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Nokia 8 Sirocco

Mit dem breiten Korpus und dem 4:3-Display schwimmt das 8er gegen den Trend. Nokia gelingt damit ein einzigarti­ges Smartphone, das aber auch Schwächen hat.

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Beim Sirocco muss man schon zwei Mal hinschauen, um sich zu vergewisse­rn, dass es sich um ein Smartphone aus dem Jahr 2018 handelt. Denn während die Geräte immer länger und größer werden und sich das gestreckte 18:9-Display mehr und mehr durchsetzt, geht Nokia den entgegenge­setzten Weg. Das Sirocco ist nur 140 Millimeter hoch, mit 73 Millimeter­n aber fast genauso breit wie Huaweis mächtiger 6-Zöller P20 Pro (Höhe: 155 Millimeter). Das Gehäuse ist nicht quadratisc­h, bewegt sich aber in diese Richtung – ein für ein Smartphone einzigarti­ger Formfaktor.

Vor dem Kauf ausprobier­en

Der Name „Sirocco“ist eine Reminiszen­z an die schillernd­e Nokia-Historie, er bezieht sich auf die Luxusediti­on „Sirocco“ des 2007er-Telefons 8800 mit Edelstahlg­ehäuse und Saphirglas. So weit geht die Neuauflage nicht, aber mit 749 Euro ist es das mit Abstand teuerste Modell der wiederaufe­rstandenen Marke. Haptisch wird absolute Feinkost geboten. Vorderund Rückseite bestehen aus Glas, das von einem Edelstahlr­ahmen zusammenge­halten wird. Weil das Glas an den Längsseite­n stark gewölbt ist, verjüngt sich der Rahmen hier auf nur noch zwei Millimeter. Für die Power-Taste und die Lautstärke­wippe konnten daher keine Schlitze in das Metall gefräst werden, stattdesse­n füllen die Tasten die gesamte Breite aus und unterbrech­en den Rahmen an dieser Stelle. Mangelnde Stabilität muss aber niemand befürchten, das Gehäuse ist außerorden­tlich verwindung­ssteif und die Verarbeitu­ng top, das zeigt auch die IP67-Zertifizie­rung, die dem Smartphone Immunität gegen kurzzeitig­es Untertauch­en in klares Wasser bescheinig­t.

Am Formfaktor scheiden sich dagegen die Geister: Nach unserem Geschmack liegt das 8 Sirocco fast perfekt in der Hand, der gewölbte Rücken schmiegt sich den Fingern regelrecht an. Uns gefällt auch, dass sich der 5,5-Zöller aufgrund der kompakten Abmessunge­n noch ganz gut einhändig bedienen lässt. Einige Kollegen dagegen empfanden das Gerät als viel zu breit und den schmalen Rahmen als zu kantig. Daher der Hinweis: Wenn Sie mit einem Kauf liebäugeln, dann nehmen sie das Phone vorher in die Hand.

Display mit Macken

Auch das Display ist nicht unumstritt­en. Nokia setzt auf ein POLED (plastic OLED), bei

dem die Leuchtdiod­en auf eine Kunststoff­schicht statt auf Glas aufgebrach­t sind – die Voraussetz­ung, um die Ränder zu biegen. Die Farbtreue nimmt in der Schrägpers­pektive deutlich ab und der Weißpunkt verschiebt sich in Richtung Blau. Das stützt die These, dass das Display von LG kommt. Denn die gleiche Auffälligk­eit haben wir beim Google Pixel 2 XL beobachtet (Test in 1/2018), das aus den Fabriken der Koreaner stammt. Was beim Pixel-Phone kein großes Problem ist, weil man in der Regel immer gerade draufschau­t, empfinden wir beim Siroocco als störend, weil die Seiten rechts und links so stark gebogen sind, dass es eigentlich immer zu einer Verfärbung an den Rändern kommt.

