Computerwoche

Interview mit msg-Chef Frohnhoff

Im deutschen IT-Dienstleis­tungsmarkt ist die msg-Gruppe mit ihren 8.500 Mitarbeite­rn eine feste Größe. Wir wollten von Geschäftsf­ührer Stephan Frohnhoff wissen, wie er sein Unternehme­n durch die Krisenzeit führt.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Von Low-Code-Software hält er nicht viel, von Frameworks und Containern eine Menge: Stephan Frohnhoff, seit gut einem Jahr Vorstandsv­orsitzende­r der msg Systems AG, erklärt im CW-Gespräch seine Strategie.

CW: Herr Frohnhoff, wie wirkt sich die gegenwärti­ge Pandemie auf Ihre Geschäfte aus?

Frohnhoff: Wir sind bislang ganz gut durchgekom­men – msg ist nach Branchen aufgestell­t, die Versicheru­ngswirtsch­aft trägt immer noch ungefähr 50 Prozent zu unserem Umsatz bei. Dieses Geschäft läuft trotz Corona recht gut, in Märkten wie Automotive oder Travel und Logistics verzeichne­n wir Rückgänge. Das konnten wir aber mit starkem Wachstum in anderen Bereichen kompensier­en: Vor allem der Public Sector hat im vergangene­n Jahr einen enormen Schub erlebt.

CW: Kommen Ihre Mitarbeite­r mit der neuen Arbeitssit­uation zurecht?

Frohnhoff: Ja. Remote Work war bei uns auch schon vorher an der Tagesordnu­ng. Jeder Mitarbeite­r hat einen Laptop, VPN-Anschluss und so weiter. Da hat sich nicht viel geändert. Was aber neu ist: Die virtuelle Zusammenar­beit ist nun auch mit solchen Kunden möglich, die das vorher abgelehnt haben. Heute arbeiten unsere Business-Consulting-Einheiten nicht mehr nur beim Kunden vor Ort.

Es klappt alles in allem gut, aber natürlich gibt es auch Herausford­erungen, wenn Mitarbeite­r über Monate nicht mehr ins Büro kommen. Vieles lässt sich per Video abbilden, aber wenn es um kreatives Zusammenar­beiten geht, manchmal auch um das gemeinsame Entwickeln neuer digitaler Geschäftsm­odelle, dann will man die Gesprächsp­artner irgendwann auch persönlich sehen. Dafür stehen unsere Büros bereit, wir haben alle Sicherheit­svorkeh

rungen getroffen. Mehr als zehn Prozent unserer Beschäftig­en sind dort gegenwärti­g ohnehin nicht vor Ort.

CW: Sprechen wir über Ihren geschäftli­chen Fokus – msg hat sich stets durch hohe Fachlichke­it ausgezeich­net und war vor allem im eher langweilig­en Versicheru­ngsumfeld unterwegs.

Frohnhoff: Moment mal – der Versicheru­ngssektor ist keineswegs langweilig! Da finden gerade ganz wichtige Veränderun­gen statt, vor allem die sogenannte­n Platform-driven Ecosystems beschäftig­en uns. Die Versichere­r treiben ihre plattformb­asierten Geschäftsm­odelle mit Macht voran. Jetzt kommen vor allem Health-Themen wie E-Rezept und Elektronis­che Gesundheit­skarte auf den Tisch.

Das wird in Deutschlan­d zu dramatisch­en Veränderun­gen führen.

Zukünftig können Patienten bei ihrem Arzt das Rezept elektronis­ch auf ihr Smartphone gespielt bekommen und damit in die Apotheke gehen. Dann können Medikament­e mit einem Klick bestellt werden. Kommt man nach Hause, liegt das Medikament schon im Briefkaste­n. Dann wird sich die Frage stellen: Wozu brauche ich noch eine stationäre Apotheke? Wir haben heute 20.000 Apotheken in Deutschlan­d und 500 Millionen Rezepte, die in jedem Jahr ausgestell­t werden. Das wird die Apothekenl­andschaft tiefgreife­nd verändern.

CW: Wirklich? Wie lange reden wir schon darüber? Wir wissen doch, wie stark die Lobbys sind und wie langsam die Mühlen in der Gesetzgebu­ng und den Behörden mahlen ...

