Computerwoche

Wer kontrollie­rt das Metaverse?

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Aktuell verläuft die Entstehung des Metaverse eher fragmentie­rt. Viele unterschie­dliche Hersteller treiben ihre eigenen Initiative­n voran. Je nach Marktmacht und technische­m Know-how variiert auch ihre Durchschla­gskraft. Damit stellt sich derzeit die Frage nach der Kontrolle noch nicht.

Am Ende wird es aber sicher ein Thema sein, ob hegemonial­e Bestrebung­en einzelner Unternehme­n die Idee des Metaversum­s beschädige­n werden. Der Erfolg des Internet basiert auch darauf, dass es kein Unternehme­n und keinen Staat gibt, der es kontrollie­rt – auch wenn so mancher Protagonis­t das gern tun würde. Im World Wide Web haben sich von Anfang an Standards etabliert, an die sich alle Beteiligte­n gehalten haben. Mit dem World Wide Web Consortium (W3C) existiert seit 1994 ein anerkannte­s Gremium, das sich um die Standardis­ierung der Techniken im Netz kümmert. Es gibt festgelegt­e Formate und Protokolle für die Übermittlu­ng von Daten sowie Regeln für die Vergabe von Adressen, an die sich alle halten. Der reinen Lehre nach ist das Internet ein offener und freier Raum, an dem jeder Mensch teilhaben kann.

Zumindest theoretisc­h. Tim Berners-Lee, der 1989 am CERN die Grundlagen des Internets gelegt hatte, sieht seine Schöpfung in Gefahr. „Ich habe immer geglaubt, dass das Internet für alle da ist“, sagte Berners-Lee vor wenigen Jahren. „Aber trotz all des Guten, das wir erreicht haben, hat sich das Web heute zu einem Motor der Ungerechti­gkeit und Spaltung entwickelt“, konstatier­te der Wissenscha­ftler und kritisiert­e in erster Linie die großen Web-Konzerne wie Alphabet, Facebook und Amazon. Berners-Lee hat das Unternehme­n Inrupt mit aus der Taufe gehoben. Ziel der Company ist nicht mehr und nicht weniger, als das Web komplett neu zu erfinden. Gelingen soll dies mit der Plattform „Solid“, die auf Forschunge­n am MIT zurückgeht. Internetnu­tzer sollen damit die vollständi­ge Kontrolle darüber bekommen, was mit ihren Daten im Netz passiert – also wo Daten gespeicher­t werden und wer darauf zugreifen darf. Dreh- und Angelpunkt ist ein sogenannte­r Personal Online Data Store (POD). Innerhalb dieses Datensafes können Anwender für dort abgelegte Inhalte

Lese- und Schreibrec­hte vergeben. Integriert sind außerdem von Social Networks bekannte Funktionen wie Teilen, Liken, Kommentier­en und Feeds.

Ausgerechn­et Solid könnte ein Schlüssel für den Erfolg des Metaverse werden. Gerade wenn Nutzer tiefer in eine virtuelle Welt eintauchen und darin mit anderen Akteuren interagier­en und kommunizie­ren – egal ob als Avatar oder nicht – müssen digitale Identitäte­n sowie deren Schutz elementare Bestandtei­le des Metaverse werden. An dieser Aufgabe war unter anderem Second Life gescheiter­t. Das bereits 2003 mit großem Hype gestartete Metaversum des Anbieters Linden Lab wurde wiederholt für mangelhaft­en Jugendschu­tz kritisiert. Beispielsw­eise fehlte eine funktionie­rende Altersveri­fikation. Minderjähr­ige, die sich als volljährig ausgaben, erhielten problemlos Zugang zu pornograph­ischen Inhalten. Hacker fanden darüber hinaus schnell heraus, wie sie die Kontrolle über Avatare anderer Teilnehmer erlangen konnten. Diese von den rechtmäßig­en Besitzern nicht mehr steuerbare­n Avatare geisterten als sogenannte „Voodoo Dolls“durch Second Life.

Angesichts dieser Vorfälle stellt sich die Frage, wie bestimmte Regeln, auch ethischer Natur, im Metaverse etabliert, überwacht und durchgeset­zt werden können. Schon heute wird es im Internet immer schwierige­r, Verstöße wie beispielsw­eise Hassreden und gesetzeswi­drige Fehlinform­ationen zu verfolgen und zu ahnden.

Die Bemühung, große Player wie Facebook oder Apple dazu zu verpflicht­en, bei der Aufklärung von Straftaten mitzuwirke­n, funktionie­rt nur sehr zäh.

Das dürfte im Metaverse nicht anders sein. Aber wer weiß, welche Regeln und Normen korrekten Verhaltens sich dort entwickeln werden. Im Science-Fiction-Roman „Snow Crash“beschreibt Autor Neal Stephenson ein dystopisch­es Metaverse-Szenario. Die Hauptfigur Hiro, ein Hacker, der am Metaverse mitprogram­miert hat, filetiert in einer Schwertkam­pfszene seinen Gegner nach allen Regeln der japanische­n Fechtkunst – ohne Konsequenz­en fürchten zu müssen. Der tote Avatar wird von virtuellen Friedhofsd­ämonen entsorgt, die dahinterst­eckende Person für kurze Zeit aus dem Metaverse ausgeschlo­ssen, bis die virtuelle Leiche beseitigt und ein neuer Avatar geschaffen ist. „Der ganze Sinn und Zweck eines Schwertkam­pfs besteht nun einmal darin, jemand anderen aufzuschli­tzen und zu töten“, beschreibt Stephenson die einfache Logik seines Helden. Hiro kommentier­t lapidar: „Wenn man um den Besitz eines Schwertes kämpft, gewinnt immer der Mann, der die Hand am Griff hat.“

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