Wie L‘Oréal den E-Commerce ausbaut
Der französische Kosmetikkonzern L’Oréal konnte seine Onlineverkäufe während der Coronapandemie deutlich steigern. Erfolgskritisch war die frühzeitige Modernisierung der IT-Infrastruktur.
Der Kosmetikkonzern hat im Coronajahr seine Online-Verkäufe deutlich gesteigert. Grundlage dafür: Die Modernisierung der IT-Infrastruktur.
L‘Oréal hat das von der Covid-19-Krise beeinträchtigte Geschäftsjahr 2020 mehr als gut gemeistert: Um 62 Prozent konnte der Konzern seinen E-Commerce-Umsatz im Jahresvergleich steigern. Für diesen Erfolg gibt es mehrere Gründe, doch Michael Kingston, CIO für das Amerika-Business des französischen Konsumgüterriesen, schreibt den Erfolg im Wesentlichen der Nutzung von Cloud-Software und Mixed-Reality-Angeboten sowie bestimmten Live-Streaming-Technologien zu, mit denen Produkte besser beworben und verkauft werden konnten.
„Als die Pandemie da war, mussten wir quasi über Nacht damit fertigwerden, dass unsere Kunden die L‘Oréal-Produkte nicht mehr physisch in den Läden und Märkten erleben konnten. Wir mussten all unsere
Services und Assets schnellstmöglich für die Kunden digital verfügbar machen. Für unsere Infrastruktur war das eine enorme Belastung,“sagt der Manager im Gespräch mit CIO.com.
Eine Belastung für alle Unternehmen
L‘Oréal war mit diesem Problem nicht allein, so zeigt eine Umfrage der Management-Beratung McKinsey unter 900 C-Level-Entscheidern weltweit. Demnach haben 65 Prozent der Befragten ihre Ausgaben für Cloud-Dienste, Analytics- und Cybersecurity-Produkte sowie für andere Technologieprodukte massiv aufgestockt. Diejenigen, die bereits vorher angefangen hatten, ihren Technologie-Stack zu modernisieren, waren klar im Vorteil – und L‘Oréal gehörte dazu.
Schon bevor 2017 der heutige CIO Michael Kingston an Bord kam, hatten die Franzosen mit der Modernisierung ihrer IT-Landschaft begonnen. Für den IT-Manager zahlten sich die Investitionen aus, wie er heute feststellt: „Es hat uns in die Karten gespielt, dass wir uns schon seit mehr als zehn Jahren mit der digitalen Transformation beschäftigen.“
Vor allem die bereits abgeschlossene Migration der Bestellsysteme in die Cloud half L‘Oréal, die zu Beginn der Pandemie stark gestiegene Online-Nachfrage zu bewältigen. So konnte der Konzern seine Lieferkette umstellen und seine Kunden nicht mehr nur über große Einzelhandelsketten wie Walmart oder Target, sondern auch direkt beliefern. „Wir bekamen es nun mit kleineren, aber deutlich mehr Bestellungen zu tun“, blickt Kingston zurück. Seit gut einem Jahr befinde sich der E-Commerce-Absatz tagtäglich auf einem Niveau, wie es sonst allenfalls am Cyber Monday erreicht werde.
Produkte digital erlebbar machen
Weil die Pandemie die Menschen davon abhielt, die örtlichen Läden aufzusuchen, musste sich der Kosmetikkonzern auch auf digitale Möglichkeiten verlassen, um seine Produkte erlebbar zu machen. Zum Spektrum der eingesetzten Tools gehörte etwa der Einsatz der Augmented-Reality-Technologie „Modiface“, die das Unternehmen 2018 zugekauft hatte.
Mit Modiface können Kundinnen und Kunden Kosmetik- und andere Beauty-Produkte Software-gestützt „ausprobieren“. Sie brauchen lediglich ein Smartphone und die entsprechende App, um virtuell Lippenstifte, Haarfärbemittel oder andere Produkte in Selfie- oder Videoform an sich selbst zu testen.
Lohnende Partnerschaft mit Snap
Eine weitere Innovation: In den USA hat sich das Beauty-Unternehmen vor gut einem Jahr mit dem Social Network Snap zusammengetan und acht gebrandete Augmented-Reality-Linsen für die Desktop-Plattform Snap Camera herausgebracht. Die Linsen, die mit Logos von L‘Oréal-Marken wie Garnier, Lancôme oder Maybelline verziert waren, konnten Nutzer von Snap Camera für eine Woche in einem BeautyBereich nutzen, um Looks in verschiedenen Kategorien auszuprobieren, darunter Artikel für Haarfärbung, Make-up und Hautpflege.
Ebenso ging L‘Oréal eine Partnerschaft mit der kanadischen Livescale ein, um mit deren Technologie sogenannte Shoppable Livestreams einzuführen. Die Franzosen konnten so beispielsweise Make-up-Tutorials über Influencer und Beauty-Experten anbieten und den Zuschauern die Möglichkeit geben, direkt zu interagieren – also Fragen zu stellen, zu kaufen oder Pflegetipps einzuholen. Solche interaktiven Live-Streams mit Shopping-Möglichkeit erfreuen sich inzwischen auch in der Bekleidungsindustrie größter Beliebtheit.
Darüber hinaus hat der Konzern im letzten Jahr eine Minderheitsbeteiligung am US-Unternehmen Replika Software erworben. Dabei handelt es sich um eine Social-Selling-Plattform, über die große Konzerne wie L‘Oréal ein Netzwerk an Social Sellern aktivieren und für sich nutzen können. Beim Social Commerce geht es darum, Produkte durch Formate wie Live-Shopping oder Live-Streaming ähnlich wie beim Teleshopping zu verkaufen
Estée Lauder setzt auf AR-Plattform
L‘Oréal ist nicht das einzige Beauty-Unternehmen, das den E-Commerce entdeckt hat. Auch der US-Konkurrent Estée Lauder mit seinen mehr als 25 Marken ist hier aktiv. Das Unternehmen hat eine Software-Plattform entwickelt, um AR-Dienste schnell ausrollen zu können. Die Konsumenten sollen ebenfalls Produkte virtuell anprobieren können. Die AR-Plattform Virtual Try On (VTO) hilft ihnen, vor dem Kauf einzuschätzen, wie ihnen Lippenstifte, Mascara, Make-ups, Lidschatten und anderen Produkte stehen würden.
Estée-Lauder-Marken wie Clinique oder
MAC nutzen die Plattform seit Ausbruch der Covid-Pandemie. Käufer und vor allem Käuferinnen verwenden nun immer häufiger ihre Phones oder Tablets, um sich virtuell zu schminken. Die dabei entstehenden Bilder und Videos werden in sozialen Medien wie Instagram, Snapchat oder YouTube geteilt.