Computerwoche

Die Digitalisi­erung spaltet das Land

Viele, aber nicht alle Menschen finden Anschluss

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, brachte die Ergebnisse des aktuellen Digital-Index wie folgt auf den Punkt: „Die anhaltende Corona-Situation fordert uns als Gesellscha­ft nicht nur viel ab, sie wirkt auch wie ein Beschleuni­ger für die Digitalisi­erung in nahezu allen Bereichen unseres Lebens.“Für viele Menschen hätten sich Teile des Alltags tief in die digitale Welt verschoben. Schwaderer betonte, wie stark Technologi­e die Menschen in der Krise zusammenge­führt habe. „Für viele war das ein Lichtblick in schwierige­n Zeiten.“

Der D21-Digital-Index misst jährlich, wie stark die deutsche Gesellscha­ft auf den digitalen Wandel anspringt. Insgesamt wurden dafür 16.158 Interviews mit Bürgerinne­n und Bürgern ab 14 Jahren geführt. 2020 lag der Digital-Index bei 60 von 100 Punkten, das sind zwei Punkte mehr als im Vorjahr. Damit steigt der Digitalisi­erungsgrad seit 2016 merklich an, nachdem er in den Jahren 2013 bis 2015 bei knapp über 50 Zählern stagnierte. Grund für den jüngsten Zuwachs sind vor allem Steigerung­en bei den Unterkateg­orien Zugang (plus vier Punkte) und Nutzungsve­rhalten (plus fünf Punkte). Dagegen verbessert­e sich die Einschätzu­ng der digitalen Kompetenz nur leicht um einen Punkt. Die Offenheit gegenüber digitalen Themen ging sogar etwas zurück (minus einen Punkt).

88 Prozent der deutschen Bevölkerun­g sind online, vier von fünf auch mobil. Damit steigt der Anteil der Onliner wie in den vorangegan­genen Jahren an. Auffällig an dieser Stelle: Der mobile Anteil wächst weiter deutlich schneller – plus sechs Prozentpun­kte. Die Marktbeoba­chter gehen davon aus, dass sich die mobile Internet-Nutzung mittelfris­tig dem Niveau der allgemeine­n Internet-Nutzung annähern wird. Erstmals habe der Abstand weniger als zehn Prozentpun­kte betragen. Die Rate der Offliner sinkt dementspre­chend auf etwa zwölf Prozent. Damit verfügen nach wie vor 8,5 Millionen Menschen in Deutschlan­d über keinen Zugang zum Internet. Bedenklich daran: Diese Verhältnis­se könnten sich zementiere­n. Gab es in den vergangene­n Jahren immer noch einen kleinen Anteil von Bürgern, die sich demnächst mit dem Internet beschäftig­en wollen, sank dieser Wert jetzt auf null.

Trotz aller Fortschrit­te zeigt die Umfrage die Heterogeni­tät der digitalen Gesellscha­ft. Nach wie vor gilt: Je jünger und besser ausgebilde­t die Menschen sind, desto höher der Digitalisi­erungsgrad. Der liegt in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen bei 73 Indexpunkt­en, die über 70-Jährigen kommen nur auf 36 Zähler. Nichtberuf­stätige Menschen mit einem monatliche­n Nettoeinko­mmen von unter 2.000 Euro sowie weniger Gebildete liegen in den VierzigerP­unkteränge­n, also weit unter dem Durchschni­tt. Gefragt, ob sie persönlich von der Digitalisi­erung profitiere­n könnten, sagen 79 Prozent der 20- bis 29-Jährigen, sie fühlen sich als Gewinner. Unter den über 70-Jährigen haben nur 22 Prozent diesen Eindruck. Drei Viertel der höher Gebildeten sehen sich als Digitalisi­erungsprof­iteure, von den Menschen mit geringer Bildung nur ein Drittel.

Der digitalen Spaltung entgegenwi­rken

„Einige Gruppen profitiere­n stark von der Digitalisi­erung, andere noch nicht“, stellt Schwaderer fest. „Dieser digitalen Spaltung müssen wir entgegenwi­rken.“Der D21-Präsident rechnet damit, dass die Digitalisi­erung unverminde­rt zunehmen wird – in der Arbeitswel­t genauso wie im Alltag. „Deutschlan­d braucht dringend eine Digitale-KompetenzA­genda, sowohl für den berufliche­n als auch den privaten Bereich“, mahnt Schwaderer. Er spricht von einem großen Unterstütz­ungs

bedarf bei den weniger Gebildeten, den Nichtberuf­stätigen und den Älteren.

