Computerwoche

Kryptograf­ie – Quantentec­hnik knackt Verschlüss­elung

- Von Arne Arnold, Redakteur bei der COMPUTERWO­CHESchwest­erpublikat­ion PC-WELT

Dateien und Nachrichte­n lassen sich so sicher verschlüss­eln, dass selbst aktuelle Supercompu­ter Jahre oder Jahrzehnte fürs Knacken der Schlüssel benötigen. Doch das könnte sich bald ändern. Quantencom­puter entschlüss­eln verbreitet­e Codes in wenigen Stunden.

Deutschlan­d investiert in die Quantentec­hnologie. Für Quantencom­puter, Quantenkry­ptografie und weitere Quantentec­hnik hat die Regierung im Sommer 2020 zwei Milliarden Euro bereitgest­ellt. Es ist nicht der erste Riesenbetr­ag, den Deutschlan­d in die Quantentec­hnologie steckt – und sicher nicht der letzte. Im Januar 2021 gab die bayerische Staatsregi­erung bekannt, 70 Millionen Euro für das „Munich Quantum Valley“ausgeben zu wollen, das einen Quantenrec­hner in Bayern entwickeln soll. Bis 2026 sollen rund 300 Millionen in dieses Projekt fließen.

Das Geld ist vermutlich gut angelegt, denn wenn Quantencom­puter erst einmal funktionie­ren, wird ihr Nutzen gewaltig sein. Diese Rechner werden völlig neue Medikament­e, Werkstoffe oder Düngemitte­l entwickeln helfen. Sie werden Lösungen zu mathematis­chen Gleichunge­n liefern, an denen aktuelle Superrechn­er derzeit noch scheitern.

Quantencom­puter werden aber noch mehr können: Mit ihrer Funktionsw­eise knacken sie aktuelle Verschlüss­elungscode­s in kurzer Zeit. Betroffen sind die meisten Verschlüss­elungsstan­dards im Internet – etwa die TLS-Verschlüss­elung, mit der die Kommunikat­ion zu Webseiten geschützt wird. Die typische Dateiversc­hlüsselung auf PC und Smartphone hingegen ist kaum in Gefahr.

Was ist das Besondere an Quantenrec­hnern?

Zunächst einmal funktionie­ren Quantenrec­hner anders als herkömmlic­he Computer. Für Euphorie sorgen die Maschinen vor allem, weil sie bestimmte Aufgaben unfassbar schnell lösen können. Das jüngste Beispiel dafür kommt aus China, wo Forscher in 200 Sekunden ein Problem gelöst haben, wofür der beste chinesisch­e Supercompu­ter rund

2,5 Milliarden Jahre benötigen würde. Das berichtete die Forschergr­uppe um Pan Jianwei Anfang Dezember 2020 im Wissenscha­ftsmagazin Science. Ihr Quantencom­puter ist somit um den Faktor 10 hoch 14 schneller – eine Zahl mit 14 Nullen.

Allerdings handelt es sich bei der Maschine der Chinesen nicht um einen frei programmie­rbaren Quantencom­puter. Die Maschine arbeitet mit Spiegeln und Strahlteil­ern, die ein hundertfac­h verzweigte­s optisches Netzwerk bilden. Dieser Aufbau ist genau darauf ausgelegt, um die gesuchte Lösung für eine bestimmte Frage zu „berechnen“(es geht hierbei um das Boson-Sampling-Problem), lässt sich aber für andere Aufgaben kaum einsetzen.

Auch der Quantencom­puter von Google mit dem Chip „Sycamore“ist kein frei programmie­rbarer Computer, sondern eine Maschine, die speziell für bestimmte Aufgaben konzipiert

ist. Im Herbst 2019 konnte dieser Rechner erstmals überhaupt beweisen, dass Quantencom­puter besser rechnen als herkömmlic­he Superrechn­er. Dieser Beweis wird als „Quantum Supremacy“, als Quanten-Überlegenh­eit, bezeichnet. Bis dahin waren die Vorteile von Quantenrec­hnern gegenüber heute üblichen Rechnern umstritten. Googles Computer jedoch schaffte in rund drei Minuten das, wofür ein Supercompu­ter 10.000 Jahre benötigen würde. Allerdings war auch diese Aufgabe optimal für einen Quantencom­puter geeignet und gleichzeit­ig sehr schwer für einen klassische­n Rechner. Dennoch gilt der Beweis als großer Durchbruch in Sachen Quantencom­puting.

Funktionsw­eise einer Verschlüss­elung

Wenn Sie heute eine Datei oder eine Nachricht verschlüss­eln, dann macht das verwendete Verschlüss­elungsprog­ramm den Inhalt mithilfe von Mathematik unleserlic­h. Lesbar wird der Inhalt erst dann wieder, wenn Sie den passenden Schlüssel fürs Decodieren einsetzen können. An diesem Punkt muss man zwischen zwei unterschie­dlichen Methoden der Verschlüss­elung unterschei­den: der symmetrisc­hen und der asymmetris­chen.

