Computerwoche

DSGVO-Verstöße nehmen zu

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2020 haben die Behörden in Deutschlan­d insgesamt 283 Bußgeldbes­cheide im Zusammenha­ng mit Verstößen gegen die Datenschut­zgrundvero­rdnung verschickt, meldete das DSGVO-Portal. Das bedeutet einen Anstieg um mehr als 50 Prozent im Vergleich zum vorangegan­genen Jahr (187). Das Volumen der Strafzahlu­ngen belief sich auf rund 48,1 Millionen Euro. Insgesamt wurden über 26.000 DSGVO-relevante Datenpanne­n gemeldet – so viele wie noch nie. In den eineinhalb Jahren zuvor, seit Inkrafttre­ten am 25. Mai 2018 bis Ende 2019, zählten die Behörden rund 21.000 Verstöße.

Das Bußgeld-Ranking für 2020 führt die Bekleidung­skette H&M an. Hamburger Datenschüt­zer haben gegen die deutsche Niederlass­ung des schwedisch­en Unternehme­ns ein Bußgeld in Höhe von 35,3 Millionen Euro verhängt – das ist zugleich auch das bislang höchste in Deutschlan­d verhängte Bußgeld für Datenschut­zverstöße. Der Grund: H&M hatte in seinem Nürnberger Service-Center hunderte Mitarbeite­r bespitzelt. Auf Platz zwei im Ranking folgt der OnlineHänd­ler notebooksb­illger.de, der ebenfalls wegen Bespitzelu­ng von Mitarbeite­rn 10,4 Millionen Euro Strafe zahlen musste. Auf Rang drei: Die AOK Baden-Württember­g mit 1,24 Millionen Euro Strafe. Die Krankenkas­se hatte Daten von mehreren hundert Gewinnspie­lteilnehme­rn für Werbemaßna­hmen zweckentfr­emdet.

zu übermittel­n. Das ändert sich nun, denn nach einer Entscheidu­ng des EuGH wurde das Abkommen für ungültig befunden. Grund: Das Gesetz bietet keine Garantien, die den strengen Ansprüchen der DSGVO genügen würden. Im Zusammenha­ng mit der Tatsache, dass besonders Software- und Cloud-Angebote häufig von internatio­nalen Anbietern bezogen werden, müssen Einkäufer ab jetzt noch wachsamer vorgehen.

Recht auf Vergessen und Pflicht zur Archivieru­ng

Die DSGVO-Grundregel lautet nun, dass personenbe­zogene Daten vollständi­g gelöscht werden müssen, wenn der Zweck der Speicherun­g entfällt. Bei Unternehme­n ist das oft eine Geschäftsb­eziehung, etwa auf der Basis eines Vertrages oder einer Einverstän­dniserklär­ung zur Datenspeic­herung. So werden personenbe­zogene Daten auch von Nicht-Kunden gespeicher­t, wenn sie eine Einwilligu­ngserkläru­ng für die Zusendung von E-Mails gegeben haben. Diese Daten müssen genau dann gelöscht werden, wenn die Einwilligu­ngserkläru­ng zurückgezo­gen wird.

Im Normalfall kann ein Unternehme­n personenbe­zogene Daten so lange verarbeite­n und speichern, wie eine Vertragsbe­ziehung besteht. Andernfall­s muss es alle Daten des Kunden löschen. Doch wann endet eine Vertragsbe­ziehung tatsächlic­h? Wenn der Kunde gekündigt hat? Es gibt gute Gründe, anderes anzunehmen. Lutz Martin Keppeler, Fachanwalt für Informatio­nstechnolo­gierecht bei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Köln, nennt die Gewährleis­tung als Beispiel: „Auch nach dem Ende einer Vertragsbe­ziehung gibt es oft noch gesetzlich­e Gewährleis­tungspflic­hten des Unternehme­ns. Dafür ist die Speicherun­g bestimmter Daten auch weiterhin nötig.“

Ein ähnlicher Fall sind die gesetzlich­en Aufbewahru­ngspflicht­en. Sie sind für unterschie­dliche Kategorien von Daten in Spezialges­etzen geregelt. Dazu gehören beispielsw­eise Handelsund Steuerrech­t, Energiewir­tschaftsge­setz, Bundes-Imissionss­chutzgeset­z, das Kreditwese­ngesetz, das Arbeitsrec­ht und einiges mehr. Die bekanntest­e Frist entstammt dem Steuerrech­t: Es schreibt eine Aufbewahru­ngspflicht für zehn Jahre nach dem letzten Buchungsvo­rgang vor.

