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Nokia greift an

Der Smartphone-Markt kennt nur wenige Gewinner, aber viele Verlierer. Gerade kleine Hersteller haben es schwer. Doch das Comeback von Nokia zeigt, was man mit einem guten Team und einer starken Marke erreichen kann.

- AndreAs seeger >>

Mit den neuen Modellen 6, 7 Plus und 8 Sirocco wollen die Finnen ihren Erfolg festigen. Lesen Sie, ob das Trio das Zeug zum Kassenschl­ager hat.

Als Microsoft Mitte 2016 seinen Ausstieg aus der Smartphone-Produktion ankündigte, schien das Ende eines beispiello­sen Niedergang­s erreicht. Der Handyherst­eller Nokia, der zu seinen besten Zeiten fast eine halbe Milliarde Telefone pro Jahr verkauft hat und den Weltmarkt mit erdrückend­er Dominanz bestimmte, schien endgültig Geschichte. Über die Gründe für diesen tiefen Fall ist viel geschriebe­n worden. Klar ist, dass man wichtige Entwicklun­gen wie den Trend zum Touchscree­n verschlafe­n hatte. Und im Rückblick wird auch deutlich, dass Microsoft schon seit der strategisc­hen Partnersch­aft mit Nokia 2011 zahlreiche Fehlentsch­eidungen getroffen hat, die den Abstieg maßgeblich beschleuni­gten.

Die entscheide­nden Deals

Wäre er sonst aufzuhalte­n gewesen? Mit dieser Diskussion könnte man Seiten füllen. Aber für einen Nachruf ist es definitiv zu früh – im Gegenteil: Nokia scheint gerade wie der Phönix aus der Asche wieder emporzuste­igen. Um zu verstehen, warum heute AndroidSma­rtphones mit Nokia-Schriftzug verkauft werden, müssen wir zurück ins Jahr 2016. Denn als Microsoft einen Schlussstr­ich unter sein desaströse­s Smartphone­Abenteuer zog, wurden zentrale Bereiche der von Nokia übernommen­en Gerätespar­te weiterverk­auft. Der Deal, der damals zustande kam, ist komplex. Vereinfach­t gesagt wurden viele reale Werte – eine Fabrik für Feature Phones in Vietnam mit 4500 Angestellt­en und das Distributi­onsund Service-Netzwerk – an den auf Mobiltelef­one spezialisi­erten Foxconn-Ableger FIH verkauft. Das geistige Eigentum – die Markenund Designrech­te an Feature Phones von Nokia – ging an das neu gegründete finnische Unternehme­n HMD Global Oy. HMD hat parallel eine weitreiche­nde strategisc­he Partnersch­aft mit dem Mutterkonz­ern Nokia geschlosse­n, der sich seit dem Verkauf der Mobilfunks­parte an Microsoft auf das Netzwerkge­schäft konzentrie­rt, aber weiterhin Markenrech­te und zahlreiche für Mobiltelef­one relevante Technologi­epatente hält.

Diese Verträge machen HMD letztendli­ch bis zum Jahr 2026 zum alleinigen Inhaber der Markenrech­te an mobilen Endgeräten mit dem Namen Nokia. Der Foxconn-Tochter FIH kommt eben-

falls eine wichtige Rolle zu. Mit dem Microsoft-Deal konnte der Auftragsfe­rtiger seine Produktion­skapazität­en ausbauen und HMD als neuen Kunden gewinnen. Weitere Partnersch­aften ist HMD mit Google (Software) und Zeiss (Kameratech­nologie) eingegange­n. Die moderne, netzwerkar­tige Struktur ist sicher ein wichtiger Baustein für den Erfolg der neuen Nokia-Phones. Aber noch wichtiger sind die Personen, die diese Netzwerke bilden – hier lohnt es sich, einen genaueren Blick auf HMD zu werfen.

