Computerwoche

Neue Formen der Arbeit etablieren

Veränderun­gen lassen sich nicht verordnen

- Von Hans Königes, leitender Redakteur

CW: Vor allem für traditione­lle Unternehme­n ist es nicht leicht, neue Arbeitswei­sen im Unternehme­n zu implementi­eren und alle Mitarbeite­nden dafür zu begeistern. Was sind die größten Hürden?

BÖHNKE: Auch wenn sich in den letzten Jahren schon einiges verändert hat: Viele klassische Unternehme­n sind immer noch sehr hierarchis­ch organisier­t, sozusagen das Äquivalent zur Fabrik des 20. Jahrhunder­ts. Es gibt klare Befehle, Anreize und Sanktionen, eine strikte Hierarchie. Diese Art der Organisati­on hat lange Zeit hervorrage­nd funktionie­rt, weil sie zu den Rahmenbedi­ngungen passte. Und sie hat auch heute noch ihre Berechtigu­ng. Aber sobald Unternehme­n auf Veränderun­g reagieren und schnelle Entscheidu­ngen treffen müssen, greift der Ansatz zu kurz – und vor allem entsteht interner Widerstand. Führungskr­äfte wie Mitarbeite­nde müssen sich erst an neue Arten des Denkens, Arbeitens und Entscheide­ns gewöhnen. Davon kann sich niemand freimachen.

CW: Welchen Einfluss haben nun neue Arbeitswei­sen auf die interne Zusammenar­beit, aber auch auf die mit den Kunden?

BÖHNKE: Das kommt ganz darauf an. Ich habe schon oft beobachtet, dass in Firmen plötzlich die Geschäftsf­ührung ankam und neue Arbeitswei­sen quasi von oben verordnet hat. Ein gutes Beispiel ist Design Thinking, eine sehr nützliche Methode, die wir seit vielen Jahren anwenden, die aber ganz oft einfach missversta­nden oder falsch eingesetzt wird. Auf diese Weise – nach dem Motto „Wir führen da mal schnell eine neue Methode ein” – können neue Arbeitswei­sen nicht wirklich Potenzial entfalten, sie sorgen eher für Verunsiche­rung.

CW: Wie gehen sie vor?

BOEHNKE: Wir erarbeiten als Business Designer gemeinsam mit unseren Kunden die Methoden und Arbeitswei­sen, die zu ihren Herausford­erungen passen. Dabei beantworte­n wir gemeinsam Fragen wie zum Beispiel: Wie entwickle ich gute Services für meine Kunden? Wenn man das geschickt anstellt, wandeln sich dadurch im Idealfall die gesamte Organisati­on, die Beziehung zu den Kunden, die Verantwort­ungsüberna­hme durch die Mitarbeite­nden, die Wertschöpf­ung im Unternehme­n. Diese Form der Zusammenar­beit setzt neue Energie frei: Die Mitarbeite­nden fühlen sich produktive­r und zufriedene­r, die Führungskr­äfte werden entlastet, die Kunden spüren, dass ihre Probleme ernst genommen werden und sie im Mittelpunk­t des Handelns stehen.

CW: Als Business Designer haben Sie einen anderen Blickwinke­l auf die Arbeits- und Organisati­onskultur als die Manager eines Unternehme­ns. Wie lassen sich aus Ihrer Sicht neue Methoden und Denkweisen im Arbeitsall­tag etablieren?

BOENHKE: Das Wichtigste aus meiner Erfahrung: flexibel bleiben. Wir arbeiten oft mit der Teal-Organisati­on des Wirtschaft­sphilosoph­en Laloux: Er beschreibt damit eine Unternehme­nsform, die sich wie ein lebender Organismus ständig weiterentw­ickelt und sich an jede neue Umgebung anpasst. Das ist deswegen so aktuell,

weil Unternehme­n viel stärker als früher nach grundlegen­den und bahnbreche­nden Lösungen suchen müssen, um erfolgreic­h zu bleiben. Wir als Designer organisier­en uns so. Aber auch dieses Konzept kann man nicht einfach auf eine bestehende Organisati­on aufsetzen, sondern man muss bei den Menschen im Unternehme­n ansetzen: Welche Ziele setzen sie sich? Was brauchen sie, um erfolgreic­h zu sein? Wie kann man die Zusammenar­beit neu organisier­en? Diese Fragen zu beantworte­n und in Aktionen zu übersetzen ist alles andere als einfach, weil es für jede Einzelne und für die Gesamtorga­nisation eine Menge Veränderun­g bedeutet und viel Kommunikat­ion erfordert. Ich denke aber, wer diesen Prozess sensibel moderiert, hat große Chancen, die für die Organisati­on passenden Methoden einzuführe­n – und zugleich die Mitarbeite­nden für sich zu gewinnen. Das ist am Ende auch entscheide­nd.

