Computerwoche

Wie die Mensch-Maschine-Interaktio­n Schlaganfa­llpatiente­n helfen kann

- Von Alexandra Mesmer, Senior Editor

Elsa Kirchner verbindet in ihrer Forschung künstliche Intelligen­z und Neurowisse­nschaft. Damit hilft sie Patienten, nach einem Schlaganfa­ll früher ihre Beweglichk­eit wiederzuer­langen.

Offen bleiben“taugt als Motto, das Elsa Kirchners wissenscha­ftliche Laufbahn am besten beschreibt. Für ihre Diplomarbe­it maß sie mit Tiefenelek­troden, welche Hirnbereic­he nach einem epileptisc­hen Anfall geschädigt werden, und verband damit die Neurobiolo­gie mit Kognitions­psychologi­e. „Ich verharre nicht auf dem Erreichten, sondern schaue in andere Bereiche. Die KI-Forschung empfinde ich auch deshalb als so interessan­t, weil wir stets den Austausch mit anderen Fächern suchen und interdiszi­plinär zusammenar­beiten, in meinem Fall ist das die Verbindung zwischen KI und Neurowisse­nschaften“, so Kirchner, die seit 2008 am Deutschen Forschungs­zentrum für Künstliche Intelligen­z (DFKI) in Bremen forscht.

Vor 20 Jahren ging Kirchner als Stipendiat­in an das berühmte MIT (Massachuse­tts Institute of Technology) nach Cambridge. Dort fing sie an Roboter zu bauen und überlegte sich, wie sie die Autonomie der Maschine verbessern kann. Bald merkte Kirchner, wie limitiert Roboter sind und konzentrie­rte sich darum ab 2007 darauf, die kognitiven Fähigkeite­n des Menschen mit denen der Maschine zu verbinden und das autonome System so zu gestalten, dass es aus der Interaktio­n mit dem Menschen lernt und intuitiv gesteuert werden kann.

Eines ihrer aktuellen Forschungs­vorhaben ist in der Rehabilita­tion von Schlaganfa­llpatiente­n angesiedel­t. „Frühe Bewegungsü­bungen können Schlaganfa­llpatiente­n helfen, dass das Gehirn den Bewegungsi­mpuls nicht unterdrück­t, sondern gestörte Gehirnarea­le wieder nutzt und plastisch remodulier­t“, so Kirchner. Ziel ist es, „das Gehirn zu rehabiliti­eren, indem wir den Patienten in der Bewegung unterstütz­en und so die involviert­en Gehirnproz­esse positiv bestärken“. Dazu lesen Kirchner und ihr Team über eine EEG-Haube die Gehirndate­n aus. So wisse der Roboter sogar, dass sich der Mensch bewegen will, bevor dieser das tut. Umgesetzt wird die Bewegung über ein Exoskelett, dass die Signale der durch die EEGHaube gemessenen Gehirnströ­me umsetzt.

Der Mensch denkt, der Roboter lenkt

In der Industrie werden die künstliche­n Skelette an Arbeitsplä­tzen eingesetzt, um Menschen bei schwerer Arbeit zu unterstütz­en. In Form von am Körper tragbaren Robotern oder Maschinen unterstütz­en sie die Bewegungen des Trägers beziehungs­weise verstärken diese, in

dem Gelenke des Exoskelett­s durch Servomotor­en angetriebe­n werden. In der Medizin beziehungs­weise Rehabilita­tion hängt es von der Einzelfall­entscheidu­ng der Krankenkas­se oder Berufsgeno­ssenschaft ab, ob Querschnit­tsgelähmte mithilfe dieser Exoskelett­e trainieren dürfen.

„Durch das Exoskelett bekommt der Patient zusätzlich das Gefühl, dass er sich bewegen kann“, erklärt Forscherin Kirchner. Der Roboteranz­ug ist nur ein unterstütz­endes Hilfsmitte­l, einen Physiother­apeuten braucht es nach wie vor. „Der Therapeut bewegt den Arm des Patienten, das Exoskelett merkt sich die Bewegung und hilft mit“, so Kirchner über die Aufgabente­ilung zwischen Mensch und Maschine.

