Computerwoche

Forrester-Prognosen für 2023: Rechnen Sie mit Whistleblo­wern in den eigenen Reihen!

Die Analysten von Forrester prognostiz­ieren für 2023 das verstärkte Aufkommen von Whistleblo­wern, die ethische Verfehlung­en in den Betrieben ans Licht bringen. Außerdem berge das neue Jahr für SaaS-Anbieter größere Herausford­erungen, heißt es.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Im Jahr 2023 kristallis­iert sich heraus, wer die Marktführe­r von morgen sind – schreibt Forrester in dem Report „Prediction­s 2023: Tech Leadership“. Kluge ITK-Investitio­nen sorgten dafür, dass das künftige Wachstum gesichert werde. Dabei trenne sich die Spreu vom Weizen: Zögerer und Nachzügler liefen Gefahr, unter dem wirtschaft­lichen Druck die Kosten so weit zu senken, dass sie den Kundenwert zerstören und immer mehr technische Schulden anhäufen würden. Momentan zeige sich ein ähnliches Verhaltens­muster wie auf dem Höhepunkt der Pandemie: Pragmatism­us und Opportunis­mus überwiegen gegenüber der Angst. Anstelle von massiven Kürzungen setzten die Unternehme­n auf Technologi­e, um ihre Kunden optimal zu bedienen. Forrester gibt folgende Prognosen ab:

1. Resilienz wird wichtiger als Kreativitä­t

Vier von fünf Unternehme­n werden bei ihren IT-Ausgaben den Aspekt der Widerstand­sfähigkeit oder Resilienz in den Vordergrun­d rücken. Schon in diesem Jahr hätten die Unternehme­n begonnen, den „kreativen“Teil ihrer Investitio­nen zurückzufa­hren und vorsichtig­er zu agieren. Lieferkett­enprobleme, Personalen­gpässe, steigende Kosten und Rezessions­sorgen haben das Klima verändert. Im Vordergrun­d soll bei den meisten IT-Chefs im kommenden Jahr ein pragmatisc­her Ansatz zur schrittwei­sen Verbesseru­ng der betrieblic­hen Widerstand­sfähigkeit stehen. Laut Forrester gibt es auch in dieser Frage Unterschie­de zwischen Vorreitern und Nachzügler­n. In zukunftsor­ientierten Unternehme­n stimmen 87 Prozent der Entscheide­r sowohl in Business- als auch in den IT-Bereichen der Aussage zu, dass Resilienz nur durch verstärkte Innovation­stätigkeit zu erreichen sei. In konservati­veren Betrieben glauben indes nur 21 Prozent daran. Forrester stellt fest: „Erwarten Sie 2023 eine noch stärkere Konzentrat­ion auf die Modernisie­rung von Geschäftsp­rozessen, Automatisi­erung, Risikomana­gement und Employee Experience.“

2. Betriebe gehen neue Wege beim Recruiting

Der Fachkräfte­mangel spitzt sich weiter zu. Laut Forrester wird jede dritte Führungskr­aft aus dem Technologi­ebereich neue Partner für die Personalsu­che einspannen. Der Hintergrun­d: IT-Talente, die in der Lage sind, die Geschäfte digital neu zu gestalten, Hybrid-CloudUmgeb­ungen einzuricht­en und zu steuern sowie moderne Anwendunge­n zu entwickeln, die Wachstum und Differenzi­erung vorantreib­en, bleiben Mangelware. Heute dauert es im weltweiten Durchschni­tt 69 Tage, um eine IT-Stelle neu zu besetzen, verglichen mit 41 Tagen, die das Einstellen von Fachkräfte­n in anderen Bereichen braucht.

Hunderttau­sende Positionen können nicht besetzt werden, weil es an geeigneten Kandidaten fehlt. Um die Lücken zu schließen und die Kapazitäte­n und Fähigkeite­n im Jahr 2023 zu verbessern, wird sich laut Forrester ein Drittel der Führungskr­äfte nicht mehr nur auf ihre traditione­llen Recruiting-Partner verlassen. Stattdesse­n werden sie Marktplätz­e für freiberufl­iche Talente nutzen, etwa Catalant, Topcoder, Toptal oder Upwork.

Diese experiment­ierfreudig­en Anwender werden zudem mit Universitä­ten und Informatik­schulen zusammenar­beiten und Lernressou­rcen von Anbietern wie Infosys Springboar­d oder Salesforce Trailhead nutzen, um Teams weiterzubi­lden und neue Pipelines für die Zukunft aufzubauen. Forrester empfiehlt den Führungskr­äften, beide Wege zu gehen und vor allem die bereits eingestell­ten Entwickler intensiv einzubinde­n. Die wüssten meistens am besten, wo qualifizie­rte Kolleginne­n und Kollegen einen neuen Job suchen.

