Computerwoche

Chancen im Gebäudeman­agement

Die Digitalisi­erung des Gebäudeman­agements steht noch ganz am Anfang. Die im CBA Lab e. V. organisier­ten Enterprise-Architekte­n haben einen ganzheitli­chen Ansatz dafür erarbeitet.

- Christoph Witte arbeitet als Publizist, Sprecher und Berater in München

Die Digitalisi­erung des Gebäudeman­agements steht noch ganz am Anfang. Die im CBA Lab e. V. organisier­ten Enterprise-Architekte­n haben einen ganzheitli­chen Ansatz dafür erarbeitet. Um Gebäude über ihren gesamten Lebenszykl­us hinweg verwalten zu können, werden dabei EAM, Product Lifecycle Management (PLM) und Systems Engineerin­g kombiniert.

Mit Enterprise Architectu­re Management (EAM) lassen sich digitale Geschäftsp­rozesse gestalten und effiziente IT-Landschaft­en aufbauen. EAM kann auch eine Grundlage bilden, um eine digitale Betriebspl­attform für einen physischen Gebäudekom­plex zu entwickeln. Um ein Gebäude über seinen gesamten Lebenszykl­us hinweg verwalten zu können, wird EAM mit Product Lifecycle Management (PLM) und Systems Engineerin­g kombiniert. Im Ergebnis könnten Gebäude effiziente­r geplant und erstellt sowie besonders nachhaltig gemanagt werden.

EAM – von der Planung bis zum Abriss

Bisher gibt es keine digitalen Werkzeuge, die das Management eines Gebäudes von der Planung bis zu seinem Abriss durchgängi­g unterstütz­en. Dafür bräuchte es einen digitalen Zwilling, der das gesamte Ökosystem abbilden kann. Zu diesem Ökosystem gehören nicht nur „tote“Dinge, sondern auch alle Menschen, die damit zu tun haben: Eigentümer, Handwerker, Versicheru­ngen, Mieter. Mit einem informatio­nszentrisc­hen Ansatz, etwa über einen digitalen Zwilling, lässt sich das geschäftli­che Miteinande­r neu und besser gestalten als bisher.

Dass ein Gebäude mit seinem 40 bis 100 Jahre langen Lebenszykl­us mit einer digitalen Betriebspl­attform wirtschaft­licher und nachhaltig­er (etwa im Energiever­brauch) betrieben werden kann, muss nicht mehr bewiesen werden. So verbraucht das smarte Bürogebäud­e Edge in Amsterdam dank der 28.000 verbauten Sensoren und des Building Management Systems rund 70 Prozent weniger Energie als ein konvention­elles Bürogebäud­e. Wenn man bedenkt, dass allein Heizung und Warmwasser die Hälfte der Betriebsko­sten eines Gebäudes verschling­en, ist leicht vorstellba­r, was sich allein durch eine smarte Steuerung des Energiever­brauchs erreichen ließe.

Doch eine digitale Betriebspl­attform steuert mehr als den Energiever­brauch. Sie hilft, das Facility Management zu digitalisi­eren und unterstütz­t bis hin zu Abrechnung­en und Reparature­n. Anders als ein sogenannte­s Building Management System setzt eine digitale Betriebspl­attform bereits in der Planung eines Gebäudes an. Deshalb braucht es zwei Versionen eines digitalen Gebäudezwi­llings. Die erste spiegelt Analyseerg­ebnisse sowie Planungsun­d sonstige Daten des virtuellen Gebäudemod­ells. Der spätere „Real Building Twin“nutzt

dann die Konstrukti­onsdaten des physischen Gebäudes sowie Sensor-, Leistungs- und Zugangsdat­en und Wartungsin­formatione­n.

Digital Twin und Digital Thread

Ein zweites Element der digitalen Betriebspl­attform neben dem Digital Twin ist der Digital Thread. Dabei handelt es sich um eine Art digitalen roten Faden, mit dem der bisherige Lebenszykl­us eines Gebäudes zurückverf­olgt werden kann. Beispielsw­eise lassen sich damit der Energiever­brauch und die dafür verantwort­lichen Faktoren an einem zurücklieg­enden Tag verstehen. Der Digital Thread kann dabei nicht nur anzeigen, wie sich das Gebäude in der Vergangenh­eit verhalten hat, sondern auf Basis historisch­er Daten auch einen Blick in die Zukunft simulieren. Beispielsw­eise lässt sich feststelle­n, wie viel stärker Aufzüge belastet würden, wenn durch einen Mieterwech­sel die Zahl der Besucher um 20 Prozent stiegen. Das wirkt sich auf die Wartungsin­tervalle und die Kosten aus.

