Vernetzung made in china
Was bieten von chinesischen Herstellern für ihren Heimatmarkt entwickelte Autos in puncto Connectivity und User Experience? Wo stehen sie im Vergleich mit westlichen Marken?
Was bieten die für den chinesischen Heimatmarkt entwickelten EAutos in puncto Connectivity und User Experience? umlaut hat’s getestet.
Traditionell legen Audi, BMW, Mercedes, VW und Co. großen Wert auf den riesigen und für sie wichtigen Absatzmarkt China. Doch im Reich der Mitte ist längst auch ein florierendes Angebot an heimischen Herstellern entstanden. Für die wenigsten Europäer dürften die in und für China entwickelten Autos derzeit eine Alternative zu hiesigen Fahrzeugen sein – das scheitert außer an Importvorschriften und Logistik auch daran, dass die Hersteller dieser Autos bislang keine Anpassung an westliche Sprachen vornahmen. Trotzdem ist ein Blick auf diesen dynamischen Automobilmarkt aufschlussreich. Besonders interessiert hat uns dabei, wo chinesische Hersteller im Vergleich zu europäischen und teilweise US-amerikanischen Konkurrenten in Sachen Connectivity, User Experience und digitalen Angeboten stehen.
Ausschlaggebend für diese Idee war, dass unser langjähriger Autotest-Partner umlaut in China eine Dependance betreibt, um die dortigen Autohersteller zu beraten. Die vor Ort arbeitenden Ingenieure und somit in diesem Projekt unsere Tester sind allesamt chinesische Muttersprachler, die sich perfekt mit dem chinesischen Markt sowie seinen – aus europäischer Sicht – kulturellen Besonderheiten auskennen. Sie haben für connect vier aktuell populäre und technologisch führende Autos aus chinesischer Produktion unserem Connectivity- und User-Experience-Test unterzogen.
Direkter Leistungsvergleich
Um den Stand der chinesischen gegenüber den europäischen Herstellern zu ermitteln, wurden dieselben Testkriterien und Fragebögen bewertet, die wir für unsere Tests von hierzulande erhältlichen Autos nut
Die auf chinesische Kunden ausgerichteten Dienste und Funktionen sind nicht in allen Aspekten mit den Angeboten westlicher Autohersteller vergleichbar. Doch selbst mit diesen Abstrichen machen Anbieter wie etwa BYD und NIO in unserem Vergleich eine gute Figur. Manche ihrer Innovationen stünden auch hiesigen Herstellern gut zu Gesicht.“
Hakan Ekmen,
Managing Director bei umlaut
zen. Dabei zeigte sich jedoch, dass alle vier chinesischen Modelle einige grundsätzliche Eigenschaften und – wieder aus europäischer Sicht – Besonderheiten teilen: Die Smart phoneIntegrationen Apple Carplay, Android Auto oder Mirrorlink fin den sich in keinem davon. Da sie und die darüber nutzbaren Apps nur rudimentär für China angepasst wurden, haben sie auf dem dortigen Markt keine große Bedeutung. Die in den letzten Jahren eskalierten Handelskonflikte dürften zudem ein grundsätzliches Misstrauen ge gen USPlattformen bedingen. So findet sich zum Beispiel auch Google Earth in keinem der getes teten Fahrzeuge.
Bei der Bedienung dominieren ne ben Touchscreens vor allem Sprach dialoge – alle vier Kandidaten setzen dabei auf KISysteme, die Hersteller NIO und XPeng (sowie BYD optio nal) unterstützen sie sogar mit der Visualisierung von virtuellen Assis tenten. Da die Fahrer etwa bei Adresseingaben immer wieder chinesische Schriftzeichen verwen den müssen, sind InputPads mit Handschriftenerkennung ebenfalls Standard. Nicht anfreunden können sich chinesische Hersteller hingegen offenbar mit der Gestensteuerung.
Praxisgerechter Komfort
Das bei uns noch eher seltene pri vate Carsharing – in der Regel durch Weitergabe eines virtuellen Schlüs sels per App – ist hingegen bei allen vier Kandidaten möglich.
