Crucero - Das Kreuzfahrtmagazin
VOLLE KRAFT VORAUS IN VOLLE STÄDTE
Overtourism, Kreuzfahrt in der Kritik
Tatort: Korfu. An der Pier im Hafen der griechischen Insel liegen an diesem Morgen im Mai fünf Kreuzfahrtschiffe. Von der kleinen Seabourn Odyssey auf der maximal 450 Passagiere Platz finden bis zur Costa Deliziosa, die maximal 2.800 Passagiere aufnehmen kann. Zwei weitere Schiffe sind zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fest an der Pier.
Die AIDABLU fährt gerade rückwärts auf ihren Liegeplatz zu, das kleine Luxusschiff Silver Muse ist noch unterwegs. Insgesamt werden an diesem Tag mehr als 9.500 Kreuzfahrtpassagiere die engen Gassen von Korfu-stadt erkunden. Hinzu kommen Menschen, die auf der Insel ohne Schiff Urlaub machen.
Das Phänomen ist seit einigen Jahren in aller Munde und nennt sich neudeutsch „Overtourism“– Übertourismus.
Wie schon bei der Umweltdebatte, sind hier die Kreuzfahrer schnell im Fokus der öffentlichen Kritik, aber Städte sind nicht nur von überfüllten Altstadt-gassen und Flaniermeilen betroffen, weil sie an einem der „Hochseeliner-highways“liegen. Dennoch haben einige Kreuzfahrthäfen in jüngster Vergangenheit kurzen Prozess gemacht, weil es zu viel wurde.
ÜBER 2 MILLIONEN KREUZFAHRTGÄSTE IN BARCELONA
Barcelona als „europäische Hauptstadt der Kreuzfahrt“hat erst Anfang des vergangenen Jahres drei zentrale Terminals geschlossen. 30 Millionen Urlauber kommen jedes Jahr nach Barcelona, 2,7 Millionen mit einem Kreuzfahrtschiff. Der Unmut der Bevölkerung richtete sich zuletzt nicht nur gegen die sprunghaft angestiegene Vermietung von Apartments über Airbnb, sondern auch gegen die Kreuzfahrttouristen. Die Terminals in der Nähe der historischen Altstadt wurden geschlossen und die Anlegestellen an einen weiter außerhalb gelegenen Ort verlegt.
OVERTOURISM – KREUZFAHRT IN DER KRITIK
PROBLEME AUCH IN VENEDIG
Probleme gibt es auch in Venedig. Die Lagunenstadt hadert schon länger mit den
Ozeanriesen, die sich über den Giudecca Kanal am Markusplatz vorbei schieben. Schon ab der Saison 2019 sollten größere Schiffe über 50.000 BRZ in Marghera anlegen, einer Industriestadt am Festland.
Doch die Pläne sind ins Stocken geraten, wie auch das Projekt „Venis Cruise 2.0“bei dem große Kreuzfahrtschiffe an der Laguneneinfahrt an neu errichteten Kaianlagen andocken sollen.
Zukünftig sollen Schiffe zwischen 50.000 und 96.000 BRZ die Lagune von der MalamoccoBucht aus befahren, dem MalamoccoMarghera-kanal folgen und den MarittimaHafen in Vendig vom Vittorio Emanuele Iii-kanal erreichen. Für Schiffe über 96.000 BZR wird in Marghera ein neues Terminal gebaut werden.
Diese Projekte befinden sich nach wie vor in einer Studienphase und erfordern die Bewertung der neuen italienischen Regierung, um abgeschlossen zu werden.
Diese Bewertung steht weiterhin aus, sodass man für 2019 davon ausgehen kann, dass auch Kreuzfahrtschiffe bis zu 96.000 BRZ den Giudecca Kanal befahren werden.
TUI Cruises hat sich schon vor längerer Zeit dazu entschieden, Venedig nicht in Routings mit aufzunehmen – gerade wegen der Diskussion über die negativen Auswirkungen der Kreuzfahrtschiffe auf die historischen Bauten und eine mögliche Aberkennung des Status als Weltkulturerbe. Ausflüge in die Lagunenstadt werden bei der Mein-schiffFlotte über den Landweg von Ravenna aus angeboten.
