Droht ein Impfchaos?
Während Bund, Länder und Kommunen oft unkoordiniert an Lösungen arbeiten, um das Impfstoff-Management in den Griff zu bekommen, bringen sich auch die großen Softwarehersteller mit Lösungen in Stellung. Ein Flickenteppich droht.
Verschiedene Softwarehersteller haben Lösungen für die Koordination der Massenimpfungen herausgebracht. Derweil scheinen Länder und Gemeinden ihre eigenen Wege gehen zu wollen. Über die Zuständigkeiten herrscht Unklarheit.
Das Management der bundesweiten Impfkampagne gegen das Coronavirus ist komplex. Die Logistik der Impfstoffe, die je nach Typ und Hersteller unterschiedlich gelagert und transportiert werden müssen, ist mit der Arbeit in den Impfzentren zu korrelieren. Hier geht es um die Registrierung der Menschen, die Vergabe der Impftermine nach den festgelegten Priorisierungen, aber auch die Begleitung der Geimpften nach Verabreichung der Vakzine, von der Beobachtung der Wirkung und Nebenwirkungen bis hin zur Ausstellung von Impfnachweisen.
Ohne IT lassen sich diese Aufgaben nicht stemmen. Tatsächlich sind bereits etliche Lösungen im Einsatz. Doch von einem koordinierten und abgestimmten Vorgehen der Behörden kann keine Rede sein. Vielmehr entstehen auf kommunaler und auf Länderebene jeweils Insellösungen, die ein effizientes Management der Impfprozesse erschweren. Ob und wie auf Basis dieses Flickenteppichs später ein einheitliches Datenbild über den Erfolg der gesamten Impfkampagne entstehen kann, ist unklar.
Beispiel Bayern: Der Freistaat hatte Anfang Dezember Accenture mit der Programmierung einer Software für das Impfmanagement beauftragt. Dabei hätte es bereits eine passende Lösung gegeben. Das Startup Innfactory aus Rosenheim hatte mit „Cotema“eine Software für die Prozesse in den Impfzentren entwickelt – inklusive Terminvergabe, Priorisierung via Codes und Analyse-Tools. Zudem sollte die Lösung laufend weiterentwickelt werden. Innfactory-Co-Gründer Tobias Jonas hatte Funktionen für die Registrierung von Ärzten sowie die Kopplung von Terminen an die vorhandenen Impfkontingente angekündigt.
Angesichts des nahenden Starts der Impfkampagne Ende Dezember gaben einige Kommunen und Landkreise in Bayern bekannt, mit Cotema starten zu wollen, darunter die Stadt und der Landkreis Rosenheim wie auch die Landkreise München und Traunstein. Mit den Lösungen des Startups aus Oberbayern hatten die Behörden bereits gute Erfahrungen gemacht. Schon bei der Terminvergabe für Coronatests im Spätsommer und Herbst 2020 hatte Innfactory etliche Landkreise in Bayern mit IT-Lösungen unterstützt.
Erst dezentral, dann zentral
Doch das Engagement des Innfactory-Gründers erhielt bald einen Dämpfer. Seit Januar ist das „Bayerische Impfmanagement gegen Corona“(BayIMCO) von Accenture im Einsatz – zur Anmeldung, Terminplanung, Impfstoffbereitstellung, Impfdurchführung und zur Dokumentation in den Impfzentren. Das bayerische Gesundheitsministerium verpflichtete alle Landrats- und Gesundheitsämter im Freistaat, ihre Daten über das zentrale Portal zu melden und einzupflegen.
Damit vollzogen die Bayern eine überraschende Kehrtwende. Nachdem im vergangenen Jahr für die Coronatests eine dezentrale regionale Strategie verfolgt wurde und man die damit verbundenen Aufgaben den Ämtern vor Ort überlassen hatte, soll nun alles zentral über BayIMCO laufen. Startup-Gründer Jonas wundert sich. „Erst ermutigt man die Landratsämter, sich selbst zu helfen und etwas zu bauen, schafft dann aber nicht die Möglichkeit, die Dinge, die dort entstanden sind, zusammenzuführen oder zu integrieren“, sagte er im
Regional Fernsehen Oberbayern.
