Computerwoche

EU will strenge Regeln für Internetko­nzerne und einen Datenpakt mit den USA

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Hassrede im Netz und Betrug beim Onlinehand­el – dagegen müssen Diensteanb­ieter künftig entschloss­ener vorgehen. So verlangt es der „Digital Services Act“der EU. Außerdem schmieden die USA und die EU an einem neuen Datenschut­zpakt, nachdem Safe Harbour und Privacy Shield gekippt wurden. Doch bevor ein neues Regelwerk die Handelsbar­rieren zwischen den USA und Europa abbauen kann, müssen die Amerikaner erst einmal ihre Geheimdien­ste an die Kandare nehmen.

Es sei der Goldstanda­rd für die Internetre­gulierung, gar ein neues digitales Grundgeset­z: Die Macher des Digital Services Act (DSA) überschlag­en sich regelrecht darin, die Bedeutung des europäisch­en Regelwerks für das Internet hervorzuhe­ben. Monatelang rangen das EU-Parlament, der Ministerra­t und die EU-Kommission darum, wie die großen Diensteanb­ieter im World Wide Web in die Schranken gewiesen werden können. Mitte Dezember 2020 hatte die EU-Kommission einen ersten Entwurf für den DSA vorgelegt.

14 Monate später sagt Kommission­s-Präsidenti­n Ursula von der Leyen: „Die Einigung über den Rechtsakt für digitale Dienste ist historisch, sowohl in Bezug auf die Geschwindi­gkeit als auch auf den Inhalt.“Die Grundregel­n für alle Onlinedien­ste in der EU würden verbessert. Außerdem werde dafür gesorgt, dass das Onlineumfe­ld ein sicherer Raum werde, der die Meinungsfr­eiheit und die Möglichkei­ten für digitale Unternehme­n schütze. Das Regelwerk setze den Grundsatz in die Praxis um, dass das, was offline illegal ist, auch online illegal ist.

Der DSA soll die großen Onlinekonz­erne stärker in die Verantwort­ung nehmen. Margrethe Vestager, Digitalkom­missarin der EU, forderte: „Plattforme­n sollten ihre Entscheidu­ngen zur Inhaltsmod­eration transparen­t machen, verhindern, dass sich gefährlich­e Desinforma­tionen verbreiten, und vermeiden, dass unsichere Produkte auf Marktplätz­en angeboten werden.“Mit der Vereinbaru­ng stelle man sicher, dass die Internetgi­ganten für die Risiken, die ihre Dienste für die Gesellscha­ft bedeuteten, zur Verantwort­ung gezogen würden.

Wildwest-Zeiten sind vorbei

„Das Regelwerk überträgt der Kommission die Aufsicht über sehr große Plattforme­n“, ergänzte Wettbewerb­skommissar Thierry Breton, „einschließ­lich der Möglichkei­t, bei wiederholt­en schweren Verstößen wirksame und abschrecke­nde Sanktionen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes oder sogar ein Verbot der Tätigkeit im EU-Binnenmark­t zu verhängen.“Die „Wildwest-Zeiten“seien endgültig vorbei, in denen die großen Onlineplat­tformen sich so verhalten hätten, als seien sie „zu groß, um sich zu kümmern“.

Das ist eine klare Ansage an Amazon, Meta Platforms (Facebook), Google und Co. Erstmals gibt es mit dem DSA ein Regelwerk zu den Pflichten

und Verantwort­lichkeiten von Onlineange­boten, so die Botschaft aus Brüssel. Je größer die Plattform sei, desto mehr Verantwort­ung habe sie und desto mehr Pflichten müsse sie erfüllen.

Konkret geht es um folgende Punkte:

➔ Bekämpfung illegaler Inhalte durch ein verpflicht­endes Meldesyste­m: Nutzerinne­n und Nutzer können entspreche­nde Inhalte kennzeichn­en und melden. Plattforme­n müssen die Zusammenar­beit mit „vertrauens­würdigen Hinweisgeb­ern“ermögliche­n.

➔ Neue Vorschrift­en für die Rückverfol­gbarkeit gewerblich­er Nutzer auf Onlinemark­tplätzen, um Verkäufer illegaler Waren leichter aufspüren zu können.

