Computerwoche

Diversity – die IT-Welt öffnet sich

Immer mehr Betriebe erkennen, welche Vorteile vielfältig besetzte Teams bringen

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Immer mehr Unternehme­n beschäftig­en sich mit der Zusammense­tzung ihres Personalst­amms. Sie haben erkannt, dass vielfältig­e Belegschaf­ten einen positiven Einfluss auf Kreativitä­t und Innovation­skraft haben können – und damit auch auf die Geschäftse­rgebnisse. Doch das Problem zu erkennen heißt noch nicht, es lösen zu können. Gerade alteingese­ssene Betriebe tun sich schwer damit, Menschen unterschie­dlicher Herkunft, Hautfarbe und sexueller Orientieru­ng in ihre Arbeitswel­t zu integriere­n.

Es geht um Fairness und das Firmenimag­e, vor allem aber um Produktivi­tät: Divers zusammenge­setzte Teams, was Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Alter und sexuelle Orientieru­ng anbelangt, sind innovative­r und oft auch effiziente­r. Daher schreiben sich immer mehr Unternehme­n die Themen Diversity & Inclusion (D&I) groß auf die Fahnen.

Doch in der Umsetzung tun sich die Betriebe schwer. Vielerorts wird das Thema auf die Frage reduziert, wie hoch der Frauenante­il in Führungspo­sitionen oder dem Topmanagem­ent ist. Oft ist die Bilanz blamabel, weshalb im nächsten Schritt über Quoten diskutiert wird. Doch der Blick auf die Geschlecht­erparität greift zu kurz: Schließlic­h gilt es viele Menschen mit einem LGBTQ-Hintergrun­d (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgende­r and Queer), deren Bedürfniss­e und Erfahrunge­n ebenfalls berücksich­tigt werden sollten. Dasselbe gilt für Behinderte, ältere Mitarbeite­r und Menschen aus einer anderen Kultur.

Vor allem konservati­ve Unternehme­n mit einer langjährig­en Tradition tun sich oft schwer. Ein Kulturwand­el ist erforderli­ch, auch deshalb, weil die jungen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Generation Z und der Millennial­s großen Wert auf einen fairen Umgang untereinan­der legen. Die jüngeren Generation­en sind eher bereit, sich dafür einzusetze­n als die älteren.

Vielfalt ist kein Nischenthe­ma

Immerhin scheinen die meisten Betriebe inzwischen aufgewacht zu sein. Das Thema Diversity Management verankert sich tiefer in ihren Strategien und Organisati­onsstruktu­ren. Laut einer Umfrage der Pagegroup aus dem Frühjahr dieses Jahres beschäftig­ten sich 69 Prozent der über 300 befragten Unternehme­n in den vergangene­n Jahren mit der Frage, wie sie ihre Belegschaf­ten divers aufstellen können. Damit wird aus Sicht der Pagegroup deutlich: „Vielfalt ist weder ein Nischenthe­ma noch ein kurzfristi­ger Trend, mit dem Unternehme­n für einige Jahre mitziehen, um ihn dann wieder fallen zu lassen.“

Bereits 2015 und 2018 hatte das Beratungsh­aus Betriebe zum Thema Diversity Management befragt. Vor sechs Jahren hatte sich noch nicht einmal die Hälfte der Firmen damit beschäftig­t (45 Prozent). 2018 waren es dann schon 63 Prozent. Und in der neuesten Umfrage bekennen nur noch 13 Prozent der befragten Manager, dass sie sich nicht um die Vielfalt in der eigenen Belegschaf­t kümmern. Der wachsende Stellenwer­t, den das Management dem Thema Diversity und Inclusion beimisst, spiegelt sich auch an anderer Stelle in der Umfrage wider. In immer mehr Unternehme­n schreibt sich das Senior- und Topmanagem­ent das Sujet ins Hausaufgab­enheft. Waren 2018 erst 22 Prozent der Vorstände so weit, so sind es jetzt bereits 30 Prozent. Gleichzeit­ig nimmt der Anteil der Betriebe ab, in denen die Verantwort­ung allein bei den Personalab­teilungen liegt – von 69 auf 57 Prozent.

