Ausländische Ärzte verlaufen sich immer wieder im deutschen Bürokratie-Dschungel
In vielen Gemeinden und Kliniken fehlen Ärzte. Da trifft es sich gut, dass es Bewerber aus dem Ausland gibt, die auch die Lücken an vielen Krankenhäusern im Nordosten füllen. Doch für sie gibt es in Deutschland enorme Hürden zu überwinden.
BERLIN – Die Bewerber kommen aus der Türkei, aus Syrien, der Ukraine und vielen anderen Ländern. Sie alle wollen als Arzt in Deutschland arbeiten. Viele Kommunen und Krankenhäusern sind darüber froh. Regionaler Ärztemangel reißt längst Lücken in die Versorgung. Doch vor dem Einsatz der ausländischen Mediziner in deutschen Praxen, Versorgungszentren oder Kliniken stehen langwierige Verfahren. In den Behörden, die für Anerkennung und Arbeitserlaubnis zuständig sind, stauen sich derzeit viele Anträge — zum Ärger von Betroffenen. Werden am Ende die Patienten deshalb schlechter versorgt? Was könnte helfen?
Ob im Südschwarzwald oder an der Mecklenburgischen Seenplatte, im Taunus oder in Schwerin: Ausländische Ärzte sind in vielen deutschen Städten begehrt. Im badischen Bad Säckingen zum Beispiel schien die Suche nach einem Nachfolger für die gynäkologische Praxis im örtlichen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) schon erfolglos. Dabei wurde schon ein Arbeitsvertrag mit einem türkischen Bewerber geschlossen, doch die Zulassung ließ auf sich warten. Medizinischen Fachangestellten wurde bereits gekündigt. Nach bangen Wochen fand das MVZ doch noch einen Gynäkologen aus der Region. Unterdessen kämpft in Aalen auf der Ostalb ein Mediziner aus Venezuela seit Monaten um seine Anerkennung als Hausarzt.
Im thüringischen Eisenach wartet eine Ukrainerin, die bereits seit 27 Jahren als Kinderärztin in ihrer Heimat gearbeitet hatte, auf die Anerkennung ihres Studienabschlusses. „Schade, dass es sehr, sehr lange dauert“, sagte sie. Für sie blieb in der Kinderstation zunächst nur der Einsatz als Hospitantin. Im hessischen Bad Schwalbach wuchs unterdessen bei einem kolumbianischen Arzt die Wut: Einen Arbeitsvertrag bei einer Klinik hatte er schon; nur die beantragte Approbation ließ auf sich warten, und die zuständige Landesbehörde erreichte er erst gar nicht für Nachfragen, wie er sagte.
Dabei ist die Zahl ausländischer Ärzte vergangenes Jahr auf eine neue Höchstmarke gestiegen — auf knapp 64.000. Nach einer verlangsamten Zuwanderung während der Corona-Pandemie steigt ihr Zuzug wieder, wie die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen, sagt. „Die Einwanderung von ausländischen Ärztinnen und Ärzten wird sich voraussichtlich auch in den kommenden Jahren fortsetzen.“Syrien lag bei den Herkunftsländern im Jahr 2023 vorn (6120 Ärzte), gefolgt von Rumänien (4668), Österreich (2993), Griechenland (2943), Russland (2941) und der Türkei (2628). „Seit rund eineinhalb Jahren erleben wir einen großen Anstieg aus der Türkei“, berichtet die Leiterin der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe, Carola Dörf ler. Die verbreitete Unzufriedenheit mit der politischen und wirtschaftlichen Lage in dem Land könne der Grund sein. Seit rund einem Jahr steigen auch die Bewerberzahlen ukrainischer Kriegsf lüchtlinge.