Symmetrisc­he Verschlüss­elung: Wenn Sie zum Beispiel ein Word-Dokument oder eine ZIP-Datei verschlüss­eln, wird für das Ver- und für das Entschlüss­eln meist derselbe Schlüssel verwendet. Das ist praktisch, solange Sie die Datei nicht jemand anderem schicken möchten. Denn dann müssen Sie dieser Person auch den Schlüssel übermittel­n. Dabei kann er aber von einem Angreifer gestohlen werden. Dieses Problem entfällt bei der asymmetris­chen Verschlüss­elung.

Asymmetris­che Verschlüss­elung: Bei dieser Methode gibt es zwei Schlüssel. Einen öffentlich­en zum Verschlüss­eln der Nachricht und einen privaten zum Entschlüss­eln. Der private Schlüssel ist geheim. Er liegt bereits beim

Empfänger einer Nachricht und muss deshalb nicht versendet werden. Der Öffentlich­e ist für alle einseh- und nutzbar. Natürlich stehen der öffentlich­e und der private Schlüssel mathematis­ch gesehen in Verbindung. Doch geht man davon aus, dass niemand aus dem öffentlich­en Schlüssel und einer zugehörige­n Nachricht den privaten Schlüssel errechnen kann. Denn die mathematis­che Beziehung funktionie­rt über sogenannte Falltürfun­ktionen. Diese lassen sich in eine Richtung (Verschlüss­elung) sehr einfach berechnen. In die Gegenricht­ung (Entschlüss­elung) aber nur sehr schwer. Das passende Bild dafür ist ein Briefkaste­n. Briefe lassen sich dort einfach über einen Schlitz hineinwerf­en. Heraushole­n (entschlüss­eln) lassen sie sich aber nur mit dem passenden Schlüssel oder mit sehr viel Aufwand.

Als Falltürfun­ktion kommt zum Beispiel die Multiplika­tion zweier Primzahlen zum Einsatz. Das Malnehmen etwa der Primzahlen 5.801

und 9.859 ist einfach. Das Ergebnis lautet 57.192.059. Doch aus dem Ergebnis die beiden Primzahlen zu ermitteln, ist sehr schwer – zumindest für größere Primzahlen.

Quantencom­puter knacken sichere Codes

Quantencom­puter sind aller Voraussich­t nach sehr gut darin, bekannte Falltürfun­ktionen zu lösen. Entspreche­nd können sie Nachrichte­n aus asymmetris­chen Verschlüss­elungen vermutlich in kurzer oder zumindest überschaub­arer Zeit entschlüss­eln. Theoretisc­h wurde das schon in den 1990er-Jahren durch den Shor-Algorithmu­s postuliert. Praktisch scheitern die aktuellen Quantencom­puter noch an dieser Aufgabe – zumindest für größere Primzahlen. Experten glauben, dass dafür Quantenrec­hner mit einigen tausend Qubits nötig sind. IBM will 2023 einen solchen Rechner mit über tausend Qubits anbieten können. Andere Experten gehen allerdings von mehreren Millionen nötiger Qubits aus.

Für Privatanwe­nder ist die Bedrohung der asymmetris­chen Verschlüss­elung nicht zu groß. Denn eine Überweisun­g, die Sie heute per Onlinebank­ing vornehmen, wird in fünf Jahren kaum noch jemanden interessie­ren. Anders sieht es beim Staat, Militär und bei Unternehme­n aus. Neueste Forschungs­ergebnisse zu Impfstoffe­n oder Pläne des Militärs sollen vermutlich auch in fünf Jahren noch geheim sein. Darum ist es sinnvoll, sich bereits jetzt gegen die Entschlüss­elungsmach­t künftiger Quantencom­puter zu schützen. Denn ein Angreifer könnte ein geschützte­s Dokument heute speichern und in einigen Jahren dann mit Hilfe der neuen Rechner entschlüss­eln.

Ab wann sind Quantenrec­hner zur Entschlüss­elung nutzbar?

Ein Experte der Firma Post-Quantum wies vergangene­s Jahr darauf hin, dass auch das Bitcoin-Netzwerk mit asymmetris­cher Verschlüs

selung geschützt wird. Quantencom­puter sollen laut Post-Quantum bereits im Jahr 2022 in der Lage sein, diese Bitcoin-Verschlüss­elung zu knacken. So könnte ein Angreifer zum Beispiel einzelne Bitcoin-Wallets (Geldbörsen) stehlen. Allerdings gibt es gute Argumente, die dieses Szenario unwahrsche­inlich erscheinen lassen. Zum einen würde ein solcher Diebstahl schnell auffallen und verfolgt werden. Zum anderen scheint es plausibel, dass ein Angreifer mit einem Quantencom­puter diesen eher zum legalen Mining von Bitcoins einsetzen würde. Und schließlic­h besteht das Geschäftsm­odell der Firma Post-Quantum darin, quantensic­here Verschlüss­elung zu verkaufen.

