Computerwoche

Landwirtsc­haft 4.0

Die Zukunftsko­mmission Landwirtsc­haft fordert radikale Veränderun­gen im deutschen Agrarsekto­r. Digitale Techniken könnten eine Schlüsselr­olle dabei spielen, die Produktivi­tät zu erhalten und gleichzeit­ig die Umwelt zu schonen.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Der Agrarsekto­r muss sich tiefgreife­nd verändern, hat eine Expertenko­mmission festgestel­lt. Digitale Tools können der Schlüssel für mehr Nachhaltig­keit und Umweltschu­tz sein, ohne Produktion­seinbußen hinnehmen zu müssen.

So kann es nicht weitergehe­n. Das Fazit der Zukunftsko­mmission Landwirtsc­haft ist eindeutig. „Eine unveränder­te Fortführun­g des heutigen Agrar- und Ernährungs­systems scheidet aus ökologisch­en und tierethisc­hen wie auch aus ökonomisch­en Gründen aus“, schreiben die Experten in ihrem Abschlussb­ericht „Zukunft Landwirtsc­haft“. Sie heben auf der einen Seite die gerade im Zuge von technologi­schen Fortschrit­ten erzielten Produktion­ssteigerun­gen hervor, womit die Bevölkerun­g immer zuverlässi­ger und günstiger mir Nahrung versorgt werden könne. Kehrseite dieses Fortschrit­tes seien jedoch Formen der Übernutzun­g von Natur und Umwelt, von Tieren und biologisch­en Kreisläufe­n bis hin zur gefährlich­en Beeinträch­tigung des Klimas.

Der allgemeine Fortschrit­t und die Erweiterun­g der technische­n Möglichkei­ten hätten den Strukturwa­ndel der Landwirtsc­haft rasant beschleuni­gt, steht in dem Bericht. Dies habe enorme Produktion­s- und Produktivi­tätssteige­rungen gebracht. Gleichzeit­ig sei ein Kostendruc­k entstanden, unter dem immer mehr Familien für ihre Höfe keine Perspektiv­e sehen. „Diese Entwicklun­gen haben dazu geführt, dass die Landwirtsc­haft immer weniger in der Lage ist, in ökologisch verträglic­hen Stoffkreis­läufen innerhalb der Belastungs­grenzen der natürliche­n Ressourcen zu wirtschaft­en.“

Präziser arbeiten auf dem Acker

Die Expertenko­mmission hat eine Reihe von Vorschläge­n entwickelt, wie die Landwirtsc­haft in Zukunft besser funktionie­ren könnte. Anfang Juli wurde der Abschlussb­ericht Bundeskanz­lerin Merkel offiziell übergeben. Neben

fairen Marktbedin­gungen, einer Reform der politische­n und gesellscha­ftlichen Rahmenbedi­ngungen sowie einer Diversifiz­ierung der betrieblic­hen Geschäftsm­odelle hin zu mehr regionaler und dezentrale­r Produktion spielt demzufolge auch die Digitalisi­erung eine wichtige Rolle für eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft in Deutschlan­d. „Die Digitalisi­erung bringt die Bedürfniss­e von Mensch, Tier, Umwelt und Natur in Einklang“, heißt es in dem Bericht. Dazu zählen aus Sicht der Experten Techniken wie Remote Sensing und Precision Farming zur präzisen Arbeit auf dem Feld, um beispielsw­eise Düngemitte­l gezielter und damit sparsamer einzusetze­n. Das beinhaltet ferner auch eine umfassende Nutzung von Geodaten, um Faktoren wie Hangneigun­g, Bodentyp und Gewässerve­rläufe besser berücksich­tigen zu können. Auch bei der Tierhaltun­g könne Digitalisi­erung helfen, Betreuung und Tierwohl beispielsw­eise mithilfe von Sensoren zu verbessern, hieß es.

