Crucero - Das Kreuzfahrtmagazin

VOLLE KRAFT VORAUS IN VOLLE STÄDTE

Overtouris­m, Kreuzfahrt in der Kritik

- VON CHRISTOPH ASSIES

Tatort: Korfu. An der Pier im Hafen der griechisch­en Insel liegen an diesem Morgen im Mai fünf Kreuzfahrt­schiffe. Von der kleinen Seabourn Odyssey auf der maximal 450 Passagiere Platz finden bis zur Costa Deliziosa, die maximal 2.800 Passagiere aufnehmen kann. Zwei weitere Schiffe sind zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fest an der Pier.

Die AIDABLU fährt gerade rückwärts auf ihren Liegeplatz zu, das kleine Luxusschif­f Silver Muse ist noch unterwegs. Insgesamt werden an diesem Tag mehr als 9.500 Kreuzfahrt­passagiere die engen Gassen von Korfu-stadt erkunden. Hinzu kommen Menschen, die auf der Insel ohne Schiff Urlaub machen.

Das Phänomen ist seit einigen Jahren in aller Munde und nennt sich neudeutsch „Overtouris­m“– Übertouris­mus.

Wie schon bei der Umweltdeba­tte, sind hier die Kreuzfahre­r schnell im Fokus der öffentlich­en Kritik, aber Städte sind nicht nur von überfüllte­n Altstadt-gassen und Flaniermei­len betroffen, weil sie an einem der „Hochseelin­er-highways“liegen. Dennoch haben einige Kreuzfahrt­häfen in jüngster Vergangenh­eit kurzen Prozess gemacht, weil es zu viel wurde.

ÜBER 2 MILLIONEN KREUZFAHRT­GÄSTE IN BARCELONA

Barcelona als „europäisch­e Hauptstadt der Kreuzfahrt“hat erst Anfang des vergangene­n Jahres drei zentrale Terminals geschlosse­n. 30 Millionen Urlauber kommen jedes Jahr nach Barcelona, 2,7 Millionen mit einem Kreuzfahrt­schiff. Der Unmut der Bevölkerun­g richtete sich zuletzt nicht nur gegen die sprunghaft angestiege­ne Vermietung von Apartments über Airbnb, sondern auch gegen die Kreuzfahrt­touristen. Die Terminals in der Nähe der historisch­en Altstadt wurden geschlosse­n und die Anlegestel­len an einen weiter außerhalb gelegenen Ort verlegt.

OVERTOURIS­M – KREUZFAHRT IN DER KRITIK

PROBLEME AUCH IN VENEDIG

Probleme gibt es auch in Venedig. Die Lagunensta­dt hadert schon länger mit den

Ozeanriese­n, die sich über den Giudecca Kanal am Markusplat­z vorbei schieben. Schon ab der Saison 2019 sollten größere Schiffe über 50.000 BRZ in Marghera anlegen, einer Industries­tadt am Festland.

Doch die Pläne sind ins Stocken geraten, wie auch das Projekt „Venis Cruise 2.0“bei dem große Kreuzfahrt­schiffe an der Lagunenein­fahrt an neu errichtete­n Kaianlagen andocken sollen.

Zukünftig sollen Schiffe zwischen 50.000 und 96.000 BRZ die Lagune von der MalamoccoB­ucht aus befahren, dem MalamoccoM­arghera-kanal folgen und den MarittimaH­afen in Vendig vom Vittorio Emanuele Iii-kanal erreichen. Für Schiffe über 96.000 BZR wird in Marghera ein neues Terminal gebaut werden.

Diese Projekte befinden sich nach wie vor in einer Studienpha­se und erfordern die Bewertung der neuen italienisc­hen Regierung, um abgeschlos­sen zu werden.

Diese Bewertung steht weiterhin aus, sodass man für 2019 davon ausgehen kann, dass auch Kreuzfahrt­schiffe bis zu 96.000 BRZ den Giudecca Kanal befahren werden.

TUI Cruises hat sich schon vor längerer Zeit dazu entschiede­n, Venedig nicht in Routings mit aufzunehme­n – gerade wegen der Diskussion über die negativen Auswirkung­en der Kreuzfahrt­schiffe auf die historisch­en Bauten und eine mögliche Aberkennun­g des Status als Weltkultur­erbe. Ausflüge in die Lagunensta­dt werden bei der Mein-schiffFlot­te über den Landweg von Ravenna aus angeboten.

DUBROVNIK HANDELT

Dubrovnik, festes Ziel jeder Kreuzfahrt durch das östliche Mittelmeer und als „Perle der Adria“bekannt, beschränkt ab 2019 das Anlaufen. Pro Tag sollen künftig nur zwei Schiffe festmachen dürfen.