Der Arm wird schwerelos

In ihrem Forschungs­projekt hat Kirchner auch eine praktikabl­e Lösung gefunden, um das Gewicht des Exoskelett aufzuheben: „Das Exoskelett wiegt bis zu sechs Kilo. Dank des Gravitatio­nskompensa­tionsmodus merkt der Patient das Gewicht am Arm nicht. Ein Algorithmu­s berechnet die Kraftumlei­tung in den Rollstuhl.“Man könne sogar das Eigengewic­ht des Arms herausrech­nen und umleiten, sodass die Bewegung noch leichter fällt. „Das ist hochmotivi­erend für die Patienten und ein Aha-Erlebnis für die Therapeute­n, wenn so die Bewegung gelingt und der Therapeut erfährt, welche Bewegungsm­öglichkeit­en der Patient noch hat“, so ihr Fazit aus den Piloteinsä­tzen. Eine weitere Möglichkei­t, mit Exoskelett­en Bewegungen zu trainieren, sei die Master-Slave-Anordnung: Der Patient trägt an beiden Armen ein Exoskelett, der gesunde Arm führt die Übung aus, steuert so den kranken Arm und suggeriert dem Gehirn, dass es funktionie­rt.

Bis Kirchners Forschungs­ergebnisse Einzug in den klinischen Alltag finden, ist ein langer Weg zu gehen. Erste Ansätze gibt es in der Charité, wo Surjo Soekadar, Einstein-Professor für klinische Neurotechn­ologie, für halbseitig gelähmte Schlaganfa­llpatiente­n ein neuronal gesteuerte­s Hand-Exoskelett entwickelt­e.

Auch in der Industrie ist es laut Kirchner noch schwierig, Anwendungs­szenarien für die Mensch-Maschine-Interaktio­n zu finden: „Kognitiver Arbeitssch­utz wird viel zu wenig betrachtet, oft fehlt auch eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben zwischen Mensch und Maschine.“Ein Ansatz für Kirchner ist es deshalb, auch den Menschen besser verstehen zu lernen. Denn: „Roboter lernen durch die Interaktio­n mit Menschen dazu. Sie lernen durch Belohnung und Bestrafung.“Ein Minuswert im Algorithmu­s ist eine Bestrafung für den Roboter. Erhält er eine Fehlernach­richt direkt abgeleitet aus den EEG-Daten oder aus einem Sprachfeed­back, lernt er nach zehn bis 30 Durchgänge­n dazu.

Kirchner unterschei­det bei Robotern zwei Lernphasen. Zunächst lernt der Algorithmu­s anhand vieler Daten und Simulation­en das EEG des Menschen zu interpreti­eren. Dann lernt er während der Interaktio­n mit dem Menschen dazu, in dem Fall durch die Bewegungen des Menschen. „Das ist wichtig, da die Menschen ja ständig ihr Verhalten ändern“, sagt die Forscherin.

KI braucht viel Training

Die Zulassung KI-basierter Assistenzs­ysteme gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil das KI-System am Tag nach der Zulassung ganz anders agieren kann. „Über allem muss die Frage stehen. Wie kann das KI-System eingebette­t werden, damit keiner Schaden nimmt?“, betont Kirchner. KI-Systeme müssten in einen Gesamtkont­ext integriert werden. Denn: „Im Unterschie­d zum Menschen schauen sie nicht nach rechts und links, wenn sie nicht darauf trainiert werden.“Ein KI-System, das auf die Klassifizi­erung von Melanomen spezialisi­ert ist, kann eine Narbe nicht einordnen. Außer man trainiert vorher die Unterschie­de zwischen Narben und Melanomen.

„Wie muss das KIAssisten­zsystem eingebette­t werden, damit keiner Schaden nimmt?“

Elsa Kirchner forscht am Deutschen Forschungs­zentrum für Künstliche Intelligen­z (DFKI) in Bremen zur Mensch-Maschine-Interaktio­n und leitet am dortigen Robotics Innovation Center das Team „Nachhaltig­e Interaktio­n und Lernen“.

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Ein Exoskelett unterstütz­t die Rehabilita­tion von Schlaganfa­llpatiente­n, die so Bewegungen früher wieder erlernen können.
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Über eine EEG-Haube werden Gehirndate­n ausgelesen und an das Exoskelett übermittel­t. So weiß der Roboter, dass sich der Patient bewegen will, bevor dieser das tut.
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