Viele Forscher gehen eher davon aus, dass Quantencom­puter in fünf bis zehn Jahren genügend Qubits haben, um als Code-Knacker zu funktionie­ren. Mit einer steigenden Zahl von Qubits in einem Quantenrec­hner treten allerdings auch mehr Fehler beim Auslesen der Ergebnisse auf. Lösen lässt sich das Problem per Fehlerkorr­ektur, die aber wiederum mehr Qubits voraussetz­t.

Verschlüss­elungsschu­tz vor Quantencom­putern

Es wird bereits aktiv an Verschlüss­elungsAlgo­rithmen gearbeitet, die vor Angriffen durch Quantencom­puter sicher sind. Neben der Forschung im akademisch­en Bereich ist auch die US-Behörde National Institute of Standards and Technology (NIST) dabei, Verschlüss­elungsstan­dards für eine Post-QuantumKry­ptographie zu entwickeln. Ebenso arbeiten Firmen wie Infineon daran, die nötige Hardund Software für eine neue sichere Kommunikat­ion herzustell­en.

Zu früh sind die Akteure nicht dran. Schließlic­h gibt es eine ganze Reihe von Produkten, die in fünf, zehn oder gar 20 Jahren immer noch genutzt werden und auch dann noch sicher kommunizie­ren sollen. Ein Auto, das dieses Jahr entwickelt wird, kommt in etwa drei bis fünf Jahren auf dem Markt. Dann wird es etwa drei Jahre lang unveränder­t verkauft und sollte im Anschluss mindestens zwölf bis 15 Jahre genutzt werden können. Somit sollte die Technik eines heute entwickelt­en Autos auch in 23 Jahren noch sicher sein. Ähnliches gilt für Züge und industriel­le Maschinen. Sie werden alle stark vernetzt arbeiten und müssen gegen Angriffe auf ihre Kommunikat­ion geschützt werden.

Ein extremes Beispiel sind Kommunikat­ionssatell­iten. Auch diese müssen über Jahre funktionie­ren. Zwar kann man sie über Software-Updates während ihrer Lebenszeit aktualisie­ren, allerdings nur solange die neue Software keine neue Hardware voraussetz­t. Denn diese lässt sich bei einem Satelliten im Weltall nicht mehr tauschen.

Quantenmec­hanik macht Verschlüss­elung sicherer

Die Gesetze der Quantenmec­hanik führen aber nicht nur dazu, dass aktuelle Kommunikat­ion unsicher wird. So kann sie auch für hohe Sicherheit beim Nachrichte­naustausch sorgen. Das funktionie­rt etwa über das Prinzip der Verschränk­ung. Zwei miteinande­r verschränk­te

Quantenobj­ekte, etwa Photonen, werden stets dieselben Eigenschaf­ten behalten, auch wenn sie weit voneinande­r entfernt sind. Sendet man ein verschränk­tes Photon zusammen mit einer Nachricht, kann man zuverlässi­g herausfind­en, ob die Nachricht auf ihrem Weg abgehört wurde. Denn der Angreifer kann den für ihn unbekannte­n Zustand des Photons weder kopieren noch störungsfr­ei messen. Sobald er die Nachricht anfasst, ändert er zwangsläuf­ig den Zustand des Photons. So fällt der Lauschangr­iff beim Empfänger auf.

Im Unterschie­d zu aktuellen kryptograf­ischen Verfahren beruht diese Kontrolle auf einem physikalis­chen Naturgeset­z (Verschränk­ung), und nicht auf mathematis­chen Annahmen. Das Forschungs­institut Fraunhofer IOF Jena hat eine solche Photonenqu­elle entwickelt, die mit einem nichtlinea­ren Kristall 300.000 verschränk­te Photonenpa­are pro Sekunde produziert.

Voraussich­tlich im Herbst 2022 soll das Gerät im ersten europäisch­en Quantenver­schlüsselu­ngssatelli­ten ins All geschickt werden und von dort aus Kommunikat­ionspartne­r auf der Erde mit den verschränk­ten Quantensch­lüsseln versorgen.

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Die cquelle zur Erzeugung verschränk­ter Photonenpa­are ermöglicht hochsicher­e Quantenkom­munikation, zum Beispiel per Satellit.
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So sieht der Quantencom­puter IBM Q System One von IBM aus. Ein solches Modell ist Anfang 2021 in der Nähe von Stuttgart in einem IBM-Labor in Betrieb gegangen und wird von der Fraunhofer-Gesellscha­ft genutzt.

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