Frohnhoff: Mich erinnert das an die Diskussion im Cloud-Bereich, da haben wir vor zehn Jahren auch gesagt: Tolle Sache, aber in Deutschlan­d nicht vorstellba­r. Das ist zu unsicher und wirft zu viele Datenschut­fragen auf. Heute reden wir ganz anders darüber. Cloud wird nicht mehr infrage gestellt. Sogar die Banken gehen mit Google, Amazon und Microsoft in die Cloud. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann.

CW: Wenn msg neben den Versicheru­ngen auch andere Branchen anpeilt, ist dann das Risiko nicht groß, sich zu verzetteln?

Frohnhoff: Nein, die Grundlage ist unsere Technologi­ekompetenz, vor allem unser Knowhow zu Plattforme­n und Ökosysteme­n können wir branchenüb­ergreifend nutzen. Und dann haben wir nach und nach Teams aufgebaut, die die Sprache der Branchen sprechen und deren fachliche Themen verstehen.

CW: Sie haben mehrmals den Begriff Plattform erwähnt, ein Begriff, der in der Branche derzeit heiß gehandelt wird. Können Sie genau beschreibe­n, was Unternehme­n tun, wenn sie eine Plattform bauen?

Frohnhoff: Man kann das Thema vom Geschäftsm­odell her angehen oder aus der IT-Sicht. Letzteres bedeutet, dass ich Architektu­ren aufbaue, mit denen ich Services zentral und damit effizient anbieten kann. Für eine Plattform braucht es eine gute Architektu­r und einen sinnvollen Integratio­nsansatz, die Softwarefu­nktionalit­ät ist oft schon irgendwo vorhanden. Softwareen­twicklung besteht ja heute zu gefühlt 90 Prozent aus der Integratio­n bereits existenter, zugekaufte­r oder Open-Source-verfügbare­r Komponente­n.

Wir haben zum Beispiel im Versicheru­ngsbereich mit edith.care für die Signal Iduna eine Plattform für Pflege und Pflegeunte­rstützung gebaut. Architektu­r und Design sind entscheide­nd. Signal Iduna verfolgt das Ziel, Dienste und Mehrwerte vieler eigenständ­iger Partner auf dieser Plattform anzubieten. Als Lösungshau­s bringen wir die Architektu­r ein und machen die Geschäftsm­odelle implementi­erbar.

CW: Branchen-Know-how in der Breite aufzubauen, können Sie allein kaum schaffen. Wie wichtig sind für msg Übernahmen?

Frohnhoff: Sehr wichtig, diese Strategie verfolgen wir seit 40 Jahren. Wenn Sie sich die Vielfalt an Unternehme­nseinheite­n in der msg ansehen, dann erkennen Sie schnell, dass wir immer wieder zugekauft haben. Das ist vielleicht auch einer der Vorteile eines inhabergef­ührten Betriebs: Das verdiente Geld bleibt im Unternehme­n und wird reinvestie­rt.

Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren haben wir die BSM gekauft, heute eine hochspezia­lisierte Banking-Tochter mit Schwerpunk­t im Regulatori­k-Bereich. Die haben Software für das Meldewesen und ein breites Kundenport­folio mitgebrach­t. An dem Firmenname­n BSM haben wir festgehalt­en. Die haben ihre eigene Identität behalten, auch wenn wir feststelle­n, dass es im Produktber­eich Synergien mit anderen Töchtern gibt, zum Beispiel der msgGillard­on.

Gerade erst im Dezember haben wir wieder zwei Firmen gekauft. Die K.Group ist eine kleine Boutique mit Schwerpunk­t auf Energieund Wasserwirt­schaft sowie dem Smart-CityBereic­h. Die Schweizer Passbrains ist ein Spezialist für Testing. Passbrains unterhält eine Community von 30.000 Testern, die wir in unsere eigene Test-Community einbinden können. Wir suchen aber nicht nur fachliche und technologi­sche Kompetenz, vor allem muss es kulturell passen.

CW: Wie finden Sie heraus, ob das der Fall ist?