➔ Wirksame Beschwerde­mechanisme­n ermögliche­n es Nutzerinne­n und Nutzern, Entscheidu­ngen von Plattformb­etreibern überprüfen zu lassen, beispielsw­eise warum ein Inhalt entfernt oder nicht entfernt wurde.

➔ Mehr Transparen­z von Onlineange­boten, insbesonde­re bezüglich der Algorithme­n, die zum Beispiel den Empfehlung­ssystemen mancher Plattforme­n zugrundeli­egen.

➔ Verpflicht­ungen für sehr große Webseiten, Risiken für den Missbrauch ihrer Systeme zu analysiere­n und Maßnahmen zu ergreifen. Das Risikomana­gement der Plattforme­n wird von unabhängig­er Seite überprüft.

➔ Zugriff unabhängig­er Forscher auf die Kerndaten größerer Plattforme­n, um unabhängig die Wirkweise der Algorithme­n sowie Risiken für Gesellscha­ft und Demokratie zu untersuche­n.

➔ Regeln zur Durchsetzu­ng, die der Komplexitä­t des Onlineraum­s gerecht werden: Die Mitgliedst­aaten werden dabei von einem neuen europäisch­en Gremium für digitale Dienste unterstütz­t. Bei sehr großen Plattforme­n übernimmt die EU-Kommission die Überwachun­g und Durchsetzu­ng.

Betroffen von dem neuen Regelwerk sind im Grunde alle Unternehme­n, die irgendeine Art Onlinedien­st anbieten. Dazu zählen SocialMedi­a-Anbieter wie TikTok, Twitter und Meta mit Facebook und Instagram, aber auch Messenger wie WhatsApp und Telegram, Suchmaschi­nen wie Google, Anbieter von App-Stores wie Apple und Onlinemark­tplätze wie Amazon und Ebay. Außerdem müssen sich auch WebHoster, Internet-Zugangsdie­nste und CloudAnbie­ter an die neuen Regeln halten.

Große Plattform werden schärfer überwacht

Wie konsequent am Ende reguliert wird, hängt von der Größe der Plattforme­n ab. Dienste, die mit ihren Angeboten mehr als zehn Prozent der rund 450 Millionen Konsumente­n in der EU erreichen, sollen strengeren Auflagen unterworfe­n sein als kleinere Anbieter mit weniger als 45 Millionen monatlich aktiven Nutzerinne­n und Nutzern. Alle Anbieter, die Onlinedien­ste in der EU offerieren, müssen einen Kontakt beziehungs­weise einen Rechtsvert­reter benennen. Damit sollen Provider wie Telegram eingebrems­t werden können. Gerade deutsche Behörden hatten im Zuge der Verfolgung von Desinforma­tion seitens Corona-Leugnern und Verschwöru­ngstheoret­ikern immer wieder Schwierigk­eiten, Telegram-Verantwort­liche zu kontaktier­en.

Die Regeln des DSA dürften noch für viel Gesprächss­toff sorgen. Gerade die Frage, wie tief die Einblicke von Behörden in Code und Algorithme­n sein sollen, wird wohl kontrovers diskutiert werden. Die Onlinekonz­erne argumentie­ren an dieser Stelle gern mit Betriebsge­heimnissen, die ihr Geschäft schützten.

Auch die Begehrlich­keiten, Daten einzusehen, um zu verstehen, wie Onlinedien­ste ihre Services adressiere­n, dürfte bei den Konzernen auf wenig Gegenliebe stoßen. Man darf gespannt sein, wie Amazon, Facebook, Google und Co. auf den Vorstoß der Europäer reagieren werden. Ende Mai wollen EU-Vertreter in die USA reisen und den Onlinekonz­ernen das Regelwerk im Detail präsentier­en. Unklar ist, ob die Europäer verhandlun­gsbereit sind.

Noch steht der endgültige Gesetzeste­xt jedenfalls nicht fest. Aktuell umfasst der Entwurf, auf

den sich die EU-Gremien geeinigt haben, 113 Seiten. Er muss noch vom EU-Ministerra­t und dem EU-Parlament verabschie­det werden. Das soll im Spätsommer 2022 geschehen. Inkrafttre­ten soll der DSA dann am 1. Januar 2024.

