Crucero - Das Kreuzfahrtmagazin
FREIER FLUG ÜBERS SONNENDECK
Achterbahn auf der Mardi Gras
Kartfahren, Laser-tag spielen, die Kletterwand bezwingen – die Auswahl an Freizeitbeschäftigungen auf Kreuzfahrtschiffen wird immer größer. Im November 2020 startet mit der Mardi Gras nun das erste Schiff mit einer Achterbahn an Bord. Crucero hat mit MARCO HARTWIG, dem Projektverantwortlichen der Weltneuheit, gesprochen.
Achterbahnen sind faszinierend, weil mit ihnen Fahrprofile möglich sind, die es bei keinem anderen Gefährt gibt. Höhe, Geschwindigkeit und Nervenkitzel kombinieren sich zu einem spektakulären Erlebnis, das trotzdem vollkommen sicher ist.“Wenn Marco Hartwig über seinen Job spricht, strahlen seine Augen. „Ich verbringe seit meiner Kindheit viel Zeit in Freizeitparks und habe so schon früh Spaß an Achterbahnen entwickelt. Während meines Studiums habe ich dann überlegt, wie ich mein Hobby mit dem Beruf verknüpfen kann.“Nach dem Bachelor im Maschinenbau erwarb der bekennende Achterbahn-fan daher einen Master-titel in Systems Engineering und darf sich nun Projektmanager für Achterbahnen nennen. Vor rund 18 Monaten ergatterte sein Arbeitgeber, die Maurer Rides Gmbh aus München, den ungewöhnlichen Auftrag der ersten schwimmenden Achterbahn für die Mardi Gras von Carnival Cruises.
DIE 220 METER LANGE STRECKE mit zwei Fahrzeugen wird das Herzstück des „Ultimate Playground“, einer von sechs Themenzonen an Bord der Mardi Gras. Die Achterbahn mit dem Namen BOLT erstreckt sich auf den Decks 18 bis 20 des größten Schiffs der Carnival-flotte, das auf derselben Plattform wie die Aidanova, die Costa Smeralda und die Iona von P&O beruht. Wie die anderen Schiffe der Excellenceklasse wird die Mardi Gras rund 180.000 Bruttoregistertonnen mit einem Lng-antrieb bewegen und 5.200 Unterbetten an Bord haben. Der Neubau entsteht aktuell auf der Meyer Werft in Turku, der Start wurde von August auf November 2020 verschoben.
GENUG ZEIT ALSO FÜR MARCO HARTWIG, die erste schwimmende Achterbahn auf hoher See mit deutscher Präzision fertigzustellen. Das Herz der Anlage – die Fahrzeuge – wurden in Kirchheim bei München gefertigt. Die ersten Probefahrten mit Dummies haben bereits stattgefunden, denn die Konstruktion wurde auf einem extra angemieteten Gelände bereits aufgebaut. So können die exakten Fußpunkte der Bahn vermessen und an die Werft übermittelt werden, damit diese die Adapter an Deck vorbereiten kann. Die theoretische Lage der Fußpunkte wurde vorab in enger Abstimmung mit der Werft festgelegt, damit das an diesen Punkten verstärkte Schiffsdeck den auftretenden Kräften standhält.
„Aufgrund der einzigartigen neuen Umgebung auf einem Kreuzfahrtschiff und der interaktiven Fahrzeuge hat sich Carnival für ein klassisches Layout ohne spezielle Fahrfiguren entschieden“, sagt der Projektmanager. „So kann der Gast ein deutlich freieres Fahrgefühl auf 57 Metern Höhe über dem Meeresspiegel erleben.“Zu zweit hintereinander sitzen die Passagiere in den Wagen, sogenannten Spike Coastern, lediglich durch ein Hüftgurt gesichert. Der Fahrgast
im vorderen Sitz hat einen Gashebel, mit dem er eigenständig die Geschwindigkeit bestimmen kann – auch das ist eine Weltneuheit. Hinzu kommt die niedrigste Sitzposition, die je auf einer Achterbahn realisiert wurde, die Schiene verläuft zwischen den Beinen der Passagiere. So entsteht ein Freiheitsgefühl wie auf einem Motorrad.
IM GEGENSATZ ZU HERKÖMMLICHEN ACHTERBAHNEN, die meistens auf dem Prinzip der Schwerkraft basieren, hat beim Spike Coaster jedes Fahrzeug einen eigenen Motor, der über eine parallel zur Aufhängung verlaufende Stromschiene mit Energie versorgt wird. So ist ein verlässlicher Betrieb auch bei Wellengang möglich. Weitere Vorteile: Das Modell ist relativ leicht und stromsparender als herkömmliche Achterbahnen. Wenn das vordere Fahrzeug bremst, wird die Energie an das hintere Fahrzeug übertragen.
Bei der Konstruktion einer Achterbahn auf hoher See musste die Schiffsbewegung natürlich mit eingerechnet werden. Theoretisch könnten Adrenalinjunkies also auch bei Wind und Wetter starten, limitiert wird die Nutzung lediglich von den Vorgaben der Reederei.
UND WAS ERWARTET DIE PASSAGIERE NUN GENAU? „Auf der Beschleunigungsstrecke können Passagiere mit über einem g von 0 auf 60 Stundenkilometer Fahrt aufnehmen. Das ist in etwa vergleichbar mit dem Start eines Formel 1-Wagens“, verrät Hartwig. „Es folgen eine Aufwärtsspirale, zwei Airtime-hügel, bei denen man das Gefühl haben wird, über dem Meer zu schweben und eine 180-Grad-kurve rund um den Schornstein.“
Der spektakuläre Flug wird je nach mutiger Nutzung des Gashebels zwischen 20 und 30 Sekunden dauern.
Eine besonders wichtige Rolle beim Layout auf einem Kreuzfahrtschiff ist die Berechnung des lichten Raumes. Während Achterbahnen an Land zumeist freistehen, muss sich BOLT den Raum an Deck mit anderen Gewerken teilen – wie etwa dem Wasserpark in der Mitte des Schiffes.
Zudem können sich die Passagiere unterhalb der Achterbahn aufhalten. Da musste natürlich ganz genau berechnet werden, wieviel Platz jeweils für das Gefährt und die Passagiere benötigt wird, auch wenn diese die Fahrt mit ausgestreckten Armen genießen möchten. Und natürlich wurden alle Teile beim Bau mit einem erhöhten Korrosionsschutz versehen, damit sie der salzhaltigen Luft später standhalten.
Aktuell fiebert Marco Hartwig nun mit seinem 40-köpfigen Team auf den Moment hin, wenn die erste Fahrt des Spike Coaster an Deck der Mardi Gras stattfindet. Sie ist für Sommer 2020 geplant. Dann kann er ganz sicher sagen, ob er eine gute Achterbahn realisiert hat. Denn eine gute Achterbahn möchte man immer und immer wieder fahren. ■
„Man wird das Gefühl haben, über dem Meer zu schweben“
Marco Hartwig