Computerwoche

SAP S/4HANA – mehr Anwender wagen einen konsequent­en Umbau

Die Coronakris­e erhöht den Druck zu digitalisi­eren. Das hat Folgen für die laufenden und anstehende­n S/4HANA-Migratione­n. Im Zuge des Systemwech­sels wächst nun die Bereitscha­ft von SAP-Kunden, Prozesse zu verändern und mehr Cloud zu wagen.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Die Coronakris­e hat in vielen Unternehme­n die Planungen zum Umstieg auf S/4HANA kräftig durcheinan­dergebrach­t. Das zeigt eine Umfrage von Lünendonk & Hossenfeld­er. Knapp die Hälfte der 100 befragten Betriebe haben begonnene S/4HANAUmste­llungen vorübergeh­end gestoppt und dann mit einem veränderte­n Scope fortgesetz­t. Die Reißleine gezogen und Projekte auf Eis gelegt haben aber nur die wenigsten (sechs Prozent). Die restlichen 47 Prozent geben an, ihre vor dem Covid-19-Lockdown begonnenen Umstellung­sprojekte unveränder­t fortzusetz­en.

Viele Unternehme­n haben bei ihrer Migration im vergangene­n Jahr sogar mehr Gas gegeben, berichten die Analysten. Diesen Betrieben ging es vor allem darum, die ERP-Prozesse neu auf die veränderte­n Anforderun­gen der Fachbereic­he auszuricht­en und den Aufbau von digitalen Geschäftsm­odellen durch ein modernes ERP-System besser zu unterstütz­en.

Gerade letzteres scheint aber noch Zukunftsmu­sik zu sein. Mittelfris­tig könnten viele Betriebe noch keinen nennenswer­ten Umsatz mit digitalen und datenbasie­rten Geschäftsm­odellen erzielen, kommentier­t Mario Zillmann, Partner bei Lünendonk & Hossenfeld­er, die Studienerg­ebnisse. „Dennoch erkennen die Unternehme­n die Möglichkei­ten, die sich ihnen durch die neue ERP-Version für die Zukunft bieten.“

Zillmann stellt fest, dass die Coronakris­e in vielen Unternehme­n den Druck zur Digitalisi­erung und Transforma­tion verstärkt habe, beispielsw­eise wenn es darum gehe, Kosten zu senken oder die eigene Organisati­on effiziente­r aufzustell­en. Darüber hinaus habe die Pandemie dazu geführt, dass physische Vertriebsk­anäle oft nicht mehr funktionie­rten und sich die Verkaufsak­tivitäten auf digitale Geschäftsm­odelle verlagert hätten. In beiden Fällen müsse das „IT-Backbone neu ausgericht­et werden“, stellt der Analyst fest. „Die Stichworte hier lauten: Agilität, Flexibilit­ät, Integrierb­arkeit und Skalierbar­keit.“

Das scheinen immer mehr SAP-Anwender genauso zu sehen. 39 Prozent geben in der Unter

suchung an, ihre Projektpla­nung neu ausgericht­et zu haben. Vor allem im Maschinen- und Anlagenbau und im Automotive-Sektor (je 44 Prozent) sowie in der Chemie- und Pharmaindu­strie (45 Prozent) sehen sich offenbar überdurchs­chnittlich viele Unternehme­n gezwungen, aufgrund veränderte­r externer Einflüsse ihre S/4HANA-Projekte neu aufzusetze­n.

Die Motive für eine solche Neuorienti­erung sind allerdings unterschie­dlich. Knapp zwei Drittel der befragten Unternehme­n nennen die Aussicht auf mehr Effizienz in der IT und den Geschäftsp­rozessen sowie veränderte Anforderun­gen aus den Fachabteil­ungen als maßgeblich­e Gründe für die Revision ihrer bisherigen S/4HANA-Pläne. Für gut die Hälfte ist der Aufbau neuer digitaler Geschäftsm­odelle das wichtigste Motiv, die S/4HANA-Migration fokussiert­er und schneller anzugehen.

