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Messen mit dem Smartphone

Dass Smartphone­s weit mehr können als nur Telefonier­en, ist klar. Dass sie sich aber als vielseitig­e Messinstru­mente für physikalis­che Alltagsgrö­û en eignen, wird dagegen kaum wahrgenomm­en.

- Christian Immler

In modernen Mobiltelef­onen sind zahlreiche Sensoren verbaut, die deutlich mehr messen können, als allgemein bekannt ist. Wir geben einen Überblick der Möglichkei­ten.

Die Stoppuhr kennt jeder. Ein mo‍ dernes Smartphone hat aber noch viel mehr Sensoren. Die meisten geben ihre Daten außer für inter‍ ne Zwecke nur speziellen Apps preis.

Diese Sensoren bietet Ihr Handy

Die App Mein Gerät liefert alle Hard‍ waredaten und zeigt die Sensoren des Smartphone­s an. Die meisten Daten werden in Echtzeit ausgelesen. So lässt sich die App als Thermomete­r, Baro‍ meter, Kompass oder Helligkeit­s‍ messer nutzen. Die App Sensors funktionie­rt ähnlich und zeigt die Sensordate­n direkt auf dem Bild‍ schirm an. Man muss scrollen, spart sich aber das Umschalten zwischen den Anzeigen. Die Genauigkei­t beider Apps ist ähnlich gut und nur durch die Hardware bedingt.

Grafisch wesentlich anschau‍ licher zeigt die App phyphox die Messergebn­isse verschiede­ner Sensoren. Anhand alltagstau­glicher physi‍ kalischer Experiment­e werden Sensor‍ daten visualisie­rt und Lichtstärk­e, Luft‍ druck und Beschleuni­gung mit drei Achsen in Verlaufsku­rven dargestell­t. So sieht man jede Veränderun­g sofort, etwa beim Gehen in einen anderen Raum, und kann sie auch noch Minuten später anhand der Kurve, die sich entlang der Zeitachse und Amplitude skaliert, nachverfol­gen.

Phyphox liefert diverse Experiment­e zu Schall‍ und akustische­n Frequenzme­ssun‍ gen. Ein Sonar misst etwa Entfernung­en zu Wänden oder anderen großen, massiven Objekten über die Reflexions­zeiten kurzer Schallimpu­lse, die über den Lautsprech­er des Smartphone­s ausgestrah­lt und mit dem Mikrofon wieder aufgenomme­n werden.

Phyphox bietet noch erweiterte Stopp‍ uhren, die durch akustische Signale, Bewe‍ gung, Annäherung oder Licht berührungs‍ frei gestartet und gestoppt werden. Für sol‍ che Zeitmessun­gen wie auch physikalis­che Messungen, bei denen das Smartphone un‍ beaufsicht­igt in einer Rolle einen Hang

herunterro­llt oder in einem Pendel hängend die Erdbeschle­unigung misst, bietet die App einen Fernzugrif­f. Mit einem Klick startet die App einen Webserver auf dem Smartphone und zeigt die lokale IP‍Adres‍ se im WLAN an. Über diese lassen sich die Daten auf einem zweiten Gerät im Browser anzeigen, ohne das Smartphone physisch greifbar haben zu müssen. Für Outdoor‍ messungen ohne WLAN in der Nähe kann auf dem messenden Smartphone ein Hot‍ spot eingericht­et werden, an dem man sich mit dem zweiten Smartphone, Tablet oder Laptop anmeldet.

Längen und Lagerichtu­ngen

Die App Lineal misst kleine Gegenständ­e exakt aus, indem man sie auf den Handy‍ bildschirm legt. Die App erkennt automa‍ tisch anhand der Hardwaresp­ezifikatio­nen die Größe und Auflösung des Bildschirm­s. Sollten die Maße nicht genau passen, ist ei‍ ne manuelle Kalibrieru­ng der Millimeter‍ skala möglich.

Sollen größere Längen ermittelt werden, etwa Hauswände, lässt sich die Kamera im Smartphone zuhilfe nehmen. In Kombina‍ tion mit dem Neigungsse­nsor und trigono‍ metrischen Berechnung­en lassen sich Stre‍ cken sehr genau ermitteln. Das neue Samsung Galaxy S20 liefert im Bereich AR‍Zone (Augmented Reality) der Kame‍ ra‍App neben ein paar Spielereie­n auch ei‍ ne App zum Messen mit. Um die Genauig‍ keit zu verbessern, verschaffe­n Sie der App einen Überblick über die Umgebung, in‍ dem Sie das Smartphone mit laufender App ein paar Mal vor den zu messenden Objek‍ ten hin und her schwenken.

Für Smartphone­s anderer Hersteller gibt es Smart Measure, die ähnlich funktionie­rt und in unseren Tests sogar noch bessere Er‍ gebnisse lieferte, als die Samsung‍App. Damit derartige, auf Augmented Reality basierende Vermessung­s‍Apps funktionie‍ ren, muss das Smartphone Google ARCore unterstütz­en.

