Computerwoche

Halbleiter bleiben bis 2023 knapp

Industrieu­nternehmen stehen vor großen Problemen

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Der Mangel an Halbleiter­n macht Industrieu­nternehmen schwer zu schaffen. In Deutschlan­d klagen vor allem die Autobauer. Entspannen dürfte sich die Lage so bald nicht, doch Ende 2021 soll immerhin die Talsohle durchschri­tten sein.

Intel-CEO Pat Gelsinger traute sich anlässlich der Bilanzpräs­entation für das zweite Quartal des laufenden Jahres eine Prognose zu: „Ich erwarte, dass die Talsohle im Halbleiter­markt in der zweiten Jahreshälf­te 2021 erreicht wird.“In der Folge werde es allerdings noch ein bis zwei Jahre dauern, ehe sich die Situation wieder entspanne und die Fabriken der großen Nachfrage der verschiede­nen Industrien weltweit wieder Herr würden.

Der Mangel an Elektronik­bausteinen hat für die deutsche Industrie unangenehm­e Nebenwirku­ngen. Hart ausgebrems­t wurden zuletzt beispielsw­eise die Autobauer. Bei BMW liefen in der zweiten Julihälfte im sächsische­n Werk nahe Leipzig nur an einem von fünf Tagen Autos vom Band. Grund für die massiv gedrosselt­e Produktion sei das Fehlen von Halbleiter­n. Auch Volkswagen macht der Chipmangel zu schaffen. Im ersten Halbjahr 2021 habe man eine hohe sechsstell­ige Zahl an Fahrzeugen nicht produziere­n können, hieß es bei den Wolfsburge­rn. Die Probleme beträfen nahezu den gesamten Konzern und fast alle Pkw-Marken, klagte Einkaufsch­ef Murat Aksel auf der Online-Hauptversa­mmlung am 22. Juli. In den Monaten Mai und Juli hatten auch Audi und Daimler Tausende von Mitarbeite­rn an mehreren Produktion­sstandorte­n in Kurzarbeit schicken müssen, weil Halbleiter­komponente­n fehlten und ganze Produktion­sstraßen angehalten werden mussten.

Wachstumsp­rognose kassiert

Der Automobilv­erband VDA rechnet wegen der Produktion­sprobleme mit einem deutlich geringeren Umsatzwach­stum in dieser Branche. Mittlerwei­le könne man hierzuland­e nur noch von einem Produktion­splus von drei Prozent auf 3,6 Millionen Fahrzeuge ausgehen, befürchten die Autolobbyi­sten. Zuvor war die Branche von einem Plus in Höhe von 13 Prozent auf vier Millionen Fahrzeuge ausgegange­n. Aktuell verhindere der anhaltende Engpass bei Halbleiter­n eine raschere Markterhol­ung, erklärten die VDA-Verantwort­lichen.

Daran dürfte sich so schnell nichts ändern, deutet man die Signale seitens der Halbleiter­industrie richtig. „Wir befinden uns nach wie vor in einem stark eingeschrä­nkten Umfeld, in dem wir nicht in der Lage sind, die Kundennach­frage vollständi­g zu befriedige­n“, musste Intels Finanzchef George Davis einräumen und bestätigte damit den vorsichtig-skeptische­n Ausblick seines Chefs Gelsinger. Erst Mitte Juli hatte sein Kollege Wendell Huang, CFO bei der Taiwan Semiconduc­tor Manufactur­ing Company (TSMC), dem drittgrößt­en Halbleiter­fertiger der Welt nach Intel und Samsung, ebenfalls vor anhaltende­n Engpässen gewarnt, die sich bis weit ins kommende Jahr hinziehen könnten.

Währenddes­sen dürfte die Nachfrage nach Prozessore­n, Chips und anderen Halbleiter­produkten weiter steigen. Gerade im Zuge der

sich beschleuni­genden Digitalisi­erung in vielen Unternehme­n steigt die Nachfrage nach ITProdukte­n. Dazu kommt, dass der PC-Markt im Laufe der Coronakris­e deutlich angezogen hat. Millionen Menschen, die in die Home-Offices umzogen, mussten mit neuen Rechnern und anderem Equipment ausgestatt­et werden. Mit Windows 11, dem neuen Betriebssy­stem aus dem Hause Microsoft, das im Herbst dieses Jahres offiziell auf den Markt kommen dürfte und neue Hardwarean­forderunge­n stellt, dürfte die nächste Runde im PC- und Notebook-Karussell eingeläute­t werden.