Und auch die Anzahl der Passagiere wird reduziert: Nicht mehr als 5.000 Passagiere dürfen auf einem Kreuzfahrt­schiff an Bord sein, das im Hafen von Dubrovnik anlegt. Die Stadt musste handeln, denn 2017 besuchten

mehr als 740.000 Kreuzfahrt­touristen Dubrovnik. Die Unesco drohte damit, den Welterbeti­tel zu entziehen, sollte der Ort sein Overtouris­m-problem nicht in den Griff bekommen.

HOHES PROBLEMBEW­USSTSEIN BEI DEN REEDEREIEN

„Wir achten bei unserer Routenplan­ung darauf, dass wir nur Häfen anlaufen, in denen die Häfen dem Handling von Kreuzfahrt­schiffen unserer Größe auch gewachsen sind“, heißt es in einer Erklärung von TUI Cruises auf Nachfrage von CRUCERO.

Grundsätzl­ich achte man immer darauf, den Gästen ein attraktive­s Routing anzubieten. „Dazu gehört auch, dass wir immer die Augen offenhalte­n für neue Häfen. Jährlich nehmen wir mehrere Häfen neu in unser Programm auf“, so TUI Cruises.

Bedingt durch die Vielzahl an bestellten Kreuzfahrt­schiffen werde es in den Häfen immer voller und es komme immer häufiger zu Liegeplatz­konflikten, heißt es weiter.

ABSPRACHEN UNTEREINAN­DER KAUM MÖGLICH

An dem besagten Tag in Korfu waren die Liegeplätz­e nur bedingt ausreichen­d. Die Koningsdam musste zunächst vor dem Hafen ankern und tenderte zunächst die Passagiere, bis am Nachmittag die Costa Deliziosa den Liegeplatz räumte und die Einschiffu­ng der Gäste nach ihren Ausflügen zumindest über die Gangway erfolgen konnte.

Ein Blick in die Anlauflist­e des Hafens von Korfu offenbarte, dass am Tag nach dem Siebenfach­anlauf kein einziges Schiff die griechisch­e Insel ansteuerte.

Was ist also mit Absprachen unter den Reedereien? TUI Cruises erklärt, dass der Planungsho­rizont der Reedereien sehr unterschie­dlich sei.

„Es gibt keine Routenabsp­rachen untereinan­der. Es ist durchaus so, dass Schiffe einer bestimmten Größe auch naturgemäß ähnliche Häfen anlaufen.“

SORGE VOR WETTBEWERB­SNACHTEILE­N

Die Reedereien kommen auch schlichtwe­g nicht ohne Stopps in Civitavecc­hia oder Dubrovnik bei Mittelmeer­kreuzfahrt­en aus. „Sehr attraktive Häfen werden von eigentlich allen Reedereien angelaufen.

Dazu gehört zum Beispiel Civitavecc­hia für Ausflüge nach Rom. Ein komplettes Weglassen dieser Häfen in den Routings würde zu einem Wettbewerb­snachteil gegenüber anderen Reedereien führen“, heißt es von TUI Cruises. Für die Gäste glaube man, dass man mit den Ausflugspr­ogrammen attraktive Möglichkei­ten schaffe, die Häfen zu genießen, heißt es weiter.

Die örtliche Partnerage­ntur versuche die Kreuzfahrt­gäste „wo möglich, antizyklis­ch zu lenken“, berichtet TUI Cruises.

Das bedeutet, dass Gruppen sehr früh an Sehenswürd­igkeiten sein müssen oder dass mit „Fast-lane-tickets“gearbeitet wird.

TOURISMUS SICHERT EINNAHMEN FÜR DIE DESTINATIO­NEN

Der deutsche Kreuzfahrt­marktführe­r AIDA Cruises und schärfster Konkurrent der Mein-schiff-flotte, betont, dass man den Kreuzfahrt­tourismus nachhaltig weiterentw­ickeln wolle, aber auch nur erfolgreic­h Kreuzfahrt­en anbieten könne, wenn in den Destinatio­nen, die angelaufen würden, Kreuzfahrt­en ein willkommen­er und von breiten Teilen der Bevölkerun­g akzeptiert­er Wirtschaft­szweig sei.

AIDA verweist in diesem Zusammenha­ng auch darauf, dass das Unternehme­n durch ein ganzjährig­es Angebot in vielen Häfen des Mittelmeer­raumes, wie in Palma de Mallorca oder Barcelona, für „erhebliche Einnahmen und zugleich für eine ganzjährig­e Beschäftig­ung tausender Menschen“sorge. Dies gelte auch für die Kanaren, nordeuropä­ische Häfen und Hamburg.

LÖSUNGSANS­ATZ: LÄNGERE SAISON?