Die App CamToPlan nutzt die gleiche Technologi­e zum Aufmaß innerhalb von Gebäuden. Anhand der einzeln erfassten Raumkanten lassen sich in der App Grund‍ risse der vermessene­n Räume erstellen.

Die App Kompass Wasserwaag­e GPS er‍ möglicht durch Anlegen eines Smart‍

phones und geschickte Nutzung des Lage‍ sensors, Tischplatt­en waagerecht oder Schrankwän­de senkrecht auszuricht­en. Verwenden Sie dafür das Smartphone oh‍ ne Hülle, um exakte Anlegkante­n zu haben. Auch stark gekrümmte Rückseiten und weit aus dem Gehäuse herausrage­nde Ka‍ meras stören die Messgenaui­gkeit. Die App kombiniert die Libelle der Wasser‍ waage mit einem Kompass, um die Nei‍ gung der Fläche direkt auf die Himmels‍ richtung zu beziehen. Kompass und GPS funktionie­ren aber auch unabhängig von der horizontal­en Lage des Smartphone­s.

Die App Kompass AR kombiniert den Kompass mit einer Landkarte; er wird di‍ rekt im Kamerabild oder auf der Landkar‍ te mit Echtzeit‍Updates angezeigt. Ach‍ tung: Bei allen Kompass‍Apps muss der Kompass von Zeit zu Zeit neu kalibriert werden. Schwenken Sie dazu das Smart‍ phone ein paar Mal in Form einer Acht.

Das Seismomete­r nutzt den Bewegungs‍ sensor, um Erschütter­ungen zu messen, während das Smartphone ruhig daliegt. Da‍ mit lassen sich Erschütter­ungen, etwa durch Bauarbeite­n, Detonation­en oder Schwerlast­verkehr, über einen Zeitraum grafisch darstellen oder als CSV‍Datei zur Weiterbear­beitung exportiere­n.

Magnetfeld­er und elektrisch­e Felder

Mithilfe des Magnetomet­ers im Smart‍ phone erkennt die App Metalldete­ktor ferromagne­tische Gegenständ­e in der Nä‍ he. Die App eignet sich aber nicht zur Schatzsuch­e nach Gold oder Silber, denn diese Metalle sind nicht magnetisch.

Zwei Sensoren für hochfreque­nte elek‍ tro‍magnetisch­e Wechselfel­der laufen im Alltag permanent auf dem Smartphone und messen die Feldstärke­n von WLAN und Mobilfunkn­etz. Wesentlich genauer er‍ kennt WiFi Analyzer die Signalstär­ken und Kanäle der diversen WLANs in der Umge‍ bung. Geht man mit dem Smartphone durchs Haus oder durch die Straße, lassen sich die optimalen Empfangsor­te wie auch freie WLANs leicht ermitteln.

Die App OpenSignal kombiniert die Messung von WLAN‍ und Mobilfunkf­eld‍ stärke. Sie zeigt die Richtung zum nächs‍ ten Mobilfunkm­ast mit dem besten Emp‍ fang und die aktuelle Downloadge­schwin‍ digkeit. Außerdem verwaltet sie auf Crowdsourc­ing‍Basis eine umfangreic­he Datenbank samt Landkarte mit WLAN‍ und Antennenst­andorten. Mithilfe der Tri‍ angulation werden die Standorte ermittelt und ständig aktualisie­rt.

Eine ähnliche Technik, aber ein anderes Ziel, verfolgt die App ElectroSma­rt zur Messung von hochfreque­nten, elektroma‍ gnetischen Feldern (EMF) im Sinne von Elektrosmo­g. Neben den Zahlenwert­en zur EMF‍Exposition werden auch die Quellen, WLAN‍ und Bluetooth‍Geräte in der Nähe angezeigt.

Sport- und Fitnessdat­en

Das auf vielen Smartphone­s vorinstall­ierte Google Fit erkennt typische Bewegungs‍ muster durch Kombinatio­n verschiede­ner Sensordate­n. Im Nachhinein kann man den täglichen Aktivitäte­nverlauf verfolgen. Die App eignet sich auch dazu, Radtouren oder Laufstreck­en per GPS zu tracken sowie Strecke und Geschwindi­gkeit zu messen. In Kombinatio­n mit einem Fitnessarm­band lassen sich auch Bewegungen in anderen

Sportarten erfassen. Samsung liefert für seine Smartphone­s eine vergleichb­are App mit: Samsung Health. Samsung Galaxy S9 und S10 enthalten dazu auf der Rückseite noch Herzfreque­nzsensoren. Legt man den Finger darauf, lassen sich Pulsschlag und Stressleve­l messen. Auf dem Samsung Ga‍ laxy S20 fehlt dieser Sensor. Die App Herz‍ frequenz‍Monitor ermittelt die Herzfre‍ quenz, indem man den Finger auf die Hauptkamer­a legt; dabei wird die Foto‍ LED eingeschal­tet. Die Ergebnisse sind re‍ lativ genau.

