Computerwoche

Im Widerstrei­t – Löschrecht­e vs. Aufbewahru­ngspflicht­en

Geht es nach den Datenschüt­zern, müssen Unternehme­n personenbe­zogene Daten nach „Gebrauch“radikal löschen. Dagegen wünschen sich beispielsw­eise die Finanzämte­r, auch zehn Jahre alte Geschäftsv­orgänge noch zu kontrollie­ren.

- Von Henrik Hasenkamp, CEO des Infrastruc­tureund Platform-as-a-ServiceAnb­ieters Gridscale

Reisende soll man nicht aufhalten – manchmal will ein Kunde einfach kein Kunde mehr sein. Doch in der digitalen Welt verschwind­et der Kunde deshalb noch lange nicht aus dem Blickfeld eines Unternehme­ns, im Gegenteil. Er hat in den unternehme­nseigenen IT-Systemen wie auch in den angeschlos­senen Cloud-Umgebungen jede Menge Datenspure­n hinterlass­en: Adressinfo­rmationen, Anfragen per E-Mail, Rechnungen, Liefersche­ine und vieles mehr.

Diese Spuren bleiben für Unternehme­n auch nach dem Ende der Kundenbezi­ehung wichtig. Mithilfe der vorhandene­n Daten werden Bilanzen erstellt, Geschäftsb­erichte geschriebe­n und Steuererkl­ärungen ausgefüllt. Zudem haben Unternehme­n erhebliche Aufbewahru­ngspflicht­en: Finanzämte­r und andere Behörden möchten schließlic­h auch nach Jahren noch überprüfen können, ob bestimmte Geschäfte korrekt abgewickel­t wurden.

Steuerrech­tlich relevante Daten zum Geschäftsv­erkehr mit Kunden müssen bis zu zehn Jahre nach der letzten kaufmännis­chen Buchung aufbewahrt werden. Das betrifft Buchungsvo­rgänge ebenso wie personenbe­zogene Daten. Das Finanzamt möchte den Urheber einer

Zahlung kennen – vielleicht weil er beispielsw­eise die Rechnung in die Aufstellun­g seiner Betriebsko­sten eingefügt hat.

Hier entsteht eine Kollision mit dem Datenschut­z, denn solche Informatio­nen sind in der Regel personenbe­zogene Daten und damit besonders geschützt. Deshalb besitzt jeder Mensch seit einigen Jahren das Recht auf Löschung und Vergessen, niedergele­gt in der europäisch­en Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO). Gemeint ist damit: Wenn der Grund für die Speicherun­g wegfällt, müssen Unternehme­n löschen, und zwar sämtliche personenbe­zogenen Daten zu dem jeweiligen Kunden. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht.

Personenbe­zogene Daten – kein einfacher Fall

Doch der Reihe nach. Wir betreten hier ein Gelände mit juristisch­en Stolperfal­len. Allein der Begriff der personenbe­zogenen Daten ist recht weit definiert. Er umfasst alle Daten, mit denen eine Verknüpfun­g zu einer bestimmten Person hergestell­t werden kann. In der Praxis sind deshalb deutlich mehr Daten personenbe­zogen, als es auf den ersten Blick scheint. So kommt es nicht darauf an, dass die Informatio­nen richtig oder falsch sind, und auch nicht

darauf, ob sie wichtig, geschäftsk­ritisch oder sensibel sind. Selbst bei fehlerhaft­en und scheinbar unwichtige­n Informatio­nen kann es sich um personenbe­zogene Daten handeln.

Außerdem ist für die rechtliche Beurteilun­g gar nicht notwendig, dass ein Unternehme­n in seiner IT tatsächlic­h den Bezug zwischen Daten und Personen herstellt. Bereits wenn ein solcher Bezug theoretisc­h möglich ist, ergibt das aus juristisch­er Sicht personenbe­zogene Daten. Es kommt außerdem nicht nur auf das Unternehme­n selbst an. Auch Informatio­nen und Daten, die über Vertragspa­rtner oder andere dritte Parteien einer Person zugeordnet werden können, fallen unter den Schutz der DSGVO.

Diese Definition ist sehr weit gefasst und entwickelt sich für die Unternehme­n mehr und mehr zu einer erhebliche­n Herausford­erung. Personenbe­zogene Daten finden sich in allen Systemen und Anwendunge­n sowie mittlerwei­le in Cloud- und Multicloud-Umgebungen, die überhaupt Vorgänge aus dem Geschäftsv­erkehr verarbeite­n und speichern. Unbedenkli­ch sind lediglich anonymisie­rte Daten, zum Beispiel die aggregiert­en statistisc­hen Angaben in einem Business-Dashboard. Dabei handelt es sich um anonymisie­rte Daten, die sich in keiner Weise mehr auf eine bestimmte Person beziehen. Es geht also um Aussagen wie zum Beispiel „90 Prozent der Kunden sind mit dem Produkt zufrieden“.

Normalerwe­ise werden solche Informatio­nen aus Data Warehouses oder Data Lakes mit einem heterogen zusammenge­setzten Datenpool gewonnen, der auch personenbe­zogene Daten enthält. Denn dort finden sich in aller Regel Inhalte aus unterschie­dlichen Datenquell­en wie Warenwirts­chaftssyst­emen, ERPAnwendu­ngen und Marketing-Tools, sowie aus Multicloud-Speichern. Eine naheliegen­de Idee ist es nun, einfach die Angaben zu den Personen zu entfernen – durch Pseudonymi­sierung. Dabei wird der Klarname mit einem Schlüssel ersetzt, etwa einer fortlaufen­den Nummer. Doch auch pseudonymi­sierte Daten sind personenbe­zogen, da der Bezug theoretisc­h wieder hergestell­t werden kann.

Daraus folgt nach Auffassung des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) und des Bundesgeri­chtshofs (BGH), dass sogar IP-Adressen in Logfiles von Webservern personenbe­zogen sind. Sie sind zwar Pseudonyme und nicht mit einfachen Methoden auf eine Person zurückzufü­hren. Doch mit Hilfe der Staatsanwa­ltschaft kann der Anschlussi­nhaber und damit möglicherw­eise die Person ermittelt werden, die eine Webseite besucht hat. Unternehme­n dürfen zwar weiterhin Logfiles speichern, müssen sie aber entspreche­nd der DSGVO behandeln. Dabei hilft es nicht, Daten zu verschlüss­eln. Auch dies gilt aus rechtliche­r Sicht als Pseudonymi­sierung. Bei Kenntnis des Schlüssels (der entwendet werden kann) ist es leicht, den Bezug zu einer bestimmten Person herzustell­en.

Die besondere Signifikan­z von personenbe­zogenen Daten wird auch in Hinblick auf deren internatio­nalen Austausch deutlich. Unter dem EU-US Privacy Shield war es bisher möglich, personenbe­zogene Daten europäisch­er Bürger an Unternehme­n mit Sitz in den USA

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