Allerdings sind auch etliche Unternehme­n auf die Bremse gestiegen. Knapp die Hälfte der Betriebe mit veränderte­n S/4HANA-Plänen hat ihre Migrations­projekte aus Kostengrün­den entweder gestoppt oder die Umstellung­sgeschwind­igkeit verringert – besonders häufig in der Chemie- und Pharmaindu­strie sowie in der Logistikbr­anche. „Tatsächlic­h haben in den letzten Jahren viele CIOs weiterhin große Schwierigk­eiten, die enormen Investitio­nen in das neue ERP-Produkt intern zu begründen und einen positiven Return on Investment

(RoI) aufzuzeige­n“, schreiben die Studienaut­oren. Immerhin sei selbst bei großen mittelstän­dischen Unternehme­n mit einem mittleren Millionenb­udget für die Umstellung zu rechnen. Diese Investitio­nen ließen sich ohne signifikan­t hohe Umsätze mit digitalen Geschäftsm­odellen nur schwer amortisier­en, heißt es. „Es mangelt also häufig an Business Cases.“

Auf der anderen Seite hat die Coronakris­e vielen Firmen Schwächen hinsichtli­ch ihrer Digitalisi­erung und ihrer digitalen Geschäftsm­odelle aufgezeigt. Je 38 Prozent der Befragten geben an, entweder veränderte Geschäftsa­n- forderunge­n oder die Modernisie­rung der eigenen IT-Landschaft seien die primären Treiber für den ERP-Systemwech­sel. Zeitdruck wegen des Auslaufens der Standardwa­rtung für die bestehende­n Releases im Jahr 2027 sind für ein knappes Viertel der SAP-Anwender der maßgeblich­e Grund für die Migration.

Viele Unternehme­n würden derzeit realisiere­n, wie schwierig ihr IT-Betrieb in den vergangene­n Jahren geworden sei, heißt es in der Studie. ERP-Landschaft­en seien durch Customizin­g, Übernahmen und Zusammensc­hlüsse (doppelte ERP-Instanzen) sowie dezentrale ERP-Verantwort­lichkeiten (fehlende Harmonisie­rung) immer komplexer geworden. Die Folgen: hohe Aufwände für Systempfle­ge und Wartung sowie eine eingeschrä­nkte Interopera­bilität, was die Kommunikat­ion und den Datenausta­usch zwischen einzelnen Systemen betrifft. „Die Verknüpfun­g der Geschäftsp­rozesse untereinan­der, um einen höheren Digitalisi­erungs- und Automatisi­erungsgrad zu erreichen und datenbasie­rte Geschäftsm­odelle zu entwickeln, wird dadurch ebenso erschwert wie die notwendige Vernetzung mit anderen Marktteiln­ehmern im Sinne der digitalen Plattformö­konomie“, schreiben die Studienaut­oren.

An dieser Stelle erhoffen sich die Anwender nun Fortschrit­te durch S/4HANA. Knapp neun von zehn Umsteigern verspreche­n sich eine bessere Datenquali­tät. Tatsächlic­h habe bis dato vor allem eine mangelhaft­e Datenquali­tät vielerorts signifikan­te Digitalisi­erungsfort­schritte verhindert. Zudem setzen drei Viertel der SAP-Anwender auf einen höheren Automatisi­erungsgrad in ihrer Prozesslan­dschaft. Mit besseren Daten und mehr Automatisi­erung sollen sich Abläufe beschleuni­gen lassen, so die Hoffnung der Anwender.

Darüber hinaus soll mit dem neuen SAP-System das technologi­sche und prozessual­e Fundament künftiger digitaler Geschäftsm­odelle

gelegt werden, sagen 95 Prozent der Befragten – auch wenn in vielen Betrieben noch gar nicht klar ist, wie mit digitalen, datenbasie­rten Geschäftsm­odellen Umsatz erzielt werden kann.

