Country Homes (Germany)

Einsame Schönheit Die Scilly Islands

Mildes Klima, wunderschö­ne Sandstränd­e und türkisblau­es Meer – mit viel Charakter und ganz individuel­lem Charme bildet die Inselgrupp­e ein kleines Paradies vor der cornischen Westküste.

- Text: Ulrike Herzog Fotos: Ulrike Herzog, Visit Britain

Mit viel Charakter und Charme bildet die Inselgrupp­e ein kleines Paradies vor der cornischen Westküste.

Je weiter westlich ich in Großbritan­nien komme, desto langsamer wird die Zeit. Minuten fühlen sich wie Stunden an. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, die Uhren hätten irgendwo auf dem Weg den Rückwärtsg­ang eingelegt. Und ganz in Großbritan­niens Westen gehen sie besonders langsam: auf den Scilly-Inseln. Für die Anreise sollte man unbedingt einen ganzen Tag einplanen: Ein Flug nach London, ein weiterer nach Newquay und dann entweder mit dem Skybus von dort zur Insel St Mary’s oder von Penzance mit der Fähre. Bei unbeständi­gem Wetter ist die Fähre die sichere Lösung. Das Schiff, das mich auf die Scillys bringen soll ist voll beladen, vorwiegend mit Tagestouri­sten in Hundebegle­itung und Birders. Birders sind vogelbegei­sterte Briten, die in Scharen kommen um in grüner Tarnkleidu­ng und mit einem Fernglas im Gepäck die artenreich­e Vogelwelt der Inseln zu beobachten. Hugh Town ist der Dreh- und Angelpunkt meines Aufenthalt­s und der Scillys. Die „Hauptstadt“der Inseln besitzt als einzige einen Fährhafen. Zwischen den Inseln – genauer gesagt zwischen den bewohnten, zu denen gerade einmal fünf der 140 Eilande gehören – verkehren kleinere Fährboote, die etwa 30–50 Personen fassen. Über dem Städtchen thront auf einem Hügel das Star Castle Hotel. Sein Eigentümer: Prince Charles. Pächter ist seit einigen Jahren Robert Francis, der das Hotel in ein einmaliges Schmuckstü­ck verwandelt hat. Einst eine von Elizabeth I. erbaute Festung, kann man heute vom Hotelchef persönlich gefangene Hummer und andere Köstlichke­iten genießen, an Weinproben auf seinem Weinberg teilnehmen, zu einer Inselwande­rung aufbrechen oder einfach in einem der herrlich nostalgisc­hen Zimmer die Zeit vergessen während der Blick über das malerische Hugh Town schweift.

Die Insulaner, die Scillonian­s, leben mit den Gezeiten. Das macht sie bescheiden und entspannt, eine aussterben­de Sorte Mensch im oft so hektischen Alltag. Allerdings muss man gemacht sein für dieses spezielle Inselleben, eine stabile Psyche und ein Liebe zur Einsamkeit sind Grundvorau­ssetzung. Denn obwohl es auf den Scillys eigentlich nicht schneit und zweistelli­ge Temperatur­en im Winter Normalität sind, werden die Bewohner durch einen regelmäßig wiederkehr­enden Gast getriezt: den Wind. Wie ein tobendes Kleinkind kann er einen durchaus an den Rand des Wahnsinns treiben, berichtet Wahl-Scillonian Zoë Julian, die mit ihrem Mann das Unternehme­n Scilly Flowers führt. Das Paar züchtet Narzissen, die es an Kunden in ganz Großbritan­nien versendet. Das Klima am abgeschied­enen Ende Europas ist ideal für die Blumenzuch­t. Der Golfstrom sorgt für so milde Temperatur­en und hohe Luftfeucht­igkeit, dass exotische Pflanzen das ganze Jahr gedeihen. Von den 1950er bis in die 1990er Jahre waren die Inseln deshalb Hauptliefe­rant für das blumenverl­iebte Königreich und lebten zu einem erhebliche­n Teil vom Blumenexpo­rt – bis die ausländisc­he Konkurrenz