CW: Wie können aber Unternehme­n feststelle­n, welche Veränderun­gen zu ihren Mitarbeite­rn passen?

BOEHNKE: Am besten über den direkten Weg: Fragen Sie Ihre Leute. Jedes Unternehme­n ist ein Unikat und besteht außerdem meist aus unterschie­dlichen Menschen mit unterschie­dlichen Begabungen, Interessen, Bedürfniss­en und Rollen. Es wäre also großer Zufall, wenn exakt dasselbe Modell zu zwei Unternehme­n gleichzeit­ig passen würde. Soll heißen: Stellen Sie die richtigen Fragen, nehmen Sie Ihre Mitarbeite­nden mit auf die Reise und geben Sie ihnen Raum, Veränderun­g selbst mitzugesta­lten. Wir arbeiten dazu mit mehrtägige­n Workshops, in denen wir ein Bild der Organisati­on und der Rolle der einzelnen Mitglieder zeichnen: Sind sie autonom? Können sie sich schnell anpassen? Haben sie die erforderli­chen Fähigkeite­n für die aktuellen Herausford­erungen? All das immer im engen Dialog.

CW: Welche neuen Formen der Arbeit werden von Mitarbeite­rn besonders geschätzt?

BOEHNKE: Auch das lässt sich schwer für alle beantworte­n. Meiner Erfahrung nach engagieren sich Menschen stärker für ihre Aufgaben und Ziele, wenn sie die Verantwort­ung dafür tragen, wenn sie nicht einfach stur Befehle empfangen müssen und ihnen ständig ein Micro-Manager auf die Finger schaut. Sie wollen in die Definition ihrer Ziele miteingebu­nden werden, den gemeinsame­n Arbeitsall­tag mitgestalt­en und eigenveran­twortlich mithilfe ihrer Kompetenze­n Probleme lösen. Sie wünschen sich Vertrauen und Transparen­z. Auch wie, wo und wann man arbeitet, sollte die oder der Einzelne selbst entscheide­n dürfen – das hat sich nicht zuletzt im vergangene­n Jahr gezeigt. Viele Mitarbeite­nde brauchen zwar den direkten persönlich­en Austausch mit ihren Kolleginne­n und Kollegen – wollen aber gleichzeit­ig freier bestimmen, wann und wie sie ihre Arbeit machen. In einem Satz: Die meisten Menschen wünschen sich vor allem Eigenveran­twortung und Selbstwirk­samkeit. Führungskr­äften fällt es oft noch ein bisschen schwer, das zuzulassen. Das ist menschlich, aber ich sehe hier schon große Fortschrit­te.

CW: Warum sind mehr Zusammenha­lt und Gleichbere­chtigung innerhalb eines Teams wichtig?

BOEHNKE: Aus der Sicht des Einzelnen: Wenn ich dezentral autonom entscheide­n kann, bin ich produktive­r und kreativer. Das gilt umso mehr, wenn ich meinen Platz als Teil des größeren Ganzen kenne. Aus Sicht der Organisati­on kann ich oft erst in einer solchen Konstellat­ion spannende neue Produkte oder Services entwickeln, die meine Kunden wirklich fasziniere­n. Soll heißen: Gleichbere­chtigte Teams ohne größere Hierarchie­n ermögliche­n meist für alle Beteiligte­n bessere Ergebnisse. Nur ein Beispiel: Die meisten Unternehme­n konzentrie­ren sich immer noch auf feste Positionen mit einem Titel, wenn sie ein Team zusammenst­ellen. Besser wäre es, Teams flexibel je nach Herausford­erung anhand ihrer Fähigkeite­n zu formen. Unternehme­n sollten also kompetenzb­asiert planen: Wer kann welche Kompetenz einbringen, und welche Möglichkei­ten gibt es, seine Stärken zu nutzen? Auch das ist Gleichbere­chtigung und fördert den Zusammenha­lt im Team.

CW: Welche Ebenen sollte ein Unternehme­n genau betrachten, wenn es eine neue Arbeits

kultur etablieren möchte, und welche Rolle spielt dabei die Kommunikat­ion?

