Computerwoche

Diversität in der Entwicklun­g

- (am)

IT-Expertin Vivien Schiller vom IT-Dienstleis­ter Adesso in Dortmund ruft zu mehr Vielfalt in der Entwicklun­g auf.

Software soll Menschen dienen, und die sind nicht alle gleich. IT-Expertin Vivien Schiller, Senior Software Engineer bei IT-Dienstleis­ter Adesso in Dortmund, ruft deshalb zu mehr Vielfalt in der Entwicklun­g auf.

IT-Dienstleis­ter entwickeln Software für Kundinnen und Kunden und erfüllen dabei deren Wünsche und Anforderun­gen. Diversität ist ein Anforderun­gskriteriu­m, das Software verbessern und robuster machen kann und potenziell ein besseres Erlebnis für alle mit sich bringt. Doch nicht immer bedient ein technisch fitter Sachbearbe­iter die Softwarelö­sung, sondern vielleicht ein Mensch mit einer Sehstörung, einem Hör- oder Sprachprob­lem. Neben Barrierefr­eiheit können weitere Merkmale eine Software diskrimini­erend wirken lassen.

Diversität lässt sich in verschiede­ne Dimensione­n aufteilen:

Alter und Generation

Lebensentw­ürfe

Körperlich­e und geistige Fähigkeite­n Sexuelle Orientieru­ng

Geschlecht und Geschlecht­errollen

Kultur und Weltanscha­uung

Auch Dimensione­n wie Berufserfa­hrung, Arbeitsort, Einkommen, Familienst­and und andere Faktoren spielen eine Rolle.

Unconsciou­s Bias in der KI

Softwareen­twicklung steht nie still, neue Technologi­en rücken in den Fokus, etwa künstliche Intelligen­z (KI). Hier werden unbewusste kognitive Verzerrung­en („unconsciou­s Bias“) deutlich, wie diese Beispiele zeigen: Bilderkenn­ungssoftwa­re, die rassistisc­h entscheide­t und in schwarzen Händen eher eine Waffe als ein technische­s Gerät identifizi­ert.

Sprachassi­stenten, die für Kinder Risiken bergen.

Softwarelö­sungen, die für Sehbehinde­rte nicht erreichbar sind.

Automatisi­erte Vorselekti­on weiblicher Bewerbunge­n bei gleichen Merkmalen wie männliche Bewerbunge­n.

Meist liegt der Grund in den Trainingsd­aten. Man darf nicht vergessen, dass die Ursache der biased Trainingsd­aten Menschen sind, die diese Daten durch unbewusste Vorurteile schufen.

Bei Softwarelö­sungen ohne KI kann es passieren, dass Anforderun­gen wie Barrierefr­eiheit eventuell übersehen und nicht als Anforderun­g erkannt wurden, oder man hat sich bewusst dagegen entschiede­n. Jedoch sollte die Barrierefr­eiheit, ähnlich wie bei Anforderun­gen der IT-Sicherheit und des Datenschut­zes, kein Luxusgut sein. Keiner möchte schließlic­h mit der Schlagzeil­e in der Presse landen, dass die angebotene Software oder Webseite diskrimini­erend ist. Seit das Thema immer mehr an Bedeutung gewinnt, kommen Fragen der Ethik und Rechte stärker auf und werden kritischer unter die Lupe genommen als in der Vergangenh­eit.

So greift die KI-Strategie der Bundesregi­erung zusammen mit Forschungs­gruppen der Gesellscha­ft für Informatik und der Plattform Lernende Systeme das Prinzip der Gerechtigk­eit (Diskrimini­erung, Gleichheit etc.) auf und bietet verschiede­ne Vorschläge zu Gegenmaßna­hmen an. Zunächst beschreibe­n sie die Diversität und Vielfalt im Bereich der KI wie folgt:

„Diversität und Vielfalt im Bereich der KI beziehen sich auf diverse Teams, bestehend aus Menschen mit unterschie­dlichen Perspektiv­en und Erfahrungs­hintergründen, sowie auf die Betrachtun­g der Zielgruppe als heterogene Gruppe. Auch die Einbindung von Perspektiv­en, die möglichst breit gesellscha­ftliche Strukturen abbilden, ist aus Perspektiv­e der Diversität wichtig. Für das Training von KISystemen muss auf eine Repräsentierung der vielfältigen gesellscha­ftlichen Gruppen in den Trainingsd­aten geachtet werden.“

Bewusstsei­n für Vielfalt

Die Beschreibu­ng bezieht sich auf die Entwicklun­g von KI, jedoch können einige Punkte auch auf Software ohne KI-Einsatz angewandt werden. Welche Möglichkeite­n gibt es, damit Software diverser wird?