Ebbe & Flut geben den Lebensrhyt­hmus der Scillonian­s vor – ihr Alltag hat sich dem Takt der Gezeiten angepasst.

zu günstig wurde, um mithalten zu können. Nun dreht sich der Wind erneut: die Kunden entdecken die Kombinatio­n von Qualität und Regionalit­ät wieder für sich. Davon profitiere­n die Julians, mit ihren blühenden Schönheite­n auf der Insel St Martin’s. Sie ist gerade groß genug für einen Tagesausfl­ug mit blökenden Schafen und einem sich stets wandelnden Landschaft­sbild. Wer der Realität weiter entfliehen will, geht ins Pub Seven Stones Inn. Hier wird das inseleigen­e IPA (India Pale Ale) namens Associatio­n serviert – benannt nach dem 1707 an den Scillys zerschellt­en und gesunkenen Flaggschif­f der britischen Marine. Deutlich länger hält allerdings der Rausch vor, den man an Bord von Mark Groves’ Schlauchbo­ot erfährt. Er nimmt mich mit auf Seal Safari. Auf den Sandbänken der Scillys leben unzählige Kegelrobbe­n – eine der größten Population­en Europas. Mit Marks wendigem Boot, auf dem acht Personen Platz haben, kommt man den Tieren so nah, wie es auf dem Wasser nur geht. Wer auf Tuchfühlun­g gehen will, kann beim Seal Snorkeling mit den neugierige­n Tieren schwimmen. Da die Robben aber nicht scheu sind, blickt man ihnen auch

vom Boot aus tief in die Augen. Glückspilz­e wie ich erspähen vielleicht sogar ein Junges. Mark erklärt uns, dass die Kleinen im Sommer geboren werden und lediglich drei Wochen unter der Obhut ihrer Mutter bleiben. Danach werden sie sich selbst überlassen. Robben haben auf den Scillys jedoch keine natürliche­n Feinde – faul und friedlich lebt sich’s doch am schönsten.

Auf der Fahrt bekomme ich ein Gespür für diese Inseln, von denen die kleinsten nicht mehr sind als aus dem Wasser ragende Felsformat­ionen. Krähenscha­rben, Tölpel und Papageient­aucher schweben über dem tiefen blauen Meer. Nicht nur das Star Castle Hotel, alle Inseln sind Eigentum des Duchy of Cornwall (Prince Charles). Regiert werden sie jedoch von einer größeren, höheren Macht: den Gezeiten. Ebbe und Flut geben den Takt für den Rhythmus des Lebens vor, fast mehr als Tag und Nacht. Das weiß auch Chris Potterton, den ich auf seiner Heimatinse­l Bryher kennenlern­e. In Gummistief­eln stapfen wir durchs Watt, vorbei an Seesternen und Krebsen. Auf den Sandbänken vor Bryher sind Boote vertäut. Solche, die nicht mehr fahrtüchti­g sind, dienen auf der Insel als Zuhause für Gräser und Sukkulente­n. Hinter Hecken und Zäunen schlummern Cot-

tages, Farmen locken mit Gemüsestän­den, in einer alten Bootswerft malt der Künstler Richard Pearce mit Blick auf die Bucht. Vorbei an Farnen und grünen Hängen führt der Fußweg über die Insel, entlang wild wachsender Brombeeren und Agapanthen, von denen der Tau tropft. Läge hier keine aktuelle Zeitung aus, ich hätte keine Ahnung, welches Jahr wir schreiben. Bryhers Zauber heißt Zeitlosigk­eit.

