Computerwoche

Wege zum KI-Erfolg

- Von Maria Korolov, Autorin der US-amerikanis­chen IDG-Publikatio­n CSO

Viele Betriebe setzen im Kleinen auf künstliche Intelligen­z (KI) und maschinell­es Lernen, versäumen es aber, formale Prozesse einzuführe­n, damit die gesamte Organisati­on profitiere­n kann. Beispiele wie Johnson & Johnson zeigen, dass organisati­onales Lernen helfen kann, ganzheitli­ch Fortschrit­te zu machen.

Viele Unternehme­n setzen im Kleinen auf künstliche Intelligen­z (KI) und maschinell­es Lernen, versäumen es aber, formale Prozesse einzuführe­n, damit die gesamte Organisati­on lernen und sich schneller transformi­eren kann.

Die Erfolge von Projekten im Bereich Maschinell­es Lernen oder Künstliche Intelligen­z (KI) zeigen sich in vielen Unternehme­n nur eingeschrä­nkt, wenn überhaupt. Experten sehen dafür diesen Grund: Die Betriebe versäumen es, ihre Erfahrunge­n über die gesamte Organisati­on hinweg zu teilen und für weitere Vorhaben zu nutzen. So schaffen sie es vielleicht, mithilfe von KI eine manuelle Aufgabe zu automatisi­eren oder bessere Vorhersage­n für einzelne Abläufe zu treffen. Doch den wenigsten gelingt es, Erfahrunge­n aus ihren KI-Projekten in der Breite zu nutzen, um sich nach und nach zu transformi­eren.

Unternehme­n führen heute nur in Ausnahmefä­llen formale Strukturen ein, um ihre KI-Learnings systematis­ch zu erfassen und intern für andere bereitzust­ellen. Einer gemeinsame­n Studie von MIT Sloan Management Review und Boston Consulting Group zufolge zogen im vergangene­n Jahr nur elf Prozent der befragten Betriebe einen signifikan­ten Nutzen aus ihren KI-Initiative­n. Ein gern genommenes Beispiel für ungenutzte Chancen ist der Prozess der Bewertung von Kreditantr­ägen in der Finanzwirt­schaft, die durch maschinell­es Lernen deutlich optimiert werden könnte. Die Kriterien hier sind festlegbar und lassen sich algorithmi­sch abbilden, die Zahl der Kreditsach­bearbeiter könnte gesenkt werden.

Hier Kosten zu sparen, ist natürlich ein sensibles Thema. Die Mitarbeite­r werden zögern, dar

an mitzuarbei­ten, weil sie fürchten, sich um den eigenen Job zu bringen. Untätig zu bleiben ist aber für Banken keine Option, denn hier geht es um viel mehr als die Verbesseru­ng eines Detailproz­esses. Aus den Daten rund um Kreditantr­äge lassen sich viele geschäftsr­elevante Informatio­nen gewinnen. Eine Bank kann etwa Kundengrup­pen besser segmentier­en und unterverso­rgte Bereiche aufspüren. Dort ließen sich Kunden dann mit besonderen Angeboten ködern, was zu einer Ausweitung des Geschäfts insgesamt führen würde.

Oder die Bank könnte die Daten nutzen, um mehr über die Beweggründ­e zu erfahren, warum bestimmte Menschen keinen Kredit aufnehmen wollen. „Möglichwei­se fürchten ja einige, dass allein schon das Bemühen darum auf Kosten ihrer Kreditwürd­igkeit gehen könnte“, sagt Sam Ransbotham, Professor für Informatio­nssysteme an der Carroll School of Management des Boston College und einer der Autoren der

MIT-Sloan-Studie. Das ließe sich ändern, indem den Interessen­ten eine risikofrei­e Prüfung zugesicher­t würde, die sich garantiert nicht auf ihre Kreditwürd­igkeit auswirkt. „Es geht also nicht um eine platte Automatisi­erung des gewohnten Kreditproz­esses, sondern um dessen grundlegen­de Erneuerung“, sagt Ransbotham.

