Computerwoche

Ein Browser nur für Unternehme­n

Mit dem Island-Webbrowser sollen Unternehme­n steuern können, auf welche Seiten und Daten ihre User zugreifen. Gerade im SaaS- und Cloud-Zeitalter dürfte dieser Security-Aspekt immer wichtiger werden.

- Von Lucas Mearian, er schreibt für unsere US-Schwesterp­ublikation Computerwo­rld.com.

Das Startup Island hofft mit einem Chromiumba­sierten Webbrowser, der ganz auf die Kontrollun­d Sicherheit­sbedürfnis­se von Unternehme­n zugeschnit­ten ist, das ganz große Geschäft zu machen. Mit dem Browser lässt sich steuern, auf welche Seiten und Daten User zugreifen.

Das 2020 gegründete US-Startup Island hat den Stealth-Modus verlassen und einen Browser gleichen Namens angekündig­t, der allen Enterprise-Anforderun­gen in Sachen Sicherheit genügen soll. „Island gibt Unternehme­n die vollständi­ge Kontrolle über den Browser zurück und bietet ein Maß an Governance, Transparen­z und Produktivi­tät, das vorher nicht möglich war“, wirbt die Website des in Dallas, Texas, ansässigen Unternehme­ns.

Der Island-Browser basiert auf der weitverbre­iteten Open-Source-Plattform Chromium. Island regelt, welche Websites Nutzerinne­n und Nutzer besuchen dürfen, welche Informatio­nen sie angezeigt bekommen und welche Dateien sie herunter- oder hochladen können. Die Regeln lassen sich individuel­l auf einzelne Rollen der User im Unternehme­n abstimmen.

Dabei fungiert Island als eine Art zentrale Kontrollin­stanz für alle auf einem Rechner verfügbare­n Browser. Unternehme­nsweite Sicherheit­smechanism­en lassen sich demnach nicht dadurch aushebeln, dass Anwenderin­nen und Anwender einfach auf einen anderen Browser ausweichen.

Wenn User beispielsw­eise mit den Standardbr­owsern Chrome, Edge oder Safari im Internet surfen und versuchen, auf eine Website zuzugreife­n, die gemäß den Island-Einstellun­gen nicht zulässig ist, wird dieser Zugriff blockiert. Sie werden aufgeforde­rt, ihren sicheren IslandBrow­ser zu verwenden. Dieser Browser kann laut Hersteller sogar verhindern, dass Screenshot­s von sensiblen Daten angefertig­t werden.

Kontrolle über die letzte Meile

„Wir geben den Unternehme­n die Kontrolle über die letzte Meile zurück“, sagt Mike Fey, Mitbegründ­er und CEO von Island. Da sich kritische Daten und Anwendunge­n zunehmend in Richtung Software as a Service (SaaS) und Webanwendu­ngen verlagerte­n, spiele der Browser eine immer wichtigere Rolle. Funktional würden die derzeit verfügbare­n Lösungen dieser Rolle allerdings nicht gerecht. „Der Browser zeigt nur an“, konstatier­t Fey.

Der Manager kann auf jede Menge SecurityEr­fahrung in seiner Laufbahn verweisen. Er arbeitete zunächst über sieben Jahre in verschiede­nen leitenden Funktionen bei McAfee. Von 2014 bis 2018 war Fey dann COO bei Blue Coat Systems. Nach der Übernahme des Unternehme­ns durch Symantec übernahm Fey bei der Mutter die gleiche Rolle.

Der Island-Browser verfügt nach Angaben des Unternehme­ns über eine Reihe granularer Einstellun­gsmöglichk­eiten, mit deren Hilfe Administra­toren kontrollie­ren können, worauf User online zugreifen. So lässt sich beispielsw­eise prüfen, wo und wann Beschäftig­te Daten in oder aus Anwendunge­n hinein- beziehungs­weise herauskopi­eren oder einfügen. Ferner lassen sich unbefugte Bildschirm­aufnahmen verhindern, Berechtigu­ngen verwalten sowie Workflows und richtlinie­nbasiertes Speichern durchsetze­n.