Bei den Navigationskarten und Info-Angeboten haben die Fahrer häufig die Auswahl zwischen mehreren, auf einzelne Regionen fokussierte Lieferanten oder können sich in fahrzeugspezifischen App-Stores eine persönliche Kombination zusammenstellen. Nachvollziehbar in einem Land, das mehr als doppelt so viel Fläche hat wie die Europäische Union und etwa 27-mal so groß ist wie Deutschland. Karten- sowie Software-Updates over the air sind ohnehin Standard bei allen vier Autos.
Landestypische innovationen
Allerdings wollten wir uns nicht allein auf mit westlichen Fahrzeugen vergleichbare Kriterien beschränken. Deshalb haben die umlaut-Tester auch einen eigenen Blick auf landestypische Innovationen geworfen. Die beginnen bei NIO und XPeng schon mit der – für den europäischen Geschmack ungewohnt comic-artigen – Visualisierung der virtuellen Assistenten. Die Online-Systeme von BYD und XPeng bieten In-Car-Shopping – etwa die Vorbestellung von Waren in Supermärkten –, bei XPeng kann man sogar Kino- oder Event-Tickets aus dem Auto heraus ordern. Und bis auf den NIO EC6 bieten alle Fahrzeuge eine – sehr landestypische – In-Car-Karaoke-Funktion.
BYD und Lixiang unterstützen Voice-Chats über den in China beliebten Dienst WeChat – eine Erklärung dafür, warum die hierzulande noch populäreren textbasier
ten Messaging-Kanäle wie SMS und E-Mails in chinesischen Autos eine nur untergeordnete Rolle spielen.
Und statt dem bei uns üblichen fallweisen Location-Sharing, können sich Fahrer aller vier getesteten Marken mit Freunden und Familienmitgliedern zu einer User-Community zusammenschließen und dort, wie in einer geschlossenen Benutzergruppe eines sozialen Netzwerks, ihre Standorte, Bilder und Sprachnachrichten austauschen.
BYD- und XPeng-Fahrer finden im Online-Store des Autos TEDTalks oder Fremdsprachen-Lektionen, die sie sich dann im Stau anschauen können. Fahrer des XPeng P7 haben bei medizinischen Problemen die Option, sich direkt mit einem Arzt verbinden zu lassen. Bei BYD und XPeng kann man Strafzettel gleich aus dem Auto bezahlen.
Allerdings zeigt der Vergleich auch, dass die Hersteller durchaus unterschiedliche Philosophien vertreten: Beim Startup NIO, das auch ein Entwicklungszentrum in München betreibt, spielen Dienste wie In-Car-Shopping zumindest im getesteten Modell EC6 keine Rolle. Dafür bietet dieser E-Auto-Hersteller mit „Valet Charging“einen bemerkenswerten Service: Auf Wunsch kommt ein NIO-Mitarbeiter, um das Fahrzeug zu einer Ladestation zu fahren und es später voll aufgeladen wieder beim Kunden abzustellen.
Von solchen Ideen dürften sich auch westliche Hersteller das eine oder andere Beispiel abschauen.
Gegenseitige Inspiration
Trotz der konzeptionellen Unterschiede, die bei einer Reihe unserer Bewertungskategorien zu Punktabzug führen, erzielen vor allem die Modelle von BYD und NIO gute Ergebnisse, die es durchaus mit den vorderen Platzierungen in unseren bisherigen Car-Connectivity-Tests aufnehmen können. Allzu sehr auf ihren Lorbeeren ausruhen sollten sich westliche Hersteller daher nicht.
Allerdings würde eine Expansion auf den europäischen Markt und in andere Regionen der Welt für die chinesischen Anbieter einen immensen Lokalisierungsaufwand bedeuten, den sie sich vermutlich zweimal überlegen werden. Doch dass NIO bereits eine Präsenz in München und XPeng eine Dependance im Silicon Valley betreiben, zeigt, dass diese Hersteller solche Optionen durchaus erwägen – und sich mindestens von hiesigen Entwicklungen inspirieren lassen. Vor allem dies sollten die westlichen Hersteller in umgekehrter Richtung ebenfalls verfolgen.