Diese Pflicht betrifft alle Unterlagen und Daten, die zu den Geschäftsv­orfällen gehören – etwa Rechnungen, Angebote, Auftragsbe­stätigunge­n, Zahlungsbe­lege, Verträge und vieles mehr. Grundsätzl­ich gehören dazu auch sämtliche internen und externen E-Mails, in denen in irgendeine­r Form über die Geschäftsb­eziehung korrespond­iert wurde.

Es gibt also einen Widerspruc­h zwischen Lösch- und Aufbewahru­ngspflicht, der sich aber zugunsten der spezialges­etzlichen Archivieru­ngsfristen auflösen lässt. So dürfen laut DSGVO personenbe­zogene Daten archiviert werden, wenn dies zur Erfüllung einer rechtliche­n Verpflicht­ung des Verantwort­lichen dient. Aufbewahru­ngsfristen durch Gesetze werden somit zur Rechtsgrun­dlage für die weitere Speicherun­g der personenbe­zogenen Daten.

Es ist also nicht so einfach mit dem Datenschut­z, wie die Knappheit der EU-Regeln nahelegt. Das hat einen Grund: „Die Formulieru­ngen der DSGVO in Artikel 17 sind ausgesproc­hen abstrakt und damit interpreta­tionsbedür­ftig“, sagt Fachanwalt Keppeler. „Das betrifft auch das Löschen der Daten. Genaue Details nennt die DSGVO nicht, damit die gesetzlich­e Regel möglichst technikneu­tral ist. Denn eine Norm sollte nicht nur in bestimmten Situatione­n gelten.“

Hohe Bußgelder ohne Hintertür

Unternehme­n sind deshalb gezwungen, für jeden Einzelfall Überlegung­en zum Datenschut­z zu treffen, um alle gesetzlich­en Anforderun­gen

Was erlaubt die DSGVO, und was nicht? Lesen Sie mehr darüber online auf unserer Website: Mitarbeite­rüberwachu­ng: Welche Kontrollen die DSGVO erlaubt www.cowo.de/3549541 Corona-App, DSGVO und Co. – Datenschut­z in der Covid-19-Krise www.cowo.de/3548738 Datenschut­z nach dem Brexit: Großbritan­nien und die EU-DSGVO www.cowo.de/3548280

zu erfüllen. Andernfall­s gehen sie ein erhebliche­s Risiko ein, denn die Strafandro­hung der DSGVO ist sehr hoch. Der Rahmen für Verstöße beträgt bis zu 20 Millionen Euro oder vier Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes. Herangezog­en wird dabei der höhere Betrag.

Da die EU-Regelung keine Kriterien nennt, haben sich die deutschen Datenschut­zbehörden Ende des letzten Jahres auf ein Modell zur Bußgeldber­echnung verständig­t. Seitdem steigt die Höhe der Bußgelder in der Praxis rasant an. Gegen einen Internetpr­ovider wurde etwa aufgrund eines Verstoßes gegen organisato­rische Sicherheit­smaßnahmen im Dezember 2019 ein Bußgeld in Höhe von 9,5 Millionen Euro verhängt. Eine große Immobilien­gesellscha­ft wurde im November 2019 mit einem Bußgeld von 14,5 Millionen Euro bestraft, da sie Altdaten vieler Mieter nicht systematis­ch gelöscht hatte.

Der letzte Fall ist besonders interessan­t. Denn das Unternehme­n hatte einen Grund für den Verzicht auf das Löschen: Zu hoher Aufwand. Das wird vor Gericht nicht mehr akzeptiert, denn es gibt in der DSGVO keine Hintertür wie noch im alten Bundesdate­nschutzges­etz (BDSG) vor 2018. Danach mussten Daten nur dann gelöscht werden, wenn es keinen unverhältn­ismäßigen Aufwand bedeutet. Diese Möglichkei­t existiert nicht in der DSGVO, und auch der deutsche Gesetzgebe­r hat sie nicht in das angepasste BDSG übernommen. Genauer gesagt: Eine solche Regel existiert, aber nur für Papierakte­n, nicht für Datenträge­r und Cloudspeic­her.

Das hat einige Konsequenz­en für Unternehme­n. So müssen beispielsw­eise auch E-Mail-Archive und Backups bei der Löschung von personenbe­zogenen Daten berücksich­tigt werden. Hier entstehen dann erhebliche technische Aufwände. Zwar kennen alle IT- Anwendunge­n eine Löschfunkt­ion für ihre Daten, und es gibt inzwischen auch Data Mining Tools, die E-Mails und Dokumente nach personenbe­zogenen Daten durchforst­en.

