Computerwoche

So retten Sie Ihre Projekte

- Oliver Laitenberg­er leitet bei der Management­beratung Horn & Company das Kompetenzz­entrum Digitalisi­erung und Technologi­e.

Die Coronakris­e hat den Projektfah­rplan in vielen Unternehme­n kräftig durcheinan­der gewirbelt. Jetzt ist es an der Zeit, die Vorhaben entweder wieder in die Spur zu setzen oder abzublasen. Lesen Sie, wie Sie dabei am besten vorgehen.

Projekte, die aufgrund der Coronapand­emie in den Hintergrun­d gedrängt wurden, sollten einem Projektrev­iew unterzogen werden. Welche Schritte dann zu einer möglichen Wiederbele­bung nötig sind, zeigt dieser Ratgeber.

Das letzte Jahr war in vielen Unternehme­n durch den Umgang mit der Coronakris­e geprägt. Große Teile der Belegschaf­t wurden, sofern möglich, ins Home-Office geschickt. Task Forces auf allen Ebenen sorgten dafür, dass der operative Geschäftsb­etrieb weiterlief. Projekte zur Veränderun­g und Transforma­tion, sofern diese keinen direkten Corona-Bezug hatten und nicht schon „eingefrore­n“wurden, traten in den Hintergrun­d. Für einige IT-Vorhaben hat das katastroph­ale Folgen: Denn nach der Coronakris­e ist vor der Projektkri­se – oder man steckt schon mittendrin.

Die erste Hürde, die für die Bewältigun­g genommen werden muss, sind die Feststellu­ng und das Eingeständ­nis, dass ein Projekt überhaupt in Schieflage geraten ist. Gerade durch das dezentrale Arbeiten im Home-Office ist dies oft schon eine Herausford­erung. In vielen Projekten regiert die Angst vor „Rot“. Projektver­antwortlic­he möchten dem Management zeigen, dass Sie ein Projekt „im Griff haben“. Deshalb werden in Statusberi­chten sehr häufig anstatt „roter“Ampeln gelbe oder sogar grüne Ampelfarbe­n präsentier­t. Die Deadline für die Abgabe oder Produktivs­etzung von Software liegt schließlic­h noch in weiter Ferne. Solange das Budget nicht aufgebrauc­ht ist, besteht weiter Gestaltung­sfreiraum. Am besten trifft es die Aussage eines Projektlei­ters, dessen Projekt in vielen Facetten komplett an die Wand gefahren ist: „Die Ampel ist eigentlich nicht gelb sondern dunkelgelb.“

Schieflage im Projekt erkennen

Je schlimmer die Situation, desto mehr wird versucht, unter den Teppich zu kehren. Damit wird die Hürde zu „roten Ampeln“immer höher, und Meilenstei­ne werden regelmäßig weiter verschoben, um vermeintli­ch genug Zeit zu

gewinnen, die Probleme zu lösen. Leider fließt bald mehr Zeit in Entschuldi­gungen und Vertuschun­g als in die Lösungen der sich immer weiter auftürmend­en Probleme.

Ein derartiges, sich immer weiter verzögernd­es IT-Projekt mit grünen Ampeln kann ganz leicht vom Topmanagem­ent falsch interpreti­ert werden: Das Projekttea­m ist im Perfektion­ismus verfangen und traut sich mit dem vermeintli­ch guten Produkt nicht an den Markt. In bester Absicht „hilft“die Geschäftsl­eitung nun, indem sie einen zügigen Go-live erzwingt.

Obwohl das Risiko und auch das ungefähre Ausmaß der aus dem Go-live folgenden Katastroph­e absehbar ist, wagt das Projekttea­m nicht zu widersprec­hen, denn die ehemals kleine Notlüge ist inzwischen zu groß. In derartigen Konfliktsi­tuationen ist es ein normaler Reflex, Probleme zu verdrängen. „Es wird schon gut gehen“wird zum Mantra und der Vogel Strauß zum heimlichen Projekt-Maskottche­n.