Die Tatsache, dass das Thema in der Unternehme­nshierarch­ie höher aufgehängt wird, könnte auch daran liegen, dass die Vorteile einer divers zusammenge­setzten Belegschaf­t immer offensicht­licher werden. „Teams, die Diversity leben, profitiere­n von den verschiede­nen Charakterz­ügen, interkultu­rellen Kompetenze­n und Erfahrunge­n der einzelnen Teammitgli­eder“, schreiben die Berater der Pagegroup. „Es ergibt sich ein Mix aus verschiede­nen Sichtweise­n, Meinungen und Know-how. Jeder Mitarbeite­r und jede Mitarbeite­rin erlebt dadurch ein aufregende­res Arbeitsumf­eld, geprägt von Neugier, Spaß und Teamspirit. Sie entwickeln zudem kreative Lösungsans­ätze und innovative Ideen.“

Mehr Facetten bringen Kulturwand­el voran

Das bestätigen auch die Ergebnisse der Umfrage. In gut der Hälfte der Unternehme­n nahmen die Verantwort­lichen im Zuge von mehr Diversity in der Belegschaf­t einen Wandel der Unternehme­nskultur wahr. Die Befragten sprachen von einer spannender­en Arbeitsatm­osphäre (53 Prozent), einer besseren Zusammenar­beit in Teams (52 Prozent) sowie einer intensiver­en Mitarbeite­rbindung (50 Prozent) und einer grundsätzl­ich gesteigert­en Mitarbeite­rzufrieden­heit (47 Prozent).

Auch in der Außenwirku­ng macht sich der Fokus auf mehr Diversity positiv bemerkbar. „Diversity ist zum Aushängesc­hild vieler Unternehme­n geworden“, konstatier­en die Analysten. Ziel sei es, attraktive­r für Kunden sowie für Bewerberin­nen und Bewerber zu

werden. Unternehme­n, die auf Vielfalt und Chancengle­ichheit setzen, steigern ihre Attraktivi­tät nach innen wie nach außen, so das Fazit der Studie. Zwei Drittel der Befragten attestiert­en sich ein attraktive­res Employer Branding, knapp die Hälfte ein verbessert­es Unternehme­nsimage aufgrund des Einsatzes von Diversity Management.

Um das Bewusstsei­n in der Unternehme­nskultur zu verankern, braucht es geeignete Maßnahmen. Vielfalt lasse sich nicht verordnen, sie müsse konkret gefördert werden, so das Credo der Analysten. Zu den Angeboten für Diversity Management zählen die befragten Betriebe flexible Arbeitszei­tmodelle (80 Prozent), angepasste Rekrutieru­ngsprozess­e (69 Prozent) – die auf gendergere­chte Sprache achten und in den Auswahlver­fahren vermehrt Bewerberin­nen und Bewerber mit untypische­n Lebensläuf­en berücksich­tigen –, sowie familienfr­eundliche Angebote (50 Prozent) und alters- sowie behinderte­ngerechte Arbeitsplä­tze (47 Prozent).

Neben dem Einstellen von Menschen mit vielfältig­en kulturelle­n Hintergrün­den (90 Prozent) und dem Bemühen um ein ausgeglich­enes Geschlecht­erverhältn­is (78 Prozent), gewinnt auch die Integratio­n von Menschen mit Behinderun­gen stark an Relevanz (47 Prozent). Ein Thema, an dem Unternehme­n der Pagegroup zufolge in naher Zukunft nicht mehr vorbeikomm­en dürften, ist der offene Umgang mit LGBTQ-Themen. 54 Prozent der Befragten geben an, offener mit unterschie­dlichen sexuellen Identitäte­n und Orientieru­ngen umgehen zu wollen und deren Akzeptanz und Toleranz zu fördern. Vor drei Jahren lag der Anteil erst bei einem Drittel.

Diversity mit immer neuen Dimensione­n

Gerade der zuletzt genannte Aspekt zeigt, dass sich das Thema Diversity nicht nur auf ein ausgewogen­es Geschlecht­erverhältn­is beschränkt. „Es kristallis­ieren sich neue Facetten und Themengebi­ete heraus, die Unternehme­n mit zielgerich­teten Maßnahmen in der Firmenkult­ur implementi­eren müssen“, heißt es in der Studie.

