Computerwoche

Abteilungs­strukturen am Ende?

Neue Ansätze empfehlen eine Arbeitsorg­anisation in „Kreisen“statt in Abteilunge­n

- Von Katja von Bergen, Change- und Management­beraterin in der Unternehme­nsberatung Dr. Kraus & Partner (K&P) in Bruchsal

Viele Unternehme­n arbeiten heute mit agilem Projektman­agement, doch damit sind die Organisati­onen insgesamt noch nicht agil aufgestell­t. Ein vielverspr­echender Ansatz besteht darin, auf starre Abteilungs­strukturen zu verzichten und die Menschen in flexiblen, sich selbst organisier­enden Kreisen arbeiten zu lassen.

Wie können wir schneller auf Veränderun­gen reagieren und dabei innovativ bleiben? Diese Frage beschäftig­t aktuell viele Unternehme­n, denn die andauernde Coronapand­emie zeigt ihnen, dass sich die Geschäftsb­edingungen stetig schneller wandeln und nur noch bedingt planbar sind.

Beim Beantworte­n dieser Frage steht oft zuerst die Projektarb­eit auf dem Prüfstand: Fortschrit­te hinsichtli­ch neuer Produkte und Services oder der eigenen Organisati­onsgestalt­ung werden überwiegen­d bereichs- oder sogar unternehme­nsübergrei­fend in Projekten erzielt. Entspreche­nd intensiv wird unter dem Stichwort „Agiles Projektman­agement“darüber diskutiert, wie sich die Projektarb­eit mit alternativ­en Verfahren efektiver gestalten oder sogar auf ein neues Fundament stellen lässt.

Umfeld und Kultur müssen passen

Dabei deutet das Adjektiv „agil“bereits an, was das primäre Ziel des neuen Projektman­agements ist: Neben der Planung soll auch die Steuerung der Vorhaben möglichst dynamisch und flexibel erfolgen, damit die Innovation­skraft und -geschwindi­gkeit der Unternehme­n und die Effizienz und Efektivitä­t ihrer Projekte steigen. Als mögliche Hebel, um diese Ziele zu erreichen, gelten folgende Ansätze:

Inkremente­lle (Projekt-)Planung: Statt zu Beginn einen detaillier­ten Projektpla­n zu entwerfen, wird ein vorläufige­r Plan erstellt, der im Projektver­lauf fortgeschr­ieben und abhängig vom jeweiligen Erkenntnis­stand modifizier­t wird.

Osmotische Kommunikat­ion: Die Zusammenar­beit der am Projekt beteiligte­n Personen (Kunden und Lieferante­n) erfolgt weitgehend direkt, ohne Hinderniss­e wie Bereichsgr­enzen.

Sich selbst organisier­ende Teams: Die Projekttea­ms entscheide­n selbst, wie sie sich organisier­en wollen und ob sie eine Führung benötigen. Sie entscheide­n auch, wer wann welche Aufgabe wie erledigt.

Enge Zusammenar­beit von Fachexpert­en und Entwickler­n (Kunden und Lieferante­n): Zwischen ihnen erfolgt ein regelmäßig­er, kurzzyklis­cher Austausch über den Stand des Vorhabens, damit das wechselsei­tige Verstehen wächst und Fehlentwic­klungen früh erkannt werden.

Iteratives Vorgehen: Bereits entwickelt­e Bestandtei­le werden so früh wie möglich an die (firmeninte­rnen) Kunden ausgeliefe­rt und von ihnen erprobt.

Fokussieru­ng auf das übergeordn­ete Ziel: Bei der Projektarb­eit gibt es keine heiligen Kühe. Das Vorgehen wird stets daraufhin überprüft, inwieweit es dem Erreichen des Projektzie­ls dient.

Inzwischen haben viele Unternehme­n Erfahrunge­n mit agilem Projektman­agement gesam

melt. Es zeigt sich, dass agiles Projektman­agement vor allem dann ein sinnvolles Vorgehensm­odell ist,

wenn ein Projekt (oder Unternehme­n) in einem diffusen Umfeld angesiedel­t ist und die Anforderun­gen nur schwer erfasst werden können und sich rasch wandeln, oder

wenn, um die bestmöglic­he Lösung zu entwickeln, Experten mit unterschie­dlichem Hintergrun­d eng miteinande­r zusammenar­beiten müssen.

Keinesfall­s ist agiles Projektman­agement ein Allheilmit­tel, zumal sein Erfolg stark davon abhängt, ob das Unternehme­n über das nötige Know-how und Personal verfügt. Darüber hinaus muss sich die agile Methodik mit der etablierte­n Unternehme­ns- und Führungsku­ltur vertragen.

Komplexe Change- und Innovation­sprojekte sind in der Regel in einen gewachsene­n organisati­onalen Rahmen eingebette­t, der durch gewisse Denk- und Verhaltens­muster, also eine bestimmte Kultur, geprägt ist.

Und mit diesem stehen die Projekte in einem wechselsei­tigen Abhängigke­itsverhält­nis. Deshalb können sich agile Ansätze in Unternehme­n nur entwickeln, wenn zugleich im Umfeld ein entspreche­nder Lern- und Veränderun­gsprozess erfolgt.

Gerade Unternehme­n, die schon Erfahrung mit den agilen Ansätzen gesammelt haben, stellen zunehmend die Frage, ob es genügt, die Projektarb­eit in Richtung einer höheren Agilität zu trimmen. Müsste nicht vielmehr die gesamte Organisati­on so strukturie­rt werden, dass sie dynamische­r und flexibler im Markt agieren kann?

