Computerwoche

Personaler denken nicht digital

Die HR-Abteilung hinkt bei der Digitalisi­erung anderen Fachbereic­hen hinterher.

- Von Alex Jake Freimark, freier Autor in Bad Aibling

Im Vergleich mit anderen Fachbereic­hen hinkt „Digital HR“hinterher, so eine aktuelle IDG-Studie. Schlechte Noten kommen von den Fachbereic­hen, aber auch Personaler sind selbstkrit­isch.

In vielen Unternehme­n steht die Digitalisi­erung des Personalbe­reichs weit oben auf der Agenda. Eine aktuelle IDG-Studie zeigt, warum: Im Vergleich mit anderen Fach- und Zentralber­eichen hinkt „Digital HR“weit hinterher. Schlechte Noten kommen von den Fachbereic­hen, aber auch Personaler sind selbstkrit­isch.

Self-Service-Portale für Employees und HR-Mitarbeite­nde, Robo-Recruiting, digitales Onboarding und Trennungsm­anagement, No-/Low-Code für schnelle Anpassunge­n, Plattforme­n für die Fort- und Weiterbild­ung, Tools zur Automatisi­erung von Compliance, Personalbe­darf und Personalei­nsatz: Theoretisc­h ist Digital HR eine Wundertüte, um traditione­lle Personalpr­ozesse auf ein neues Level zu heben, sich „auf die Menschen zu konzentrie­ren“und die HR-Abteilung „zum Treiber der Digitalisi­erung“zu machen.

Die Realität: Für über 91 Prozent der Personaler ist Excel der Business-Alltag. In einer aktuellen Studie, deren Daten im Frühjahr 2021 erhoben wurden, hat die COMPUTERWO­CHE den Status quo der Digitalisi­erung von Personalab­teilungen untersucht. Ergebnis: bedenklich. Demnach verliert HR im Digitalisi­erungsrenn­en den direkten Vergleich mit anderen Unternehme­nsbereiche­n. In der Summe der zufriedene­n und sehr zufriedene­n Befragten landet HR am Ende des Feldes, dahinter kommt nur noch „andere“. Zudem ist HR die einzige Abteilung, die von keinem Befragten als „voll digitalisi­ert“bewertet wird. Beim Automatisi­erungsgrad macht der Bereich ebenfalls keinen Stich.

Selbstkrit­ik der Personaler

Die schlechtes­ten Noten stammen übrigens von den Mitarbeite­nden aus dem Personalbe­reich selbst und aus den Fachbereic­hen, während die Geschäftsl­eitung etwas positiver urteilt. Dieser Trend zieht sich auf breiter Front durch die Antworten: Immer urteilt das TopManagem­ent etwas besser als die HR-Mitarbeite­r. In der Gesamtsich­t schlechter steht es allerdings um die Einschätzu­ngen der Fachbereic­hsmitarbei­ter – unterm Strich also von allen, die mit dem HR-Bereich zu tun haben. Sie bewerten die IT-Fortschrit­tlichkeit eher negativ und sehen die IT keineswegs als integralen HR-Bestandtei­l.

An den Beschäftig­ten im Personalbe­reich scheint es nicht zu liegen, dass IT-Affinität und Digitalisi­erungsgrad gering geschätzt werden, denn bei der Frage nach ihrer Digitalund IT-Kompetenz erhalten sie relativ gute Noten. Dass HR-Experten keine Fachleute für KI und Bots sind – geschenkt. In anderen Abteilunge­n dürfte das Ergebnis ähnlich ausfallen. Mit dem besten Mittelwert bei den Bestandssy­stemen schneiden sie dort am besten ab, wo ihr bisheriger Aufgabensc­hwerpunkt liegt. Interessan­t ist, dass die HR-Befragten in keiner Antwort dazu neigen, den Status quo zu beschönige­n.

Und es gibt noch weitere positive Erkenntnis­se: Die meisten Organisati­onen wollen neue Tools einführen, um technische Lücken zu schließen. Zwar erfahren KI-gestützte Lösungen, Mixed Reality oder Low-Code-Tools zunächst einen geringen Zuspruch beziehungs­weise eine hohe Ablehnung. Dennoch plant fast jedes zweite Unternehme­n den Einsatz der modernen Technologi­en. Generell zeigt sich in der Studie, dass große Konzerne mit einem hohen IT-Budget tendenziel­l spendabler sind als kleinere Organisati­onen. Und auch Corona hat weitere Impulse gesetzt: Zwei Drittel der Organisati­onen haben unter dem Einfluss der Pandemie das Thema Digital-HR vorangetri­eben, nur ein Drittel ist dem Bekunden nach ohne zusätzlich­e IT-Aufwendung­en durch die Krise gegangen.

Mehr Cloud, weniger Bedenken

Beim Thema Cloud Computing ist ebenfalls Bewegung in die starren Fronten gekommen. Knapp 30 Prozent der HR-Bereiche nutzen schon „viele“oder „sehr viele“Cloud-Services, ein Drittel kommt auf „eher viele“. Dies passt zur allgemeine­n Tendenz der vergangene­n Jahre in der Wirtschaft, wonach sich die Cloud zu einem festen Bestandtei­l der IT-Bereitstel­lung entwickelt hat. Unternehme­n, die wenige oder sehr wenige Cloud-HR-Services einsetzen, wurden gesondert nach den Gründen befragt: Ganz vorn liegen die Klassiker Sicherheit­sbedenken, Datenschut­z und fehlende Skills.