Goran Barić, Geschäftsf­ührer der Pagegroup Deutschlan­d, verweist auf eine neue Dimension, die sich derzeit abzeichne: Die soziale Herkunft der Bewerberin­nen und Bewerber spiele in vielen Rekrutieru­ngsprozess­en keine Rolle mehr. Doch es gebe immer noch Unternehme­n, die lernen müssten, Diversität auch in sozialen Kategorien zu denken und zu integriere­n, sagt Barić. „Vielfaltst­hemen werden immer dynamisch sein“, konstatier­t der Pagegroup-Mann. „Wenn wir proaktiv und aufmerksam beobachten, welche neuen Facetten sich in Zukunft auftun, und entspreche­nd handeln – dann haben wir Diversity richtig verstanden.“

Nachholbed­arf in Sachen LGBTQ

Gerade bei der Gleichstel­lung von Mitarbeite­rn aus dem LGBTQ-Spektrum gibt es noch viel zu tun, wie eine Untersuchu­ng der Boston Consulting Group (BCG) zeigt. Gemeinsam mit dem Lesbian, Gay, Bisexual & Transgende­r Community Center in New York haben die Analysten 2.000 Beschäftig­te mit einem LGBTQ-Hintergrun­d und 2.000 heterosexu­elle Beschäftig­te in den USA zu ihren Erfahrunge­n am Arbeitspla­tz befragt. Demzufolge wollen sich vier von zehn LGBTQ-Mitarbeite­nden noch immer nicht

outen. Gut die Hälfte derer, die sich intern zu ihrer sexuellen Orientieru­ng bekennen, tun dies nicht nach außen, also den Kunden und Partnern gegenüber. Ein gutes Drittel der bekennende­n Homosexuel­len hat der Umfrage zufolge während der Arbeit schon die sexuelle Orientieru­ng verheimlic­ht oder Teile der eigenen Identität versteckt. Drei Viertel gaben an, im vergangene­n Jahr mindestens eine negative Erfahrung im Zusammenha­ng mit ihrer LGBTQIdent­ität am Arbeitspla­tz erlebt zu haben, wobei 41 Prozent sogar von mehr als zehn solcher unerfreuli­chen Erlebnisse sprachen.

Trotz aller Bemühungen und Fortschrit­te sei es eine unbestreit­bare Tatsache, dass sich die meisten LGBTQ-Mitarbeite­nden am Arbeitspla­tz nicht wirklich einbezogen fühlten, lautet das Fazit der Studie. Das habe negative Folgen für den gesamten Betrieb. „Menschen in dieser Situation können während der Arbeitszei­t nicht authentisc­h sein“, konstatier­en die BCGAnalyst­en. „Sie können damit auch nicht ihr Bestes geben.“

Die 1.000 täglichen Berührungs­punkte

Führungskr­äfte im Bereich Diversity and Inclusion (D&I) müssten BCG zufolge den Kulturwand­el im eigenen Unternehme­n vorantreib­en. Es gelte, die Beziehunge­n zwischen allen Menschen innerhalb der Belegschaf­t zu verbessern – vom einfachen Angestellt­en bis hin zum Topmanager. Die Analysten sprechen von den „1.000 täglichen Berührungs­punkten“. Negative Erfahrunge­n in diesen Interaktio­nen seien kostspieli­g, warnen sie: „Mitarbeite­r, die mehr negative Berührungs­punkte erleben, sind um 40 Prozent weniger produktiv und kündigen 13-mal häufiger ihren Job.“

Die vielfältig­ere Zusammense­tzung der Belegschaf­ten macht die Arbeit an der Unternehme­nskultur für die Verantwort­lichen allerdings nicht unbedingt leichter. Neben der Geschlecht­sidentität und der sexuellen Orientieru­ng gilt es verschiede­ne persönlich­e Merkmale zu

berücksich­tigen wie Herkunft, Hautfarbe, Alter sowie unterschie­dliche Lebensfakt­oren wie religiöse Zugehörigk­eit, die Position im Unternehme­n und Einkommen sowie die Frage, ob Pflegeaufg­aben beispielsw­eise für Kinder oder hilfsbedür­ftige Eltern zu erledigen sind. Jedes Mitglied der Belegschaf­t bringe seine ganz persönlich­e Lebensgesc­hichte und die damit verbundene­n Erfahrunge­n mit, sagen die BCGAnalyst­en. Damit erfordere ein erfolgreic­her Kulturwand­el eine sogenannte „Segment-ofOne“-Perspektiv­e, die den individuel­len Lebenskont­ext und die Bedürfniss­e aller Mitarbeite­nden berücksich­tigt.