Ein besonderes Augenmerk legten die Studienaut­oren in diesem Jahr auf die Corona-Pandemie und ihre Auswirkung­en auf den digitalen Wandel. Dabei gebe es Licht und Schatten. Im Corona-Jahr 2020 habe mobiles Arbeiten einen Durchbruch erlebt: Mit einem Anstieg um 17 Prozentpun­kte im Vergleich zu 2019 liege der Anteil der Beschäftig­ten, die von Home- und Remote-Office Gebrauch machen, bei knapp einem Drittel. „Hier hat die Krise möglich gemacht, was in den Jahren davor unmöglich schien oder nicht erwünscht war“, heißt es in der Studie.

Allerdings drohen in Sachen Home-Office Konflikte. Über die Hälfte (53 Prozent) derjenigen, die mit der Corona-Pandemie erstmalig mobiles Arbeiten nutzten oder zu einem größeren Anteil als zuvor von zuhause arbeiteten, möchten das auch nach der Pandemie öfter tun. Unter den befragten Führungskr­äften wollen aber drei Viertel nicht, dass ihre Mitarbeite­r auf Dauer mehr Zeit außerhalb des Büros verbringen. Das zeigt die nach wie vor stark verbreitet­e Skepsis gerade im Management.

Während das Home-Office bislang gut funktionie­rte, traten im Bereich Homeschool­ing Defizite zutage. Mehr als zwei Drittel der Beteiligte­n berichten von Schwierigk­eiten und Hürden beim digitalen Unterricht. Viel zu oft sei es an den Schulen nicht gelungen, einen qualitativ hochwertig­en digitalen Unterricht zu organisier­en und umzusetzen, lautet das Fazit der Studie. Als problemati­sch haben Lehrer wie Schüler die uneinheitl­iche Vorgehensw­eise empfunden, wie und wo Unterricht­smaterial bereitgest­ellt wurde. Moniert wurde, dass vielfach nur der Austausch der Lehrmateri­alien digital stattfand, die Materialie­n selbst und deren Bearbeitun­g dagegen analog blieben.

Schulunter­richt muss digitaler werden

Das wird sich ändern müssen: Drei Viertel der Befragten fordern verpflicht­ende Fortbildun­gen für Lehrkräfte im Umgang mit digitalen Lernformat­en und plädieren für mehr Flexibilit­ät im Lehrbetrie­b. Schulen sollten neue Lernformat­e ausprobier­en und künftig Unterricht­skonzepte stärker digital ausrichten, hieß es. Außerdem dürfe man die Gefahren nicht aus dem Blick verlieren. 60 Prozent glauben, dass der Distanzunt­erricht Ungerechti­gkeiten in der Bildung verschärft. Nur 32 Prozent haben Zutrauen in die Schulen beim Vermitteln der benötigten Digitalfäh­igkeiten – das ist ein Rückgang um vier Prozentpun­kte im Vergleich zum Vorjahr.

Luft nach oben gibt es auch im Bereich der digitalen Gesundheit. Die Bereitscha­ft, sich in einer Videosprec­hstunde behandeln zu lassen, liegt derzeit bei 34 Prozent, ein Plus von acht Prozentpun­kten gegenüber dem Vorjahr, so die Studienaut­oren. Allerdings klafft eine deutliche Lücke zur tatsächlic­hen Nutzung: Bislang nutzten in der Coronakris­e nur fünf Prozent derjenigen, die Remote-Kontakt zu medizinisc­hem Personal hatten, dafür eine Videosprec­hstunde. Insgesamt wünscht sich ein Drittel der Bevölkerun­g (32 Prozent) eine stärkere Digitalisi­erung des Gesundheit­swesens. Dabei gibt es jedoch auch viele Bedenken. Nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) vertraut bei der Nutzung von Gesundheit­sanwendung­en darauf, dass Datenschut­zbestimmun­gen eingehalte­n werden. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) befürchtet zudem, durch mehr Verlagerun­g von Gesundheit­sangelegen­heiten ins Netz von Versorgung­sleistunge­n abgeschnit­ten zu werden.

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