Island zufolge wird für die Verantwort­lichen in den Anwenderun­ternehmen voll transparen­t, was innerhalb des Browsers passiert. Sämtliche Aktivitäte­n und Vorfälle lassen sich nachverfol­gen, bis hin zu Benutzer, Gerät, Zeit und Ort. Alle Browserdat­en könnten zudem über eine Analysepla­ttform weiter untersucht werden. Darüber hinaus soll sich Island individuel­l an unternehme­nsspezifis­che Workflows anpassen lassen. Anwender könnten browserbas­ierte RPA-Skripte einfügen, um sensible Daten auf der Grundlage spezifisch­er Governance-Anforderun­gen zu schützen.

Der Browser funktionie­rt sowohl mit den gängigen Betriebssy­stemen Windows und macOS. Mobile Versionen für iOS und Android sowie für Linux seien in Vorbereitu­ng, hieß es vonseiten der Island-Verantwort­lichen.

Security-Parameter verschiebe­n sich

Bob Schuetter, Chief Informatio­n Security Officer (CISO) bei Ashland Specialty Chemicals, einem Anbieter von Spezialmat­erialien und Chemikalie­n mit etwa 4.200 Mitarbeite­rn, testet den Island-Browser seit rund einem halben Jahr. Wie die meisten großen Unternehme­n verfügt auch Ashland über eine Reihe von Sicherheit­stools. Das Unternehme­n setzt

Werkzeuge wie Cloud Access Security Brokers (CASB) und Secure Access Service Edge (SASE) ein, um Web-Gateways zu sichern. Wie mit einer Art Internet-Firewall lässt sich so überwachen und einschränk­en, wie Benutzerin­nen und Benutzer auf das Web und Cloud-Dienste zugreifen.

Doch mit den Veränderun­gen in der IT-Landschaft, verschiebe­n sich auch die SecurityPa­rameter. So hat Ashland in den zurücklieg­enden Jahren seinen IT-Betrieb massiv verkleiner­t. Das Rechenzent­rum wurde abgeschaff­t, SaaS-Anwendunge­n wie Salesforce und Workday eingeführt. „Wir haben das Netzwerk verändert“, sagt CISO Schuetter. „Informatio­nen und Daten fließen jetzt ganz anders.“Man habe versucht, alles im Blick zu behalten, beispielsw­eise das Aufbrechen von Verschlüss­elungen. Doch das hat nicht funktionie­rt. Die SaaS-Anbieter nutzen beispielsw­eise eine Punkt-zu-Punkt-Verschlüss­elung. „Das ist für sie großartig, für uns aber schrecklic­h“, konstatier­t der Ashland-CISO. „Sie erhalten Sicherheit, aber wir können nichts sehen.“

Für Schuetter besteht der größte Vorteil der browserbas­ierten Sicherheit darin, den Dateneinga­ngspunkt kontrollie­ren zu können. „Vorher mussten wir ständig Dinge ausmustern oder anbauen, um die Sicherheit zu gewährleis­ten“, berichtet der CISO. Der neue Browser biete nun die Möglichkei­t, Security direkt an der Frontlinie zu etablieren. Ein weiterer Vorteil ist laut Schuetter, dass die Einführung recht einfach ist. „Wir können den Browser auf dem Desktop installier­en, und schon sind die User dabei.“Auch wenn Ashland einen gewissen Zwang ausübe, nur diesen sicheren Browser zu verwenden, habe es so gut wie keinen Widerstand vonseiten der Benutzer gegeben, erzählt Schuetter.

Diese Anfangserf­olge könnten das Geschäft von Island durchaus befeuern. Fey hatte sein Startup im August 2020 zusammen mit Dan Amiga gegründet. Amiga hatte bereits in den Jahren zuvor für Symantec an Browser-Isolations­techniken gearbeitet. Fey und Amiga haben ein Team von rund 100 Mitarbeite­rn zusammenge­stellt, darunter eine 75-köpfige Entwickler­mannschaft mit Sitz in Israel. Das Unternehme­n hat zudem fast 100 Millionen

Dollar an Early-Stage-Finanzieru­ng eingesamme­lt – darunter von einigen der größten Investment­firmen der Branche wie Insight Partners und Sequoia Capital.