Dazu kamen Probleme mit BayIMCO. Funktionen für die Terminvergabe standen erst in der letzten
Januarwoche zur Verfügung. Und auch das klappte nicht reibungslos. Gerade ältere Menschen hatten große Probleme. Jeder, der sich über das Portal für einen Impftermin anmelden wollte, benötigte eine eigene E-MailAdresse – keine Selbstverständlichkeit für ältere Menschen. Erst am 12. Februar versprach der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek Abhilfe. Er habe eine Anpassung der Software im Registrierungsportal BayIMCO angestoßen, hieß es in einer Pressemitteilung des Ministeriums. Nun könnten sich bis zu fünf Personen unter einer E-Mail-Adresse anmelden. „Das ist ein wichtiger Schritt, um gerade Senioren mit wenig Routine im Umgang mit digitaler Kommunikation den Weg zum Impfen zu erleichtern“, sagte der CSU-Politiker. „Mit der Änderung können nun zum Beispiel Kinder oder Enkelkinder für ihre Angehörigen Impftermine vereinbaren.“Letztlich ein Eingeständnis, dass wenig auf Bedienerfreundlichkeit geachtet wurde. Holetschek gibt das indirekt zu. „Bei der Entwicklung der Plattform standen die Aspekte Datenschutz und Datensicherheit ganz klar im Vordergrund.“
Möglicherweise ist BayIMCO bald auch schon wieder Geschichte. Angeblich entwickelt Impfstoffhersteller Biontech ein eigenes PlanungsTool für das Management sämtlicher Prozesse rund um die Verabreichung der Vakzine. Entwicklungspartner soll der Freistaat Bayern sein. Laut einem Bericht der dpa hat Biontech der Bundesregierung angeboten, diese Impfmanagement-Lösung bundesweit zum Einsatz zu bringen. Das Ziel: Die Software soll unter anderem die Planungssicherheit der Impfzentren verbessern und helfen, flexibel auf etwaige Änderungen bei den Auslieferungsmengen reagieren zu können. Auch Impfstoffe der anderen Hersteller sollen sich mit dem Tool verwalten und steuern lassen, hieß es.
Jeder will ein Stück vom Kuchen
Tröstlich: Deutschland ist mit seinen Problemen rund um die Impflogistik nicht allein. „Das Verteilen, Verabreichen und Überwachen von Impfungen ist die größte Workflow-Herausforderung unserer Zeit“, sagte Bill McDermott, CEO von ServiceNow. Vielerorts fehlten Prozesse und die Infrastruktur, um Impfungen schnell durchzuführen. Dazu kommen oft noch veraltete Prozesse und Systeme, ein einträgliches Feld also für Workflow- und Service-ManagementProfis wie ServiceNow und seine Wettbewerber. Helfen könne das „Vaccine Administration Management“, verspricht das
Unternehmen. Das Cloud-Tool soll die Patientenkommunikation mit Impfstoff-Bestandssystemen verbinden, sodass Behörden Menschen benachrichtigen könnten, wenn Impfstoffe verfügbar sind, sowie Termine planen und Erinnerungen versenden können. ServiceNow spricht von einer Kommandozentrale für die Impfstoffverwaltung.
Salesforce hat mit der „Vaccine Cloud“ebenfalls ein Werkzeug vorgestellt, mit dessen Hilfe sich Impfvorhaben effizient abwickeln und verwalten lassen sollen. Jetzt komme es auf die Geschwindigkeit an, um die Pandemie einzudämmen, heißt es vonseiten des Softwareas-a-Service-Spezialisten. Vielfach fehle es jedoch an der technischen Infrastruktur, um die Komplexität, das notwendige Tempo und den Umfang der Impfungen zu bewältigen. Salesforce ist Mitglied der Vaccination Credential Initiative (VCI), der auch Microsoft und Oracle angehören. Ziel der Koalition aus Vertretern der Gesundheits- und Technologiebranche ist es, einen Standard für den digitalen Nachweis des Impfstatus zu entwickeln.
Während Microsoft, Oracle und Salesforce noch am digitalen Impfpass arbeiten, ist man im bayerischen Altötting schon weiter. CSULandrat Erwin Schneider hat bereits im Januar eine eigene Lösung angestoßen. Zunächst gibt es einen per Smartphone auslesbaren gedruckten Code, ein rein digitaler Impfnachweis soll folgen. Entwickelt haben das die Bayern mit der Kölner Firma Ubirch. „Ich bin in diesen Dingen gerne proaktiv“, sagte Landrat Schneider der „Süddeutschen Zeitung“. Als er gehört habe, dass Microsoft und Oracle ebenfalls daran arbeiteten, habe er sich gedacht: „Mensch, wir haben das doch schon.“Dass es eine digitale Lösung brauche, sei ihm schnell klar geworden. Die erste Variante mit einer Scheckkarte sei zügig vom Tisch gewesen, erzählte er der Zeitung und zitierte einen jungen Bürgermeister aus seinem Landkreis: „Des is a oida Huat, des is old-fashioned, des brauchst du digital.“