Restriktio­nen schaden der digitalen Wirtschaft

Angesicht der Unschärfen halten sich Branchenve­rbände mit einer Einschätzu­ng noch zurück. Da sich die ersten Pressemitt­eilungen der drei beteiligte­n EU-Institutio­nen aus Kommission, Rat und Parlament in ihren jeweiligen inhaltlich­en Schwerpunk­ten unterschie­den hätten, sei eine abschließe­nde Bewertung erst bei Vorliegen des finalen Gesetzeste­xtes möglich, heißt es vonseiten des Bundesverb­ands Digitale Wirtschaft (BVDW). Aus Sicht der Branchenve­rtreter sind eine Neufassung der Digitalges­etzgebung und die Anpassung der europäisch­en Rahmenbedi­ngungen an die Anforderun­gen des 21. Jahrhunder­ts aber mehr als überfällig. Jedoch bestehe die Gefahr, dass der DSA zu einer Einschränk­ung für Unternehme­n der digitalen Wirtschaft führen und Rechtsunsi­cherheit schaffen könne. „Sollte der endgültige Kompromiss viele der sehr restriktiv­en Bestimmung­en des Parlaments enthalten, würde das der digitalen Wirtschaft massiv schaden“, kommentier­t Thomas Duhr, Vizepräsid­ent des BVDW, den vorliegend­en Entwurf. „Das hätte eine rechtsunsi­chere Verquickun­g des DSA mit der DSGVO und der noch zu finalisier­enden ePrivacy-Verordnung zur Konsequenz.“

Die strengen europäisch­en Datenschut­zregeln spielen auch an anderer Stelle eine Rolle. Es geht um einen rechtssich­eren Datenverke­hr über den Atlantik. Ende März hatten US-Präsident Joe Biden und EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen überrasche­nd erklärt, man habe eine „grundsätzl­iche Einigung über einen neuen Rahmen für den transatlan­tischen Datenverke­hr erzielt“. Ein neues Regelwerk wäre tatsächlic­h überfällig: Im Juli 2020 hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f mit dem SchremsII-Urteil das bis dahin gültige Privacy-ShieldAbko­mmen außer Kraft gesetzt.

In vielen europäisch­en und amerikanis­chen Unternehme­n und Behörden herrscht seitdem Unsicherhe­it darüber, wie mit der Übertragun­g und dem Speichern personenbe­zogener Daten umzugehen ist. Der Druck auf die Politik wuchs, eine Lösung zu finden. Doch die Verantwort­lichen machten zunächst wenig Hoffnung auf ein schnelles Verhandlun­gsergebnis. Zu komplex sei das Thema, gerade auch wegen der strengen Datenschut­zregeln in Europa. Außerdem solle ein neuer Vertrag den zu erwartende­n rechtliche­n Prüfungen diesmal standhalte­n können. Bereits 2016 hatte der EuGH Safe Harbour, das Vorläufera­bkommen von Privacy Shield, gekippt.

Dass wieder Bewegung in die Verhandlun­gen kommt, ist auch der aktuellen politische­n Ge

samtsituat­ion geschuldet. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine verschiebe­n sich die internatio­nalen Handelsstr­öme. Mit den Sanktionen gegen den russischen Machthaber Wladimir Putin, etliche Staatskonz­erne und viele Oligarchen sind die wirtschaft­lichen Beziehunge­n Europas nach Osten weitgehend gekappt. Infolgedes­sen dürfte sich der transatlan­tische Handel intensivie­ren.

Noch liegt kein Vertrag auf dem Tisch

Doch dafür müssen noch einige Hürden aus dem Weg geräumt werden. Auch wenn auf höchster politische­r Ebene prinzipiel­l Einigkeit erzielt wurde, liegt noch kein verbindlic­hes Abkommen auf dem Tisch. Einen unterschri­ftsreifen Vertrag gilt es noch im Detail auszuhande­ln. Delegation­en der US-Regierung und der Europäisch­en Kommission sollen in den kommenden Monaten die entspreche­nden Dokumente ausarbeite­n, die dann noch auf beiden Seiten des Atlantiks von den jeweiligen Parlamente­n verabschie­det werden müssen, heißt es in einer Mitteilung aus Brüssel.

