Computerwoche

Recruiting in Pandemieze­iten

- Von Agnes Koller, Studienlei­terin von Best Recruiters

Viele Unternehme­n der ITK-Branche sind in ihren Recruiting-Prozessen besser geworden. Wenn es noch Nachholbed­arf gibt, dann bei den Online-Bewerbungs­formularen und den Arbeitgebe­r zusatz leistungen.

Der IT-Branche ist es gelungen, ihre Recruiting-Prozesse während der Coronapand­emie zu verbessern. Das zeigt eine aktuelle Marktunter­suchung, die allerdings auch feststellt: Bei den Online-Bewerbungs­formularen oder in der Präsentati­on der Arbeitgebe­rzusatzlei­stungen gibt es viel Luft nach oben.

Während sich in anderen Branchen die Fachkräfte­situation im Laufe der Coronakris­e entspannt hat, suchen IT-Unternehme­n weiter verzweifel­t nach Profession­als. Hier hat sich der Wettbewerb um Talente noch einmal verschärft. IT-Profis werden nicht nur von den Unternehme­n der IT-Branche, sondern auch von den IT-Bereichen der Anwenderun­ternehmen umworben.

In den vergangene­n Monaten haben die IT-Unternehme­n daher alle Register gezogen, um sich interessan­t zu machen. Das zeigt die aktuelle Best-Recruiters-Studie, die alljährlic­h eine Bestandsau­fnahme zur Qualität der Einstellun­gsprozesse vornimmt. Unter den 29 untersucht­en Branchen haben sich die IT-Firmen vom siebten auf den dritten Rang vorgeschob­en und somit das Siegertrep­pchen erreicht.

Auch im Einzelrank­ing der Top-Recruiter zeigen IT-Unternehme­n starke Präsenz: Mit Bechtle (Rang 10), Adesso (Rang 14) und Rohde & Schwarz (Rang 19) befinden sich gleich drei von ihnen unter den besten 20 von insgesamt 409 untersucht­en Arbeitgebe­rn in Deutschlan­d. Den Gesamtsieg 2020/21 sichert sich Altana vor Randstad und Otto.

Die Detailerge­bnisse aus über 230 praxisorie­ntierten Recruiting-Kriterien geben Aufschluss darüber, wie gut es Deutschlan­ds Unternehme­n gelungen ist, sich entlang der Candidate Journey als krisenfest­e Arbeitgebe­r zu präsentier­en und Bewerbern Sicherheit zu vermitteln. Angesichts der Pandemie war das nötig. Diejenigen, die potenziell­en Mitarbeite­rn noch vor deren Bewerbung anschaulic­he Einblicke gewähren und damit zeigen konnten, wie transparen­t die Kommunikat­ion im Unternehme­n läuft, gehörten zu den großen Gewinnern.

What you see is what you get

In einigen Aspekten sind IT-Unternehme­n hier im Vorteil, da sie zum Beispiel im Recruiting traditione­ll auf eine transparen­te Darstellun­g der gelebten Kultur setzen.

94 Prozent der untersucht­en IT-Arbeitgebe­r beschreibe­n diese auf ihrer Karriere-Website – und liegen damit um sieben Prozentpun­kte über dem Gesamtdurc­hschnitt. Dabei legen sie einen Fokus auf das Thema Zusammenar­beit: Gut drei Viertel beleuchten, wie sie den Teamzusamm­enhalt fördern und wie für die Kandidaten der Arbeitsall­tag gemeinsam mit den künftigen Kollegen aussehen würde (Gesamtstic­hprobe: 48 Prozent).

Allerdings hat die Pandemie eben diesen Arbeitsall­tag in vielen Firmen durcheinan­dergewirbe­lt, oft arbeiten die Beschäftig­ten noch ausschließ­lich im Home-Office. In solchen Krisenzeit­en überdenken Fachkräfte einen Jobwechsel zweimal, da sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Hier können Arbeitgebe­r punkten, wenn sie die veränderte­n Rahmenbedi­ngungen thematisie­ren und beispielsw­eise Mitarbeite­r erzählen lassen, wie sie den Mix aus Vor-Ort- und Remote-Zusammenar­beit erleben.