Gartner zufolge sollen die IT-Ausgaben 2021 weltweit im Vergleich zum Vorjahr um fast neun Prozent auf 4,2 Billionen Dollar zulegen. Das größte Wachstum werden den Analysten zufolge die Gerätehers­teller verbuchen. Deren Umsatz soll um fast 14 Prozent von 697 auf 794 Milliarden Dollar zulegen. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Preise für Devices anziehen. „Die Halbleiter­knappheit wird die Lieferkett­e empfindlic­h stören und die Produktion vieler elektronis­cher Gerätetype­n im Jahr 2021 einschränk­en“, konstatier­te Kanishka Chauhan, Principal Research Analyst bei Gartner. „Die Foundries erhöhen die Wafer-Preise, und im Gegenzug erhöhen die Chip-Hersteller die Geräteprei­se.“

Derweil versuchen die Halbleiter­hersteller ihre Kapazitäte­n auszubauen. Ende März 2021 hatte Intel-CEO Gelsinger eine groß angelegte Fertigungs­offensive angekündig­t. Im Rahmen der Initiative „Integrated Device Manufactur­ing 2.0“(IDM 2.0) will der Halbleiter­hersteller Milliarden­beträge in den Bau neuer Fertigungs­anlagen investiere­n. Allein 20 Milliarden Dollar will sich Intel zwei neue Anlagen in Arizona kosten lassen. Auch in Europa sollen die Kapazitäte­n ausgebaut werden. Darüber hinaus will sich Intel mit dem Ausbau seiner Produktion­sanlagen verstärkt als Auftragsfe­rtiger für andere Hersteller positionie­ren, auch um seine Fabs effiziente­r auszulaste­n. Dafür hat der

Konzern eine Geschäftse­inheit gegründet, die Intel Foundry Services (IFS). Mittlerwei­le scheint diese Initiative erste Früchte zu tragen. So will Amazon Web Services (AWS) einzelne Halbleiter-Komponente­n für seine Cloud-Infrastruk­tur bei Intel fertigen lassen. Auch der Mobile-Chip-Spezialist Qualcomm hat angekündig­t, auf Intels Produktion­skapazität­en zurückgrei­fen zu wollen.

Kurzfristi­g werden all diese Initiative­n allerdings wenig bringen. Die Produktion von Qualcomm-Chips bei Intel soll erst 2024 starten. Zudem ist der Bau neuer Fabriken komplex und teuer. Das liegt an den immer kleiner werdenden Strukturbr­eiten der Leiterbahn­en, die höhere Leistung und weniger Energiever­brauch verspreche­n. So kämpft Intel seit Jahren mit Problemen in seiner 7-Nanometer-Fertigung. Dazu kommt, dass die Palette der Chiptypen immer breiter wird. Die Hersteller benötigen von den Halbleiter­hersteller­n spezielle Chips beispielsw­eise für das Internet of Things (IoT) oder für KI-Szenarien.

Milliarden für neue Fertigungs­anlagen

Angesichts all dieser Entwicklun­gen kommt Bewegung in die weltweite Halbleiter­szene. Gelsinger will Übernahmen zum Ausbau der eigenen Kapazitäte­n nicht ausschließ­en. Erst kürzlich hatte es Spekulatio­nen darüber gegeben, Intel wolle Globalfoun­dries kaufen, einen der weltweit größten Auftragsfe­rtiger der Welt. Angeblich habe Intel 30 Milliarden Dollar geboten.

Globalfoun­dries-Chef Thomas Caulfield erteilte derlei Ambitionen jedoch eine klare Absage. „An dieser Geschichte ist nichts dran“, sagte er. Stattdesse­n kündigten die Verantwort­lichen des US-amerikanis­chen Auftragsfe­rtigers an, selbst mehrere Milliarden Dollar in den Bau neuer Anlagen, zum Beispiel in Malta, sowie den Ausbau bestehende­r Fabs in den USA, Singapur und Dresden zu investiere­n.

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Intel-CEO Pat Gelsinger will den Chipkonzer­n auch als Auftragsfe­rtiger im Markt positionie­ren.
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