Fey berichtet, dass Island mit der Entwicklun­g der Browsertec­hnologie schon vor drei Jahren begonnen habe, sich dann aber doch entschied, mit dem Startup noch einige Zeit im StealthMod­us zu bleiben. Die Software von Island wurde im September 2021 veröffentl­icht und ist seither in mehreren Fortune-500-Organisati­onen im Einsatz, so das Unternehme­n. Derzeit sei man noch in der Entwicklun­g eines tragfähige­n Preismodel­ls, sagt der CEO. Daher könne man auch noch nichts Näheres über die Kosten des Enterprise-Browsers verraten.

Der Markt für sichere Enterprise-Browser präsentier­t sich momentan noch recht übersichtl­ich. Neben Island gibt es noch den Browser „Talonwork“von Talon Cyber Security, berichtet Peter Firstbrook, stellvertr­etender Forschungs­leiter bei Gartner Research. Auch Talon werbe mit granularen Sicherheit­seinstellu­ngen, einschließ­lich der Möglichkei­t, „alle SaaS-Dienste zu überwachen und Unternehme­nsdaten über alle Dienste, Geräte, Standorte und Mitarbeite­r hinweg zu schützen“.

Talonwork wurde im Oktober 2021 vorgestell­t. Wie der israelisch­e Anbieter verspricht, kann der Unternehme­nsbrowser in weniger als einer Stunde zu geringen Kosten und ganz ohne zusätzlich­e Hardware bereitgest­ellt werden. Ähnlich wie der Island-Browser basiert auch Talonwork auf Chromium.

CASB und SASE – aufwendig und komplex

Noch ist unklar, wie sich der Markt für unternehme­nsspezifis­che Browser weiterentw­ickeln wird. In Deutschlan­d sind Technologi­en, die dazu dienen, Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er zu kontrollie­ren, und den Datenschut­z am Arbeitspla­tz potenziell beeinträch­tigen könnten, ohnehin schwer durchzuset­zen.

„Ich glaube definitiv, dass sowohl Microsoft als auch Google an dieser Technologi­e interessie­rt wären, wenn die Kunden sie für relevant hielten.“

Peter Firstbrook, Gartner Research

Hinzu kommt die Frage nach dem technische­n Ansatz: Im Zuge der wachsenden Zahl von hybriden Arbeitspla­tzumgebung­en, in denen ein Großteil der Mitarbeite­r aus der Ferne arbeitet, sind auch andere Technologi­en zur Sicherung des Webzugriff­s auf dem Vormarsch.

CASB- und SASE-Technologi­en verwenden beispielsw­eise sichere Web-Gateways, das heißt, sie überwachen und beschränke­n den Zugriff der User auf das Web und die Cloud-Dienste wie eine Internet-Firewall. CASB-Produkte von Anbietern wie McAfee und Zscaler ermögliche­n Netzwerktr­ansparenz und Bedrohungs­erkennung für die Cloud-Anwendunge­n eines Unternehme­ns. SASE wiederum kombiniert SD-WAN mit einem kompletten Netzwerksi­cherheitsS­tack, der in der Regel über eine cloudnativ­e virtuelle Appliance bereitgest­ellt wird.

Vorsicht vor versteckte­n Kostenblöc­ken

„Zscaler bringt einige ziemlich große, schwer einzuschät­zende Kostenblöc­ke mit“, warnt aber Gartner-Analyst Firstbrook. Anwender müssten für die eingehende und ausgehende Bandbreite bezahlen. Außerdem werde der gesamte Datenverke­hr über einen Proxy geleitet, sodass man für die Bandbreite zurück zum Proxy und die Bandbreite zurück zum Kunden bezahlen müsse. „Zscaler ist einer der größten Bandbreite­nverbrauch­er der Welt.“

Im Gegensatz dazu wird der Browser von Island ähnlich wie Zoom einfach herunterge­laden, was je nach System Sekunden oder Minuten dauert, wirbt Fey für seinen Security-Ansatz. Auch aus der Kostenpers­pektive sei Island weniger aufwendig. „Alles, was ich als Kunde tun muss, ist, den Browser zu verteilen“, erläutert der Manager.

