Digital Factory für Aurubis
Der Kupferproduzent und -Recycler Aurubis hat seine Produktion weitgehend digitalisiert. Dabei spielte der Zukauf einer Plattform für das Industrial Internet of Things (IIoT) eine Rolle.
Der Kupferproduzent und -Recycler Aurubis hat unter der Regie von CIO Marcus Sassenrath eine Digitalstrategie entworfen. Zunächst gelang es, in der Digitalisierung der Produktion große Fortschritte zu erzielen. Der Zukauf einer IIoT-Plattform spielte dabei eine wichtige Rolle.
Als führender Anbieter von Nicht-Eisenmetallen in Europa und einer der weltweit größten Kupfer-Recyclingbetriebe sah sich die Aurubis AG in den letzten Jahren nur geringem Veränderungsdruck ausgesetzt – weswegen IT-seitig bis vor kurzem nur die dringendsten Anpassungen vorgenommen wurden.
Das änderte sich, als 2019 Marcus Sassenrath als Vice President Corporate IT angeheuert wurde. Der neue CIO entwickelte eine Digitalstrategie und richtete diese an der Unternehmensstrategie aus, um den Ausbau der Recyclingkapazitäten sowie die Positionierung des Unternehmens als nachhaltig agierender Produzent voranzutreiben.
Neben der Digitalisierung von Prozessen und Kundenbeziehungen sieht Sassenrath besonders großes Potenzial im dritten Schwerpunkt der Digitalstrategie: der Digitalisierung der Produktion. So lassen sich mit Condition Monitoring und Predictive Maintenance die Stillstände reduzieren, digital optimierte Produktionsparameter wiederum führen zu einem werthaltigeren Output und einer Senkung von Energie- und Ressourcenverbräuchen sowie Emissionen. Ein weiteres Ziel ist die umfassende Produktionsautomation, gestützt durch einen digitalen Zwilling des Hüttennetzwerks, das sich aus den verschiedenen Aurubis-Produktionsstandorten zusammensetzt.
Digitalisierung der Produktion
Eine essenzielle Voraussetzung für den Erfolg der Produktionsdigitalisierung war die Integration der unterschiedlichen Datensilos, die sich vor allem aus den Produktionsleitsystemen speisen. Auf der Suche nach einer passenden Plattform, um die Daten aus den Anlagen zusammenzubringen, zu aggregieren und für die Datenanalyse aufzubereiten, wurde der Teilnehmer am diesjährigen Digital Leader Award
(Platz zwei in der Kategorie Efficiency) Anfang 2020 auf die Azeti GmbH aufmerksam: Das Berliner Unternehmen mit 20 Mitarbeitern hatte eine Industrial-IoT-Plattform entwickelt und stand zum Verkauf.
Azeti sollte nach der Übernahme im Juli 2020 möglichst eigenständig bleiben, man wollte den agilen Mindset bewahren. Auf der anderen Seite sollte das Unternehmen zumindest so weit mit Aurubis zusammengeführt werden, dass die IIoT-Plattformeinführung reibungslos funktioniert. Um diesen Spagat zu meistern, rief Aurubis seine Digital Factory ins Leben. Sie fungiert als Klammer sämtlicher Digitalisierungsaktivitäten in der Produktion.
Stromverbrauch besser prognostizieren
Die Digital Factory setzt sich interdisziplinär aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bereiche IT, Produktion, OT, Data Analytics, Process Management sowie Azeti zusammen. Bereits in den ersten Workshops sammelte und priorisierte das Team aussichtsreiche Anwendungsfälle. So entstand ein Backlog mit über 20 Use Cases, die sukzessive umgesetzt werden sollen.
Von den ersten sechs konkreten Anwendungsfällen ist einer bereits umgesetzt: eine kurzfristige und genaue Prognose des Stromverbrauchs im Werk Hamburg mithilfe der IIoTSoftware von Azeti. Da jede Abweichung vom Planverbrauch Geld kostet, lassen sich für Aurubis so pro Jahr über hunderttausend Euro sparen. Das Unternehmen geht davon aus, dass die Vorhersagen künftig dank KI noch genauer ausfallen.
Außerdem setzen die Hamburger beim AnodenGießrad, einer zentralen Anlage im Schmelzprozess, Predictive Maintenance um. Sensoren zeichnen dazu die bis zu 1.500 täglichen Bewegungen der Greifarme am Aushub der rund 400 Kilogramm schweren Anoden auf.
Weicht die Bewegung von einer Idealkurve ab, erhält der Instandhalter dank vorausschauender Wartung einen Hinweis und kann notwendige Wartungsarbeiten rechtzeitig einplanen, bevor im schlimmsten Fall eine Anode herunterfällt und es damit zu einem Anlagenstillstand kommt.
Aurubis hat im Verantwortungsbereich des CIO eigens eine Digitalorganisation gegründet, um die Strategie mit Hochdruck umzusetzen. Dort sind alle Digitalisierungsbereiche und -initiativen einschließlich der Digital Factory eingebunden. In der Digitalorganisation wurde ein an Scrum angelehntes agiles Projektmanagement mit zweiwöchigen Sprints etabliert. Alle sechs Wochen werden in „Feedback Circles“alle relevanten Stakeholder sowie der Vorstand informiert. So soll es gelingen, in kurzen Intervallen Zwischenziele zu definieren und die Erfolge sichtbar zu machen.
„Anfangs standen wir vor einem Akzeptanzproblem“, sagt CIO Sassenrath. „Wir brauchten die Mitarbeit der Kollegen aus den Produktionsbereichen für die Umsetzung, sie waren aber noch nicht vom Mehrwert überzeugt.“Als Konsequenz sei man mit ihnen in die Anlagen gegangen, um ihre Probleme zu verstehen und ihnen mithilfe der Azeti-Plattform konkrete Lösungen aufzuzeigen. „Wir haben viel zugehört und schnell Sichtbares geliefert“, blickt Sassenrath zurück.
Abteilungsdenken überwunden
Insgesamt zieht der IT-Manager nach acht Monaten Projektarbeit eine positive Bilanz. Man habe das Abteilungsdenken überwinden können, die Azeti-Software habe ihre Leistungsfähigkeit als Datenintegrationsplattform unter Beweis gestellt. Aus Sicht des CIO ist es falsch zu denken: „Erst müssen sich Kultur und Mindset ändern, dann klappt das schon mit der Digitalisierung.“Nur mit handfesten Ergebnissen ließen sich Kultur und Organisation verändern. „Konkrete Probleme lösen, Ergebnisse sichtbar machen, Menschen gewinnen. Dann klappt das Schritt für Schritt mit der Produktionsdigitalisierung. Mit den Datensilos verschwindet dann auch das Silodenken“, ist Sassenrath überzeugt.