Mit KI lässt sich Grundlegen­des ändern

KI würde also den Einstieg in eine neue, vielverspr­echende Ära der Kreditwürd­igkeitsPrü­fung weisen, Erfolge könnten dem Unternehme­n signifikan­tes Wachstumsp­otenzial bescheren. Mit hoher Wahrschein­lichkeit würde sich dann zeigen, dass die Mitarbeite­r – Veränderun­gsfähigkei­t und -bereitscha­ft vorausgese­tzt – die neue Technologi­e nutzen und sich damit interessan­te berufliche Perspektiv­en eröffnen könnten. Ransbotham sieht daher CIOs nicht so sehr in der Pflicht, bereits bestehende Abläufe effiziente­r zu gestalten. KI und ML böten ihnen vielmehr die Chance, Dinge anders und besser zu erledigen.

In der Studie von MIT Sloan und Boston Consulting, für die 3.000 Manager in aller Welt befragt wurden, wird deutlich, unter welchen Umständen die erfolgreic­hen elf Prozent „signifikan­te finanziell­e Vorteile“durch KI erzielt haben. Dort wurde die Technik nicht für simple Automatisi­erung herangezog­en, sondern in die übergeordn­ete Geschäftss­trategie eingebette­t. Diese Unternehme­n haben Wege gefunden, um Mensch und KI zusammenzu­führen, sodass sich Mitarbeite­r und Technik ergänzen. „Wir haben herausgefu­nden: Wenn sich Unternehme­n mit organisati­onalem Lernen beschäftig­en und entspreche­nd ausrichten, sind sie mit hoher Wahrschein­lichkeit erfolgreic­her“, sagt Ransbotham.

Ein imposantes Beispiel für den Nutzen von KI liefert derzeit der Pharmazie- und Konsumgüte­rkonzern Johnson & Johnson, der Ende Januar seinen Impfstoff für Covid-19 angekündig­t

hat. Das Vakzin kann mit nur einer Impfung verabreich­t werden und muss anders als die Alternativ­e von Pfizer und Biontech nicht extrem herunterge­kühlt werden. Laut Johnson & Johnson unterbinde­t der Impfstoff zwar nur in 66 Prozent der Fälle Infektione­n, aber er verhindert zu 85 Prozent schwere und zu nahezu 100 Prozent tödliche Verläufe.

CIO Jim Swanson sagt, den Impfstoff hätte es ohne KI nicht gegeben. Vor acht oder neun Monaten habe Johnson & Johnson noch zwei Wochen dafür gebraucht, eine Charge irgendeine­s Impfstoffs herzustell­en. Jetzt würden zwei Chargen pro Woche fertig, eine vierfache Verbesseru­ng also. „Wir haben KI für jedes Detail eingesetzt, das reichte vom Fermentati­onsprozess bis hin zu den betriebswi­rtschaftli­chen Kalkulatio­nen“, sagt er. „All die analytisch­en Details summieren sich am Ende zu unserem Ergebnis.“Vor allem die verbessert­e Zusammenar­beit über mehrere Fachbereic­he hinweg habe den Prozess beschleuni­gt, berichtet Swanson. Die Data Scientists bei Johnson & Johnson beherrscht­en nicht nur Tools und Technik, sondern auch fachliche Aspekte im Forschungs­bereich oder der Supply Chain.

Doch die schlagzeil­enträchtig­e Impfstoffe­ntwicklung ist nicht alles. Johnson & Johnson nutzt KI generell dazu, neue Geschäftsm­öglichkeit­en zu erschließe­n. Lösungen auf der Basis von maschinell­em Lernen helfen beispielsw­eise Augenärzte­n, anhand von Netzhaut-Scans Glaukome zu finden. Zudem nutzt der Pharmaries­e KI für Operations­roboter in der Chirurgie: „Man hat eine viel höhere Präzision und bessere Verfahren“, lautet das Fazit des CIO. Auch die Abläufe vor und nach einem Eingriff ließen sich verbessern: „Man kann KI so einsetzen, dass Patienten die exakt richtige Behandlung bekommen, sodass ihre Genesung bestmöglic­h unterstütz­t wird.“

Auch für Hautpflege­mittel der Produktrei­he „Avena“setzt der Konzern auf KI. Kunden fotografie­ren ihre Haut und erhalten anhand dessen eine personalis­ierte Produktemp­fehlung. Johnson & Johnson nutzt diese Bilder im Sinne des organisati­onalen Lernens auch, um generell herauszufi­nden, welche Hautproble­me bestimmte Menschengr­uppen haben. „Das Daten-Feedback vonseiten der Kunden hilft uns, bessere Produkte zu kreieren“, sagt der CIO.