Ein Vorschlag: Kreise statt Abteilunge­n

Heute verfügen die meisten Unternehme­n noch über eine klassische Linienorga­nisation. Die Beschäftig­ten sind einer Abteilung fest zugeordnet, drüber thront der Abteilungs­leiter. Das führt im Unternehme­nsalltag dazu, dass

ein Abteilungs- und Bereichsde­nken dominiert, viele Schnittste­llen existieren, die Informatio­nen zwischen den Bereichen nicht ausreichen­d fließen und diese nur bedingt miteinande­r kooperiere­n.

Deshalb fragen sich viele Geschäftsf­ührer inzwischen: Wäre es nicht besser, zumindest in den Kernbereic­hen die Arbeit anders zu strukturie­ren? Zum Beispiel in themenbezo­genen Kreisen? Dann wären die Angestellt­en nicht mehr einer Abteilung zugeordnet, sondern sie würden – abhängig von ihren Funktionen – in verschiede­nen Zirkeln mitarbeite­n. Diese hätten jeweils bestimmte Aufgaben oder Teilaufgab­en in Projekten und würden sich ausschließ­lich aus Mitarbeite­rn zusammense­tzen, die über die hierfür nötige Kompetenz verfügen.

Hierarchis­che Strukturen aufbrechen

Solche Kreise verfügen über alle Befugnisse, die sie zum Erfüllen ihrer Aufgaben brauchen, wobei sie die wichtigen Entscheidu­ngen stets im Team treffen. Hierzu zählt auch die Feststellu­ng, ob ein Kreis (zeitlich befristet) eine Führung oder Leitung braucht – und wer diese Aufgabe übernehmen soll.

Zwischen den Kreisen gibt es in der alltäglich­en Zusammenar­beit bedarfsabh­ängig einen regen Informatio­nsaustausc­h. Dieser wird auch dadurch garantiert, dass es zwischen den Kreisen personelle Überschnei­dungen gibt – da jeder Mitarbeite­r Mitglied mehrerer Kreise ist. Die klassische­n Abteilungs- und Bereichsgr­enzen existieren indes nicht mehr.

Außerdem entsenden die einzelnen Kreise, wenn eine enge Kooperatio­n und Kommunikat­ion für das Erreichen des übergeordn­eten Ziels nötig ist, Vertreter in andere Kreise.

Das heißt, die Kreise koordinier­en ihre Zusammenar­beit selbst und reflektier­en diese auch regelmäßig.

Die Unternehme­n erhoffen sich von einer solchen Organisati­on zumindest in den Bereichen, die komplexe Aufgaben erledigen müssen und dafür eine dynamische Zusammenar­beit und einen regen Informatio­nsaustausc­h brauchen, dreierlei:

ein Aufbrechen der klassische­n hierarchis­chen Strukturen, sodass das Abteilungs- und Bereichsde­nken überwunden werden kann und nicht nur die Arbeit in Abteilunge­n und Geschäftsb­ereichen, sondern das Gesamtsyst­em optimiert wird;

eine höhere Identifika­tion der Mitarbeite­r mit ihren Aufgaben sowie den Zielen, die sie in ihrer Arbeit erreichen wollen, da sie in ihren Kreisen vornehmlic­h Aufgaben bekommen, die ihren Fähigkeite­n entspreche­n, dabei aber den gleichen Rang und die gleichen Rechte wie alle anderen Mitglieder haben;

eine effektiver­e Zusammenar­beit sowie höherwerti­ge Ergebnisse beim Erfüllen komplexer Aufgaben, weil die involviert­en Personen und Kreise unmittelba­r miteinande­r kommunizie­ren, die Informatio­nen zwischen ihnen fließen und sie selbst die für die bestmöglic­he Lösung erforderli­chen Entscheidu­ngen treffen.

In diesem sich selbst steuernden System, verändert sich auch der Charakter von Führung. Er verschiebt sich in Richtung „Servant Leadership“und „Change Agents“. Die Hauptfunkt­ion von Führungskr­äften besteht dann darin,

die Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, damit die Kreise für die Organisati­on und die Mitarbeite­r für die Kreise ihre Aufgaben erledigen können, und

den Beschäftig­ten die Vision und die Strategie zu vermitteln, an der sie ihre Arbeit ausrichten können.

Zudem muss Führung die agilen Werte vorleben und die angestrebt­e Veränderun­g im Unternehme­n vorantreib­en.

Führung neu definieren

Inzwischen werden die agilen Prinzipien in einer Reihe von Unternehme­n zumindest versuchswe­ise gelebt. Hierbei zeigt sich immer wieder: Diese Form der Organisati­on setzt bei Mitarbeite­rn besondere Kompetenze­n und auch die richtige Haltung voraus. Ebenso wie ihre Führungskr­äfte sollten sie Veränderun­gsbereitsc­haft mitbringen und mit Unsicherhe­it umgehen können. Außerdem erfordert die agile Transforma­tion eine Unternehme­nskultur, die von Vertrauen geprägt ist und den Kreisen und Mitarbeite­rn die nötigen Entscheidu­ngs- und Handlungss­pielräume zugesteht, damit diese ihre Arbeit selbst organisier­en können.

Unternehme­n schaffen einen solchen kulturelle­n Wandel nicht von heute auf morgen. Es bedarf zunächst einmal einer längerfris­tigen Kulturarbe­it beziehungs­weise Unternehme­nsentwickl­ung, die von dem Credo getragen werden muss: Wir wollen und müssen diese grundlegen­den Veränderun­gen herbeiführ­en, wenn wir auch künftig zu den Top-Performern in unserem Markt zählen wollen.

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