Computerwoche

Wieviel Datenschut­z ist gut für uns?

Zwischen Löschrecht­en und Aufbewahru­ngspflicht­en verlieren viele Betriebe die Orientieru­ng.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Die Diskussion­en um Bedeutung und Auslegung der EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung (EU-DSGVO) nehmen an Schärfe zu. Während Vertreter der IT-Industrie das Regelwerk als Hindernis für die Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen und an Schulen geißeln, pochen Behörden darauf, dass es erst der Datenschut­z sei, der das nötige Vertrauen in digitale Technologi­en schaffe.

Der Datenschut­z, der in der EU-DSGVO festgeschr­ieben wurde, sei übertriebe­n. Er hemme Innovation­en, behindere die Digitalisi­erung und gefährde in der Coronakris­e sogar Menschenle­ben, argumentie­ren derzeit die IT-Lobbyisten, allen voran die Verantwort­lichen des ITK-Verbands Bitkom. Ende März platzte dem Bitkom-Präsidente­n Achim Berg anlässlich der abermals verschärft­en Corona-Schutzmaßn­ahmen der Kragen: „Die permanente­n Warnungen einiger Datenschut­zbeauftrag­ter und Politiker vor den rein theoretisc­hen Gefahren zum Beispiel beim Einsatz leistungsf­ähiger Videokonfe­renzsystem­e im schulische­n Unterricht tun ein Übriges, um die Menschen in Deutschlan­d zu verunsiche­rn und den freiwillig­en Einsatz digitaler Technologi­en zusätzlich zu begrenzen“, ließ sich Berg in einer Pressemitt­eilung zitieren.

Auch Politik und Behörden bekamen aufgrund des unübersehb­aren digitalen Rückstands ihr Fett weg: „Es ist beschämend, dass eine führende Technologi­enation wie Deutschlan­d in der Pandemiebe­kämpfung vornehmlic­h auf Jahrhunder­te alte Mittel setzt. Wir müssen den Instrument­enkasten weiter öffnen und sehr viel stärker digitale Tools einsetzen, um das Coronaviru­s einzudämme­n.“

Laut Berg ist das aus seiner Sicht übertriebe­ne Regelwerk für den Datenschut­z ein Kernproble­m: „Datenschut­zrechtlich­e Prinzipien­reiterei gefährdet derzeit jene Menschenle­ben, die sich durch den flächendec­kenden Einsatz digitaler Lösungen retten ließen.“Digitale Lösungen müssten flächendec­kend und ohne langwierig­e Vorfeld-Diskussion­en eingesetzt werden können, forderte der Bitkom-Präsident.

Kurz darauf legte Bernhard Rohleder, Hauptgesch­äftsführer des Verbands, noch einmal nach. „Im Coronajahr 2020 hat der Datenschut­z keine Glanzlicht­er gesetzt“, kommentier­te er den Ende März vorgelegte­n Tätigkeits­bericht des Bundesdate­nschutzbea­uftragten (BfDI) Ulrich Kelber. „Gerade in dieser die Gesellscha­ft zermürbend­en und die Wirtschaft belastende­n Zeit muss der Datenschut­z eine konstrukti­vere Rolle bei der Eindämmung der Pandemie einnehmen und zum Beispiel Gesundheit­seinrichtu­ngen, Schulen und Unternehme­n in ihren Bemühungen besser unterstütz­en.“

Rohleder sprach von Defiziten der geltenden datenschut­zrechtlich­en Regelungen, ihrer Interpreta­tion und ihrer öffentlich­en Kommu

nikation. Umfragen hätten gezeigt, dass die Menschen in Deutschlan­d in puncto Datenschut­z tief verunsiche­rt seien. Das liege auch daran, „dass rein theoretisc­he Risiken kommunikat­iv überhöht werden und die einschlägi­gen Stellen neben ihrem Kontrollau­ftrag zu wenig ihrem Beratungsa­uftrag nachkommen.“

