Abteilungsstrukturen am Ende?
Neue Ansätze empfehlen eine Arbeitsorganisation in „Kreisen“statt in Abteilungen
Viele Unternehmen arbeiten heute mit agilem Projektmanagement, doch damit sind die Organisationen insgesamt noch nicht agil aufgestellt. Ein vielversprechender Ansatz besteht darin, auf starre Abteilungsstrukturen zu verzichten und die Menschen in flexiblen, sich selbst organisierenden Kreisen arbeiten zu lassen.
Wie können wir schneller auf Veränderungen reagieren und dabei innovativ bleiben? Diese Frage beschäftigt aktuell viele Unternehmen, denn die andauernde Coronapandemie zeigt ihnen, dass sich die Geschäftsbedingungen stetig schneller wandeln und nur noch bedingt planbar sind.
Beim Beantworten dieser Frage steht oft zuerst die Projektarbeit auf dem Prüfstand: Fortschritte hinsichtlich neuer Produkte und Services oder der eigenen Organisationsgestaltung werden überwiegend bereichs- oder sogar unternehmensübergreifend in Projekten erzielt. Entsprechend intensiv wird unter dem Stichwort „Agiles Projektmanagement“darüber diskutiert, wie sich die Projektarbeit mit alternativen Verfahren efektiver gestalten oder sogar auf ein neues Fundament stellen lässt.
Umfeld und Kultur müssen passen
Dabei deutet das Adjektiv „agil“bereits an, was das primäre Ziel des neuen Projektmanagements ist: Neben der Planung soll auch die Steuerung der Vorhaben möglichst dynamisch und flexibel erfolgen, damit die Innovationskraft und -geschwindigkeit der Unternehmen und die Effizienz und Efektivität ihrer Projekte steigen. Als mögliche Hebel, um diese Ziele zu erreichen, gelten folgende Ansätze:
Inkrementelle (Projekt-)Planung: Statt zu Beginn einen detaillierten Projektplan zu entwerfen, wird ein vorläufiger Plan erstellt, der im Projektverlauf fortgeschrieben und abhängig vom jeweiligen Erkenntnisstand modifiziert wird.
Osmotische Kommunikation: Die Zusammenarbeit der am Projekt beteiligten Personen (Kunden und Lieferanten) erfolgt weitgehend direkt, ohne Hindernisse wie Bereichsgrenzen.
Sich selbst organisierende Teams: Die Projektteams entscheiden selbst, wie sie sich organisieren wollen und ob sie eine Führung benötigen. Sie entscheiden auch, wer wann welche Aufgabe wie erledigt.
Enge Zusammenarbeit von Fachexperten und Entwicklern (Kunden und Lieferanten): Zwischen ihnen erfolgt ein regelmäßiger, kurzzyklischer Austausch über den Stand des Vorhabens, damit das wechselseitige Verstehen wächst und Fehlentwicklungen früh erkannt werden.
Iteratives Vorgehen: Bereits entwickelte Bestandteile werden so früh wie möglich an die (firmeninternen) Kunden ausgeliefert und von ihnen erprobt.
Fokussierung auf das übergeordnete Ziel: Bei der Projektarbeit gibt es keine heiligen Kühe. Das Vorgehen wird stets daraufhin überprüft, inwieweit es dem Erreichen des Projektziels dient.
Inzwischen haben viele Unternehmen Erfahrungen mit agilem Projektmanagement gesam
melt. Es zeigt sich, dass agiles Projektmanagement vor allem dann ein sinnvolles Vorgehensmodell ist,
wenn ein Projekt (oder Unternehmen) in einem diffusen Umfeld angesiedelt ist und die Anforderungen nur schwer erfasst werden können und sich rasch wandeln, oder
wenn, um die bestmögliche Lösung zu entwickeln, Experten mit unterschiedlichem Hintergrund eng miteinander zusammenarbeiten müssen.
Keinesfalls ist agiles Projektmanagement ein Allheilmittel, zumal sein Erfolg stark davon abhängt, ob das Unternehmen über das nötige Know-how und Personal verfügt. Darüber hinaus muss sich die agile Methodik mit der etablierten Unternehmens- und Führungskultur vertragen.
Komplexe Change- und Innovationsprojekte sind in der Regel in einen gewachsenen organisationalen Rahmen eingebettet, der durch gewisse Denk- und Verhaltensmuster, also eine bestimmte Kultur, geprägt ist.
Und mit diesem stehen die Projekte in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Deshalb können sich agile Ansätze in Unternehmen nur entwickeln, wenn zugleich im Umfeld ein entsprechender Lern- und Veränderungsprozess erfolgt.
Gerade Unternehmen, die schon Erfahrung mit den agilen Ansätzen gesammelt haben, stellen zunehmend die Frage, ob es genügt, die Projektarbeit in Richtung einer höheren Agilität zu trimmen. Müsste nicht vielmehr die gesamte Organisation so strukturiert werden, dass sie dynamischer und flexibler im Markt agieren kann?