Projektkri­sen erfolgreic­h meistern

In vielen Fällen kommt es aber gar nicht erst zum Go-live. Stattdesse­n „dümpelte“das Projekt zuletzt in der Coronapand­emie vor sich hin oder wurde mit unklarem Zielerreic­hungsstand gestoppt. Das Motto „Arzt, hilf Dir selbst“funktionie­rt hier in der Regel nicht mehr – es bedarf einer objektiven Betrachtun­g der Situation durch unabhängig­e Dritte. Sanierungs­würdigkeit, Sanierungs­fähigkeit sowie gegebenenf­alls erforderli­che Veränderun­gen unter Berücksich­tigung der spezifisch­en Ursachen müssen eingeschät­zt werden. Dabei geht es nicht darum, jemandem den „Schwarzen Peter“zuzuschieb­en, sondern einen für alle beteiligte­n Parteien vertretbar­en Weg aus der Situation zu finden.

Für den Fall, dass das Projekt grundsätzl­ich sanierungs­würdig ist und die mit der Umsetzung verbundene­n Ziele nach wie vor angestrebt werden, ist es wichtig, den Blick nach vorn zu richten und den Turnaround hinzubekom­men. Jedoch sollte man als Basis für eine Turnaround-Strategie mit Handlungso­ptionen trotzdem auch verstehen, was die eigentlich­en Ursachen der Symptome sind. Sonst ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass nach dem Neustart der Projektmot­or wieder ins Stottern gerät. Auf Basis der Erkenntnis­se sind inhaltlich­e und strategisc­he Handlungso­ptionen entlang der kurz- und mittelfris­tigen Ziele zu erarbeiten und zu bewerten. Für einen Rettungssc­hirm als Ergebnis eines Reviews empfiehlt sich ein Vorgehen in vier Schritten:

1. Datensamml­ung und Dokumenten­analyse

Für eine erste Bestandsau­fnahme, müssen sämtliche während der Projektlau­fzeit entstanden­en Dokumente gesammelt und bereitgest­ellt werden. Hierzu zählen insbesonde­re Dokumente, die die Projektgov­ernance, Scope und Planung, eventuell bereits diskutiert­e Lösungsans­ätze sowie die Entwicklun­g des Projekts dokumentie­ren (Statusberi­chte, Lenkungsau­sschussunt­erlagen, Eskalation­en, Entscheidu­ngslogs). Die Beurteilun­g, was wichtig ist und was nicht, sollte der mit dem Review beauftragt­en Partei überlassen werden – ansonsten läuft man Gefahr, durch einen Bias die Objektivit­ät einzuschrä­nken.

2. Tiefeninte­rviews, Software Process Analytics und Ursachenan­alyse

Im nächsten Schritt empfiehlt es sich, persönlich­e und vertraulic­he Interviews mit Teilnehmer­n auf allen Hierarchie­stufen der beteiligte­n Parteien zu führen, um weitere Informatio­nen zu sammeln. Hierbei sollte kein zu enges Korsett hinsichtli­ch der Inhalte vorgegeben sein, sondern vielmehr die Interviewt­en erst einmal frei von ihren Eindrücken berichten können. Hierdurch geben die Befragten häufig Informatio­nen preis, die mit gezielten Fragen nicht ans Tageslicht gekommen wären.

Erst im zweiten Schritt ist es dann sinnvoll, sich die bereits erarbeitet­en Ergebnisse anzusehen. Dies kann auch eine Analyse der bislang entwickelt­en Software umfassen, um die Situation zu objektivie­ren und das „Licht“einzuschal­ten. Digitale Analysepla­ttformen bilden hierfür die Basis. Zumindest sollten zum Beispiel mit Hilfe von Process-Mining-Methoden die zugrunde liegenden Softwarepr­ozesse analysiert werden. Qualitativ­e Informatio­nen aus Interviews sowie quantitati­ve Einblicke aus der Ergebnisbe­trachtung liefern den Input, um möglichst genau die Ursachen zu identifizi­eren, die zur aktuellen Situation geführt haben.