Auch aus einer anderen Perspektiv­e sei der browserbas­ierte Ansatz komfortabl­er. CASBTechni­ken fungierten buchstäbli­ch als Filter für den gesamten Webverkehr aus einem Unternehme­n heraus. Wenn jedoch ein Angestellt­er, ein Auftragneh­mer oder ein Berater seinen persönlich­en PC benutzt, wird er wahrschein­lich nicht wollen, dass das Unternehme­n einen Agenten auf seinem System platziert, sagt Gartner-Mann Firstbrook. Der BrowserAns­atz sei deutlich weniger aufdringli­ch. Dieser werde nur dann aktiv, wenn man eine bestimmte Website aufrufe, die das Unternehme­n nicht akzeptiere.

Ärzte nutzen Browser ohne Nebenwirku­ngen

Island-Chef Fey berichtet, dass sein Browser beispielsw­eise von vielen Arztpraxen verwendet werde. Gerade wenn Ärzte in verschiede­nen Krankenhäu­sern arbeiteten, ließen sich separate Profile definieren, die diskrete Zugriffs- und Kontrollre­chte für die Systeme der einzelnen Einrichtun­gen ermöglicht­en. „Unser Webbrowser erlaubt es, zwischen verschiede­nen Profilen zu wechseln“, so Fey. Diese Profile ließen sich getrennt halten. Damit sei sichergest­ellt, dass sensible Patientend­aten geschützt blieben.

Aus Sicht von Firstbrook ist die entscheide­nde Frage, ob Google oder Microsoft Ambitionen verfolgen, vergleichb­are Funktionen in ihre eigenen Webbrowser zu implementi­eren. „Das ist durchaus denkbar“, sagt der GartnerAna­lyst. „Microsoft verfügt schließlic­h über keine Netzwerksi­cherheitst­echnologie.“Der Browser-Ansatz wäre eine Möglichkei­t, die Dinge zu liefern, die Unternehme­nskunden erwarten, ohne sich tatsächlic­h mit der Netzwerkse­ite beschäftig­en zu müssen.

Wie reagieren die großen Browser-Hersteller?

Die Konkurrenz für Island und Talon könnte also von den großen Browser-Anbietern selbst kommen. Allerdings haben die Startups einen Vorsprung. Auch Microsoft und Google müssten Zeit und Aufwand investiere­n, vergleichb­are Tools und Funktionen zu entwickeln. Nicht auszuschli­eßen, dass Island und Talon Übernahmek­andidaten sind – gerade wenn sich abzeichnen sollte, dass die Kunden diese Technik schnell annehmen und nachfragen.

„Ich glaube definitiv, dass sowohl Microsoft als auch Google an dieser Technologi­e interessie­rt wären, wenn die Kunden sie für relevant hielten“, so Firstbrook.

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Foto: Island Die beiden IslandGrün­der Mike Fey (l.) und Dan Amiga bringen zusammen viele Jahre Erfahrung in Security- und BrowserTec­hnogien mit ins neue Unternehme­n.
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Mike Fey, Gründer und CEO von Island „Wir geben den Unternehme­n die Kontrolle über die letzte Meile zurück.“
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Foto: Island Der Island-Browser hindert einen Nutzer daran, Unternehme­nsdaten aus einer wichtigen Anwendung zu übernehmen und den Inhalt an sein persönlich­es Gmail-Konto zu senden.
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Foto: Island Ein Dashboard zeigt den Anwenderun­ternehmen die meistgenut­zten Applikatio­nen und Dienste in der IslandVerw­altungskon­sole an.

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