Die Eilande besitzen ganz eigene Charaktere. Während St Mary’s das betriebsam­e Zentrum bildet, präsentier­t sich Bryher eher weltabgewa­ndt. Auf Tresco tummeln sich die Schönen und Reichen, als einzige Insel befindet sie sich in Privatbesi­tz. Ein Ort auf Tresco lässt mich nicht los: der Abbey Garden. Der Garten voll exotischer Gewächse liegt inmitten alter Klostermau­ern. Durch ein steinernes Tor betritt man eine magische Welt aus Ranken, bunten Blüten und Wurzeln. Im Zentrum dieser Anlage lebt die Besitzerfa­milie Dorrien-Smith, in einer schlichten Villa aus Stein, gezeichnet von Wasser und Wind. Von der Terrasse blickt man über den Garten, die Bucht und den Pool. Genau so sieht das Luxusmodel­l des britischen Understate­ments aus: Ein bisschen verschrobe­n und aus der Zeit gefallen.

 ??  ?? SEHNSUCHTS­ZIEL Entspannun­g pur! Nach der Anreise führt der Weg zum Strand und zu herrlichen Ausblicken aufs Meer.
SEHNSUCHTS­ZIEL Entspannun­g pur! Nach der Anreise führt der Weg zum Strand und zu herrlichen Ausblicken aufs Meer.
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 ??  ?? UNTEN Stolz ragen zerklüftet­e Felsen aus dem Meer. Was sie wohl schon alles erlebt haben?
UNTEN Stolz ragen zerklüftet­e Felsen aus dem Meer. Was sie wohl schon alles erlebt haben?
 ??  ?? LINKS MITTE Auf einer Seal Safari komt man den zutraulich­en Robben ganz nah und kann sogar mit ihnen schwimmen.
LINKS MITTE Auf einer Seal Safari komt man den zutraulich­en Robben ganz nah und kann sogar mit ihnen schwimmen.
 ??  ?? LINKS OBEN Korallrote Seesterne heben sich leuchtend vom weißen Sand ab.
LINKS OBEN Korallrote Seesterne heben sich leuchtend vom weißen Sand ab.
 ??  ?? RECHTSUNTE­N Selbst der Haupthafen in Hugh Town wirkt mit seinen Segelboote­n und kleinen Kaimauern, als stünde die Zeit still.
RECHTSUNTE­N Selbst der Haupthafen in Hugh Town wirkt mit seinen Segelboote­n und kleinen Kaimauern, als stünde die Zeit still.
 ??  ?? RECHTS OBEN Wenn sie blühen, tauchen Schmucklil­ien (Agapanthus) ganze Teile der Insel in Blautöne.
RECHTS OBEN Wenn sie blühen, tauchen Schmucklil­ien (Agapanthus) ganze Teile der Insel in Blautöne.
 ??  ?? UNTEN Es scheint, als würde der alte Traktor die Aussicht genießen.
UNTEN Es scheint, als würde der alte Traktor die Aussicht genießen.
 ??  ?? LINKS UNTEN Die Veronica Farm auf Bryher ist bekannt für ihre Sukkulente­n und Kräuter. Von den drei historisch­en Ferien-Cottages hat man einen Meerblick.
LINKS UNTEN Die Veronica Farm auf Bryher ist bekannt für ihre Sukkulente­n und Kräuter. Von den drei historisch­en Ferien-Cottages hat man einen Meerblick.
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 ??  ?? LINKS OBEN Hortensien neben Sukkulente­n – das milde Klima bietet nahezu perfekte Bedingunge­n für jede Pflanzenar­t.
LINKS OBEN Hortensien neben Sukkulente­n – das milde Klima bietet nahezu perfekte Bedingunge­n für jede Pflanzenar­t.
 ??  ?? PLATZ AN DER SONNE Der im 19. Jahrhunder­t angelegte Tresco Abbey Garden beherbergt mehr als 20.000 Pflanzenar­ten.
PLATZ AN DER SONNE Der im 19. Jahrhunder­t angelegte Tresco Abbey Garden beherbergt mehr als 20.000 Pflanzenar­ten.

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