Ein Vorschlag: Kreise statt Abteilungen
Heute verfügen die meisten Unternehmen noch über eine klassische Linienorganisation. Die Beschäftigten sind einer Abteilung fest zugeordnet, drüber thront der Abteilungsleiter. Das führt im Unternehmensalltag dazu, dass
ein Abteilungs- und Bereichsdenken dominiert, viele Schnittstellen existieren, die Informationen zwischen den Bereichen nicht ausreichend fließen und diese nur bedingt miteinander kooperieren.
Deshalb fragen sich viele Geschäftsführer inzwischen: Wäre es nicht besser, zumindest in den Kernbereichen die Arbeit anders zu strukturieren? Zum Beispiel in themenbezogenen Kreisen? Dann wären die Angestellten nicht mehr einer Abteilung zugeordnet, sondern sie würden – abhängig von ihren Funktionen – in verschiedenen Zirkeln mitarbeiten. Diese hätten jeweils bestimmte Aufgaben oder Teilaufgaben in Projekten und würden sich ausschließlich aus Mitarbeitern zusammensetzen, die über die hierfür nötige Kompetenz verfügen.
Hierarchische Strukturen aufbrechen
Solche Kreise verfügen über alle Befugnisse, die sie zum Erfüllen ihrer Aufgaben brauchen, wobei sie die wichtigen Entscheidungen stets im Team treffen. Hierzu zählt auch die Feststellung, ob ein Kreis (zeitlich befristet) eine Führung oder Leitung braucht – und wer diese Aufgabe übernehmen soll.
Zwischen den Kreisen gibt es in der alltäglichen Zusammenarbeit bedarfsabhängig einen regen Informationsaustausch. Dieser wird auch dadurch garantiert, dass es zwischen den Kreisen personelle Überschneidungen gibt – da jeder Mitarbeiter Mitglied mehrerer Kreise ist. Die klassischen Abteilungs- und Bereichsgrenzen existieren indes nicht mehr.
Außerdem entsenden die einzelnen Kreise, wenn eine enge Kooperation und Kommunikation für das Erreichen des übergeordneten Ziels nötig ist, Vertreter in andere Kreise.
Das heißt, die Kreise koordinieren ihre Zusammenarbeit selbst und reflektieren diese auch regelmäßig.
Die Unternehmen erhoffen sich von einer solchen Organisation zumindest in den Bereichen, die komplexe Aufgaben erledigen müssen und dafür eine dynamische Zusammenarbeit und einen regen Informationsaustausch brauchen, dreierlei:
ein Aufbrechen der klassischen hierarchischen Strukturen, sodass das Abteilungs- und Bereichsdenken überwunden werden kann und nicht nur die Arbeit in Abteilungen und Geschäftsbereichen, sondern das Gesamtsystem optimiert wird;
eine höhere Identifikation der Mitarbeiter mit ihren Aufgaben sowie den Zielen, die sie in ihrer Arbeit erreichen wollen, da sie in ihren Kreisen vornehmlich Aufgaben bekommen, die ihren Fähigkeiten entsprechen, dabei aber den gleichen Rang und die gleichen Rechte wie alle anderen Mitglieder haben;
eine effektivere Zusammenarbeit sowie höherwertige Ergebnisse beim Erfüllen komplexer Aufgaben, weil die involvierten Personen und Kreise unmittelbar miteinander kommunizieren, die Informationen zwischen ihnen fließen und sie selbst die für die bestmögliche Lösung erforderlichen Entscheidungen treffen.
In diesem sich selbst steuernden System, verändert sich auch der Charakter von Führung. Er verschiebt sich in Richtung „Servant Leadership“und „Change Agents“. Die Hauptfunktion von Führungskräften besteht dann darin,
die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kreise für die Organisation und die Mitarbeiter für die Kreise ihre Aufgaben erledigen können, und
den Beschäftigten die Vision und die Strategie zu vermitteln, an der sie ihre Arbeit ausrichten können.
Zudem muss Führung die agilen Werte vorleben und die angestrebte Veränderung im Unternehmen vorantreiben.
Führung neu definieren
Inzwischen werden die agilen Prinzipien in einer Reihe von Unternehmen zumindest versuchsweise gelebt. Hierbei zeigt sich immer wieder: Diese Form der Organisation setzt bei Mitarbeitern besondere Kompetenzen und auch die richtige Haltung voraus. Ebenso wie ihre Führungskräfte sollten sie Veränderungsbereitschaft mitbringen und mit Unsicherheit umgehen können. Außerdem erfordert die agile Transformation eine Unternehmenskultur, die von Vertrauen geprägt ist und den Kreisen und Mitarbeitern die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume zugesteht, damit diese ihre Arbeit selbst organisieren können.
Unternehmen schaffen einen solchen kulturellen Wandel nicht von heute auf morgen. Es bedarf zunächst einmal einer längerfristigen Kulturarbeit beziehungsweise Unternehmensentwicklung, die von dem Credo getragen werden muss: Wir wollen und müssen diese grundlegenden Veränderungen herbeiführen, wenn wir auch künftig zu den Top-Performern in unserem Markt zählen wollen.