Abgesehen davon präsentier­t sich das Panel durchaus ansprechen­d. Die hohe QHD-Auflösung sorgt auf 5,5 Zoll für eine extrafeine Darstellun­g, Leuchtkraf­t und Kontrastda­rstellung sind im gehobenen Mittelfeld angesiedel­t und vergleichb­ar mit dem 6,1-Zoll-Panel des Huawei P20 Pro. Leider bringen weder die gebogenen Ränder noch die besonders breite Darstellun­g einen Mehrwert im Alltag. Während Samsung die seitlichen Flächen nutzt, um Steuerungs­elemente und AppVerknüp­fungen zu platzieren oder Statusmeld­ungen einzublend­en, muss bei Nokia der schöne Schein reichen.

komfort wird großgeschr­ieben

Beim Chipsatz zeigt das Sirocco ebenfalls seinen eigenwilli­gen Charakter. Denn Nokia setzt nicht auf Qualcomms Spitzenmod­ell Snapdragon 845, was angesichts des Preises angemessen gewesen wäre. Stattdesse­n ist der Vorgänger 835 verbaut, der von üppigen 6 GB

RAM unterstütz­t wird. Für den Käufer sind damit aber keine spürbaren Nachteile verbunden. Natürlich sind die Ergebnisse in Benchmarks schlechter und auch bei der Connectivi­ty gibt es Abzüge. Aber LTE Cat 12 ermöglicht immer noch Down‍ loadraten von 600 Mbit/s und die Performanc­e ist auch bei grafikinte­nsiven Anwendunge­n Spitzenkla­sse. Auf dem Nokia 8 Sirocco kann man gut sehen, dass das Neueste nicht gleich‍ bedeutend mit dem Notwen‍ digen ist.

Der interne Speicher fasst 128 GB, was in dieser Preis‍ klasse angemessen ist – auch wenn es Hersteller gibt, die das anders sehen, etwa Samsung mit dem Galaxy S9. Beim Si‍ rocco verzichtet Nokia leider auf einen zweiten Steckplatz für eine Micro‍SD‍ oder für eine zweite SIM‍Karte, was in‍ sofern schade ist, als dass wir einen solchen schon als Mar‍ kenzeichen der neuen Nokia‍ Phones gesehen haben. Auch bei den Verbindung­smöglich‍ keiten gibt sich das Sirocco knauserig, so fehlt ein Klinken‍ anschluss für Kopfhörer. Im‍ merhin gehören ein Adapter und gute USB‍C‍Kopfhörer ebenso zum Lieferumfa­ng wie eine transparen­te Schutzhüll­e und ein Schnelllad­enetzteil. Erfreulich: Das Sirocco unter‍ stützt den Ladestanda­rd Qi, ent‍ sprechende­s Zubehör vorausge‍ setzt kann man das Smartphone also auch drahtlos auftanken.

Phone für Individual­isten

Aus dem Testlab erreichen uns gute Nachrichte­n: Die Funk‍ eigenschaf­ten sind in allen drei Netzen gut, auch die Akustik geht in Ordnung. Eine Akku‍ laufzeit von 7:50 Stunden in unserem genormten Testverfah‍ ren ist in der Oberklasse zwar nicht mehr als Durchschni­tt, bringt einen aber auch bei in‍ tensiver Nutzung durch den Tag. In der Summe erweist sich das Nokia 8 Sirocco als ein in jeder Hinsicht außergewöh­nli‍ ches Smartphone. Die Kamera gibt Rätsel auf (Kasten S. 27), der Formfaktor polarisier­t und das Display hat Macken. Es scheint so, als ob Nokia beim Design pragmatisc­he Gesichts‍ punkte in den Hintergrun­d ge‍ stellt hat, um ein visuelles Aus‍ rufezeiche­n zu setzen. Das ist den Finnen auf jeden Fall ge‍ lungen. Das Sirocco ist ein Smartphone für Individual­isten und kann in seiner Nische durchaus ein Erfolg werden.

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