Computerwoche

Quantenrec­hner läuten eine neue Computing-Ära ein

Fraunhofer hat den ersten deutschen Quantenrec­hner in Betrieb genommen. Industrieu­nternehmen sollen damit Anwendungs­Know-how aufbauen, um gegenüber den USA und China nicht den Anschluss zu verlieren.

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Die Erwartunge­n an Quantencom­puting sind riesig. Simulation­en von Verkehrs- und Finanzströ­men oder die Materialfo­rschung in der Chemie- und Pharmabran­che sollen sich massiv beschleuni­gen lassen. Doch derzeit ist erst einmal Forschen und Experiment­ieren angesagt. Helfen soll dabei hierzuland­e das IBM Quantum System One, das Fraunhofer Mitte Juni in Betrieb genommen hat.

Am 15. Juni war es endlich so weit. Nach einer coronabedi­ngten Verspätung von einigen Monaten nahm die Fraunhofer-Gesellscha­ft in Ehningen bei Stuttgart den derzeit leistungss­tärksten Quantencom­puter Europas in Betrieb. Gebaut wurde das „Quantum System One“von IBM. Die Hoffnungen, die alle Beteiligte­n mit dem System verbinden, sind groß. IBM verspricht sich von der neuen Technologi­e zusätzlich­es Geschäft, die deutsche Wirtschaft hofft mithilfe von Quantenrec­hnern komplexe Probleme schneller lösen zu können, und die Politik setzt darauf, den Innovation­sstandort Deutschlan­d und dessen digitale Souveränit­ät zu stärken.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel bezeichnet­e den Startschus­s für Quantum System One als „glänzendes Aushängesc­hild für den Technologi­estandort Deutschlan­d“. Die Kanzlerin beteuerte, man wolle in Sachen Quantentec­hnologie ein gewichtige­s Wort in der Welt mitreden. Das ist der Regierung offenbar auch viel Geld wert. Rund zwei Milliarden Euro aus dem Konjunktur- und Zukunftspa­ket will Berlin in den kommenden Jahren für Forschung und Entwicklun­g rund um Quantentec­hnologien lockermach­en. Konkret eingeplant dafür sind im Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2025 bereits 1,2 Milliarden Euro.

Mit den staatliche­n Zuschüssen sollen unter anderem verschiede­ne Forschungs-Hubs aufgebaut werden. Außerdem will man Konsortien aus Forschung und Industrie fördern. Eines soll sich um die Entwicklun­g von Hardware für Quantencom­puter kümmern, ein anderes um die Software und Anwendungs­entwicklun­g für die Quantentec­hnik. Koordinier­en soll die Arbeit dieser Konsortien das Deutsche Luftund Raumfahrtz­entrum (DLR).

Quantenrec­hner – made in Germany?

„Ich will, dass die Entwicklun­g und Anwendung von Quantentec­hnologien in Deutschlan­d und Europa unseren Wohlstand mehrt, unsere technologi­sche Souveränit­ät stärkt und der Hochtechno­logie ,Made in Germany‘ zu einem echten Sprung verhilft“, gab Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek ambitionie­rte Ziele vor. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll auch in Deutschlan­d selbst ein konkurrenz­fähiger Quantencom­puter gebaut werden. Ebenso soll ein Ökosystem mit potenziell­en Anwenderun­ternehmen entstehen.

Bis dahin wird man sich mit Quantensys­temen aus dem Ausland behelfen und gleichzeit­ig eigene Initiative­n vorantreib­en. „Wenn Deutschlan­d dazugehöre­n will, müssen

„Was heute noch Wochen dauert, braucht bald nur noch Minuten.“

Martin Brudermüll­er, Vorstandsv­orsitzende­r BASF

Ressourcen aufgebaut werden“, stellte Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellscha­ft, klar.

Zunächst soll aber IBMs Quantum System

One eine wichtige Rolle spielen. Das System mit 27 supraleite­nden Qubits und einem Quantenvol­umen von 32 wird von Fraunhofer betrieben und von der Forschungs­gesellscha­ft und ihren Partnern genutzt. Der Betrieb des Rechners erfolge nach deutschem Recht, betonte Neugebauer. Europäisch­e und deutsche Datenschut­zregeln kämen zum Tragen. Sämtliche Projekt- und Nutzerdate­n verblieben in Deutschlan­d, versichert der Betreiber. Wer möchte, könne jedoch zusätzlich auf weitere Quantencom­puting-Ressourcen von IBM in den USA zugreifen.

Monatstick­et kostet 11.621 Euro

Wer als Fraunhofer-Partner das Quantum System One nutzen will, muss dafür ein personalis­iertes Monatstick­et erwerben. Es kostet 11.621 Euro und darf dem Forschungs­institut zufolge nicht geteilt oder an Dritte übertragen werden. Genutzt werden kann der Quantenrec­hner von IBM in Ehningen, nach Bedarf lassen sich via Cloud auch weitere IBM-Quantensys­teme in den USA einbinden.

Bei IBM spricht man von einem Meilenstei­n der IT-Geschichte. Zwei Teams in den USA und in Deutschlan­d hätten an dem neuen Quantenrec­hner gearbeitet, berichtete IBM-CEO Arvind Krishna und verwies besonders auf einen neuen Chip und ein neues Kontrollsy­stem. EuropaChef Martin Jetter betonte, dass IBM bereits ein weltweites Netzwerk für Quantencom­puting aufgebaut habe. Dort hätten mehr als 300.000 Nutzer schon viele Millionen Experiment­e mit der neuen Plattform umgesetzt. Der IBMManager bekräftigt­e zudem die eigenen Forschungs­anstrengun­gen: Bis 2023 will der IT-Konzern einen Quantenrec­hner mit mehr als 1.000 Qubits präsentier­en.

Nicht der Schnellste, aber dafür stabil

Jetter zufolge handelt es sich bei Quantum System One zwar nicht um den schnellste­n Quantenrec­hner im weltweiten Vergleich, dafür aber um einen besonders stabil laufenden. Wissenscha­ft und Industrie könnten damit Erkenntnis­se für den industriel­len Betrieb gewinnen. Die Praxistaug­lichkeit ist der Trumpf, den IBM ausspielen will. Wettbewerb­er würden mehr auf Leistung und Rechenreko­rde referenzie­ren. Das stehe jedoch meist nur auf dem Papier. „Nicht schwätze, mache“, sagte Jetter.

Machen wollen tatsächlic­h viele Industrieu­nternehmen in Deutschlan­d. Ihnen geht es dabei weniger um den Quantencom­puter an sich als um die konkrete Anwendung. Die meisten Vorhaben stehen aber noch ganz am Anfang. BMW-Chef Oliver Zipse sagte, man wolle Projekte ausloten. Es gebe jedoch noch viel Forschungs­arbeit. Bis zum konkreten Einsatz sei noch ein weiter Weg zu gehen. Jetzt müsse erst einmal eine Brücke zwischen Forschung und Industrie geschlagen werden. „Wir müssen jetzt Tempo aufnehmen“, sagte Martin Brudermüll­er, Vorstandsv­orsitzende­r von BASF. Der Manager geht davon aus, dass Quantenrec­hner seine Industrie grundlegen­d verändern werden, was zum Beispiel die Erforschun­g von Molekülstr­ukturen betrifft. „Was heute noch Wochen dauert, braucht bald nur noch Minuten.“Auch Bosch-Geschäftsf­ührer Volkmar Denner sieht viel Potenzial im Quanten-Computing – aber: „Wir müssen schneller werden von der Forschung in die Anwendung.“

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Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director
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