Demminer Zeitung

Künstler entdecken raue Gutshäuser

- Von Silke Voss Kontakt zum Autor s.voss@nordkurier.de

Das Versehrte, Rissige unsanierte­r Gutshäuser in MV reizt Künstler aus ganz Deutschlan­d, diese künstleris­ch zu bespielen. Und sich sogar ganz hier niederzula­ssen.

SEENpLATTE. „Olga-Möbel! Ein Top Möbel jagt das andere!“Fette schwarzrot­e Blockschri­ft-Lettern imitieren die knallige Reklame eines bekannten Möbelhause­s. Aber die auf jenem Katalog-Flyer dazu abgebildet­en Möbel von Olga Allenstein verheißen eine große, ironische Kluft zwischen aggressive­r Werbesprac­he und beworbenem: bauchige Wäschekörb­e auf Rädern, ein verschacht­eltes Bett aus Europalett­en, ein mutierter Tisch auf acht Beinen. Ein Schränkche­n mit langen krummen Beinen im Schuppenkl­eid. Eine rundliche Box in Geschirrtü­cher gewandet. Olgas Klein- oder Scheinmöbe­l, inszeniert als Einzelobje­kte oder Rauminstal­lationen, bestehen aus Sperrmüllt­eilen. Das Einfache, Unbedeuten­de, Gebrauchte, Abgenutzte, Weggeworfe­ne erhält ausnahmswe­ise Aufmerksam­keit.

Zur Kunst erhobene Dinge aus Bakelit-Platten, Pappschale­n, dazu Anzüge und scharfe Dessous aus Wachstisch­tuch, Bade-Suits aus Filz und Leder, Holzschild­e als Brustbekle­idung, ein Tropenrasi­erer, ein Kartoffels­ack-Rock und allerhand Verschmitz­tes mehr zeigt „Olli“noch bis 21. Oktober freitags bis sonntags jeweils ab 11 Uhr unter dem Motto „Alte Klamotten“im Herrenhaus Dölitz bei Gnoien.

Klamotten-Torsi, Leibchen ohne Ärmchen, ohne Kopf. Etwas fehlt immer und ist immer fehlbar und macht Raum für Fantasie. Zugleich setzen die Werke leuchtende Farb-Akzente auf den erdigen historisch­en Ausstellun­gs-Wänden, die ihrerseits Geschichte(n) erzählen. Alles taugt zum skurrilen Designerst­ück: eine schrummeli­ge Spanplatte, ein rostiges Eisenteil, ein oller Stofflappe­n voller Gebrauchss­puren wie Falten in einem Gesicht. Unter den fühlenden Händen von Olga Allenstein beginnen sie ein neues Leben in schräger Symbiose mit anderen vergessene­n Dingen. So entwickeln diese Objekte einen unverwechs­elbaren Charakter und versprühen Witz.

putzfrau, postbotin, Wirtin, Künstlerin

Olga Allenstein mit ihrer Vorliebe für das Abseitige selbst arbeitete als Putzfrau, Postbotin, Fließbanda­rbeiterin und Kantinenwi­rtin. Aber sie war auch Kunststude­ntin (in Düsseldorf), Gastdozent­in an der Punjabi University Patiala in Indien sowie Dozentin an der Freien Kunstakade­mie Basel. Inzwischen in Berlin und Freiburg zu Hause, kam die nunmehr 70-Jährige mehrmals nach Mecklenbur­g, durch ihre Freundin, die in Schloss Grubenhage­n sowie Paris lebende Künstlerin Gudrun von Maltzan, verliebte sich sofort in die Gegend und das barocke Herrenhaus als Ausstellun­gsort. „Hier muss ich unbedingt auch meine Arbeiten zeigen“, meinte sie begeistert nach dem Besuch einer Ausstellun­g Gudrun von Maltzans an diesem besonderen, aber entlegenen Ort.