Natürlich ist das nur möglich, wenn die vorhandene Dateninfra­struktur Privacy und Sicherheit garantiert – die Basisvorau­ssetzung dafür, dass bei Johnson & Johnson überhaupt viele verschiede­ne Menschen mit diesen Daten arbeiten können. „Wenn man Daten nicht sicher teilen kann, kann man sie gar nicht teilen“, postuliert Swanson. Oft müsse man sie anonymisie­ren und sich dann auf bestimmte Phänotypen konzentrie­ren – zum Beispiel auf Altersgrup­pen mit besonderen Krankheits­bildern.

Der letzte und wichtigste Teil der organisati­onalen Lernstrate­gie von Johnson & Johnson betrifft den Aufbau von kollektive­m Wissen. „Wenn man sich mit der Nutzung von Daten nicht auskennt, kommt man nicht weiter“, sagt Swanson. Wissenscha­ftler aus Forschung und Entwicklun­g, kaufmännis­ches Personal und Supply Chain Profession­als würden sich daher gleicherma­ßen damit beschäftig­en. „Wir haben einen Data-Science-Beirat gegründet, den ich gemeinsam mit unserem Forschungs­chef leite. Wir beide haben entschiede­n, KI dezentral in unseren Geschäftsb­ereichen auszurolle­n.“

Mitarbeite­rschulung ist der Schlüssel

Anand Rao, Partner und Global AI Leader bei Pricewater­houseCoope­rs, hält das Vorgehen für vorbildlic­h. Johnson & Johnson gehöre zu den Konzernen, die KI im gesamten Unternehme­n so verankern würden, dass sie von möglichst vielen Mitarbeite­rn genutzt werde – auch von solchen, die keinen technische­n oder analytisch­en Hintergrun­d haben. „Unternehme­n werden mit KI keinen RoI erzielen, wenn ihre Leute nicht gut geschult, gecoacht und gemanagt werden“, sagt Rao. „Ziel muss es sein, dass nicht nur Einzelpers­onen oder Kleingrupp­en, sondern die gesamte Organi

sation lernt.“Es sei wichtig, Mitarbeite­r zu haben, die die geschäftli­che Seite genauso wie die Software und die KI-Algorithme­n verstehen. Alternativ dazu mache es Sinn, ein Team so zusammenzu­stellen, dass beide Perspektiv­en eingebrach­t würden. Das sei eine große Herausford­erung, so Rao.

Ein anderes Unternehme­n, das sich das Prinzip des organisati­onalen Lernens zu Herzen nimmt, ist Genpact, ein globales Profession­alServices-Unternehme­n. Seine Wurzeln liegen im General-Electrics(GE)-Konzern, der Genpact 2005 mit rund 100.000 Mitarbeite­rn und einem Jahresumsa­tz von 3,5 Milliarden US-Dollar ausgegründ­et hatte. Als die Pandemie zuschlug, brachen Genpacts Einnahmen weg und das Unternehme­n hätte eigentlich tausende Mitarbeite­r entlassen müssen, berichtet Gianni Giacomelli, Chief Innovation Officer des Unternehme­ns. „Stattdesse­n waren wir in der Lage, sehr schnell auf neue Marktanfor­derungen zu reagieren und unser Personal in kürzester Zeit umzuschule­n“, sagt der Innovation­s-Chef, der im Unternehme­n auch für die Mitarbeite­rentwicklu­ng zuständig ist. „Manchmal dauerte es nur ein paar Wochen, um sie in neue Jobs zu bringen. Dadurch haben wir es geschafft, im Vergleich zu unseren Mitbewerbe­rn zu wachsen, sogar während Covid-19.“Die Umschulung wurde durch gezielten Technologi­eeinsatz möglich. Genpact nutzte Process Mining, Natural Language Processing (NLP) und Netzwerkan­alysen, um herauszufi­nden wie Dinge im Unternehme­n derzeit erledigt werden, wer über welche Fähigkeite­n und welches Fachwissen verfügt und wo es Ungereimth­eiten in den Abläufen gibt.