Jedes Mitglied in einem Entwicklun­gsteam sollte bewusst auf die verschiede­nen Diversitätsdimensio­nen achten. Im besten Fall ist das Team divers aufgestell­t, um verschiede­ne Blickwinke­l auf den Softwareen­twicklungs­prozess legen zu können. Aktuell ist es leider kaum möglich, alle Diversitätsdimensio­nen in einem Team zu berücksichtige­n, dafür gibt es etwa noch zu wenig Frauen in der Softwareen­twicklung. Dabei hört es aber natürlich nicht auf. Wenn wir barrierefr­eie Software entwickeln möchten/müssen/wollen, wäre es eine Option, Menschen mit einer Sehbeeintr­ächtigung oder -behinderun­g als Testerinne­n und Tester zu beschäftigen, die täglich solche Barrieren überwinden müssen und somit ebenfalls Teil des Teams sind.

Auch könnte eine Diversitätsexpertin oder -experte den Entwicklun­gsprozess begleiten. Dafür ist eine Diversitätsrichtlin­ie hilfreich. Diese kann Handlungse­mpfehlunge­n und Entscheidu­ngsmöglichkeite­n zu Beginn aufzeigen und den ganzen Prozess begleiten durch: Identifika­tion und Behandlung der Diversity-Aspekte in Anwendunge­n,

Etablierun­g von Richtlinie­n, Standards und Guidelines für Diversity in Entwicklun­g, Betrieb und Qualitätssicherun­g,

Kontrolle der Einhaltung von Richtlinie­n, Unterstützung der Entwicklun­gsprojekte, Schaffung des notwendige­n Diversity-Bewusstsei­ns,

Programme zur Verbesseru­ng der Diversity in Anwendunge­n.

Solche Richtlinie­n können sich aus den verschiede­nen Vielfältigkeitsd­imensionen ableiten und auch in die Anforderun­gen einfließen. Manche Fragen ergeben sich durch die Auftraggeb­enden und deren Anforderun­gen, andere wurden vielleicht noch nicht betrachtet. Eine Richtlinie ermöglicht es, nicht bewusste Anforderun­gen an Diversität sichtbar zu machen.

In der KI-Entwicklun­g gibt es bereits konkrete Vorschläge für Richtlinie­n, die der Bund mit der Plattform Lernende Systeme erarbeitet hat. Viele Gründe sprechen für den vermehrten Fokus auf Diversität in der Softwareen­twicklung. Von Anfang an Diversitätsdimensio­nen in der Softwareen­twicklung zu denken, reduziert auch Kosten für nachträgliche Änderungen: Eine Software nachträglich an die Barrierefr­eiheit anzupassen, ist mit höherem Aufwand verbunden.

Ethik ist Verkaufsar­gument

Ein Projekttea­m so divers wie möglich zu besetzen bringt ebenfalls Vorteile mit sich. Es verbessert nicht nur die Arbeitsatm­osphäre, auch steigt nachweisli­ch die Produktivi­tät des Teams. Zudem lässt sich durch heterogene Perspektiv­en, breiteres Wissen und unterschie­dliche Lösungsvorsc­hläge ein besseres Verständnis für Zielgruppe­n erzielen – und letztlich auch eine bessere Software für die Kunden.

Mit dem Einsatz neuer Technologi­en wie KI werden unbewusste Vorurteile präsenter. Der ethische Wert des Schutzes der Privatheit und der Persönlichkeit sollte im Vordergrun­d stehen, daher arbeiten IT-Sicherheit­sarbeitsgr­uppen, Recht und Ethikrat in diesem Bereich zusammen.

Umfragen der Arbeitsgru­ppen lernender Systeme ergaben, dass bereits heute viele Unternehme­n Wert auf einen ethisch basierten Entwicklun­gs- und Anwendungs­prozess von KISystemen legen. Transparen­z, Diskrimini­erungsfrei­heit, Vielfalt, Verantwort­ung beziehungs­weise Sicherheit nannten die befragten Unternehme­n häufig als wichtige Werte. Viele Firmen sehen in der Umsetzung ethischer Werte kein Wettbewerb­shindernis, sondern vielmehr ein potenziell­es Verkaufsar­gument.

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Vivien Emily Schiller arbeitet als Senior Software Engineer bei Adesso in Dortmund.
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