connect conference
Beim connect-Branchentreff referierten führende Industrievertreter über 5G
Stand heute bleibt es dabei: 2020 wird die fünfte Mobilfunkgeneration an den Start gehen. Auch an der Vision hat sich nichts geändert: Die 5G-Netze sollen eine bislang unvorstellbar leistungsfähige Infrastruktur für eine kommunikationsgeprägte Welt bereitstellen, in der Dinge und Menschen im ganz großen Stil Daten drahtlos austauschen werden.
Jede Menge Diskussionsbedarf
Doch wie kann 5G von Anfang an ein Erfolg werden? Können die Netzbetreiber die immensen technischen Anforderungen überhaupt rechtzeitig erfüllen? Und welche Geschäftsmodelle werden die nötigen Umsätze bringen? Erste Antworten und Einblicke in den aktuellen Stand der 5G-Technik gab die connect conference, die am 1. Juni in dem Münchner Hochhauskomplex Ten Towers stattfand. Unter dem Motto „The Future of Telecommunications and Services 2017“beleuchteten hochkarätige Brancheninsider die Mobilfunkzukunft.
Chance und Herausforderung
In seiner Keynote erläuterte der Technikvorstand von Telefónica Deutschland, Cayetano Carbajo Martín, dass 5G mit besserer Performance, mehr Geschwindigkeit und geringen Verzögerungszeiten die in Zukunft erforderlichen Kapazitäten bereitstellen werde. Da die Kosten der Provider derzeit stärker steigen als die Umsätze, sei es wichtig, auch die Wirtschaftlichkeit im Auge zu behalten. Zur Refinanzierung der Investitionen müssten die Netzbetreiber angemessen an den neuen, kostenpflichtigen Services beteiligt werden. Die 5G-Erfolgsfaktoren sind für ihn neben der Qualität und Sicherheit: ein verabschiedeter Standard, der Zugang zu den Frequenzspektren durch die Regulierer und sich selbst optimierende Netze. Geräte und Anwendungen sollten zudem besser an die Infrastruktur angepasst werden.
5G startet nicht auf Knopfdruck
Martin Bouchard, Netzplanungsstratege und Rollout-Experte der Deutschen Telekom, teilte die Einschätzung seines Vorredners, der von einer evolutionären Entwicklung zu 5G und der Koexistenz mit dem LTE-Netz ausgeht. Die Telekom sieht drei typische 5G-Anwendungsfelder: Kapazität und
5G wird nicht per Knopfdruck starten, sondern sich von Ballungs- und Industriezentren ausbreiten und sich parallel technisch weiterentwickeln.
Geschwindigkeit überall (Enhanced Mobile Broadband), die umfassende Vernetzung von Sensoren und Geräten (Massive IoT, Internet of Things) und das taktile Internet, das sich durch hohe Zuverlässigkeit und geringe Verzögerungen (Ultra Reliable & Low Latency) auszeichnet.
Die sich teils widersprechenden Anforderungen dieser Anwendungsprofile bringt Network Slicing unter einen Hut. Diese essenzielle 5G-Technologie unterteilt eine gemeinsam genutzte Infrastruktur in mehrere, voneinander getrennte „Scheiben“(Slices). Der entscheidende Vorteil: Die Parameter können in jedem Bereich für sich individuell optimiert werden – zum Beispiel für die drahtlose Robotersteuerung, bei der extrem niedrige Latenzen gefragt sind.
Bouchard zufolge wird unter anderem der massive Einsatz der Mehrantennentechnik (Massive MIMO), eine effektivere Nutzung der Kapazitäten in den Randbereichen benachbarter Funkzellen (Zellkoordinierung) sowie eine stärkere Einbeziehung der Festnetz-Ressourcen (Fixed Mobile Convergence), deren Vorstufe mit Hybrid-Routern für LTE/DSL bereits im Markt ist, den angestrebten Leistungsschub bringen.
Vernetzung ist die Zukunft
Michael Reinartz, Bereichsleiter Innovation bei Vodafone Deutschland, rechnet mit weiterhin rasant steigenden Upload-Datenmengen. In einigen Jahren werde ein Fahrzeug pro Stunde um die 6 GB Daten senden. Für ihn steht außer Frage, dass die Vernetzung das Ding der Zukunft ist und infolgedessen Industrien zusammenwachsen werden. Anwendungen mit geringem Datenaufkommen, niedrigem Energieverbrauch und hoher Ende-zu-Ende(E2E)-Sicherheit werden der Wegbereiter für 5G sein. Zur Umsetzung konkreter NB(NarrowBand)-IoT-Projekte zum Beispiel im Rahmen der Smart-City-Initiative setzt Vodafone verstärkt auf Kooperationen mit Start-up-Unternehmen.
Was geht? 4 Gbit/s bei 170 km/h!