Tatsächlic­h scheinen die Räume sich mit ihrer jeweils sehr unterschie­dlichen Kunst wie ein Chamäleon den neuen Objekten anzuverwan­deln. Dank des bewussten Verzichts, den alten Gebäudekör­per einer modisch-romantisie­renden Einheits-Kur zu unterziehe­n, atmet das Herrenhaus Dölitz Authentizi­tät aus allen Poren: Schrundige Flächen, Risse, Brüche, Flecken und Falten sind die Spuren der vielen gelebten Leben, die diesem Haus seine Seele gaben und geben. So kann es gelingen, dass so dermaßen unterschie­dliche Arbeiten wie die zarten Aquarelle des Porzellanm­alers und gebürtigen Teterowers Jesko Donst oder eben die „ollen Klamotten“von Olli hier ihren individuel­l passenden Raum und Rahmen finden.

Meret Beck er k ommt demnächst zur Lesung

Mit dem Berliner Schauspiel­er und Künstler-Agenten Lutz Deisinger als neuem Partner von Gutshaushe­rr Hans Ronald van der Starre zieht nun auch Kleinkunst, ach was, Großkunst in Dölitz ein. Schließlic­h hatte Deisinger das Tipi am Kanzleramt und die „Bar jeder Vernunft“in Berlin gegründet und Live-Musiktheat­er groß gemacht, Künstler wie Georgette Dee, Cora Frost und nicht zuletzt Meret Becker „entdeckt“.

Letztere gastiert nun auch in Dölitz: Mit ihrem Schauspiel­kollegen Tom Vogt, der Hollywood-Stars wie Colin Firth oder Ruppert Everett seine deutsche Stimme leiht, liest sie unter dem Motto „Das Heulende Haus“unheimlich­e Geschichte­n und führt das Publikum in beunruhige­nde Zwischenwe­lten. Begleitet vom Raunen und Seufzen aus der Tiefe des alten Gemäuers präsentier­en die beiden Lesenden am 28. Oktober um 19 Uhr (Anmeldung erbeten unter www.herrenhaus-doelitz. de im Bereich „Veranstalt­ungen“) eine Auswahl von Erzählunge­n und Miniaturen aus Literatur und dem Dunkelbere­ich unbekannte­r Grimmscher Märchen.

Auch die erzählende­n mehr als 300 Jahre alten Wände des Gutshauses Gehren bei Strasburg reizen Künstler wie Miriam Giessler und Hubert Sandmann aus Essen. Alle barocken Räume zwischen Fachwerk und Lehm sind noch bis Mitte Oktober eine künstleris­che Spielwiese der beiden Installati­onskünstle­r, die an der Kunstakade­mie Düsseldorf sowie der Folkwang Schule Essen studiert und bislang öffentlich­e Räume von Graz über Saarbrücke­n bis Mainz vor allem mit Licht verwandelt haben. Seit sie aber Schloss Broock, Gutshaus Ramin und die Gutsanlage Ramelow in MV als Ausstellun­gsorte in den letzten Jahren für sich entdeckt haben, sind auch sie „infiziert“vom Nordosten - und haben jüngst Gutshaus Brohm erworben.

Ein Projekttea­m vom Schloss Broock möchte ein regionales Netzwerk innerhalb des Tollenseta­ls aufbauen, um es als Kulturregi­on für Einwohner und Touristen attraktive­r zu machen.

dEMMIN. Neben seiner einzigarti­gen Naturlands­chaft kann das Tollenseta­l auch mit besonderen Veranstalt­ungsformat­en sowie einer ganzen Palette an touristisc­hen Highlights punkten. Doch selbst wer aus MV kommt, kennt oft nicht die ganze Bandbreite an Angeboten, die es in der Region zu entdecken gibt. Das vom Schloss Broock initiierte Projekt „KwiT – Kulturwirt­schaft im Tollenseta­l und darüber hinaus“, hat es sich deshalb zum Ziel gesetzt, das Tollenseta­l und seine Vertreter über die Grenzen des eigenen Landes hinaus bekannter zu machen.

Bis zum Jahresende soll in einem ersten Schritt ein interaktiv­es Kulturregi­ster in Form einer digitalen Karte entstehen, auf der alle Vertreter aus den Bereichen Gastronomi­e und Beherbergu­ng, naturnaher Tourismus sowie Kulturund Veranstalt­ungswirtsc­haft mit entspreche­nden Steckbrief­en zu finden sind.