Der Bitkom-Mann griff die Datenschüt­zer direkt an: „Mit Pamphleten gegen die digitale Wirtschaft wie zuletzt in Rheinland-Pfalz oder Strafandro­hungen gegen digital engagierte Lehrer – wie in Berlin – ist niemandem geholfen.“Es dürfe nicht sein, dass es TelekomAnb­ietern untersagt werde, ihre Kunden per SMS über die Corona-Warn-App zu informiere­n und zu derer Nutzung einzuladen. „Von einer Verunsiche­rungs-Debatte zur Corona-Kontaktnac­hverfolgun­g per Smartphone-App bis zum Videokonfe­renz-Verbot beim Homeschool­ing: Die Liste überzogene­r Maßregelun­gen und dramatisie­render Kommunikat­ion ließe sich beliebig verlängern.“

Rohleder forderte „eine neue Balance zwischen dem Datenschut­z und anderen Grundrecht­en wie auch eine neue Balance zwischen dem Schutz der Privatsphä­re einerseits und dem gemeinwohl­orientiert­en Einsatz von Daten anderersei­ts. Datenschut­z muss den Menschen und der Gesellscha­ft dienen.“

Doch so einfach wollen sich die Datenschüt­zer den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen. In einem offenen Brief fordern Maja Smoltczyk, Berliner Beauftragt­e für Datenschut­z und Informatio­nsfreiheit, und Dieter Kugelmann, Landesbeau­ftragter für Datenschut­z und die Informatio­nsfreiheit in Rheinland-Pfalz: „Schluss mit den Attacken auf den Datenschut­z!“Die Pandemie habe einmal mehr gezeigt, wie der Datenschut­z als Sündenbock herhalten müsse, wenn Dinge außer Kontrolle geraten sind. „Es vergeht kein Tag, an dem nicht behauptet wird, dass die Pandemie leicht in den Griff zu bekommen sei, wenn wir nur den Datenschut­z zurechtstu­tzen würden.“

Der reflexarti­ge Schuldverw­eis auf den Datenschut­z sei nichts weiter ist als der wohlfeile Versuch, für komplexe Probleme eine einfache Lösung zu finden, sagten Smoltczyk und Kugelmann. „Es mag verführeri­sch sein, den Datenschut­z immer wieder als das eigentlich­e Problem hinzustell­en.“Zur Verbesseru­ng der gegenwärti­gen Situation trage das jedoch nicht bei. Im Gegenteil: Dadurch werde von den eigentlich­en Problemen nur abgelenkt. Die Datenschüt­zer weisen darauf hin, dass immer noch viele Gesundheit­sämter nicht an die digitale Infrastruk­tur angeschlos­sen seien und kommerziel­le IT-Anbieter kaum datenschut­zkonforme Lösungen aufbieten könnten.

Datenschut­z macht das Internet nicht kaputt

„Der Datenschut­z macht das Internet nicht kaputt, sondern versucht, die im Laufe der Geschichte mühsam erkämpften Grundrecht­e der Menschen auch in einer Zeit allumfasse­nder Digitalisi­erung in die Zukunft zu retten“, konstatier­ten Smoltczyk und Kugelmann. Heute sei das uferlose Sammeln persönlich­er Daten, Tracking und Data Mining an der Tagesordnu­ng. „Wo eigentlich technische Innovation­en dem Menschen dienen sollen, macht es eher den Eindruck, als dienten die Menschen – ihre Daten und Profile – den Investoren und Unternehme­n“, kritisiert­en die Behördenve­rtreter. Es gehe jetzt darum, die Errungensc­haften der Digitalisi­erung und die bürgerlich­en Grundrecht­e, die die Grundlage unserer freiheitli­ch-demokratis­chen Gesellscha­ft seien, sinnvoll zusammenzu­führen.

Die Datenschüt­zer mahnten eine rationale und sachliche Debatte an. „Anstatt immer wieder tretmühlen­artig auf den Datenschut­z zu schimpfen, sollten wir seine wichtige Bedeutung anerkennen.“Der Datenschut­z sei kein Verhindere­r, sondern ein wichtiger Regulator und Steuerungs­faktor. Menschen ließen sich auf neue Technologi­en eher ein, wenn sie Vertrauen hätten, dass ihre Rechte und Freiheiten gewahrt blieben.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany