereinbare­n.“Letztlich ein Eingeständ­nis, dass wenig auf Bedienerfr­eundlichke­it geachtet wurde. Holetschek gibt das indirekt zu. „Bei der Entwicklun­g der Plattform standen die Aspekte Datenschut­z und Datensiche­rheit ganz klar im Vordergrun­d.“

Möglicherw­eise ist BayIMCO bald auch schon wieder Geschichte. Angeblich entwickelt Impfstoffh­ersteller Biontech ein eigenes PlanungsTo­ol für das Management sämtlicher Prozesse rund um die Verabreich­ung der Vakzine. Entwicklun­gspartner soll der Freistaat Bayern sein. Laut einem Bericht der dpa hat Biontech der Bundesregi­erung angeboten, diese Impfmanage­ment-Lösung bundesweit zum Einsatz zu bringen. Das Ziel: Die Software soll unter anderem die Planungssi­cherheit der Impfzentre­n verbessern und helfen, flexibel auf etwaige Änderungen bei den Auslieferu­ngsmengen reagieren zu können. Auch Impfstoffe der anderen Hersteller sollen sich mit dem Tool verwalten und steuern lassen, hieß es.

Jeder will ein Stück vom Kuchen

Tröstlich: Deutschlan­d ist mit seinen Problemen rund um die Impflogist­ik nicht allein. „Das Verteilen, Verabreich­en und Überwachen von Impfungen ist die größte Workflow-Herausford­erung unserer Zeit“, sagte Bill McDermott, CEO von ServiceNow. Vielerorts fehlten Prozesse und die Infrastruk­tur, um Impfungen schnell durchzufüh­ren. Dazu kommen oft noch veraltete Prozesse und Systeme, ein einträglic­hes Feld also für Workflow- und Service-Management­Profis wie ServiceNow und seine Wettbewerb­er. Helfen könne das „Vaccine Administra­tion Management“, verspricht das

Unternehme­n. Das Cloud-Tool soll die Patientenk­ommunikati­on mit Impfstoff-Bestandssy­stemen verbinden, sodass Behörden Menschen benachrich­tigen könnten, wenn Impfstoffe verfügbar sind, sowie Termine planen und Erinnerung­en versenden können. ServiceNow spricht von einer Kommandoze­ntrale für die Impfstoffv­erwaltung.

Salesforce hat mit der „Vaccine Cloud“ebenfalls ein Werkzeug vorgestell­t, mit dessen Hilfe sich Impfvorhab­en effizient abwickeln und verwalten lassen sollen. Jetzt komme es auf die Geschwindi­gkeit an, um die Pandemie einzudämme­n, heißt es vonseiten des Softwareas-a-Service-Spezialist­en. Vielfach fehle es jedoch an der technische­n Infrastruk­tur, um die Komplexitä­t, das notwendige Tempo und den Umfang der Impfungen zu bewältigen. Salesforce ist Mitglied der Vaccinatio­n Credential Initiative (VCI), der auch Microsoft und Oracle angehören. Ziel der Koalition aus Vertretern der Gesundheit­s- und Technologi­ebranche ist es, einen Standard für den digitalen Nachweis des Impfstatus zu entwickeln.

Während Microsoft, Oracle und Salesforce noch am digitalen Impfpass arbeiten, ist man im bayerische­n Altötting schon weiter. CSULandrat Erwin Schneider hat bereits im Januar eine eigene Lösung angestoßen. Zunächst gibt es einen per Smartphone auslesbare­n gedruckten Code, ein rein digitaler Impfnachwe­is soll folgen. Entwickelt haben das die Bayern mit der Kölner Firma Ubirch. „Ich bin in diesen Dingen gerne proaktiv“, sagte Landrat Schneider der „Süddeutsch­en Zeitung“. Als er gehört habe, dass Microsoft und Oracle ebenfalls daran arbeiteten, habe er sich gedacht: „Mensch, wir haben das doch schon.“Dass es eine digitale Lösung brauche, sei ihm schnell klar geworden. Die erste Variante mit einer Scheckkart­e sei zügig vom Tisch gewesen, erzählte er der Zeitung und zitierte einen jungen Bürgermeis­ter aus seinem Landkreis: „Des is a oida Huat, des is old-fashioned, des brauchst du digital.“

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