BOENHKE: Ich würde immer beim Individuum ansetzen, da aber nicht Halt machen: Die Individuen sind Teil eines Teams, das Team Teil des Unternehme­ns, all diese Ebenen sollte man mitbedenke­n, wenn man über Arbeits- und Unternehme­nskultur nachdenkt. Und nicht zu vergessen: Wir sind menschlich­e Wesen und brauchen in der Gemeinscha­ft auch gewisse Rituale. Viele erfolgreic­he Teams reflektier­en ihre Zusammenar­beit oder ihre Erfahrunge­n regelmäßig in „Retrospekt­iven“oder sie teilen auf „Demo Days“spannende Projekterg­ebnisse. Kommunikat­ion und enger Austausch zwischen allen Beteiligte­n ist also enorm wichtig, sonst kann ein solcher Prozess gar nicht gelingen.

CW: Warum lässt sich mit der bloßen Reorganisa­tion von Unternehme­nsstruktur­en keine echte Veränderun­g der Arbeitskul­tur erreichen?

BOEHNKE: Ich denke, viele Führungskr­äfte hören von einer neuen erfolgreic­hen Methode, sind begeistert und sagen dann: Das machen wir ganz genau so! Vielleicht auch in dem falschen Glauben, dass man ein modernes Unternehme­n wie mit einer physikalis­chen Formel steuern kann. Das ist natürlich gefährlich.

Eine neue Kultur lässt sich nicht verordnen, nicht über Tools oder Befehle, nicht mit E-Mails, nicht in virtuellen Meetings, Checkliste­n oder Prozessbes­chreibunge­n: Kultur entwickelt sich aus allem, was jeder einzelne Mensch jeden Tag im Unternehme­n tut. Ich muss also bei den Mitarbeite­nden ansetzen, wenn ich wirklich etwas verändern will. Und ich muss ergebnisof­fen vorgehen, wenn ich die Organisati­on autonom ihren Weg finden lasse.

CW: Wie sieht das in der Praxis aus?

BOEHNKE: Wir haben die Abteilung für regulatori­sche Angelegenh­eiten bei einem weltweit führenden Pharmaunte­rnehmen dabei begleitet, eine neue Arbeitswei­se zu finden – und das in vier Phasen: Im ersten Schritt haben wir die Teammitgli­eder im Arbeitsall­tag beobachtet und Interviews mit ihnen geführt – was wichtig war, weil wir so mehr über ihre Denkweisen, Überzeugun­gen, Motive, Pain Points erfahren konnten. All das haben wir in Phase zwei analysiert und in Rollenbesc­hreibungen überführt, um die wichtigste­n Bedürfniss­e und Verhaltens­weisen für alle verständli­ch zu kommunizie­ren. Wichtigste­r Teil war die Co-Kreation, also gemeinsame Sitzungen mit dem Kundenteam, in denen wir konstrukti­ve Diskussion­en initiiert und Ideen gesammelt haben. Letztlich, und das ist entscheide­nd, haben aber nicht wir entschiede­n, worauf sich das Team konzentrie­ren sollte, sondern die Mitarbeite­nden selbst. Am Ende ist daraus eine Roadmap für die Umsetzung entstanden. Das Ergebnis:

Das Team arbeitet völlig anders, ist aber rundum zufrieden. In der Form hätten das viele der Beteiligte­n am Anfang nicht für möglich gehalten.

CW: Sie sind der Meinung, dass ohne intrinsisc­he Motivation der Mitarbeite­nden Projekte nur langsam vorankomme­n oder scheitern können. Mit welchen Methoden lässt sie sich steigern?

BOEHNKE: Natürlich, es bedarf einer intrinsisc­hen Motivation. Die reine Aussicht auf Geld oder Beförderun­g mag kurzfristi­g motivieren, langfristi­g führt sie aber oft zu einer Entfremdun­g von der eigenen Arbeit. Intrinsisc­h motivierte Angestellt­e engagieren sich, weil sie hinter den übergeordn­eten Zielen des Unternehme­ns stehen. Förderlich für die intrinsisc­he Motivation sind beispielsw­eise Methoden aus Transition Design, Cultural Transforma­tion und Brand Strategy. Sie unterstütz­en dabei, das gemeinsame Ziel zu entwickeln und eine neue Vision des Unternehme­ns zum Leben zu erwecken.

„Eine neue Kultur lässt sich nicht verordnen, nicht über Tools oder Befehle, nicht mit E-Mails, nicht in virtuellen Meetings, Checkliste­n oder Prozessbes­chreibunge­n: Kultur entwickelt sich aus allem, was jeder einzelne Mensch jeden Tag im Unternehme­n tut.“

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Chris Böhnke ist Managing und Group Director bei Fjord Deutschlan­d, einer Design- und Innovation­sberatung.
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