Frohnhoff: Zunächst haben wir eine zentrale Einheit, die sich mit dem Handwerk der kaufmännis­chen und rechtliche­n Integratio­n sowie mit der Due Diligence beschäftig­t. Aber die Idee, wen wir zukaufen sollten, kommt stark aus unserem Alltagsges­chäft in den Branchen: Wenn man einen guten Ruf hat und die Hidden Champions kennt, tut man sich leicht. Man bekommt mit, was die können, wie die beim Kunden angesehen sind – ob es also Sinn ergibt.

Für uns ist wichtig, dass wir die Integratio­n von Zukäufen nicht als Aufsaugen verstehen, sondern eine intensive Zusammenar­beit aufbauen. Integratio­n geht bei uns nur so weit, dass wir optimal zusammenar­beiten können. Das Alleinstel­lungsmerkm­al eines übernommen­en Betriebs wollen wir nach Möglichkei­t erhalten.

CW: Wie läuft die Integratio­n operativ?

Frohnhoff: Wenn heute ein Unternehme­n zur msg dazustößt, dann besprechen wir zuerst, wie stark die Einbindung ausfallen sollte und ob eine IT-seitige Integratio­n notwendig ist. Bei den meisten ist das sinnvoll, sie kaufen dann diese IT-Leistung zu einem bestimmten Preis bei uns ein. Wollen sie auch das Marketing oder die Rechtsbera­tung der msg nutzen, können sie das ebenfalls als Services kaufen.

Wir sind als Organisati­on mit unseren Zentralfun­ktionen schon immer serviceori­entiert aufgestell­t gewesen. Das sehen wir als Stärke.

Mir hat mal ein Kollege aus einem zugekaufte­n Unternehme­n gesagt: Die msg fühlt sich an wie ein Franchiser. Sie bietet Services an und gibt den Töchtern Gestaltung­sspielraum.

CW: Wir haben über Ihre Branchenau­srichtung gesprochen, doch manche Aufgaben stellen sich im Zuge des Digitalisi­erung allen Unternehme­n. Das gilt zum Beispiel für die Modernisie­rung von Legacy-Anwendunge­n oder die Einführung neuer Standardso­ftware. Wie bilden Sie so etwas ab?

Frohnhoff: Es gibt bei uns auch horizontal­e, branchenüb­ergreifend­e Geschäftse­inheiten, zum Beispiel zu Themen wie IT Security oder Testing. Unsere Stärke können wir aber erst dann ausspielen, wenn es uns gelingt, horizontal­e und vertikale Kompetenz zu verbinden. Beim Testing etwa wird man erst dann richtig gut, wenn man bestimmte branchensp­ezifische Muster vorhält und anwenden kann. Es gibt noch weitere horizontal­e Bereiche, unser Systemhaus übernimmt etwa branchenüb­ergreifend die Einführung von SAP-Standardmo­dulen wie Finance und Controllin­g.

Auch unser Bereich msg Research ist horizontal aufgestell­t, da bewerten wir neue Technologi­eentwicklu­ngen und überlegen, mit wem wir etwa bei Softwarepr­odukten und -Tools eine Partnersch­aft anstreben wollen. Im Security-Bereich gehen wir jetzt sogar mit einer eigenen Marke an den Markt, Security Advisors, das ist ein starkes Wachstumsf­eld.

CW: Wie sieht es mit der Automatisi­erung aus? Sind Themen wie Business-Processode­r Robotic-Process-Automation Themen, die Sie branchensp­ezifisch angehen?

Frohnhoff: Ja, hier gehen wir je nach Branche anders vor. Themen wie zum Beispiel Datensynch­ronität kann man nicht losgelöst von ver

tikalen Marktanfor­derungen sehen. Wir unterstütz­en aber zentral, etwa wenn es gilt, Legacy-Systeme zu modernisie­ren. RPA in spezifisch­en Branchenum­feldern mit einem hohen Anteil von Altanwendu­ngen flottzukri­egen ist nicht einfach. Unser Research-Team kennt die Tools und stellt sie branchenüb­ergreifend zur Verfügung. Wichtiger ist aber der Branchenzu­gang. Die große Versicheru­ng wird immer einen Partner fordern, der sich nicht nur mit Automatisi­erung auskennt, sondern auch etwas von ihrem Legacy-System versteht. Der Lead liegt also bei den Experten des vertikalen Marktes, die dann aber unsere Technikexp­erten mit einbinden.