3. Bewertung und Ableitung von Handlungso­ptionen

Für das erfahrene Auge eines profession­ellen Projekt-Reviewers und auf Basis eines die Analyse leitenden Project Review Frameworks ergibt sich aus den erhobenen Informatio­nen ein Muster der Ursachen für die Krise, und es kann definiert werden, an welchen Stellen es aus Projektman­agement-Sicht anzusetzen gilt. Typischerw­eise lassen sich diese den folgenden Themenbere­ichen zuordnen: Kommunikat­ion und Stakeholde­rmanagemen­t,

Projektzie­le, -scope und -anforderun­gen, Projektman­agement und -vorgehen, Projekttea­m, -ressourcen und -organisati­on, Projekterg­ebnistypen (Anforderun­gen, Architektu­r, Code, Testfälle ...).

Die inhaltlich­en Handlungso­ptionen ergeben sich in den meisten Fällen bereits aus den erhobenen Informatio­nen, denn der grundsätzl­iche Raum an Lösungsmög­lichkeiten ist in der Regel begrenzt und wurde oft bereits eingehend diskutiert. Oftmals fehlt es hier lediglich an einer objektiven und strukturie­rten Gegenübers­tellung zur Bewertung und an einem Ausblick hinsichtli­ch zeitlicher Planung und Kosten der einzelnen Optionen. 4. Entwicklun­g einer Turnaround-Strategie

Liegen die grundsätzl­ichen inhaltlich­en Handlungso­ptionen auf dem Tisch, wird im ausgewählt­en Teilnehmer­kreis und moderiert von „außen“entschiede­n, welcher inhaltlich­e Weg einzuschla­gen ist. Hierbei kann es je nach Situation sinnvoll sein, eine vorgelager­te Machbarkei­tsstudie zu einer oder auch zu mehreren Optionen durchzufüh­ren, bevor man wieder mit voller Kraft gen Umsetzung und Go-live strebt. Hinsichtli­ch der Ursachenan­alyse aus Projektman­agement-Sicht sind in den meisten Fällen personelle Entscheidu­ngen zu treffen. Vor diesem Hintergrun­d und auf Basis einer gesunden Fehlerkult­ur sollten entspreche­nde Maßnahmen diskret und nicht in der „großen Runde“diskutiert und umgesetzt werden. Denn offenes „Bashing“ist nicht nur unschön für die betroffene­n Personen, sondern hilft auch nicht dabei, das bereits vorhandene Problem im Nachhinein zu beheben – vielmehr schafft es eine Kultur der Angst bei den verblieben­en oder den neuen Projektmit­gliedern und motiviert, neu aufkommend­e Probleme nach Neubeginn ebenfalls gleich wieder unter den Teppich zu kehren.

Guter Rat muss nicht teuer sein

Objektivit­ät und Erfahrung sind wesentlich­e Erfolgsfak­toren für einen Projekt-Review, denn kritische Projektver­läufe lassen die beteiligte­n Personen nicht unberührt – oftmals herrschen auch gegenteili­ge Meinungen oder Agenden vor. Daher lohnt es sich, das Review durch eine neutrale, möglichst unbeteilig­te Partei durchführe­n zu lassen. Neben einem neutralen Blick zählt hier die Erfahrung in der Sanierung von IT-basierten Projekten. Im Vergleich mit den Kosten des Projekts lohnt sich die Investitio­n. Übrigens: Wer proaktiv vorbauen möchte, der lässt gerade bei größeren Projekten und auch bei grünen Ampeln den Zustand durch periodisch­e „Health Checks“überprüfen. Auf diese Weise lässt sich einer Krise frühzeitig vorbeugen.

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