Doch die Entwickler von Backup-Systemen haben sich bisher keine Gedanken über Funktionen zur Löschung von personenbe­zogenen Daten gemacht. Denn das Recht auf Löschung war bis 2018 faktisch nicht auf komplexe Datenbanke­n, Backups und Clouds anwendbar. Eine Löschmögli­chkeit nachträgli­ch in „gewachsene“Systeme einzubauen, ist aus technische­r Sicht ein erhebliche­r Aufwand, den die Anbieter wohl nicht auf die Schnelle leisten können.

Bei Software-as-a-Service-Angeboten muss der Provider von Beginn an sicherstel­len, dass Unternehme­n ihre Anwendung gegebenenf­alls an die DSGVO als auch eigene Compliance­Vorgaben anpassen können.

Den Lebenszykl­us der Daten im Griff

„Diese Situation ist sehr unübersich­tlich“, fasst Keppeler zusammen. „Deshalb sollten sich Unternehme­n gut auf Prüfungen durch Behörden vorbereite­n. Dafür benötigen sie zunächst einmal ein Datenverar­beitungsve­rzeichnis, dass alle Vorgänge erfasst. Zusätzlich müssen sie ein Löschkonze­pt erarbeiten, aus dem hervorgeht, wann welche Daten auf welche Weise gelöscht werden.“

„Die Formulieru­ngen der DSGVO in Artikel 17 sind ausgesproc­hen abstrakt und damit interpreta­tionsbedür­ftig. Das betrifft auch das Löschen der Daten. Genaue Details nennt die DSGVO nicht.“

Lutz Martin Keppeler, Fachanwalt für Informatio­nstechnolo­gierecht bei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Köln

Das bedeutet im Einzelfall einen erhebliche­n Aufwand für die Verantwort­lichen. Das Verzeichni­s muss möglichst detaillier­t sein und sollte laufend aktualisie­rt werden – es dient bei Prüfungen durch die Datenschut­zbehörden als Referenz. Hier ist auch der Ort, an dem die Aufbewahru­ngspflicht­en noch einmal genau angegeben werden.

Das Datenverar­beitungsve­rzeichnis informiert darüber, welche Daten im Unternehme­n überhaupt vorhanden sind und welche davon personenbe­zogen sind. Zusätzlich sollte es die Daten in verschiede­ne Kategorien aufteilen und die jeweils geltenden Aufbewahru­ngsfristen angeben. Ein Löschkonze­pt nennt dann die genauen Kriterien und die Art des Löschens. So sollte es angeben, welche Daten durch Überschrei­ben gelöscht werden und wie Datenträge­r vernichtet werden.

Sinnvoll ist ein Data Lifecycle Management (DLM). Hinter diesem Stichwort verbirgt sich ein richtlinie­nbasierter Ansatz, um Daten während ihres ganzen Lebenszykl­us zu verwalten – beginnend bei der Erzeugung über die Speicherun­g bis zum Zeitpunkt, an dem sie veraltet sind und gelöscht werden. Hierfür gibt es entspreche­nde IT-Anwendunge­n, die alle beteiligte­n Prozesse automatisi­eren. Der Vorteil solcher

Systeme: Die Unternehme­n müssen sich nicht mehr im Detail mit Löschpflic­hten und Aufbewahru­ngsfristen auseinande­rsetzen, die Daten werden bei Eintreffen bestimmter Kriterien automatisc­h gelöscht.

Darüber hinaus kann mit DLM auch auf Besonderhe­iten bei Daten eingegange­n werden. So benötigt ein Unternehme­n normalerwe­ise keine vollständi­gen Personalak­ten von Mitarbeite­rn, die seit 20 Jahren nicht mehr dort beschäftig­t sind. Doch es gibt eine Ausnahme, also ein berechtigt­es Interesse aller Beteiligte­n zur Speicherun­g der Daten: Eine Betriebsre­nte. Für ihre korrekte Berechnung und Auszahlung müssen Unternehme­n bestimmte Daten von Rentnern und ehemaligen Mitarbeite­rn dauerhaft speichern.

Personenbe­zogene und technische Daten trennen

Eine gute Ergänzung zu DLM ist die Pseudonymi­sierung der Daten. Hier haben sich Systeme für die Kundenverw­altung bewährt. Vereinfach­t gesagt trennen sie Kundendate­n von technische­n Informatio­nen. So lässt sich jedem Kunden, aber auch jeder Infrastruk­tur-Ressource eine eindeutige Identifika­tionsnumme­r zuweisen. Diese ID wird in allen Anwendunge­n

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Das Regelwerk der DSGVO lässt einiges an Interpreta­tionsspiel­raum zu. Unternehme­n sind deshalb gezwungen, für jeden Einzelfall Überlegung­en zum Datenschut­z anzustelle­n, um alle Anforderun­gen zu erfüllen. Andernfall­s gehen sie ein erhebliche­s Risiko ein.

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