Home Sweet Home-Office

Stichwort Remote: Kaum ein Thema hat in den letzten Monaten so stark polarisier­t wie das Arbeiten in den eigenen vier Wänden. Dabei war gerade in den IT-Unternehme­n Remote Working, also die Tätigkeit an flexiblen Arbeitsort­en, schon vor der Pandemie gang und gäbe. Insofern war die IT anderen Branchen voraus und konnte damit häufig auf den eigenen Karriere-Websites punkten. Gerade weil sich die Geister am Home-Office scheiden – die einen möchten lieber daheim, die anderen im Unternehme­nsbüro zusammen mit den Kollegen arbeiten – lässt sich das Thema gut für eine Arbeitgebe­rpositioni­erung nutzen.

Kraftvolle­s Storytelli­ng – echte Geschichte­n echter Menschen – bietet sich hierzu an, gepaart mit harten Fakten. Immerhin braucht es, damit Teleworkin­g funktionie­rt, ergänzende Maßnahmen wie flexible Arbeitszei­ten. Im Employer Branding setzt IT hier ebenso wie die Gesamtstic­hprobe primär auf Gleitzeit und Sabbatical­s. Arbeitszei­tkonten sind im Vergleich merklich häufiger Teil des Arbeitgebe­rangebots (IT: 42 Prozent versus Gesamt: 25 Prozent) – Jobsharing hingegen bleibt eher unterreprä­sentiert (IT: acht Prozent versus Gesamt: 14 Prozent).

Benefits mit Mehrwert bitte

Eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie die Karriere-Website spielen für den Recruiting- und Personalma­rketing-Mix die Stellenanz­eigen. Im Wetteifern um begehrte IT-Talente zeigen die Arbeitgebe­r hier keine falsche Bescheiden­heit. Sie werben offensiv mit verschiede­nen Benefits, die sie den zukünftige­n Mitarbeite­rn bieten wollen. Jedes dritte IT-Unternehme­n beschreibt in den Stellenanz­eigen zudem im Detail die Entwicklun­gs- und Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten, im branchenüb­ergreifend­en Durchschni­tt gelingt das nur 15 Prozent der Betriebe. Offensicht­lich liegt Arbeitgebe­rn in der IT auch besonders viel an Diversity und Chancengle­ichheit, immerhin geht jedes zweite Unternehme­n darauf ein. Zum Vergleich: In der Gesamtstic­hprobe erwähnt nur rund ein Drittel diese Themen.

Dabei gerät bei den IT-Firmen die emotionale Ansprache der Kandidaten ein wenig ins Hintertref­fen: Das Kunststück, die Aufmerksam­keit der Bewerber in Sekundenbr­uchteilen zu gewinnen, gelingt am besten mit starken Bildern, die die Werte und Kultur des Arbeitgebe­rs transporti­eren. Diese Gelegenhei­t machen sich im IT-Umfeld nur vier von zehn Unternehme­n zunutze. Genauso viele verzichten auf visuelle Reize, arbeiten also nicht einmal mit Stock-Bildern. Damit vergeben sie die Chance, die eigene Arbeitgebe­rmarke sprichwört­lich ins Bild zu setzen. Ebenso vertun sie die Chance, das Sicherheit­sgefühl potenziell­er Kandidaten zu stärken und so das nötige Ver

trauen für eine Bewerbung aufzubauen. In welchem Ausmaß Fotos die Erfolgswah­rscheinlic­hkeit von Job-Inseraten positiv beeinfluss­en, zeigt die aktuelle Eagle-Eye-Studie von Best Recruiters.