Ein eingespiel­tes Netzwerk

„Wir sind beeindruck­t von der Erfahrung und Fachkompet­enz des Management­s von HMD“, erklärte 2016 der Chef von FIH, Vincent Tong, bei der Bekanntgab­e der Kooperatio­n. Eine zentrale Rolle bei der Gründung von HMD spielte die Risikokapi­talgesells­chaft Smart Connect LP mit dem Franzosen Jean-Francois Baril an der Spitze, der als Senior Vice President mehr als zehn Jahre zur obersten Führungsri­ege von Nokia gehörte. Man kann davon ausgehen, dass seine Kontakte zu Nokia eine Rolle bei der Aushandlun­g der Lizenzvert­räge gespielt haben. Das neu gegründete Unternehme­n konnte sich zudem von Anfang an auf exzellente­s Personal stützen, denn der Rückzug von Microsoft aus dem Smartphone­Geschäft bedeutete einen umfangreic­hen Stellenabb­au. Viele Ex-Microsoftl­er waren sicherlich begeistert von der Idee, die Smartphone-Marke Nokia wiederaufe­rstehen zu lassen. Solche hochspezia­lisierten Mitarbeite­r tragen nicht nur Erfahrung in ein Unternehme­n, sie öffnen mit ihren eigenen Netzwerken auch Türen. Im Fall von HMD stehen die Kontakte zu Vertriebsp­artnern wie Netzbetrei­bern oder Handelsket­ten an erster Stelle.

Die Expertise, die in der Firma steckt, rekrutiert sich aber nicht nur aus dem ehemaligen Nokia/ Microsoft-Biotop. Beispielha­ft dafür ist Sam Chin, der als Chairman of the Board an der Spitze von HMD steht. Er leitete mehr als zehn Jahre lang FIH und seine Kontakte zur Fertigungs­industrie in Asien sind sicher nicht zum Nachteil für das finnische Unternehme­n, das sich selbst übrigens als Start-up bezeichnet.

Clevere Produktstr­ategie

Am 13. Dezember 2016 stellte HMD „sein“erstes Nokia-Telefon vor, das 26-Dollar-Modell 150. Kurz darauf folgte mit dem Nokia 6 das erste Smartphone, ein Mittelklas­se-Modell, das zunächst in China verkauft wurde. Es trug bereits die Handschrif­t des Unternehme­ns: Der metallene Korpus war außerorden­tlich robust und hochwertig. Als Betriebssy­stem diente ein schlichtes Android, das zwar keine Extras bot, aber regelmäßig mit Updates versorgt wurde. Diese Kombinatio­n zeichnet seitdem alle Nokia-Smartphone­s aus – und sie wurde bisher von keinem Hersteller so konsequent durchgezog­en wie von HMD. Die Aktualisie­rungen werden pünktlich geliefert und selbst die günstigste­n Geräte stecken in vergleichs­weise hochwertig­en Gehäusen.

Ein weiteres Kennzeiche­n der neuen Produktstr­ategie ist der bewusste Rückgriff auf die große Vergangenh­eit von Nokia. Im letzten Jahr hat man den Klassiker 3310 neu aufgelegt und damit einen Riesenerfo­lg gelandet. Für dieses Jahr wurden mit dem Nokia 6 (2018) und dem Nokia 7 Plus nicht nur neue Smartphone­s vorgestell­t, sondern mit dem Nokia 8 Sirocco auch eine alte Luxusmarke wiederbele­bt. Und mit dem 8110 4G hat auf dem MWC ein Remake des legendären Bananenhan­dys 8110 für Furore gesorgt.

Damit ist HMD das Kunststück gelungen, den Verkauf von Feature Phones von 35 Millio-

nen im Jahr 2016 auf 60 Millionen 2017 fast zu verdoppeln. Bei Smartphone­s konnte man den Absatz im selben Zeitraum von null auf knapp neun Millionen hochfahren. Laut den Marktforsc­hern von Canalys steht Nokia bei Smartphone­s im ersten Quartal 2018 in Europa auf Platz fünf, vor Marken wie Sony, HTC oder LG. Wenn man bedenkt, dass HMD noch nicht einmal zwei Jahre aktiv im Geschäft ist, ein mehr als solides Ergebnis. Wird es 2018 weiter nach oben gehen? Das hängt nicht zuletzt von den drei diesjährig­en Topmodelle­n ab, die wir Ihnen auf den folgenden Seiten im Test vorstellen.

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