DUBROVNIK HANDELT
Dubrovnik, festes Ziel jeder Kreuzfahrt durch das östliche Mittelmeer und als „Perle der Adria“bekannt, beschränkt ab 2019 das Anlaufen. Pro Tag sollen künftig nur zwei Schiffe festmachen dürfen.
Und auch die Anzahl der Passagiere wird reduziert: Nicht mehr als 5.000 Passagiere dürfen auf einem Kreuzfahrtschiff an Bord sein, das im Hafen von Dubrovnik anlegt. Die Stadt musste handeln, denn 2017 besuchten
mehr als 740.000 Kreuzfahrttouristen Dubrovnik. Die Unesco drohte damit, den Welterbetitel zu entziehen, sollte der Ort sein Overtourism-problem nicht in den Griff bekommen.
HOHES PROBLEMBEWUSSTSEIN BEI DEN REEDEREIEN
„Wir achten bei unserer Routenplanung darauf, dass wir nur Häfen anlaufen, in denen die Häfen dem Handling von Kreuzfahrtschiffen unserer Größe auch gewachsen sind“, heißt es in einer Erklärung von TUI Cruises auf Nachfrage von CRUCERO.
Grundsätzlich achte man immer darauf, den Gästen ein attraktives Routing anzubieten. „Dazu gehört auch, dass wir immer die Augen offenhalten für neue Häfen. Jährlich nehmen wir mehrere Häfen neu in unser Programm auf“, so TUI Cruises.
Bedingt durch die Vielzahl an bestellten Kreuzfahrtschiffen werde es in den Häfen immer voller und es komme immer häufiger zu Liegeplatzkonflikten, heißt es weiter.
ABSPRACHEN UNTEREINANDER KAUM MÖGLICH
An dem besagten Tag in Korfu waren die Liegeplätze nur bedingt ausreichend. Die Koningsdam musste zunächst vor dem Hafen ankern und tenderte zunächst die Passagiere, bis am Nachmittag die Costa Deliziosa den Liegeplatz räumte und die Einschiffung der Gäste nach ihren Ausflügen zumindest über die Gangway erfolgen konnte.
Ein Blick in die Anlaufliste des Hafens von Korfu offenbarte, dass am Tag nach dem Siebenfachanlauf kein einziges Schiff die griechische Insel ansteuerte.
Was ist also mit Absprachen unter den Reedereien? TUI Cruises erklärt, dass der Planungshorizont der Reedereien sehr unterschiedlich sei.
„Es gibt keine Routenabsprachen untereinander. Es ist durchaus so, dass Schiffe einer bestimmten Größe auch naturgemäß ähnliche Häfen anlaufen.“
SORGE VOR WETTBEWERBSNACHTEILEN
Die Reedereien kommen auch schlichtweg nicht ohne Stopps in Civitavecchia oder Dubrovnik bei Mittelmeerkreuzfahrten aus. „Sehr attraktive Häfen werden von eigentlich allen Reedereien angelaufen.
Dazu gehört zum Beispiel Civitavecchia für Ausflüge nach Rom. Ein komplettes Weglassen dieser Häfen in den Routings würde zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Reedereien führen“, heißt es von TUI Cruises. Für die Gäste glaube man, dass man mit den Ausflugsprogrammen attraktive Möglichkeiten schaffe, die Häfen zu genießen, heißt es weiter.
Die örtliche Partneragentur versuche die Kreuzfahrtgäste „wo möglich, antizyklisch zu lenken“, berichtet TUI Cruises.
Das bedeutet, dass Gruppen sehr früh an Sehenswürdigkeiten sein müssen oder dass mit „Fast-lane-tickets“gearbeitet wird.
TOURISMUS SICHERT EINNAHMEN FÜR DIE DESTINATIONEN
Der deutsche Kreuzfahrtmarktführer AIDA Cruises und schärfster Konkurrent der Mein-schiff-flotte, betont, dass man den Kreuzfahrttourismus nachhaltig weiterentwickeln wolle, aber auch nur erfolgreich Kreuzfahrten anbieten könne, wenn in den Destinationen, die angelaufen würden, Kreuzfahrten ein willkommener und von breiten Teilen der Bevölkerung akzeptierter Wirtschaftszweig sei.