Um eine solche digitale Betriebspl­attform zu konzeption­ieren und zu realisiere­n, müssen verschiede­ne Modellieru­ngsstandar­ds kombiniert werden. Das CBA Lab demonstrie­rt, wie ein solches Digital Real Estate Life Cycle Management mithilfe von EAM auf Basis des Architektu­r-Frameworks Togaf mit den Artefakten aus modellbasi­ertem Systems-Engineerin­g (MBSE) funktionie­ren kann. Das Ziel dabei ist nicht nur eine digitale Betriebspl­attform für ein oder mehrere Gebäude, sondern auch eine Antwort auf die Frage, wie unabhängig­e Teilsystem­e als Systemverb­und (System of Systems) digital gemanagt werden können.

Darüber hinaus war auch das Fehlen eines ganzheitli­chen systemisch­en PLM-Ansatzes ein Motiv, dieses Thema aufzugreif­en. Product Lifecycle Management (PLM) existiert in erster Linie im Maschinen- und Anlagenbau und reicht meist nur bis zur Inbetriebn­ahme. Im Immobilien­bereich existiert der Ansatz so gut wie gar nicht. Hier herrscht das Konzept Building Informatio­n Modeling (BIM) vor, das aber meist nicht lückenlos funktionie­rt und sich noch nicht flächendec­kend durchgeset­zt hat. BIM wird zudem häufig nur bis zur Fertigstel­lung eines Gebäudes genutzt. Auf mehrere Gebäude, zum Beispiel einen Industriep­ark oder ein Gewerbegeb­iet, wird es nicht angewendet.

Das Fehlen eines ganzheitli­chen Ansatzes führt im Immobilien­sektor dazu, dass: Schnittste­llen und Standards fehlen,

Märkte fragmentie­rt sind, unterschie­dliche Gewerke ineffizien­t zusammenar­beiten und

schnelle Anpassunge­n an neue Nutzergrup­pen mit anderen Bedarfen kaum möglich sind.

Diese Schwächen will das CBA Lab angehen, indem es mit bewährten und neuen Methoden genau eruiert, welche Fähigkeite­n benötigt werden, um einen ganzheitli­chen PLM-Ansatz auch für Gebäude entwickeln und nutzen zu können. Das CBA Lab setzt dabei auf EAM mit Togaf und nutzt das aus dem militärisc­hen Bereich stammende Capability based Planning sowie MBSE (Modelle, Demonstrat­oren). Ansätze aus dem Semantic Web sollen eine gemeinsame Sprache zwischen den verschiede­nen Diszipline­n schaffen. Digital Twin und Digital Thread sorgen dafür, dass Nutzer sowohl den laufenden Betrieb digital abbilden als auch Auswirkung­en von Veränderun­gen simulieren können.

Digitale Betriebspl­attform in vier Sprints

Das CBA Lab hat das Konzept einer solchen digitalen Betriebspl­attform, die man sich als eine Kombinatio­n aus Digital Twin und Digital Thread vorstellen kann, in vier Sprints innerhalb von 50 Kalenderta­gen bewältigt, obwohl Togaf traditione­ll nicht als sonderlich agil gilt. Den Aufgaben in den verschiede­nen Sprints lag dabei die aus Togaf bekannte Architectu­re Developmen­t Method (ADM) zugrunde.

1. Im ersten Sprint, der die Überschrif­t „Vision“trägt, eruierten die Teilnehmer mithilfe virtueller Design-Thinking-Workshops, welche Bedarfe und User-Stories berücksich­tigt werden sollten, wenn es um das Gebäudeman­agement geht. Insgesamt wurden sieben Use Cases entwickelt. Hier beispielha­ft drei davon:

Erhebung von IoT- und IT-Daten aus unterschie­dlichen Verantwort­ungsbereic­hen für die Informatio­nstechnik mit ihren Monitoring­und Steuerungs­aufgaben;

Optimierun­g des Raumklimas im Gebäude aus Sicht des Facility-Management­s;

ein einheitlic­her und optimaler Informatio­nsstand für alle Stakeholde­r, damit Entscheidu­ngen automatisi­ert oder von Menschen faktenbasi­ert getroffen und umgesetzt werden.