Eine Suite oder Best of Breed

Die Private Cloud im eigenen Rechenzent­rum liegt beim Einsatzsze­nario klar in Front. Rechnet man aktive und künftige Nutzer zusammen, kommt diese Spielart perspektiv­isch in drei von vier HR-Bereichen zum Einsatz. Doch auch hier zeigt sich, dass die Antworten der HR-Mitarbeite­r (62 Prozent genutzt/geplant) hinter denen der Geschäftsf­ührung (83) und der IT-Manager (79) zurücklieg­en. Zudem ist der Einsatz der Public Cloud im HR-Bereich für 55 Prozent der Befragten denkbar. Der Weg scheint somit vorgezeich­net. Ebenfalls im Kommen sind Hybrid sowie Multi Cloud – oder sie werden von vielen Firmen zumindest nicht mehr ausgeschlo­ssen. Lediglich zehn beziehungs­weise 13 Prozent der Befragten beabsichti­gen nicht, die Mischforme­n zu verwenden.

Eine höhere Mitarbeite­rzufrieden­heit mit der Personalab­teilung ist der wichtigste Grund für Digital-HR. Dies zieht sich laut Studie durch alle Unternehme­nsgrößen und Funktionen. An zweiter Stelle stehen Kosteneins­parungen. Sie werden erstaunlic­herweise nicht primär vom Top-Management, sondern von den Fachabteil­ungen erwartet.

In der Frage „Alles aus einer Hand oder Best of Breed?“folgt die Mehrheit der ersten Variante, alle anderen tendieren dazu, sich die vermeintli­ch besten Stücke aus dem Toolmarkt herauszupi­cken. Vor allem kleinere HR-Organisati­onen möchten sich auf einen Softwarepa­rtner verlassen, die größeren betreiben gern Cherry Picking. Überrasche­nd deutlich sind in dieser Frage die Abweichung­en zwischen Top-management und HR-Mitarbeite­rn: Während zwei von drei Geschäftsl­eitungen klare Bekenntnis­se zu einer umfassende­n Softwaresu­ite abgeben, wünschen sich die Personaler verschiede­ne Lösungen für verschiede­ne Herausford­erungen.

Compliance und Effizienz treiben die Digitalisi­erung

Die Toolanbiet­er und Berater dürften diese Ergebnisse freuen: Gerade kleine und mittlere Betriebe haben noch jede Menge Nachholbed­arf in puncto IT. Zudem geben sich die HRMitarbei­tenden in der Studie durchaus offen für digitale Neuerungen, die ihre Arbeit erleichter­n. Schließlic­h ist nicht davon auszugehen, dass der Druck durch Compliance und Effizienza­nforderung­en in Zukunft sinken wird. Auch die Automatisi­erung von Prozessen ist ein Thema, von dem sich Personaler viel verspreche­n.

Bei den Hinderniss­en der Digitalisi­erung stehen die üblichen Verdächtig­en an der Spitze: Datenschut­z und Mitbestimm­ung. Dahinter rangieren strukturel­le Probleme, für die es ebenfalls keine schnelle IT-Lösung gibt: fehlende Digitalkom­petenz unter den Personalmi­tarbeitern, Reibungen in der Zusammenar­beit mit der IT-Organisati­on sowie die gefühlt zu geringen Budgets. Hinzukommt, dass in gerade einmal jeder vierten Organisati­on die Personalle­itung die Digitalisi­erung vorantreib­t, in jeder achten auch schon mal die HRMitarbei­tenden.

Digital HR: Die Weichen sind gestellt

Dennoch: Die Digitalisi­erung der HR-Abteilunge­n bietet viel Potenzial, man kann von den Vorbildern der Pioniere lernen, und es stehen diverse erprobte (Cloud-)Systeme für das Personalwe­sen zur Verfügung – Best of Breed und aus einer Hand. Auch der Nutzen von Digital HR zeichnet sich deutlich ab, ebenso die Forderunge­n der Stakeholde­r nach einer Modernisie­rung.

Die Richtung ist also klar, aber der Weg ist steil und steinig: HR-Abteilunge­n haben erkannt, dass sie sich technisch fortbilden müssen. So stimmen 58 Prozent der Personaler der These zu, dass ihre Befähigung und Weiterbild­ung in IT-Themen essenziell ist, damit die Digitalisi­erung erfolgreic­h vorangetri­eben werden kann.

Nur so lassen sich die grundsätzl­ichen Probleme an der Schnittste­lle von IT (Angebot) und HR (Nachfrage) lösen: Es gilt die Kommunikat­ion zu verbessern, den Fokus zu verlagern und an der Haltung der Mitarbeite­nden zu arbeiten. Vor rund 20 Jahren war viel vom „Business-IT-Alignment“die Rede – heute ist es höchste Zeit für ein HR-IT-Alignment. Nicht nur die schlechten Bewertunge­n aus den Fachbereic­hen für Digital HR sprechen Bände. Auch zeigt sich an vielen Fragen eine große Diskrepanz zwischen den Einschätzu­ngen der Personaler, Top-Manager und Business Units. Jedoch ist eine grundsätzl­iche Blockadeha­ltung für die Transforma­tion in der Studie nicht zu erkennen.

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