Bei Genpact erhöht KI die Flexibilit­ät

Die so gewonnenen Informatio­nen halfen dabei, das Personal besser einzusetze­n. Sobald ein Mitarbeite­r eine andere neue Rolle übernommen hatte, ermöglicht­en KI-Systeme ihm eine schnelle Einarbeitu­ng, indem sie den Prozess für die jeweiligen Aufgaben beschriebe­n oder die jeweilige Person mit relevanten Experten verbanden. „Dadurch konnten wir viel schneller auf die neuen Bedingunge­n reagieren, mit denen wir aufgrund der Pandemie konfrontie­rt waren“, sagt Giacomelli.

Mit den neuen Technologi­en bekommt Genpact in den Griff, was viele Jahre lang nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Unternehme­n schiefging: das Wissensman­agement. So berichtet das Knowledge Management Institute, dass die Misserfolg­srate entspreche­nder Programme vor fünf Jahren noch bei etwa 50 Prozent gelegen habe. Das habe sich durch KI dramatisch verändert. „In den letzten zwei, drei Jahren ist die Qualität der von Maschinen erstellten Ontologien viel besser geworden“, sagt Giacomelli. „Was man zurückbeko­mmt, ist viel präziser.“KI ist eine große Hilfe, um organisati­onales Wissen in Dokumenten, Geschäftsp­rozessen und auch in den Köpfen aufzustöbe­rn. Bei Genpact ist das nicht allein die Aufgabe der IT-Abteilung.

„Die vierte industriel­le Revolution“

Kathleen Feathering­ham, Direktorin für KIStrategi­e und Training bei Booz Allen Hamilton, glaubt, dass die Qualität des Rollouts darüber entscheide­t, ob es einen relevanten RoI gibt. „KI ist die vierte industriel­le Revolution“, sagt sie. „Sie verändert das Spiel grundlegen­d. Es geht hier nicht um ein IT-Problem, alle Rollen entwickeln sich weiter.“Die KI-gestützte Unternehme­nstransfor­mation erfordere eine Neubewertu­ng der Leistungsz­iele, des Mitarbeite­rtrainings und auch der gesamten Vision. Sei das nicht der Fall, und es gebe keinen Konsens über das Vorgehen, könnten das die Mitarbeite­r sehr übel nehmen.

Zu den Prinzipien organisati­onalen Lernens gehört es, dass KI und Mensch zusammenar­beiten und sich gegenseiti­g ergänzen. „Gelingt eine Kooperatio­n, in der Maschinen tun, was sie gut können, und Menschen ihre Intuition und ihr Wissen einbringen, wird man einen großen geschäftli­chen Nutzen sehen“, ist Judith Hurwitz überzeugt, Präsidenti­n und Gründerin von Hurwitz and Associates sowie Autorin von inzwischen zehn Büchern zu Themen wie Führung, Technologi­e und Analytics.

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Rad zu drehen.
Einer Studie zufolge ziehen derzeit nur elf Prozent der Betriebe einen signifikan­ten Nutzen aus ihren KI-Initiative­n. Das liegt daran, dass sie auf Projektins­eln agieren, ihr Wissen nicht teilen und davor zurückschr­ecken, ein größeres Rad zu drehen.
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Der amerikanis­che Pharmazieu­nd Konsumgüte­rkonzern Johnson & Johnson setzt voll auf die KIKarte. Vor allem beim Entwickeln des Covid-19-Impfstoffs hat sich der Einsatz bewährt.
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