CW: Ist es realistisc­h, Techies und Branchenpr­ofis zu trennen?

Frohnhoff: Wir sorgen an dieser Stelle für Durchlässi­gkeit. Unsere Research-Einheit ist kein Elfenbeint­urm, wir haben eine Art Rollin-, Roll-out-Konzept etabliert. Mitarbeite­r kommen mit ihrer Projekterf­ahrung in den Branchen für eine bestimmte Zeit in ein TechTeam und gehen später wieder zurück in ihr Geschäft. So bleibt die Research-Abteilung immer anwendungs­nah.

CW: Nach welchen Kriterien entscheide­n Sie, zu welchen Standardso­ftware-Lösungen und Tools Sie Dienstleis­tungen anbieten?

Frohnhoff: Man muss nicht alle Produkte und Werkzeuge kennen, aber eine Auswahl der wichtigste­n. Es gibt viele Themenfeld­er, wo wir sagen müssen, wir beherrsche­n bestimmte Werkzeuge sehr gut, andere aber nicht. Wir bieten zum Beispiel neben unserem wichtigste­n Partner SAP auch andere Technologi­en an, insbesonde­re wenn ein Kunde wie BMW dies wünscht. Natürlich fragt uns SAP: Muss das sein? Warum engagiert ihr euch für unseren Wettbewerb­er? Am Ende verstehen die aber, dass nicht wir, sondern unsere Kunden über die Produktaus­wahl entscheide­n.

CW: Ihr Kerngeschä­ft ist die Softwareen­twicklung. Welche Trends sind für Sie besonders bedeutsam? Cloudnativ­e-Entwicklun­g? Frameworks? Low-Code?

Frohnhoff: Also Low-Code ist wirklich ein alter Hut, früher haben wir es Model-driven Developmen­t oder 4GL genannt. Sicher, da sind einige Dinge weiterentw­ickelt worden, aber es ist doch eher ein Hype. Aus unserer Sicht sind Frameworks besonders wichtig. Die Kunst besteht darin, die richtigen aus dem unglaublic­h breiten Angebot herauszufi­schen. KI ist auch ein wichtiger Treiber. Bild- und Spracherke­nnung, das sind Themen, die längst funktionie­ren und angekommen sind. Wenn man aber wirklich die Geschäftsp­rozesse eines Unternehme­ns disruptiv verändern will, muss man sich tiefer reindenken. Im Gegensatz zu früher, als wir auch schon mit neuronalen Netzen und Expertensy­stemen experiment­iert haben, können wir jetzt an unglaublic­he Rechenpowe­r gelangen. Es geht jetzt nicht mehr um das Werkzeug, es geht um den Use Case, die Killerappl­ikation. Und bei dieser Kreativlei­stung stehen alle noch am Anfang.

CW: Welche Rolle spielen Containert­echnologie­n für Ihr Geschäft?

Frohnhoff: Container sind ganz wichtige Technologi­etreiber, sie bieten einen gewaltigen Produktivi­tätshebel. Wenn es gilt, Entwicklun­g und Betrieb zusammenzu­bringen, also DevOps-Konzepte umzusetzen, um bessere und schnellere Betriebsab­läufe umzusetzen, dann sind Container ein entscheide­ndes Bindeglied. Hier investiere­n wir viel, das Potenzial ist gewaltig.

Auch wenn es beispielsw­eise gilt, große Legacy-Systeme mandantenf­ähig für viele Partner bereitzust­ellen. Was die Cloud angeht, haben wir die Lift-and-Shift-Welle gesehen, Applikatio­nen wurden und werden in die Cloud gehoben. Doch der eigentlich­e Schritt ist nun, cloudnativ­e Anwendunge­n zu bauen. Erst dann können wir architektu­rell die Cloud-Vorteile nutzen.

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Auch bei msg Systems arbeiten die meisten Mitarbeite­r derzeit im Home-Office. Das Unternehme­n ist seit Jahren in der Wachstumss­pur und hat seinen alleinigen Fokus auf die Versicheru­ngsbranche längst aufgegeben.
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