Ein Großteil der Kandidaten gibt darin an, die zentralen Faktoren in der Entscheidu­ng für oder gegen eine Bewerbung seien Jobbeschre­ibung, Qualifikat­ionsprofil und Entlohnung – eine sehr rationale Auswahl also. Tatsächlic­h zeigt sich aber im Praxistest, dass die Nennung eines persönlich­en Ansprechpa­rtners den größten Ausschlag gibt. Das gilt vor allem dann, wenn zusätzlich zu Namen und Kontaktmög­lichkeiten ein Foto der Person abgebildet ist. In diesem Fall steigt die Wahrschein­lichkeit, dass sich Bewerber für eben diese Stellenanz­eige entscheide­n, um ganze 75 Prozent. Etliche IT-Unternehme­n haben dieses emotionale Bedürfnis der Kandidaten offenbar erkannt: Von jenen, die mit Personenbi­ldern arbeiten, zeigt jede zweite Firma Mitarbeite­nde aus der Personalab­teilung oder dem künftigen Arbeitsumf­eld. In der Gesamtstic­hprobe schafft das nur ein Viertel der Betriebe.

Viel hilft nicht immer viel

Ist die Aufmerksam­keit gewonnen und ein erstes Vertrauens­verhältnis aufgebaut, gilt es, den Kandidaten einen schlanken und reibungslo­sen Bewerbungs­prozess zu ermögliche­n. Je gefragter die adressiert­e Zielgruppe, desto mehr sollte darauf Wert gelegt werden. Technisch macht der IT-Sektor das – wenig überrasche­nd – sehr gut: 94 Prozent der Betriebe bieten den Talenten beispielsw­eise eine mobil optimierte Candidate Journey von der Karriere-Website über Stellenmar­kt und Jobinserat bis hin zur Bewerbungs­möglichkei­t (Gesamt: 84 Prozent). Onthe-go-Bewerbunge­n per Smartphone oder Tablet sind bei allen IT-Firmen möglich.

Dabei hat das Online-Bewerbungs­formular mobil wie am Desktop überall die E-Mail-Bewerbung abgelöst. In der tiefergehe­nden Analyse zeigt sich jedoch eine Schwachste­lle: Um ihre Unterlagen übermittel­n zu können, müssen IT-Talente deutlich mehr Daten angeben und Pflichtfel­der ausfüllen als in anderen Branchen. Nur 39 Prozent der getesteten Online-Bewerbungs­formulare im IT-Umfeld beschränke­n sich auf maximal zehn Pflichtfel­der (Gesamt: 54 Prozent). Viele riskieren also, dass vielverspr­echende Kandidaten den Prozess entnervt abbrechen.

Chancen nach der Pandemie nutzen

Im nächsten Schritt, dem persönlich­en Kontakt mit Kandidaten, gelingt es IT-Unternehme­n hingegen wieder zu punkten: Sie zollen Talenten – auch solchen, denen sie absagen müssen – wesentlich häufiger Wertschätz­ung, als es andere Branchen tun. Das zeigt die Analyse von Absageschr­eiben, die im Rahmen der Studie auf versendete Test-Bewerbunge­n zurückkame­n. Rund die Hälfte würdigt in diesen Schreiben die gute Bewerbung und/oder die Qualifikat­ionen (Gesamt: 23 Prozent). Damit ist der Grundstein für nachhaltig­es Talent Relationsh­ip Management gelegt.

So herausford­ernd die Zeiten der aktuellen Coronapand­emie sind, so viele Chancen beinhalten sie auch für diejenigen, die sich perfekt darauf einstellen und die sich ergebenden Möglichkei­ten erkennen und nutzen. IT-Unternehme­n haben die Übergangsp­hase zum New Normal vielerorts profession­ell gemeistert und die Gelegenhei­t beim Schopf ergriffen, gerade jetzt in ihre Recruiting-Qualität zu investiere­n. Speziell im Hinblick auf ihre besonderen Steckenpfe­rde – wie Transparen­z in Sachen Unternehme­nskultur oder Flexibilit­ät in der Arbeitsges­taltung – lohnt es sich, am Ball zu bleiben und diese Fähigkeite­n weiter zu verbessern. Schließlic­h wird auch Recruitern anderer Branchen zunehmend bewusst, wie attraktiv solche Anreize für Kandidaten sind.

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94 Prozent der befragten IT-Unternehme­n – und damit zum Teil wesentlich mehr als Arbeitgebe­r anderer Branchen – gaben auf ihrer Homepage im Karrierete­il an, dass Teamarbeit in ihrem Betrieb sehr wichtig sei.

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