Netzausrüster Ericsson intensiviert ebenfalls die Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern. Gemeinsam mit BMW sei es in Südkorea gelungen, im Feldversuch bei Fahrzeuggeschwindigkeiten bis 170 km/h über mehrere Funkzellen hinweg dauerhaft Daten mit 4 Gbit/s zu übertragen, berichtet Christoph Bach, Leiter des Bereichs Netzwerkprodukte bei Ericsson. Mit 5G werden immer mehr Aufgaben in die Software-
Ebene verlagert. Im Kernnetz (Core Network) ist das schon der Fall: Spezialaufgaben, für die bisher zusätzliche Hardware notwendig war, übernehmen Programme (NFV, Network Function Virtualization). Und auch die Ressourcenaufteilung erledigt Ericsson über Software (SDN, Software Defined Network). Ebenfalls interessant: Network Slicing ist für die gemeinsame Nutzung einer Infrastruktur durch mehrere Netzanbieter geeignet, was den 5G-Ausbau in dünner besiedelten Gebieten erleichtern könnte. Neben der Bereitstellung der Frequenzspektren und einem flächendeckenden 5Gund Glasfaserausbau setzt sich Bach auch für eine ausgewogene Regelung zur Netzneutralität ein. Die unterschiedlichen Anforderungen kritischer Dienste machen eine technische Priorisierung unabdingbar.
Die Frage der (Re-)Finanzierung
Modernisierte, integrierte ehemalige Staatsunternehmen sind möglicherweise die einzigen, die eine 360-Grad-5G-Implementierung überhaupt finanzieren können – mit diesem Statement der Barclays Equity Research eröffnete Bruno Jacobfeuerborn seinen Vortrag. Der Technikvorstand der Deutschen Telekom ist der Meinung, dass die bisherigen Ansätze zur Virtualisierung nicht aus dem Return-On-Investment-Dilemma führen werden. In künftigen Netzen müssten Hardware und Software konsequent getrennt werden. Automatisierung, Flexibilisierung und Netzwerksteuerung müssten über programmierbare Funktionen realisiert werden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Ansatz des über 400 Mitglieder starken TIP(Telecom Infra Project)-Konsortiums, in dem auch Facebook mitmischt.
Wie 5G in das Smartphone kommt
In welchem Entwicklungsstadium sich die Systemchips künftiger 5G-Smartphones derzeit befinden, erläuterte Hamid-Reza Nazeman von Qualcomm. Er unterteilt den kommenden Funkstandard in drei Bereiche: Gigabit LTE/VoLTE, 5G NR (New Radio) mit Frequenzen bis 6 GHz und 5G NR über 6 GHz. Das zeigt, dass 4G auch künftig bedeutend bleibt. Was bis zum 5G-Start in einem Chip stecke, sei in den Labors derzeit noch zwei bis drei Schuhkartons groß. Parallel zu dem 5G-Standardisierungsprozess passt Qualcomm seine Testaufbauten permanent an die neuesten Vorgaben an. Derzeit schaffe der mmWave-Prototyp (28 GHz) Datenraten von 4 Gbit/s. Der X50-Chip werde ein 5G-Multimode-Modem für bis zu 5 Gbit/s im Downlink enthalten, alle gängigen Mobilfunkstandards unterstützen und sich über 4G/5G gleichzeitig verbinden. >>
Was mit 5G im Auto geht
Das Smartphone wächst in das Fahrzeug hinein, so der frühere Vodafone Technikvorstand Hartmut Kremling. Als Vorzeigebeispiel führt er das „Flatrate Car“Tesla Model S 100 D an. SoftwareUpdates via Mobilfunk, Navigation mit Echtzeit-Verkehrsinformationen, Internet-Radio und Videostreaming von Netflix seien in den USA ebenso verfügbar wie „Autonomes Fahren“als Sonderausstattungspaket. Für Kremling der richtige Weg: Nachfrage erzeuge Angebot, doch es gehe eben auch umgekehrt. In Phoenix, Arizona, lasse Google 500 Mini-Vans autonom fahren. Für eine kostenlose Fahrt genüge ein Anruf.
China biete ebenfalls exzellente Rahmenbedingungen: China Mobile habe 1,4 Millionen LTE-Stationen aufgebaut. Damit sei das 4GNetz fünf Mal dichter als in Europa. Zudem scheint China fest entschlossen, bis 2025 weltweit die Nummer 1 bei intelligent vernetzten, energiesparenden Fahrzeugen mit Elektro- und Brennstoffzellenantrieb zu werden. Damit ältere Automodelle – wie vorgegeben – Daten wie Status- und Verkehrsinformationen zu öffentlichen Servern übertragen können, sind leicht installierbare Nachrüstlösungen erhältlich. Der Fahrassistent Carmew biete für 160 USDollar hochwertige Kameras und einen Qualcomm-Chip mit LTE bis 150 Mbit/s – Abstandsüberwachung, Spurhalteassistent und Weiterfahralarm sind so ebenfalls an Bord. Unterstütztes Fahren sei heute schon Realität, vollautomatisches Fahren in 20 Jahren.