2. Im zweiten Sprint „Detailing“wurde mithilfe von MBSE das Requiremen­ts Management und das Capability based Planning absolviert, um die Anforderun­gen genauer zu spezifizie­ren. Dabei wurde auf die Methodik des System Engineerin­g zurückgegr­iffen, um die komplexen technische­n Systeme im Gebäude besser beschreibe­n zu können. Der Vorteil von MBSE liegt unter anderem darin, dass die Informatio­nen eines Systems nicht mehr ausschließ­lich auf Dokumenten, sondern zusätzlich auf Modellen basieren, die auch Hard- und Software sowie zum Beispiel die Elektrik beschreibe­n. „Das gibt den Blick frei auf die Zusammenhä­nge zwischen den Teilsystem­en“, sagt Uwe Weber, Managing Partner bei Detecon und im CBA Lab verantwort­lich für den Workstream „Digital Real Estate Lifecycle Management“. Außerdem sei System Engineerin­g stärker auf physische Systeme ausgericht­et als EAM, das sich in erster Linie mit Software befasse.

Insgesamt wurden 200 Anforderun­gen formuliert. Um nicht den Überblick zu verlieren, setzt das CBA Lab die Modellieru­ngslösung „Catia No Magic“von Dassault Systems ein. Damit lassen sich die Auswirkung­en bestimmter Anforderun­gen über die verschiede­nen Teilsystem­e eines Gebäudes nachvollzi­ehen. Soll zum Beispiel die Nutzung eines Raums spontan von Büro in Besprechun­gsraum geändert werden, lassen sich mit der Software die Auswirkung­en auf Teilsystem­e wie Elektrik, IT, Klimaanlag­e und die von ihnen abhängigen Elemente wie Sensoren, Bildschirm­e, Thermostat­e et cetera nachvollzi­ehen.

In diesem Sprint wurde auch geklärt, welche grundsätzl­ichen Fähigkeite­n der digitale Zwilling abbilden sollte, um die oben bereits beschriebe­ne Funktional­ität zu erreichen. Dazu griff man auf die Referenzar­chitektur für einen digitalen Zwilling zurück, der in einem früheren Workstream des CBA Lab entwickelt worden ist.

3. Im dritten Sprint stand die Machbarkei­tsanalyse im Mittelpunk­t, die Frage also: Wie könnte das Ganze aufgebaut sein? Die Teilnehmer entwickelt­en mithilfe einer MBSE-Simulation, eines Raspberry PI und verschiede­ner Sensoren (Temperatur, Feuchtigke­it) sowie mehrerer LEDs die Architektu­r eines Demonstrat­ors, der die Funktionsw­eise des digitalen Zwillings simulieren sollte.

4. Im vierten Sprint wurde dieser Demonstrat­or dann aufgebaut und implementi­ert. Er demonstrie­rt vereinfach­t, wie sich ein optimales Raumklima herstellen lässt und zeigt die Anforderun­gen und Abhängigke­iten von anderen Teilsystem­en – zum Beispiel den Einfluss eines geöffneten Fensters auf Luftfeucht­igkeit und Temperatur sowie die Auswirkung­en auf die Klimatisie­rung des Raums. „Unser Demonstrat­or bewegt sich immer noch auf der Ebene des Anforderun­gsmanageme­nts. Er erlaubt uns aber, die Anforderun­gen auf der Gesamteben­e und im Detail besser zu erkennen und zu spezifizie­ren“, erklärt Weber.

Insgesamt zeigt der erste Durchlauf durch die ADM, dass sämtliche unterschie­dlichen Anforderun­gen berücksich­tigt wurden und in ein schlankes, effiziente­s Portfolio von Maßnahmen überführt werden konnten. Das heißt, die Planung ist jetzt stabiler. Es wird keine Überraschu­ngen mehr geben, wie das „digitale Gewerk“sich auf die traditione­llen Gewerke inklusive TGA auswirkt. Auch die traditione­lle Planung wird besser, da die Modellsich­t die Zusammenhä­nge transparen­ter macht und sich Abhängigke­iten explizit planen lassen. Das wirkt sich wirtschaft­lich durch präzisere Kosten- und Preismodel­le aus.

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