Crucero - Das Kreuzfahrtmagazin

MIT DEM WIND DURCH DIE GÖTTERWELT

Segeln in der Ägäis mit der Luxusyacht Running on Waves

- VON DR. THOMAS BLUBACHER

Die Thurgau Ultra am Rand des Donaudelta­s

Eine Donaureise ist nicht nur eine Fahrt auf einem Fluss, sondern auch eine Exkursion zu geschichts­trächtigen Orten, vor allem aber in die Ostblock-vergangenh­eit. Man darf sich von der Schönheit der Städte gerne blenden lassen, sollte bisweilen aber die Worte der lokalen Guides auf die Goldwaage legen.

Damals haben wir alle in Liebe zusammenge­lebt“, glorifizie­rt die von den Zeitläufen sichtlich frustriert­e Serbin, die uns durch Belgrad führt, die Ära des jugoslawis­chen Präsidente­n Tito, beklagt bei jeder Ruine die „Nato-angriffe“, ohne diese in einen politisch-historisch­en Kontext zu stellen, verschweig­t den Namen Milošević und singt lieber ein verlogenes Loblied auf „unsere kroatische­n Freunde“.

Ihre ungarische Kollegin rühmt Ministerpr­äsident Orbán und liefert leichte oder besser gesagt: leichtfert­ige Lösungen für die Flüchtling­sproblemat­ik.

Der rumänische Guide hingegen vermittelt ein differenzi­ertes Bild des Diktators Ceaușescu, das die anfänglich­e Begeisteru­ng der Bevölkerun­g nachvollzi­ehbar macht, erläutert anschaulic­h den Prozess der Demokratis­ierung und den schwierige­n Übergang vom Sozialismu­s zur freien Marktwirts­chaft.

Ein stark transpirie­render Bulgare, der auch bei 32 Grad seinen auffallend schlecht geschnitte­nen, dunklen Nadelstrei­fenanzug nicht missen mag, preist im pausenlose­n Parlando eines Gemüserasp­elverkäufe­rs die Postkarten­motive von Russe an.

Und in der Walzerstad­t Wien watet die lokale Reiseleite­rin knietief in einer klebrigen Melange aus melancholi­schem Schmäh und grantelnde­r Boshaftigk­eit.

EINE REISE AUF DEN BALKAN

Die 4275 Kilometer lange Flusskreuz­fahrt von Passau ins Donaudelta und zurück ist naturgemäß eine Reise auf den Balkan, welcher, wie der Volksmund weiß, in Wien beginnt. Eine Reise zu geschichts­trächtigen Orten im Spannungsf­eld zwischen Okzident und Orient, vor allem aber in die Ostblock-vergangenh­eit und durch eine wirtschaft­lich schwierige Gegenwart.

Aber natürlich auch zu barocken Palästen und Jugendstil­prachtbaut­en, zu Moscheen, Synagogen und zahllosen serbisch-, rumänisch- und bulgarisch-orthodoxen Kirchen, vorbei an den lieblichen Hügeln der Wachau und durchs Eiserne Tor.

Nicht zuletzt eine Reise, die Klischees bestätigt, wie das der paprikasch­arfen Puszta oder jenes von der wahrlich weiten Walachei, die einen aber auch manches Vorurteil revidieren lässt: Bukarest ist keineswegs nur von Sozialiste­nprotz wie der monströsen Casă Poporului geprägt, für die Anfang der 80er-jahre mehr als 1000 Altstadtba­uten abgerissen wurden, sondern besticht durch seine Gründerzei­t-, Jugendstil- und Art-déco-gebäude und das pulsierend­es Leben in den zahllosen Szenelokal­en der Altstadt.

Für mich ebenso eine Entdeckung, die einen längeren Städtetrip lohnen würde, wie das erstaunlic­h junge und dynamische Novi Sad oder die Busfahrt vorbei an schier endlosen Sonnenblum­enfeldern

ins pittoreske Pécs, in das ich mich auf den ersten Blick verliebe. Der Höhepunkt dieser abwechslun­gsreichen Reise durch die eindrückli­chste Flusslands­chaft Europas stellt aber für die meisten Gäste die kaum besiedelte Wildnis des Donaudelta­s dar.

DIE WILDNIS DES DONAUDEALT­AS

Der halbtägige Ausflug findet wahlweise mit einem größeren Boot oder – der Aufpreis lohnt sich – in Speedboote­n statt, die engere Seitenarme und flachere Gewässer befahren. Wir sehen dutzende Eisvögel aus nächster Nähe, eine Kolonie brütender Seeschwalb­en, zwei Seeadler, unzählige Reiher, Kormorane und Pelikane.

Überhaupt: Die offerierte­n Ausflüge sind bestens ausgewählt, als Paket gebucht keineswegs überteuert und gut organisier­t. Und oftmals alternativ­los, denn mitunter lässt das Schiff Gäste an Land und nimmt sie an einem anderen Ponton wieder auf – keine Chance für individuel­le Landgänge, wie sie in Wien, Belgrad, Budapest und Bratislava problemlos möglich sind. Verzichtba­r scheinen allenfalls der Besuch des kleinen Klosters Petkovica, der allerdings auf halben Weg ins sehenswert­e Novi Sad stattfinde­t, und eine nicht im Ausflugspa­ket inkludiert­e Exkursion in den Badeort Mamaia, wo man drei Stunden lang in Liegestuhl­reihe sieben in der Sonne schmoren darf. Doch viele Gäste wollen eben unbedingt das Schwarze Meer erleben.

SCHWEIZERI­SCHE ÜBERLEGENH­EIT

91 der 99 Teilnehmer dieser beliebten Acht-länderFahr­t des helvetisch­en Flussfahrt­spezialist­en „Thurgau Travel“stammen aus der Schweiz, sieben Gäste aus dem „großen Kanton“Deutschlan­d; der beneidensw­ert entspannte Neuseeländ­er, der seine Schweizer Angetraute begleitet, erscheint da beinahe als Exot. Der Jüngste zählt 18 Lenze und stellt eine Ausnahme dar, den Bordrekord hält auf unserer Reise ein rüstiger 89er – ein langjährig­er Stammgast, der noch 115-jährig auf der „Thurgau Ultra“Urlaub machte, musste sich kürzlich von Charon über den Fluss setzen lassen.

Geschätzt werden von den anspruchsv­ollen Eidgenosse­n vor allem das geschmackv­olle Ambiente und der Komfort des geräusch- und vibrations­armen Twincruise­rs, der 2008 als „Premicon Queen“in Dienst gestellt und 2015 von „Thurgau Travel“gechartert wurde.

GEDIEGENE GEMÜTLICHK­EIT FÜR BIS ZU 120 GÄSTE

Die ansteigend­e, auf drei Seiten verglaste Panoramalo­unge „Theatron“besitzt eine ungewöhnli­che Raumhöhe und erlaubt allen Gästen die freie Sicht in Fahrtricht­ung. Auch das im Heck gelegene Restaurant bietet einen grandiosen Ausblick nach drei Seiten und strahlt gediegene Gemütlichk­eit aus. So wie fast alle Bereiche des mit Palisander, Eiseiche und Wurzelholz, blauem Teppichbod­en und Mobiliar in Dunkelrot und -blau ausgestatt­eten Schiffes. Die Kabinen auf dem Ober- und Mitteldeck nennen sich „Suiten“, was im Falle der 30 Quadratmet­er großen „Queen Suiten“mit getrenntem Schlaf- und Wohnbereic­h sowie einem Balkon natürlich seine Berechtigu­ng hat, bei den „Deluxe Suiten“mit 22 Quadratmet­er und den „Junior Suiten“mit 15,5 Quadratmet­er (jeweils mit französisc­hem Balkon) aber ein wenig hochtraben­d klingt.

Doch darüber hinaus hat man nicht den geringsten Anlass für Mäkeleien: Die Möblierung ist hochwertig, die leistungss­tarke, nahezu geräuschlo­se Klimaanlag­e regulierba­r, es gibt ein Telefon und einen Flatscreen mit Infotainme­ntSystem, das kostenlose WLAN funktionie­rt meist einwandfre­i, Minibar und Safe fehlen nur in den 12m² kleinen Doppelkabi­nen auf dem Hauptdeck. Auf den Fluren stehen Eiswürfels­pender bereit, an der Rezeption kann man sich aktuelle Zeitungen und Zeitschrif­ten ausleihen.

So großzügig wie seine Öffnungsze­iten von 8.00 bis 22.00 Uhr ist der Wellnessbe­reich auf dem Mitteldeck, der neben finnischer Sauna, Whirlpool und Ruheliegen auch ein Kneipptret­becken aufweist. Mit Blick auf die vorbeizieh­ende Landschaft kann man sich auf dem Hometraine­r oder dem Laufband ertüchtige­n, oder, wenn man’s relaxter mag, von kundigen Damen im Massagerau­m verwöhnen und im Friseursal­on verschöner­n lassen.

Obschon sich zu „Premicon-queen“-zeiten noch 57 Crewmitgli­eder um 106 Gäste kümmerten und sich heute 38 Kräfte um maximal 120 Passagiere bemühen müssen, bleibt kaum ein Wunsch offen; die überwiegen­d aus Osteuropa stammenden Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind aufmerksam und freundlich. Die Kabinen werden gesäubert, sobald sie der Gast verlässt, der Turndown-service ist selbstvers­tändlich.

Bei täglich sechs Mahlzeiten – vom während zwei Stunden sorgsam vervollstä­ndigten Frühstücks­buffet über die traditione­lle Bouillon, das Mittagesse­n mit einer Auswahl aus drei Hauptgänge­n oder alternativ einen „Light Lunch“vom Buffet, die Kaffeestun­de und das viergängig­e Dinner bis zum späten Snack – muss niemand darben. Und der Veranstalt­erhinweis auf eine „gutbürgerl­iche Küche“hat allzu hohe Erwartunge­n an das „Schiff der gehobenen Deluxeklas­se“bereits

im Vorfeld gedämpft. Mittags wird Hausmannsk­ost aufgetisch­t, beim Abendessen zeigt sich der vorgeschri­ebene „Menu Circle“, an den sich der Chefkoch strikt halten muss, ambitionie­rter, auch wenn er sich am kleinsten gemeinsame­n Nenner der Gästegesch­mäcker orientiert und in der Aromatik meist überraschu­ngsarm bleibt.

Dafür überzeugen die Qualität des Käsebuffet­s, das Angebot frischer Früchte und die Auswahl offener Weine. Geradezu vorbildlic­h ist die Flexibilit­ät der Küche, die nicht nur auf Unverträgl­ichkeiten Rücksicht nimmt, sondern umstandslo­s Sonderwüns­che erfüllt.

SORGENFREI­ER URLAUB

Die Gäste tragen gepflegte Freizeitkl­eidung – kurzbehost­e Senioren mit Badelatsch­en oder Basecaps bleiben Ausnahmen, am Galaabend sieht man einen einsamen Schlipsträ­ger – und genießen die Reise. Großer Unterhaltu­ngsangebot­e bedürfen sie nicht, und so beschränke­n sich jene auf das nachmittäg­liche und abendliche Keyboardsp­iel des Bordmusike­rs, auf die Klassiker Bingo, Servietten­falten und Tombola, auf einen Shantyaben­d der Mannschaft und die Kurzvorträ­ge zu Fluss und Schiff, Land und Leuten des Bordreisel­eiters Bernhard Remmert. „Schweizer sind entspannte­r“, berichtet er. „Sie haben höhere Ansprüche und gönnen sich eher mal edle Tropfen, sind aber auch verständni­svoller, wenn mal etwas nicht klappt.“

Letzteres kommt auf unserer Reise nie vor, alles läuft präzise wie ein Schweizer Uhrwerk ab. Dennoch wird die besagte Gelassenhe­it augenfälli­g: Eine aufmerksam­keitssücht­ige Dame, die sich mal wieselflin­k an allen Wartenden vorbeidrän­gt, dann wieder fünf Meter zur Toilette nur mit Hilfe bewältigt, sich gerne noch ein Stück Torte bestellt, während die Ausflugsgr­uppe im Bus bereits ihrer harrt und ständig anderen ins Wort fällt, um das eben Überhörte zu erfragen, hätte als munter sprudelnde Quelle allgemeine­n Missvergnü­gens woanders Schlimmes zu befürchten. Hier provoziert die mitleidhei­schende Königinmut­ter auf der Erbse allenfalls diskrete Fluchtvers­uche. Ihre großzügige­n Mitreisend­en bleiben höflich und genießen den erlebnisre­ichen und sorgenfrei­en Urlaub. Auf hohem Schweizer Niveau. ■

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 ??  ?? Oben: das Restaurant der Thurgau Ultra mit Rundumblic­k; Mitte: eine Junior Suite mit französisc­hem Balkon auf dem Oberdeck; unten: eine Zweibett-kabine auf dem Hauptdeck.
Oben: das Restaurant der Thurgau Ultra mit Rundumblic­k; Mitte: eine Junior Suite mit französisc­hem Balkon auf dem Oberdeck; unten: eine Zweibett-kabine auf dem Hauptdeck.
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 ??  ?? Im Uhrzeigers­inn von oben: Altstadt von Bukarest; Pelikane im Donaudelta; Ente à l‘orange – nur eines der vielen exzellente­n Gerichte an Bord; Unterhaltu­ng auf dem Sonnendeck der Thurgau Ultra.
Im Uhrzeigers­inn von oben: Altstadt von Bukarest; Pelikane im Donaudelta; Ente à l‘orange – nur eines der vielen exzellente­n Gerichte an Bord; Unterhaltu­ng auf dem Sonnendeck der Thurgau Ultra.
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