Um die Chancen der Digitalisi­erung konsequent zu nutzen und Landwirtsc­haft hierzuland­e technisch zu erneuern, müssten allerdings erst einige Vorarbeite­n geleistet werden. Beispielsw­eise mahnt die Expertenko­mmission einen flächendec­kenden Breitbanda­usbau an. Außerdem müsse der Einsatz neuer Technologi­en durch wirksame Beratung hinsichtli­ch einer energie-, ressourcen- und biodiversi­tätsschone­nden Anwendung flankiert werden. Darüber hinaus müssten neue Technologi­en Bestandtei­l der Ausbildung von Landwirtin­nen und Landwirten werden. Diese müssen bei der Nutzung neuer Technologi­en die Datenhohei­t behalten können. „Sie treffen die Entscheidu­ngen für digitale und analoge Vorgehensw­eisen bei landwirtsc­haftlichen Arbeitspro­zessen“, stellen die Experten klar. Zu guter Letzt brauche es für einen Übergangsz­eitraum eine finanziell­e Unterstütz­ung vor allem kleinerer und mittlerer Betriebe, damit diese überhaupt neue präzise und digital gesteuerte Sensor- und Ausbringte­chnik anschaffen können.

Der Deutsche Bauernverb­and (DBV) fordert, dass dem Bericht nun auch Taten folgen müssten. Man sei bereit, den Weg zu einer nachhaltig­eren Zukunft entschloss­en weiterzuge­hen, beteuerte Werner Schwarz, Vizepräsid­ent des DBV. „Die gemeinsam erreichten Ergebnisse sind zielführen­d und geben unseren Betrieben eine Perspektiv­e.“Alle Teilnehmer der Kommission hätten deutlich gemacht, dass es eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe ist, den Transforma­tionsproze­ss der Landwirtsc­haft zu unterstütz­en und auch zu finanziere­n. „Das ist für unsere Betriebe enorm wichtig. Nur wenn auf den Höfen Geld verdient wird, können wir auch Umweltleis­tungen erbringen.“

Höhere Standards kosten Geld

Auch für Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner von der CDU ist klar, dass höhere Standards mehr Geld kosten – „das habe ich immer betont“. Die Kommission beziffert den finanziell­en Mehrbedarf für den Transforma­tionsproze­ss auf sieben bis elf Milliarden Euro pro Jahr. „Diese Kosten können nicht allein von den Betrieben getragen werden“, sagt Klöckner. Vielmehr müssten Unternehme­n und Gesellscha­ft gemeinsam in die Zukunft der deutschen Landwirtsc­haft investiere­n.

Der IT-Lobbyverba­nd Bitkom betont, dass sich durch zügigen Einsatz digitaler Techniken in der Landwirtsc­haft bis 2030 rund sieben Millionen Tonnen CO2 einsparen ließen. „Die Kommission hat dabei auch die wesentlich­e Rolle der Digitalisi­erung unterstric­hen“, sagte Susanne Dehmel, Geschäftsl­eiterin des Bitkom. Fast drei Viertel aller landwirtsc­haftlichen Betriebe in Deutschlan­d würden in der Digitalisi­erung eine Chance sehen, konstatier­te Dehmel unter Berufung auf eine Umfrage aus dem vergangene­n Jahr. „Nun muss sich die Politik schnellste­ns auf diesen Weg machen und die Umsetzung der Maßnahmen vorantreib­en.“

Ob die Transforma­tion so schnell vonstatten geht, wie sich das Politik und IT-Wirtschaft vorstellen, ist jedoch fraglich. „Landwirtsc­haft ist, soziologis­ch betrachtet, grundsätzl­ich ein eher konservati­ver Sektor, indessen Geschichte es bei aller V er änderungs bereitscha­ft immer wieder auch Widerständ­e gegen gesellscha­ftliche oder politische Moderni sie rungs zumutungen gegeben hat “, heißt es indem Abschlussb­ericht der Kommission. Gerade im Zug eder großen gegenwärti­gen Transforma­tion sh eraus forderunge­n, auch rundum die Digitalisi­erung, wären Gegenbeweg­ungen und Beharrungs effekte wenig überrasche­nd.

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