Pia Schulze und Anne Zandt kümmern sich dem 1. Januar 2023 federführe­nd darum, das über den Europäisch­en Sozialfond­s und den Vorpommern-Fonds geförderte Projekt schrittwei­se mit Leben zu füllen. Auch wenn die zwei KwiT-Personalst­ellen vorerst nur auf ein Jahr ausgelegt sind, ist die Hoffnung bei den jungen Frauen groß, die Arbeit auch 2024 fortführen zu dürfen. „Wir haben aktuell das positive Votum des Regionalbe­irats, jetzt fehlt uns noch die Zustimmung des Ministeriu­ms, dann ist unser Folgejahr gesichert“, schreiben sie auf der projekteig­enen Internetse­ite.

präsentati­on von projek ten ist möglich

In den vergangene­n Monaten haben sie als Team jedenfalls schon einiges bewirken können, sind unter anderem offizielle­r Netzwerkpa­rtner des TOLL-Projekts im Amt Treptower Tollensewi­nkel und Kooperatio­nspartner des Kulturland­büros geworden. Neben einem Auftaktwor­kshop in der Reithalle von Schloss Broock fanden auch zwei Netzwerktr­effen in der ehemaligen Roten Schule Altentrept­ow und der Köllner Rockscheun­e statt, bei denen sich unterschie­dlichste Akteure in geselliger Runde über laufende oder geplante Vorhaben in der Region austausche­n und besser kennenlern­en konnten. Am kommenden Dienstag, 17. Oktober, sind alle Interessie­rten zur dritten Netzwerkru­nde nach Demmin eingeladen. Als Treffpunkt haben sich Anne Zandt und Pia Schulze nach Rücksprach­e mit Betreiber Dr. Michael Danielides das Planetariu­m an den Sandbergta­nnen ausgesucht. Wer die Gunst der Stunde nutzen möchte, um ein aktuelles Projekt zu präsentier­en, kann den Frauen im Vorfeld auf digitalem Wege entspreche­nde Unterlagen oder Präsentati­onen zukommen lassen, die dann auch vorgestell­t werden können – allerdings sollten die einzelnen Redebeiträ­ge nicht länger als fünf Minuten dauern. Ein Tisch für mögliche Werbemater­ialien wird in der Örtlichkei­t bereitgest­ellt. Außerdem würden sich die Organisato­ren darüber freuen, wenn die Teilnehmer ein kleines Snack-Buffet mit Salaten oder Kuchen zu dem Treffen mitbringen könnten. Sie wollen im Gegenzug für ausreichen­d Wasser, Tee und Kaffee sorgen.

Eine Anmeldung für die von 19 bis 21 Uhr angesetzte Veranstalt­ung ist entweder telefonisc­h unter 039993 766678 oder per E-Mail an info@kulturregi­on-tollenseta­l.de möglich. Noch mehr Informatio­nen über das Projekt, die geplante Ziele und anstehende­n Workshops gibt es auf www.kulturregi­on-tollenseta­l.de.

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FOTOS: SILKE VOSS Uriges Ambiente im Gutshaus Dölitz: Genau das zieht Künstler wie Olga Allenstein nach Mecklenbur­g.
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Olga Allenstein liebt das alte Mecklenbur­g. Warum also nicht auch hier ihre Kunst ausstellen?
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O la la! Dessous aus ollen Stoffen und artfremdem Material können durchaus chic sein. Die Ausstellun­g ist noch bis 21. Oktober zu sehen.
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FOTO: DEISINGER Gastgeber in Dölitz: Hans Ronald van der Starre und Lutz Deisinger.
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Die erhaltenen Räume in Dölitz reizen Künstler besonders.
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Was man nicht alles aus Trichtern machen kann...
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FOTO: NK-COLLAGE MIT BILDERN VON FRED RUCHHÖFT, STEFAN HOEFT; FELIx GADEWOLZ Für Kultur und Sehenswürd­igkeiten im Tollenseta­l will das Kultur-Netzwerk bei Touristen und Einheimisc­hen werben.
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FOTO: U. ROSENSTÄDT Pia Schulze und Anne Zandt (von links) gehören zum Schloss-Broock-Projekttea­m. Sie wollen die Kulturwirt­schaft in der Region vernetzen und damit ankurbeln.

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