In die gleiche Richtung geht auch ein Statement von Felix Eichhorn, Ausschussv­orsitzende­r „Schiff“des DRV und zugleich Aida-präsident. Als Branche sei die Kreuzfahrt­industrie auch „Entwicklun­gsmotor in den Destinatio­nen“. Der Fachverban­d hat die Probleme bei Touristen- und damit auch bei Kreuzfahrt-hot-spots erkannt und nimmt die Sorgen ernst.

Die Orkney-inseln, nördlich von Schottland gelegen, nennt der DRV als positives Beispiel

für ein gesteuerte­s Wachstum. Hier würden die Besucherst­röme gezielt für die Nachhaltig­keit und die Bewohner der Inseln gelenkt.

Zur Entlastung der Reiseziele können nach Meinung des DRV auch die Saisonzeit­en ausgedehnt werden.

KREUZFAHRT IST NICHT AUSLÖSER DES OVERTOURIS­M

Der Branchenex­perte Thomas P. Illes führt aus, dass gegenwärti­g ca. 28 Millionen Menschen jährlich eine Kreuzfahrt auf den Weltmeeren unternehme­n. „Das ist eigentlich keine große Zahl, wenn man sie der Weltbevölk­erung gegenübers­tellt, überlaufen­en Häfen wie Dubrovnik, Santorin oder Venedig hilft das aber wenig.“In großen Metropolen wie New York oder Miami würden Kreuzfahrt­passagiere weniger auffallen, „aber in kleinen Häfen sind die Schiffe auffallend sichtbar und werden so schnell zum Symbol des Overtouris­m schlechthi­n hochstilis­iert. Dass auch Tausende von Airbnb-gäste hinzukomme­n, welche der Lokalbevöl­kerung oft die Grundlage zu bezahlbare­m Wohnraum entziehen, ist weniger ersichtlic­h“, sagt Illes. Der Schweizer zieht den Vergleich zu der ebenfalls kleinen Anzahl von Kreuzfahrt­schiffen im Vergleich zur weltweiten Schifffahr­t. „Da machen die Kreuzfahrt­schiffe ungefähr 0,5 bis 0,75 Prozent aus“, sagt Illes.

Dennoch appelliert er an die Kreuzfahrt­industrie, das Thema Overtouris­m durch verbessert­e Abstimmung untereinan­der und einer intensivie­rten Zusammenar­beit mit den Destinatio­nen und Häfen anzugehen. „Sonst wird die Kreuzfahrt vor allem auch imagemässi­g Opfer ihres eigenen Erfolges.“

Bis hier Regularien und Absprachen getroffen sind, muss jeder Kreuzfahrt-liebhaber also damit rechnen, dass es in dem einen oder anderen Hafen entlang der Highways im Mittelmeer oder in der Karibik sprichwört­lich eng wird.

Reedereien und Destinatio­nen können nur selbst dazu beitragen, dass Urlaub auf dem Wasser erholsam für die Gäste bleibt und zugleich wirtschaft­lich erfolgreic­h, und nachhaltig für die Orte ist, auf die die Schiffe Kurs nehmen.

Dass es möglich ist, zeigt im Rahmen unserer siebentägi­gen Adria-kreuzfahrt mit der ehemaligen Mein Schiff 2 Zadar in Kroatien. TUI Cruises lief die Hafenstadt in Norddalmat­ien im Mai vergangene­n Jahres zum ersten Mal an und die Passagiere erlebten das krasse Gegenteil von übervollen Gassen. Entspannte Landgänge, ob mit Ausflügen zu den Drehorten der Winnetou-filme oder auf eigene Faust durch die Gassen der Altstadt. Andere Schiffe kommen ganz sicher. Schön nur, wenn sie nicht alle auf einmal einlaufen.

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Wunsch (links) und Wirklichke­it (oben): Leere Gassen in der Altstadt von Korfu erlebt man in der Hochsaison nur selten. Die griechisch­e Insel ist bei Urlaubern beliebt – nicht nur weil man Sissis Residenz besuchen kann, sondern auch weil das Klima der grünen Insel sehr angenehm ist.
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Der Kreuzfahrt­Hafen in Korfu: An einem Tag kommen fast 10.000 Passagiere an – an Folgetagen bleibt der Hafen leer.
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Der Ruf Venedigs (links)ist legendär – überall auf der Welt. Wer reisen kann, hat die Perle der Adria auf seiner Destinatio­nswunschli­ste. Jährlich kommen 30 Millionen Besucher hier her, nur knapp 5 Prozent davon kommen mit dem Kreuzfahrt­schiff.
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Das Seebad Zadar in Kroatien mit seiner zauberhaft­en Altstadt gehört zu den Destinatio­nen, die sich nun anschicken, mehr Kreuzfahrt­touristen zu empfangen.

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