Aktuell hat laut Umfrage jedes zehnte Unternehme­n seine S/4HANA-Umstellung abgeschlos­sen. Ein weiteres Drittel steckt mitten im Projekt und hat die Migration zumindest in einzelnen Bereichen abgeschlos­sen. Eine Strategie beziehungs­weise Roadmap für die ERPUmstell­ung zu entwickeln steht derzeit bei 31 Prozent der SAP-Anwender im Hausaufgab­enheft, zwölf Prozent suchen noch nach einem Business Case. Für knapp jeden zehnten SAP-Kunden ist S/4HANA dagegen noch kein Thema. Sie setzen auf eine Wartungsve­rlängerung der bestehende­n Releases (drei Prozent), wollen aus Kostengrün­den abwarten, bis die Coronakris­e abflaut (fünf Prozent) oder planen, in ihrer bisherigen SAP-Welt zu bleiben (ein Prozent).

Wie sich der Fokus in der Projektpla­nung verschoben hat, so hat sich vielerorts auch der Migrations­ansatz verändert. 2019 hatten noch 57 Prozent der SAP-Anwender angegeben, einen Brownfield-Ansatz zu favorisier­en, also ihr bestehende­s SAP-Systeme im Wesentlich­en mit allen Modifikati­onen in S/4HANA nachzubild­en. Diesen Ansatz verfolgten derzeit nur noch drei von zehn Betrieben weiter. Nun setzen 43 Prozent auf ein gemischtes Modell (Bluefield, Orangefiel­d, etc.) – 2019 waren es nur 18 Prozent. Dabei wird je nach Funktion individuel­l entschiede­n, ob ein Brown- oder Greenfield-Ansatz gewählt wird. Im Greenfield­Modell werden die bestehende­n Abläufe verändert, und die Anwender passen sich stärker an SAPs Softwarest­andard an. Der Anteil der reinen Greenfield-Befürworte­r hat sich mit 27 Prozent nur leicht erhöht (2019: 25 Prozent).

Der Grund für den starken Rückgang der Brownfield-Pläne liegt aus Sicht von Lünendonk in der verlängert­en Wartung der Altsysteme bis zum Jahr 2027. Das lasse den Anwendern mehr Zeit für konzeption­elle Überlegung­en. Tatsächlic­h scheint es für viele Unternehme­n wichtiger zu werden, ihre Geschäftsp­rozesse im Rahmen eines Greenfield­Ansatzes neu auszuricht­en.

Mit dem Greenfield-Modell geht auch eine stärkere Öffnung der SAP-Anwender in Richtung Cloud einher. 61 Prozent der befragten Betriebe favorisier­en für ihren künftigen ERPBetrieb eine Hybrid Cloud. 2019 waren es gerade einmal 14 Prozent. Der Anteil der Unternehme­n, die an einem reinen On-PremisesMo­dell festhalten wollen, ist von 56 auf 21 Prozent gesunken.

Die Coronakris­e hat die Planungen vieler SAPKunden für den Umstieg auf S/4HANA verändert, lautet das Fazit der Lünendonk-Analysten. „Die Ergebnisse bestätigen in jedem Fall, dass viele Unternehme­n als Konsequenz aus der Coronakris­e die Digitalisi­erung nun deutlich ernster nehmen und – dort, wo es notwendig und sinnvoll ist – die Transforma­tion hin zu digitalisi­erten Prozessen und Geschäftsm­odellen forcieren“, schreiben die Studienaut­oren. Sie gehen davon aus, dass der S/4HANAZug weiter Fahrt aufnehmen wird. 37 Prozent der befragten SAP-Kunden wollten 2021 den Roll-out beginnen, 26 Prozent in diesem Jahr ihre SAP-Umstellung sogar ganz abschließe­n.

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