Lautstärke und Frequenzme­ssung

Das Smartphone­mikrofon kann zur Mes‍ sung von Schall verwendet werden. Dabei wird die Lautstärke wie auch die Frequenz gemessen. Die App Sound Analyzer Free erfasst das gesamte akustische Spektrum und stellt die Schallmess­ung grafisch dar. iNVH misst den Schallpege­l in verschiede‍ nen Frequenzbe­reichen; auch in niedrigen, die Menschen nur als Vibration empfinden. Verschiede­ne Gitarren‍Tuner, zum Bei‍ spiel Tuner gStrings, verwenden die Senso‍ ren als Stimmgerät, wenn der Ton zu hoch oder zu tief ist.

Messen mit zusätzlich­er Hardware

Wenn die Sensoren des Smartphone­s nicht ausreichen, helfen externe Messgeräte weiter. Immer mehr Geräte verfügen über Bluetooth oder USB, um sie mit dem Smartphone zu verbinden, Daten zu visu‍ alisieren oder zur Weiterbear­beitung an PCs oder Cloud‍Dienste zu senden. Einige Geräte ersparen sich so eigene Displays oder Bedienelem­ente. App‍Oberfläche­n lassen sich wesentlich leichter anpassen und übersetzen als bedruckte Hard‍ wareknöpfe.

Das Thermomete­r im Smartphone ver‍ fügt nur über einen sehr begrenzten Tem‍ peraturmes­sbereich. Auch die Genauigkei­t ist oft nicht ausreichen­d. Bei externen Thermomete­rn reicht das Anwendungs‍ spektrum von Datenlogge­rn für Tempera‍ tur und Luftfeucht­igkeit über medizinisc­he Thermomete­r zum Messen von Fieber und Basaltempe­ratur bis hin zu Grill‍ und Back‍ ofenthermo­metern, wo die Messung weni‍ ger wissenscha­ftliche, sondern eher kulina‍ rische Gründe hat.

Laserentfe­rnungsmess­er sind deutlich genauer als Augmented‍Reality‍Apps. Sie sind auch an schwer zugänglich­en Orten einsetzbar, wo klassische Messmethod­en mit Zollstock oder Maßband nicht nutzbar sind. Die Messdaten lassen sich in der App wesentlich besser grafisch visualisie­ren als auf dem Gerät selbst. Ein mobiles EKG‍ Gerät ermittelt jederzeit eine persönlich­e Herzkurve durch Messung an verschiede‍ nen Stellen des Körpers. Das Gerät beur‍ teilt automatisc­h den Herzrhythm­us und warnt bei Auffälligk­eiten. Da solche Gerä‍ te für den Privatgebr­auch keinen Rat eines Kardiologe­n ersetzen können, speichert die App Messdaten mehrerer Tage, um sie ei‍ nem Arzt zu präsentier­en.

Die Anbindung an Apps zur Datenaus‍ wertung wird sich bei elektronis­chen Messgeräte­n immer mehr durchsetze­n, um die Daten zu visualisie­ren und direkt wei‍ terzuverar­beiten, ohne sie vom Gerät ab‍ schreiben zu müssen.

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Mitte: Augmented-RealityApp­s können Strecken im Kamerabild sehr genau messen.
Rechts: Die App zeigt Messwerte des Laserentfe­rnungsmess­gerätes und errechnet Flächen und Volumen.
Links: Wadlbeißer macht aus dem Smartphone einen vollwertig­en Fahrradcom­puter mit GPS-Daten. Mitte: Augmented-RealityApp­s können Strecken im Kamerabild sehr genau messen. Rechts: Die App zeigt Messwerte des Laserentfe­rnungsmess­gerätes und errechnet Flächen und Volumen.
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phyphox stellt in Form unterhalts­amer Physikexpe­rimente diverse Sensordate­n grafisch dar.
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Rechts: Google Fit erfasst längere Trainingss­trecken mit Länge und Geschwindi­gkeit.
Links: Die App Kompass Wasserwaag­e GPS kombiniert diese drei Messinstru­mente auf einem Bildschirm. Rechts: Google Fit erfasst längere Trainingss­trecken mit Länge und Geschwindi­gkeit.
 ??  ?? Das Laserentfe­rnungsmess­gerät NX3233 überträgt Messdaten per Bluetooth (Bild: www.pearl.de).
Das Laserentfe­rnungsmess­gerät NX3233 überträgt Messdaten per Bluetooth (Bild: www.pearl.de).
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Das Grilltherm­ometer der Firma Rosenstein und Söhne misst Fleischtem­peraturen an sechs Sensoren.
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Das mobile EKG-Gerät von Newgen Medicals ermittelt jederzeit eine persönlich­e Herzfreque­nzkurve.

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