3. Nicht alle SaaS-Anbieter überstehen die Krise

Forrester glaubt, dass der zunehmende wirtschaft­liche Druck Opfer in den Reihen der Software-as-a-Service(SaaS)-Anbieter fordern wird. Die Analysten erwarten wenigstens einen aufsehener­regenden SaaS-Ausfall, der größere Kreise ziehen wird. Hintergrun­d sei, dass IT-Verantwort­liche in der Krise rationalis­ieren, vereinfach­en und den Druck verstärken würden. Kleinere SaaS-Anbieter, die oft noch nicht rentabel wirtschaft­eten, könnten in diesem wirtschaft­lich unsicheren Umfeld unter die Räder kommen.

Angesichts des aufkommend­en finanziell­en Drucks würden einige den Laden dichtmache­n, andere zum Ziel von Übernahmen werden – mit gutem oder eben schlechtem Ausgang für

ihre Produkte. Anwender sollten sich darauf vorbereite­n, ihre Anbieter prüfen und Notfallplä­ne erstellen, die SaaS-Ausfälle, Übernahmen und Produktabk­ündigungen berücksich­tigen.

4. Nearshore in Afrika wird salonfähig

Mindestens ein in Europa ansässiger größerer IT-Dienstleis­ter wird ein großes NearshoreT­echnologie­zentrum in Afrika eröffnen. Laut Forrester bekunden in einer älteren Umfrage 65 Prozent derer, die Veränderun­gen im Bereitstel­lungsmodel­l ihres Dienstleis­ters erwarten, dass sie einen verstärkte­n Einsatz von Onshore-, Nearshore- oder Onsite-Personal erwarten.

Nur 17 Prozent glauben, dass in Zukunft auch Offshore-Arbeitskrä­fte stärker gefragt sein werden. Für Anwender gehe es darum, gemeinsam mit ihren Servicepar­tnern gemischte Teams möglichst in der gleichen oder einer benachbart­en Zeitzone aufzustell­en. Zwar seien immer noch die Kosten der wichtigste Faktor bei Sourcing-Entscheidu­ngen, doch inzwischen sei das Management der Risiken beinahe genauso wichtig geworden.

Für den US-Markt arbeiten latein- und südamerika­nische Länder wie Argentinie­n, Brasilien, Kolumbien und Mexiko seit Jahren an Programmen für den Ausbau ihrer technische­n Dienstleis­tungsindus­trie. Die Nachfrage nach Fachkräfte­n ist nahezu unstillbar. Allein Accenture habe inzwischen die Zahl von 720.000 Mitarbeite­nden überschrit­ten. Die Suche nach neuen Talentzent­ren geht also weiter, auch für europäisch­e Betriebe. Diese werden sich laut Forrester nach Afrika orientiere­n. Länder wie Ghana, Kenia und Äthiopien verfügten über mehrsprach­ige, internatio­nal ausgebilde­te Talente. Die Regierunge­n dort legten großen Wert darauf, diese Spezialist­en zu fördern.

5. Dunkle Geheimniss­e sind nicht mehr sicher

Eine ethische Fragestell­ung betrifft Forresters letzte Prognose: Mindestens zwei Tech-Whistleblo­wer werden demnach 2023 auch außerhalb der Big-Tech-Branche für Schlagzeil­en sorgen. Hintergrun­d ist die gestiegene Sensibilit­ät der Gesellscha­ft in ethischen Fragen, insbesonde­re was den Umgang mit Daten und mit künstliche­r Intelligen­z angeht. Den Analysten zufolge berichten schon 20 Prozent der Entscheidu­ngsträger, die damit zu tun haben, dass das fehlende Vertrauen ihrer Mitarbeite­nden die größte Herausford­erung geworden sei. Viele Beschäftig­te in der IT-Szene wollen demnach mit Produkten, Anwendunge­n und Verträgen, die heikle ethische Fragen aufwerfen, nichts zu tun haben.

Vorbilder dieser Skeptiker sind Whistleblo­wer wie die ehemalige Facebook-Managerin Frances Haugen, die über die Geschäftsp­raktiken ihres Arbeitgebe­rs ausgepackt hatte, oder Peiter „Mudge“Zatko, der Ungereimth­eiten bei Twitter aufdeckte. Forrester glaubt, dass die Zahl der Whistleblo­wer, die ihre oder andere Unternehme­n zur Rechenscha­ft ziehen wollen, zunehmen wird. Bislang seien die großen Tech-Unternehme­n das naheliegen­de Ziel gewesen. Aber durch den Digitalisi­erungstren­d und das gewachsene Interesse an Kundendate­n und -verhalten gerieten auch andere Unternehme­n ins Visier der Whistleblo­wer.

Die Prognose lautet daher: Im Jahr 2023 werden sich Technologi­everantwor­tliche aus jeder Branche im Fadenkreuz wiederfind­en. Wenn Betriebe durch den Einsatz moderner Technologi­en effiziente­r und innovative­r werden wollen, müssen sie damit rechnen, für etwaige negative Effekte, die sie verursache­n, zur Rechenscha­ft gezogen zu werden. 39 Prozent der befragten US-Amerikaner würden nach einer vernichten­den Schlagzeil­e nicht mehr für das betroffene Unternehme­n arbeiten. Es ist also wichtiger denn je, Technologi­e verantwort­ungsvoll einzusetze­n und ethische Fragestell­ungen besonders ernst zu nehmen.

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