Wie die Mensch-Maschine-Interaktion Schlaganfallpatienten helfen kann
Elsa Kirchner verbindet in ihrer Forschung künstliche Intelligenz und Neurowissenschaft. Damit hilft sie Patienten, nach einem Schlaganfall früher ihre Beweglichkeit wiederzuerlangen.
Offen bleiben“taugt als Motto, das Elsa Kirchners wissenschaftliche Laufbahn am besten beschreibt. Für ihre Diplomarbeit maß sie mit Tiefenelektroden, welche Hirnbereiche nach einem epileptischen Anfall geschädigt werden, und verband damit die Neurobiologie mit Kognitionspsychologie. „Ich verharre nicht auf dem Erreichten, sondern schaue in andere Bereiche. Die KI-Forschung empfinde ich auch deshalb als so interessant, weil wir stets den Austausch mit anderen Fächern suchen und interdisziplinär zusammenarbeiten, in meinem Fall ist das die Verbindung zwischen KI und Neurowissenschaften“, so Kirchner, die seit 2008 am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen forscht.
Vor 20 Jahren ging Kirchner als Stipendiatin an das berühmte MIT (Massachusetts Institute of Technology) nach Cambridge. Dort fing sie an Roboter zu bauen und überlegte sich, wie sie die Autonomie der Maschine verbessern kann. Bald merkte Kirchner, wie limitiert Roboter sind und konzentrierte sich darum ab 2007 darauf, die kognitiven Fähigkeiten des Menschen mit denen der Maschine zu verbinden und das autonome System so zu gestalten, dass es aus der Interaktion mit dem Menschen lernt und intuitiv gesteuert werden kann.
Eines ihrer aktuellen Forschungsvorhaben ist in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten angesiedelt. „Frühe Bewegungsübungen können Schlaganfallpatienten helfen, dass das Gehirn den Bewegungsimpuls nicht unterdrückt, sondern gestörte Gehirnareale wieder nutzt und plastisch remoduliert“, so Kirchner. Ziel ist es, „das Gehirn zu rehabilitieren, indem wir den Patienten in der Bewegung unterstützen und so die involvierten Gehirnprozesse positiv bestärken“. Dazu lesen Kirchner und ihr Team über eine EEG-Haube die Gehirndaten aus. So wisse der Roboter sogar, dass sich der Mensch bewegen will, bevor dieser das tut. Umgesetzt wird die Bewegung über ein Exoskelett, dass die Signale der durch die EEGHaube gemessenen Gehirnströme umsetzt.
Der Mensch denkt, der Roboter lenkt
In der Industrie werden die künstlichen Skelette an Arbeitsplätzen eingesetzt, um Menschen bei schwerer Arbeit zu unterstützen. In Form von am Körper tragbaren Robotern oder Maschinen unterstützen sie die Bewegungen des Trägers beziehungsweise verstärken diese, in
dem Gelenke des Exoskeletts durch Servomotoren angetrieben werden. In der Medizin beziehungsweise Rehabilitation hängt es von der Einzelfallentscheidung der Krankenkasse oder Berufsgenossenschaft ab, ob Querschnittsgelähmte mithilfe dieser Exoskelette trainieren dürfen.
„Durch das Exoskelett bekommt der Patient zusätzlich das Gefühl, dass er sich bewegen kann“, erklärt Forscherin Kirchner. Der Roboteranzug ist nur ein unterstützendes Hilfsmittel, einen Physiotherapeuten braucht es nach wie vor. „Der Therapeut bewegt den Arm des Patienten, das Exoskelett merkt sich die Bewegung und hilft mit“, so Kirchner über die Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine.
Der Arm wird schwerelos
In ihrem Forschungsprojekt hat Kirchner auch eine praktikable Lösung gefunden, um das Gewicht des Exoskelett aufzuheben: „Das Exoskelett wiegt bis zu sechs Kilo. Dank des Gravitationskompensationsmodus merkt der Patient das Gewicht am Arm nicht. Ein Algorithmus berechnet die Kraftumleitung in den Rollstuhl.“Man könne sogar das Eigengewicht des Arms herausrechnen und umleiten, sodass die Bewegung noch leichter fällt. „Das ist hochmotivierend für die Patienten und ein Aha-Erlebnis für die Therapeuten, wenn so die Bewegung gelingt und der Therapeut erfährt, welche Bewegungsmöglichkeiten der Patient noch hat“, so ihr Fazit aus den Piloteinsätzen. Eine weitere Möglichkeit, mit Exoskeletten Bewegungen zu trainieren, sei die Master-Slave-Anordnung: Der Patient trägt an beiden Armen ein Exoskelett, der gesunde Arm führt die Übung aus, steuert so den kranken Arm und suggeriert dem Gehirn, dass es funktioniert.
Bis Kirchners Forschungsergebnisse Einzug in den klinischen Alltag finden, ist ein langer Weg zu gehen. Erste Ansätze gibt es in der Charité, wo Surjo Soekadar, Einstein-Professor für klinische Neurotechnologie, für halbseitig gelähmte Schlaganfallpatienten ein neuronal gesteuertes Hand-Exoskelett entwickelte.
Auch in der Industrie ist es laut Kirchner noch schwierig, Anwendungsszenarien für die Mensch-Maschine-Interaktion zu finden: „Kognitiver Arbeitsschutz wird viel zu wenig betrachtet, oft fehlt auch eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben zwischen Mensch und Maschine.“Ein Ansatz für Kirchner ist es deshalb, auch den Menschen besser verstehen zu lernen. Denn: „Roboter lernen durch die Interaktion mit Menschen dazu. Sie lernen durch Belohnung und Bestrafung.“Ein Minuswert im Algorithmus ist eine Bestrafung für den Roboter. Erhält er eine Fehlernachricht direkt abgeleitet aus den EEG-Daten oder aus einem Sprachfeedback, lernt er nach zehn bis 30 Durchgängen dazu.
Kirchner unterscheidet bei Robotern zwei Lernphasen. Zunächst lernt der Algorithmus anhand vieler Daten und Simulationen das EEG des Menschen zu interpretieren. Dann lernt er während der Interaktion mit dem Menschen dazu, in dem Fall durch die Bewegungen des Menschen. „Das ist wichtig, da die Menschen ja ständig ihr Verhalten ändern“, sagt die Forscherin.
KI braucht viel Training
Die Zulassung KI-basierter Assistenzsysteme gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil das KI-System am Tag nach der Zulassung ganz anders agieren kann. „Über allem muss die Frage stehen. Wie kann das KI-System eingebettet werden, damit keiner Schaden nimmt?“, betont Kirchner. KI-Systeme müssten in einen Gesamtkontext integriert werden. Denn: „Im Unterschied zum Menschen schauen sie nicht nach rechts und links, wenn sie nicht darauf trainiert werden.“Ein KI-System, das auf die Klassifizierung von Melanomen spezialisiert ist, kann eine Narbe nicht einordnen. Außer man trainiert vorher die Unterschiede zwischen Narben und Melanomen.
„Wie muss das KIAssistenzsystem eingebettet werden, damit keiner Schaden nimmt?“
Elsa Kirchner forscht am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen zur Mensch-Maschine-Interaktion und leitet am dortigen Robotics Innovation Center das Team „Nachhaltige Interaktion und Lernen“.