Einblick ins Internet der Dinge
Olaf Gerwig von P3 communications skizzierte die Prozesse im Internet der Dinge. Die in SensorNetzwerken gesammelten Daten müssten nicht nur schnell und zuverlässig transportiert werden. Im Backend komme es auf eine gute Verknüpfung der verschiedenen Datenquellen an. Die Aufbereitung für Augmented-Reality- und Virtual-Reality-Systeme erfordere
Drei Dinge zeichnen ein innovationsfreundliches Mobilfunknetz aus: standardisierte Hardware, intelligente, flexible Software als zentraler Bestandteil und ein hoher Automatisierungsgrad.
hohe Rechenleistungen. Doch Technologie sei nur ein Teilaspekt der digitalen Transformation, die es gesamtheitlich zu denken gelte, wenn wir die Chancen der erweiterten Möglichkeiten nutzen möchten.
Taktiles Internet in Aktion erleben
Professor Fettweis von der renommierten Forschungseinrichtung, dem 5G Lab der TU Dresden, geht davon aus, dass sich die Geschwindigkeiten weiterhin alle fünf Jahre verzehnfachen werden. Im Jahr 2025 wären wir dann bei 10 Gbit/s. Das taktile Internet verlangt dagegen minimale Verzögerungszeiten. Latenzen von einer Millisekunde sind erforderlich, wenn via Mobilfunk gesteuerte Roboter schnell greifen oder Videogamer in virtuellen 3-D-Welten instinktiv auf das Spielgeschehen reagieren müssen. Für langsames Greifen und die Interaktion mit 2-D-Displays reichen 10 ms. Davon sind die heutigen 4GNetzwerke mit Latenzen von 30 bis 50 ms weit entfernt. Wäre eine verzö-
gerungsfreie und zuverlässige Funksteuerung möglich, könnte die Industrie auf die fehleranfälligen, wartungsintensiven Kabelverbindungen an den Robotern verzichten und den neu gewonnenen Bewegungsfreiraum nutzen. Fettweis erklärt, dass Verzögerungen aufgrund der Lichtgeschwindigkeit unvermeidlich sind. Funkwellen können „nur“300 km/ms zurücklegen, in der Glasfaser schaffen die Daten in derselben Zeit sogar nur 200 km. Dass jede Millisekunde zählt, zeigte das 5G Lab in Videoeinspielungen: In einem Experiment muss ein Proband einen Ball fangen, den er nur über eine Virtual Reality(VR)-Brille auf sich zufliegen sieht.
Professor Frank H.P. Fitzek, ebenfalls an der TU Dresden und im 5G Lab engagiert, zeigte auf, wie die geforderten, geringen Latenzen erreicht werden können. Die via Cloud schnell verfügbaren Daten müssten über eine in den Radio Network Controller (RNC) integrierte Micro-Cloud verlagert werden. Extrem zeitkritische Teile können zudem in der Mobile Edge Cloud der Basisstation vorgehalten werden und so noch näher an den Anwender rücken. Bei der Steuerung der Netze der Zukunft würde Fitzek zufolge der Rückgriff auf lokale, auf begrenztem Wissen getroffene Entscheidungen zu guten Ergebnissen führen und damit Aufwand wie Kosten verringern. Für 5G empfiehlt Fitzek zudem einen Datencode, der sich überall und auf mehrere Quellen verteilt speichern lässt. Dies beschleunige den Zugriff auf große Datenbestände und ermögliche den Transport ohne zeitraubende Encodier- und Codierprozesse.
5G aus einem anderen Blickwinkel
Thomas Lilge von der Humboldt Universität in Berlin und Mitbegründer des Gamelab.berlin dürfte mit seiner These, dass der Mensch seine Fähigkeiten aus dem Spiel entwickelt, die Gaming Community begeistern. Er sieht 5G als Wegbereiter einer neuen Virtualisierungsstufe, in der das Beste aus der Spielewelt zum Beispiel über Augmented-Reality-Apps den Weg in die Realität finde.
Die Abschlussdiskussion
Professor Fitzeks Einschätzung zufolge wird im Jahr 2020 die 5GInfrastruktur da sein, nicht aber die angestrebte Performance. Was wir letztlich bekommen werden, muss erst im Standard festgelegt sein. Elmar Grasser von Sunrise, dem zweitgrößten Telekommunikationsanbieter der Schweiz, möchte „erst die Hausaufgaben machen und dann Fußball spielen“. Beim Netzausbau hat für ihn die Erfüllung der Kundenwünsche – mehr Geschwindigkeit, höhere Zuverlässigkeit und eine flächendeckende 4G/LTE-Verfügbarkeit – oberste Priorität. Dennoch steht auch für ihn außer Frage, dass 5G und geringe Latenzen künftig benötigt werden. Vodafone-Vertreter Michael Reinartz macht sich für eine Harmonisierung der verwendeten Frequenzspektren auf europäischer Ebene stark. Schließlich möchte niemand, dass das selbstfahrende Auto an der Grenze stehen bleibe. Als größte Herausforderung gilt die flächendeckende 5G-Versorgung inklusive 1 ms Latenz zu erträglichen Kosten. Spätestens wenn die erreicht ist, wird klar, dass 5G nicht einfach ein neuer Mobilfunkstandard ist, sondern etwas völlig Neues.