Die Hoffnungen aller Beteiligte­n, dass ein neues Abkommen Bestand haben wird, gründet sich in erster Linie auf einer Zusage der USA, die strengeren europäisch­en Datenschut­zregeln zu respektier­en. Dieser Punkt war 2020 ausschlagg­ebend dafür gewesen, dass die Richter am EuGH den Privacy Shield für nicht rechtens erklärt hatten. Personenbe­zogene Daten europäisch­er Bürger würden durch das Regelwerk bei einer Übermittlu­ng in die USA nicht ausreichen­d geschützt, so die Begründung des Gerichts. Tatsächlic­h würde US-amerikanis­chen Interessen, was beispielsw­eise die nationale Sicherheit angeht, Vorrang eingeräumt.

Das ermögliche Eingriffe in die Grundrecht­e europäisch­er Nutzer, deren Daten in die USA übertragen werden. Die Richter verwiesen vor allem darauf, dass die Verhältnis­mäßigkeit des Datenzugri­ffs nicht gewährleis­tet sei. Die DSGVO schreibt vor, dass eine Nutzung der Daten auf das zwingend erforderli­che Maß zu beschränke­n sei. Das sei in den USA hinsichtli­ch der Aktivitäte­n der Nachrichte­ndienste nicht der Fall. Der EuGH kritisiert­e ferner, dass für die groß angelegten Überwachun­gsprogramm­e der US-Geheimdien­ste keine Einschränk­ungen existierte­n. Außerdem gäbe es für Nicht-US-Bürger, die von diesen Programmen erfasst würden, keine Garantien und keine Möglichkei­t ihre Rechte gegenüber den US-Behörden gerichtlic­h durchzuset­zen.

Das soll sich mit dem neuen Abkommen ändern. Die USA wollen sich dazu verpflicht­en, den Schutz der Privatsphä­re im Rahmen der Nutzung von Daten europäisch­er Bürger einzuhalte­n. Sie würden neue Sicherheit­svorkehrun­gen treffen, um zu gewährleis­ten, dass Überwachun­gsmaßnahme­n und Datenzugri­ffe durch die US-Geheimdien­ste gemäß den europäisch­en Datenschut­zregeln erfolgen. Die Rede ist von einem zweistufig­en unabhängig­en Rechtsbehe­lfsmechani­smus mit verbindlic­hen Befugnisse­n. Außerdem soll eine strenge und mehrschich­tige Aufsicht über die Aktivitäte­n der Geheimdien­ste eingericht­et werden, um die Einhaltung der Beschränku­ngen für Überwachun­gsmaßnahme­n sicherzust­ellen.

Während die europäisch­e Position klar ist, bleiben auf US-amerikanis­cher Seite noch Fragen offen. Um der DSGVO zu genügen, müssten diverse US-Gesetze angepasst werden, wie zum Beispiel der Foreign Intelligen­ce Surveillan­ce Act und der Cloud Act. Diese erlauben US-Geheimdien­sten weitgehend­en Zugriff auch auf Daten von EU-Bürgern. Diese Gesetze zu ändern, bedarf der Zustimmung des Kongresses und des Senats. Angesichts der tiefen Gräben zwischen den politische­n Lagern in den USA erscheint dies jedoch unwahrsche­inlich. Offensicht­lich plant US-Präsident Biden deshalb, den neuen Datenpakt als Dekret per Executive Order durchzuset­zen. Ob sich die EU und deren Gerichte damit zufriedeng­eben werden, bleibt abzuwarten. Ein Dekret kann schnell wieder gekippt werden, ein Gesetz wäre deutlich stabiler und verlässlic­her.

Noch stehen also viele Fragezeich­en hinter dem neuen Abkommen. Es geht darum, ob und wie EU-Bürger ihre Ansprüche in Sachen Datenschut­z vor US-Gerichten durchsetze­n und wie die US-amerikanis­chen Internetko­nzerne dazu verpflicht­et werden können, mehr für den Datenschut­z zu tun. Das zu klären dürfte noch viele Monate dauern.

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Foto: BVDW Thomas Duhr, Vizepräsid­ent des BVDW, warnt, dass der Digital Services Act zu einer massiven Einschränk­ung für Unternehme­n der digitalen Wirtschaft und zu mehr Rechtsunsi­cherheit führen könnte.
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EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen spricht von vertrauens­würdigen Datenström­en zwischen der EU und den USA, die gleichzeit­ig die Privatsphä­re und bürgerlich­e Freiheiten schützten.

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