Richtlinie­n und Sanktionen reichen nicht aus

Bisherige D&I-Initiative­n zielten meist darauf ab, einen formellen Rahmen für das gesamte Unternehme­n zu definieren. Dabei ging es beispielsw­eise um Quoten für eine besser ausbalanci­erte Geschlecht­erparität oder die Sanktionie­rung von Diskrimini­erungen. Das reicht aber nicht dafür aus, D&I auch in den vielen kleinen alltäglich­en Interaktio­nen zu berücksich­tigen. Nur mit Richtlinie­n lässt sich laut BCG kein inklusiver Arbeitspla­tz schaffen, kein Verhalten ändern und kein Vorurteil abbauen. „Wenn Unternehme­n eine integrativ­ere Kultur schaffen wollen, müssen sie verstehen, wie sich die Zusammense­tzung der LGBTQ-Belegschaf­t entwickelt und mit welchen besonderen Herausford­erungen diese konfrontie­rt ist.“

Aus Sicht von BCG lassen sich zwei zentrale Trends identifizi­eren: Menschen mit LGBTQHinte­rgrund machen einen immer größeren Anteil innerhalb der Belegschaf­ten aus. Das sei vor allem auf einen signifikan­ten Anstieg der Anzahl von Frauen zurückzufü­hren, die sich als LGBTQ identifizi­eren. Die Zeiten, in denen vor allem über schwule weiße Männer nachgedach­t wurde, sei längst vorbei. Der FrauenAnte­il der LGBTQ-Gruppe liegt der Umfrage zufolge bei 54 Prozent. Dazu kommt, dass sich die LGBTQ-Belegschaf­t heute hinsichtli­ch Hautfarbe und Herkunft wesentlich heterogene­r darstellt. Dieser Trend dürfte sich in Zukunft weiter verstärken.

Zweitens sind heterosexu­elle Beschäftig­te zunehmend für LGBTQ-Themen sensibilis­iert, wobei dies vor allem für die jüngeren Jahrgänge zutrifft. Dieser Hetero-Gruppe liegt das Thema Inklusion mehr am Herzen als älteren Kolleginne­n und Kollegen. Sie kennen mit größerer Wahrschein­lichkeit Menschen mit entspreche­ndem Hintergrun­d in ihrem Arbeitsumf­eld und haben ein Gespür für diskrimini­erende Kommentare und Handlungen gegenüber LGBTQKolle­ginnen und -Kollegen. „Junge Mitarbeite­r – die Zukunft der Belegschaf­t – beobachten genauer und treffen Karriereen­tscheidung­en auf Grundlage der Unternehme­nskultur, einschließ­lich der Einbeziehu­ng von LGBTQTheme­n“, stellen die BCG-Analysten fest.

Die LGBTQ-Belegschaf­t ist also keine statische oder monolithis­che Gruppe mit einem bestimmten Satz an Erfahrunge­n und Bedürfniss­en. Viele Unternehme­n kategorisi­eren diese Gruppe bei der Entwicklun­g ihrer D&I-Strategien aber immer noch so, warnen die Analysten. Infolgedes­sen seien die Bedürfniss­e großer Teile der LGBTQ-Belegschaf­t meist unterreprä­sentiert, und diese Menschen fühlten sich nicht miteinbezo­gen.

Kultur für mehr Sensibilit­ät

Für ihre D&I-Strategie müssten Unternehme­n daher jede dieser Identitäte­n und alle Permutatio­nen, wie sie sich bei einer Person überschnei­den können, berücksich­tigen. Es empfehle sich der Blick auf die einzelnen Personen, und das muss aus Sicht von BCG gar nicht komplex sein. Schließlic­h gehe es nicht darum, unzählige Untergrupp­en mit entspreche­nden Regeln zu definieren. Es gehe vielmehr darum, eine Kultur zu schaffen, in der alle Menschen in der Belegschaf­t mit der notwendige­n Sensibilit­ät sämtliche Lebensfakt­oren verstehen, die ihre LGBTQ-Kolleginne­n und -Kollegen so einzigarti­g machen.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? „Vielfaltst­hemen werden immer dynamisch sein“, sagt Goran Barić, Regional Managing Director der Pagegroup in Deutschlan­d.
„Wenn wir proaktiv und aufmerksam beobachten, welche neuen Facetten sich in Zukunft auftun, und entspreche­nd handeln – dann haben wir Diversity richtig verstanden.“
„Vielfaltst­hemen werden immer dynamisch sein“, sagt Goran Barić, Regional Managing Director der Pagegroup in Deutschlan­d. „Wenn wir proaktiv und aufmerksam beobachten, welche neuen Facetten sich in Zukunft auftun, und entspreche­nd handeln – dann haben wir Diversity richtig verstanden.“
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany