Crucero - Das Kreuzfahrtmagazin
ABSOLUTELY POSITIVELY
Neuseeland mit der Norwegian Jewel
Ein einzelner Baum hat das Leben von Farmer Russell Alexander radikal verändert. Er brachte Millionen von Besuchern in sein Niemandsland von Matamata. Zugegeben, es war ein besonders schöner, großer, wohlgeformter Baum. Regisseur Peter Jackson hatte ihn bei einem Hubschrauberflug über die sanften Hügel entdeckt und fragte kurzerhand, ob er hier vielleicht ein paar Filmaufnahmen machen könnte – und so wurden die Kuhweiden von Matamata zur Szenerie für einen der erfolgreichsten Filme aller Zeiten: „Der Herr der Ringe“.
Als die Vorgeschichte der kleinen tapferen Protagonisten ebenfalls verfilmt werden sollte, entschied man sich, die Kulisse des Auenlandes diesmal permanent aufzubauen. Und so wurde eine Weide zur meist besuchten Touristenattraktion Neuseelands.
Am gegenüberliegenden Ende der Welt läuft so manches anders als bei uns. Dem stolzen Adler steht im Wappen ein etwas unförmiger Kiwi gegenüber.
Deutsche Reserviertheit trifft auf neuseeländische Gastfreundschaft. Andererseits: Herrenlose Haustiere werden in Deutschland adoptiert und in Neuseeland gejagt. Doch dazu später mehr. Zunächst das Offensichtlichste: Während in Deutschland strenger Winter herrscht, ist am anderen Ende der Erde herrlicher Sommer.
Perfekte Voraussetzungen, um Australien und Neuseeland gleich in einer Reise zu kombinieren, schließlich ist man ein paar Stunden unterwegs bis dahin.
„Keine Chance“, sagte die Reisebüromitarbeiterin. Das sei aufgrund der Flüge kaum machbar. Kein Problem hingegen für NCL: Die frisch renovierte Norwegian Jewel beginnt und beendet ihre Neuseelandreisen in Sydney – Zeit für eine zusätzliche Übernachtung bleibt da auf jeden Fall.
Und anstatt täglich hunderte von Kilometern in einem Camper zurücklegen zu müssen, können wir uns ganz bequem über Nacht zum nächsten Highlight fahren lassen. Die Fjorde im Süden entfalten ihre volle Wirkung ohnehin erst vom Wasser aus.
Auf welcher Reise sieht man morgens um acht Uhr den lieblichen Dusky Sound, mittags gefolgt vom Doubtful Sound mit metallisch glänzenden Felsen und höheren Bergspitzen und schneebedeckten Kuppen im Milford Sound am Abend?
Natürlich begleiten Delfine das Schiff und das Wasser schillert in den verschiedenen Schattierungen des Neuseelandgreenstone. Und wer behauptet, die Sounds sähen aus wie die Norwegischen Fjorde: Also ich habe im Norden keine Palmen und tropische Strände gesehen. Doch zurück zum Anfang: Wir fliegen also nach Sydney und kurieren den Jetlag während zwei Seetagen auf dem Weg nach Neuseeland aus – ein perfekter Plan.
„WELCOME“DOWN UNDER
Die Kunstinstallation „Forgotten songs“nahe des Angel Place in Sydney macht nachdenklich. Aus leeren Vogelkäfigen ertönen die Stimmen von Vögeln, die hier mal gelebt haben, aber durch die Stadt verdrängt wurden.
Immerhin flattern auch heute noch weiße Papageien zwischen Baumwipfeln und Hochhäusern und neugierige Ibisse suchen die Wiesen nahe des Fastfood-outlets ab. Aber die Biodiversität musste Federn lassen.
Unser Sydney-guide im knalligen T-shirt führt uns weiter durch die australische Metropole. „Wir geben den Gebäuden, die wir nicht mögen gern hässliche Spitznamen. Der Fernsehturm heißt ‚golden bucket‘ und die Harbour Bridge ‚ugly hanger‘. Am besten ist der Komplex von Apartmenthäusern zwischen dem botanischen Garten und dem Hafenbecken – der ‚toaster‘. Es sieht wirklich so aus, als käme gerade eine Scheibe Brot heraus.“Die international bunt gemischte Gästeschar lacht.
Wir haben uns einer „I am free“-tour angeschlossen, bei der kein fester Preis verlangt wird, sondern jeder am Ende dem Guide ein Trinkgeld gibt, das er für angemessen hält. Die australische Entspanntheit gefällt.
FRISCH RENOVIERTER FREESTYLE
Ganz zentral zwischen Opernhaus und Harbour Bridge liegt die Norwegian Jewel dekorativ im Hafenbecken von Sydney.
Der erste Eindruck ist sehr positiv: Tolles Grün im Büfettrestaurant, generell viele Restaurants, großzügige öffentliche Bereiche, ein gelungenes Neustyling nach dem Werftaufenthalt in Singapur.
Lediglich das Hauptrestaurant mit Service am Platz – Tsar’s Palace – wirkt mit seiner goldenen Dekoration und den russischen Eiern noch ein wenig wie aus einer anderen Zeit. Hier geht es auch nicht ganz so „freestyle“zu, wie auf dem Rest des Schiffs: Am Abend wird vom Herren ein Hemdkragen erwartet, ebenso im französischen Spezialitätenrestaurant Le Bistro.
Beim Captain’s Welcome am ersten Seetag heißt das Motto „Dress up or not“. Genau so wird es auch ausgelegt – ein bunter Stilmix vom Us-amerikanischen Abendkleid bis zum australischen Strandoutfit. In der stilistischen Vielfalt spiegelt sich auch der Passagiermix wieder: 870 Us-amerikaner, 515 Australier und 220 Kanadier treffen auf 152 Japaner, 134 Briten, 114 Chinesen und 75 Deutsche.
Auf den nachfolgenden Reisen erwartet Hotelmanager Steven Jacobsen mit Beginn der Sommerferien deutlich mehr australische Familien. Es gäbe schon unterschiedliche Konsumgewohnheiten. „Auf der letzten Reise hatten wir 450 Deutsche an Bord, da haben wir dann auch deutsche Büfetts aufgebaut. Bier und Fleisch waren gefragt. Die Australier hingegen präferieren oft Wein und Pies. Und die Amerikaner essen lieber früh am Abend.“
IT’S SHOWTIME!
Die Deutschen schaffen es in den ersten Tagen nicht zur späten Showtime. Ist man eigentlich zu früh müde oder zu spät müde, wenn die Zeitverschiebung elf Stunden beträgt?
Zwei Seetage dauert die Überfahrt nach Neuseeland, die perfekte Gelegenheit, um in der Zeitzone anzukommen. Das Entertainment ist vielfältig, die Shows auf höchstem Niveau – so ist man es von Norwegian gewöhnt. Kreuzfahrtdirektor David Klooster kommt gerade vom „Extreme Napkin Folding“, das sehr gut besucht war. Mit glänzenden Augen beobachteten die asiatischen Damen, wie David auf der Bühne der Spinnaker Lounge Bischofshüte und Schwäne entstehen ließ und ahmten seine Bewegungen nach. Anschließend bildete sich eine Traube von Damen um ihn, die die Anleitung signiert bekommen wollten. Ein kleiner asiatischer Junge imitierte einen Schwan und wurde damit zum Star der Show. „Eigentlich albern, oder?“, lacht David, der galant über die Flure hechtet, nicht ohne dabei jeden zweiten Gast freundlich zu grüßen. Der 37-jährige hat als Tänzer für unterschiedliche Reedereien gearbeitet, nach seinem Studium hat es ihn zurück aufs Schiff gezogen. Vor fünf Jahren hat er als Cruise Director bei Norwegian angefangen.
Das Besondere seien die in-house-productionshows, sagt er. Die Sänger und Tänzer werden weltweit gecastet und bleiben jeweils sechs Monate an Bord, nachdem sie die Shows im eigenen Entertainment-department in Tampa gelernt haben.
„Wir bringen viele Markenshows an Bord“, erklärt David. Die neue Produktion „Velvet“ist seine Lieblingsshow, entstanden in Kooperation mit einer australischen Produktionsfirma. Die mutige Burlesqueshow wartet mit beeindruckenden Kostümen und einem visuellen Spektakel auf. Passenderweise hat das Theater in der Werftzeit ein Makeover bekommen (Ledlights), ebenso wie die Sound- und Lichtanlage am Pool. Insgesamt arbeiten an Bord 70 Crewmitglieder im Entertainmentdepartment. Hinzu kommen noch Gastkünstler. Diese werden je nach demografischer und regionaler Zusammensetzung des Gästemixes vom Kreuzfahrtdirektor in der Zentrale bestellt.
„In der Australiensaison wird das Publikum älter, dann biete ich mehr Vorträge an. Zum Glück haben wir als Kreuzfahrtdirektoren bei Norwegian relativ viel Autonomie. Wenn wir sehen, dass ein Format nicht funktioniert, können wir schnell und flexibel reagieren.“Je internationaler das Publikum, umso weniger werden Formate mit hohem Sprachanteil gespielt. Und es gibt auch nationale Vorlieben: Die Australier mögen Musik, für sie wird es eine Rock Night mit australischen Hits geben, für die Familien vielleicht einen Zauberer.
Die jüngeren Amerikaner hingegen mögen Game Shows, gerne auch mal etwas gewagter, mit Körpereinsatz, Poolspiele. Auch die Deutschen loben die Shows, selbst wenn sie die Cruise nur wegen der angefahrenen Ziele buchen, während die Australier auch einfach mal Party machen. „Je abgelegener die Route ist, umso mehr Deutsche haben wir an Bord.“
KIA ORA!
Neuseeland hüllt sich in dichten Nebel und begrüßt das Schiff mit einem tiefen Donnergrollen. Die mystische Stimmung steigert die Neugierde auf das Land noch mehr.
Unsere Route führt uns von Nord nach Süd – erster Stopp ist in Auckland, einer Stadt, die auch in Europa liegen könnte. „You look like you are lost, may I help you?“, sagt der Businessmann auf dem Weg zur Arbeit und hält an, obwohl er es eilig zu haben scheint. Das zuvorkommende Wesen der Neuseeländer zeigt sich schon nach wenigen Minuten an Land.
Schnell lassen wir Downtown hinter uns, bestaunen exotische Blüten in den Wintergardens, wunderschönen Gewächshäusern aus den 1920er-jahren, und wandern weiter zum Mount Eden, einem erloschenen Vulkan, dessen Kraterrand den Blick auf beide Küsten ermöglicht. Plötzlich wird klar: Wir befinden uns eigentlich auf einer ziemlich kleinen Insel mitten im riesengroßen Pazifik.
In Tauranga zieht es viele Passagiere landeinwärts, zu dem eingangs erwähnten, berühmten Baum. Wir fahren über die Kaimaigebirgskette, was in der Sprache der Maori soviel bedeutet wie „Essensweg“. Diesen Weg nutzten die Ureinwohner des rauen Ostens, um diejenigen im ertragreichen Westen um ihre Vorräte zu erleichtern. Und tatsächlich: Kaum klart der Himmel hinter der Gebirgswetterscheide wieder auf, glänzen saftige Wiesen im Sonnenschein und Milchtrucks brausen durch das Nichts.
Nirgendwo in der Welt leben mehr Kühe als hier, erklärt unser Guide Jan, die 170 Milchprodukte seien der wichtigste Bestandteil des Landeseinkommens. Ein Großteil der Milch gehe als Pulver nach China. Na dann. Ehrfürchtig fahren die „Der Herr der Ringe“fans im grünen Hobbiton-bus auf die Farm von Russell Alexander, der der Landwirtschaft eigentlich den Rücken zukehren könnte.
Und tatsächlich wähnt man sich in einer anderen Welt. Die Szenerie wurde mit viel Liebe zum Detail gebaut – aus einigen der 44 Hobbithöhlen steigt sogar Rauch auf, als würde darin gerade eine Mahlzeit im Ofen garen. Im Garten weht die Wäsche auf der Leine. Nur widerwillig verlassen die Fans das Gelände nach ihrem Getränk in der Taverne Destinationen der Reise, oben: Wellington; Napier bietet eine breite Farbpalette Pastellfarbener Art déco und schwarzer Strand (kleines Bild oben und Mitte); unten: Fahrt im Fjordland.
„The Green Dragon Inn“, doch die nächsten Busladungen warten bereits. Das Mittelerdefilmset ist inzwischen die meistbesuchte Touristenattraktion in Neuseeland. Im Jahr 2017 legten 115 Kreuzfahrtschiffe in Tauranga an und Hobbiton zählte 650.000 Besucher.
ART DÉCO ROCKT
Napier weckt uns mit dem Duft nach frischem Holz. Mehr als zwei Millionen Tonnen Baumstämme werden hier pro Jahr exportiert, neben Kernobst und Wein. Der schwarze Strand kommt unter dem düsteren Himmel besonders gut zur Geltung, ein Unwetter naht. Das ist die perfekte Gelegenheit, um im kostenlosen Museum Details zu der am Reißbrett geplante Art-déco-stadt zu erfahren. Ein schweres Erdbeben mit anschließendem Großfeuer zerstörte Napier im Jahr 1931 und restrukturierte die Landschaft: Der Erdboden wurde um bis zu 2,7 Meter angehoben, sodass 40 Quadratkilometer Neuland entstanden. Hier ist heute das Lifestyle-viertel Ahuriri beheimatet. Aber auch die neue Innenstadt mit ihren pastellfarbenen Häusern kann sich sehen lassen, stilecht lernt man sie im Oldtimer inklusive 20er-jahre-reiseführer kennen.
Vor dem Sightseeing-marathon der neuseeländischen Hauptstadt Wellington entspannen die Passagiere der Norwegian Jewel bei Rocknight an Bord. Die Signatureshow „Rock You Tonight“– quasi ein einziges Medley im Theater – wird nahtlos abgelöst von Bandaoke und der anschließenden Rockdisco in der Spinnaker Lounge. An diesem Abend nimmt das Norwegian-motto „Feel Free“konkrete Formen an: Ein Pärchen hat sich komplett dem Stil der Hardrockband Kiss verschrieben – inklusive Perücken und schwarz-weißer Gesichtsbemalung. Sie unterhalten sich gut mit den „Game of Thrones“-fans, die auf ihren Schultern kleine Drachen spazieren führen. Und alle finden es gut.
An der Bar lernen wir Adam kennen, der mit seiner Familie im Haven-komplex reist. In dem Separee für Suitenbewohner genießt er Privilegien wie Butlerservice, ein eigenes Sonnendeck sowie den separaten Pool. Und in seiner Unterkunft bewohnt auch der erwachsene Sohn einen ansehnlichen Rückzugsbereich. Für unsere zehntägige Reise zahlt der Australier 20.000 Us-dollar – ohne mit der Wimper zu zucken. „Nächstes Jahr chartern wir vielleicht eine Yacht“, sagt Adam unbekümmert. „Aber dieses Mal wollte ich einen Familienurlaub machen.“
Auf dem Haven-sonnendeck findet Adams Sohn schnell Anschluss an andere erwachsene Kinder wohlhabender Eltern. Sie genießen das Nachtleben an Bord mit Livemusik und Diskothek, tagsüber gehen sie ins Fitnessstudio oder treffen sich am Pool.
Die neuseeländischen Naturschönheiten werden zur Nebensache, die Norwegian Jewel ist ein Urlaubsresort, das praktischerweise an ihrer Haustür vorbeischwimmt. Es ist diese entspannte Lebensart, die eine Reise auf einem Norwegian-schiff zum Wohlfühlurlaub werden lässt.
ABSOLUTELY POSITIVELY
Fast scheint es, als sei der Leitspruch Wellingtons auch das Motto der Reederei: „Absolutely positively“. Die Hauptstadt Neuseeland hat aber auch viel Positives zu bieten: Von der Naturnähe im riesigen Botanischen Garten oder auf dem Mount Victoria Lookout bis hin zum historisch geprägten Thorndon, wo sich viktorianische Häuser eng an den steilen Hang drängen. Auch die moderne Harbourfront mit Pop-up-stores in Containern – einer Reminiszenz an die Zeit nach dem Erdbeben und dem sehenswerten Te Papa-nationalmuseum begeistert – Eintritt frei.
Barfuß darf man darin das älteste erhaltene Versammlungshaus der Maori betreten. 1842 erweckte Raharuhi Rukupo, Vorsitzender des Rongowhakaata-stammes, das Haus aus Steineiben mit seinen Schnitzkünsten zum Leben. »Te Hau-ki-turanga« heißt so viel wie »der Odem Turangas« und tatsächlich spürt man im Inneren etwas Erhabenes. Das mag auch an dem Maori liegen, der in einer dunklen Ecke des Hauses sitzt.
„Reisen ist die beste Form von Bildung“, gibt er uns mit auf den Weg. „Man sollte niemals aufhören, Erfahrungen zu machen und seinen Horizont zu erweitern. Leben ist reisen, lachen, lernen.“Wie recht er doch hat. Und so zieht es uns bald zurück aufs Schiff, es gilt schließlich noch, die Südinsel Neuseelands kennenzulernen.
PARADIES UND PINGUINE
Im Sonnenuntergang zeichnen sich die ersten schneebedeckten Alpen vor dem Horizont ab, darüber ein zartrosa eingefärbter Himmel. Die ersten Vorboten der so rauen, unzugänglichen Südinsel könnten sanfter nicht sein. Akaroa riecht nach frischen Blumen. Der kleine Ort mit gerade mal 600 Einwohnern dient als Ausweichhafen, seit große Teile Christchurchs 2011 von einem Erdbeben zerstört wurde.
Wer nicht in die Metropole will, schlendert über den Farmers Market oder zum Giants House – einem Garten voller Mosaike und Skulpturen. Wanderkarten führen die Gäste über Schafweiden und durch wiederaufgeforstete Areale. Die Walnussbäume sind saftiger als zuhause, die Tannenzapfen größer und die Wiesen sind durch viele unterschiedliche Grünschattierungen geprägt. Zur Belohnung gibt es bei Meniscus, einem kleinen Weingut am Hügel lokalen Riesling, dazu Lachsbagel und Käse aus der Region.
Die Besitzer David und Gay Epstein führen gerne durch ihr Haus mit vielen großen Fensterfronten, die den unverbauten Blick auf die Bucht freigeben. Ihr persönliches Highlight ist das Gewächshaus, ein Paradies für Monarchfalter. Wir sehen verpuppte Raupen, hier schlüpfen regelmäßig Falter und verletzte bekommen sogar künstliche Flügel aufgeklebt. „Wir sind priviligiert hier zu leben, in diesem wundervollen Land fernab vieler globaler Probleme“, sagt Gay Epstein. Und ja, hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein.
Das Schiff fährt weiter südwärts. Dunedin an der Spitze eines Naturhafens ist für sein kulturelles Erbe der Schotten bekannt, für viktorianische Architektur und die steilste Straße der Welt. Und es ist eine Studentenstadt. Ökologe Oli bringt uns zum einzigen Schloss Neuseelands und auf die der Antarktis zugewandte Seite der Otagohalbinsel.
Im Sandymount Recreation Reserve liegt der höchste Punkt der Region, von hier aus blickt man über Schlick und neuseeländischen Flachs aufs Meer. Seltene Vögel leben in dem Naturschutzgebiet, am Übergang zwischen der Bucht und dem Meer brüten die Königsalbatrossse. Wir besuchen eine Auffangstation für verletzte Gelbaugenpinguine. „Diese endemische Art wird in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren aussterben“, sagt Oli. Es gebe nur noch 250 Brutpaare und dass die einzige antisoziale Pinguinart der Welt mindestens 50 Meter Abstand zum nächsten Nest halte, mache es nicht einfacher für sie. „Vor fünf Jahren gab es im Penguin Place noch zwölf Brutpaare, im letzten Jahr drei, in diesem Winter ist es kein einziges.“
Sie werden nicht nur von steigenden Temperaturen im Zuge des Klimawandels bedroht, sondern landen oft auch als Beifang in den Fischernetzen.
Wo wir schon mal in einem Vogelparadies sind – wie stehen eigentlich die Chancen, den Nationalvogel Neuseelands zu sehen? Oli winkt ab. Den Kiwi in freier Wildbahn zu sehen, sei so gut wie unmöglich. Das liege nicht nur daran, dass der unscheinbare, kleine braune Vogel nachtaktiv sei. Er sei auch extrem selten geworden. Die europäischen Siedler brachten zu viele Fressfeinde mit: Hunde, Katzen, Füchse und Marder. Um die flugunfähigen Vogelarten Neuseelands zu schützen, hat die Regierung das Umweltziel „Predator Free 2050“ausgerufen. In den nächsten 31 Jahren sollen alle eingeschleppten Säugetierarten in freier Wildbahn ausgerottet sein. Erste Großaktionen sind in den Ballungsräumen bereits angelaufen und zeigen Wirkung. „Niemand mag es, Tiere zu vergiften, aber es ist der einzige Weg unsere natürlichen Arten zu erhalten“, setzt Oli sich für das Programm ein. Eine radikale Form der Liebe zur Ursprünglichkeit.
NICHT EIN BAUM, SONDERN GANZ VIELE
Gleichzeitig pflanzen die Neuseeländer gerade bis zum Jahr 2028 eine Milliarde Bäume. „Früher bedeckte Regenwald 70 Prozent des Landes, heute sind es nur noch 30 Prozent“, erklärt Oli. Das relativiert das Bild der lieblichen Grashügel des Auenlandes gewaltig. „Back to nature“scheint das Motto der Neuseeländer daher zu lauten – und zwar mit allen nur erdenklichen Mitteln. Nicht ein schöner Baum, sondern eine Milliarde.
Ganz viele Bäume sehen wir zum Abschluss der Reise auch in den Blue Mountains, „Australia’s most accessible wilderness“. Will heißen: Natürlich gibt es drei Seilbahnen durch den Dschungel. Die rote Linie, die „Scenic Railway“, ist mit ihren 52 Grad Steigung die steilste Passagierbahn der Welt und ein Schweizer Qualitätsfabrikat. Die gelbe „Scenic Skyway“gewährt mit einem Glasboden schwindelerregende Ausblicke auf das 270 Meter tiefer gelegene Tal. Und ist damit – noch ein Rekord – auch die höchste Seilbahn Australiens. Zweimal so hoch wie die Harbour Bridge in Sydney. Die blaue „Scenic Cableway“ist mit Platz für 84 Personen die größte Seilbahn. Sie überwindet 545 Höhenmeter zwischen dem Aussichtspunkt und dem Regenwald. Dort unten gibt es einen 2,4 Kilometer langen Scenic Walkway (der längste Holzsteg des Landes). Für 39 Dollar kann man den ganzen Tag mit den drei Seilbahnen fahren und bekommt perfekte Ausblicke auf das Jamison Valley, die drei Schwestern und Mount Solitary.
Ein weißer Papagei schwebt wie ein Lichtpunkt über die weite grüne Ebene. Auf dem Weg zurück sehen wir lilablühende Jacarandabäume aus Brasilien. Man wolle einige fällen, weil man auf den Blüten so leicht ausrutsche, erklärt unser Guide Neville mit einem breiten australischen Akzent. Wenn doch nur alle Länder schon so weit wie Neuseeland wären. ■