AIDA verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass das Unternehmen durch ein ganzjähriges Angebot in vielen Häfen des Mittelmeerraumes, wie in Palma de Mallorca oder Barcelona, für „erhebliche Einnahmen und zugleich für eine ganzjährige Beschäftigung tausender Menschen“sorge. Dies gelte auch für die Kanaren, nordeuropäische Häfen und Hamburg.
LÖSUNGSANSATZ: LÄNGERE SAISON?
In die gleiche Richtung geht auch ein Statement von Felix Eichhorn, Ausschussvorsitzender „Schiff“des DRV und zugleich Aida-präsident. Als Branche sei die Kreuzfahrtindustrie auch „Entwicklungsmotor in den Destinationen“. Der Fachverband hat die Probleme bei Touristen- und damit auch bei Kreuzfahrt-hot-spots erkannt und nimmt die Sorgen ernst.
Die Orkney-inseln, nördlich von Schottland gelegen, nennt der DRV als positives Beispiel
für ein gesteuertes Wachstum. Hier würden die Besucherströme gezielt für die Nachhaltigkeit und die Bewohner der Inseln gelenkt.
Zur Entlastung der Reiseziele können nach Meinung des DRV auch die Saisonzeiten ausgedehnt werden.
KREUZFAHRT IST NICHT AUSLÖSER DES OVERTOURISM
Der Branchenexperte Thomas P. Illes führt aus, dass gegenwärtig ca. 28 Millionen Menschen jährlich eine Kreuzfahrt auf den Weltmeeren unternehmen. „Das ist eigentlich keine große Zahl, wenn man sie der Weltbevölkerung gegenüberstellt, überlaufenen Häfen wie Dubrovnik, Santorin oder Venedig hilft das aber wenig.“In großen Metropolen wie New York oder Miami würden Kreuzfahrtpassagiere weniger auffallen, „aber in kleinen Häfen sind die Schiffe auffallend sichtbar und werden so schnell zum Symbol des Overtourism schlechthin hochstilisiert. Dass auch Tausende von Airbnb-gäste hinzukommen, welche der Lokalbevölkerung oft die Grundlage zu bezahlbarem Wohnraum entziehen, ist weniger ersichtlich“, sagt Illes. Der Schweizer zieht den Vergleich zu der ebenfalls kleinen Anzahl von Kreuzfahrtschiffen im Vergleich zur weltweiten Schifffahrt. „Da machen die Kreuzfahrtschiffe ungefähr 0,5 bis 0,75 Prozent aus“, sagt Illes.
Dennoch appelliert er an die Kreuzfahrtindustrie, das Thema Overtourism durch verbesserte Abstimmung untereinander und einer intensivierten Zusammenarbeit mit den Destinationen und Häfen anzugehen. „Sonst wird die Kreuzfahrt vor allem auch imagemässig Opfer ihres eigenen Erfolges.“
Bis hier Regularien und Absprachen getroffen sind, muss jeder Kreuzfahrt-liebhaber also damit rechnen, dass es in dem einen oder anderen Hafen entlang der Highways im Mittelmeer oder in der Karibik sprichwörtlich eng wird.
Reedereien und Destinationen können nur selbst dazu beitragen, dass Urlaub auf dem Wasser erholsam für die Gäste bleibt und zugleich wirtschaftlich erfolgreich, und nachhaltig für die Orte ist, auf die die Schiffe Kurs nehmen.
Dass es möglich ist, zeigt im Rahmen unserer siebentägigen Adria-kreuzfahrt mit der ehemaligen Mein Schiff 2 Zadar in Kroatien. TUI Cruises lief die Hafenstadt in Norddalmatien im Mai vergangenen Jahres zum ersten Mal an und die Passagiere erlebten das krasse Gegenteil von übervollen Gassen. Entspannte Landgänge, ob mit Ausflügen zu den Drehorten der Winnetou-filme oder auf eigene Faust durch die Gassen der Altstadt. Andere Schiffe kommen ganz sicher. Schön nur, wenn sie nicht alle auf einmal einlaufen.