Überprüfungen im Auftrag der Bundesländer
In Dörf lers Einrichtung überprüfen unter anderem Ärzte und Therapeuten sowie Dokumentare im Auftrag der Bundesländer die eingereichten Abschlüsse und Dokumente auf ihre Gleichwertigkeit in Deutschland. In vielen Regionen wird auch einiges für den Zuzug ausländischer Ärzte getan. So gewann das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum (DBK) in Neubrandenburg mit einem Programm der Agentur für Arbeit elf Jung-Mediziner aus Mexiko zur weiteren Qualif ikation.
Knapp die Hälfte der Ärzte im Klinikum kommt aus dem Ausland. „Aktuell haben 45 Prozent keine deutsche
Staatsbürgerschaft“, sagt DBK-Sprecherin Anke Brauns. In diesem Bereich liege der Anteil schon seit mehreren Jahren. Die Mediziner kämen aus vielen unterschiedlichen Nationen. „Den höchsten Anteil bei den ausländischen Ärzten haben die polnischen Kolleginnen und Kollegen, gefolgt von syrischen, ungarischen, mexikanischen und rumänischen“, erklärte die Sprecherin.
Vor allem die Krankenhäuser sind auf zugewanderte Ärzte angewiesen, um ihren Betrieb aufrechterhalten zu können. Von den mehr als 1000 ausländischen Ärzten, die in Mecklenburg-Vorpommern arbeiten, waren zuletzt mehr als 85 Prozent in Kliniken angestellt. Deutlich weniger haben sich in einer Praxis niedergelassen. „Wir brauchen ganz klar die Zuwanderung“, hatte vor Jahresfrist der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft MV (KGMV), Uwe Borchmann,
verdeutlicht. Mit Abstand die meisten ausländischen Ärzte in MV kommen aus Syrien und Polen. Es folgen Ärzte aus Serbien, der Ukraine, Russland, Aserbaidschan, Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Weil zu wenige Studenten der Universitäten Greifswald und Rostock nach dem Abschluss im Land bleiben, steigt der Anteil ausländischer Ärzte seit Jahren.
Aber die bürokratischen Hürden für die internationalen Fachkräfte sind nicht nur im Nordosten hoch. Deshalb will Baden-Württemberg die Verfahren per gebündelter Behörden-Anlaufstelle erleichtern, Bayern auch mit künstlicher Intelligenz. Doch statt Freude herrscht vielerorts Frust. „Der Anstieg der Bewerberzahlen aus der Türkei und der Ukraine hat zu einem Stau geführt“, räumt Gutachtenstellen-Leiterin Dörfler ein. „Die Personalausstattung der Behörden hinkt der Entwicklung hinterher.“Die Dauer der Gleichwertigkeitsprüfung in ihrem Haus: ein halbes Jahr, acht Monate oder vereinzelt bis zu einem Jahr. Ärztekammer-Vizepräsidentin Lundershausen sagt: „Zweifelsohne besteht aufgrund des komplexen Anerkennungsverfahrens die Gefahr langer Wartezeiten oder Hängepartien.“Häufig erschienen die Abläufe der verschiedenen Behörden widersprüchlich.
Von den praktischen Problemen kann Elitsa Seidel ein Lied singen. Mit ihrer Mainzer Agentur „inmed personal“hilft sie Bewerbern. Seidel beklagt die unterschiedlichen Anforderungen in den Bundesländern — von der Form der Beglaubigung der Unterlagen bis zur Wartezeit auf die ebenfalls nötige Fachsprachprüfung. „Das dauert zwei Monate bis zu einem halben Jahr.“Manche Bewerber gerieten in einen Teufelskreis. „Die Kliniken brauchen Planungssicherheit und akzeptieren daher nur voll anerkannte Bewerber“, so Seidel. Viele Approbationsbehörden verlangten aber einen Einstellungsnachweis, bevor sie den Antrag überhaupt bearbeiten, vor allem, wenn die Ärzte noch keinen deutschen Wohnsitz haben.
Es könnte alles einfacher sein
„Oft erscheint alles ganz einfach: Eine Klinik oder ein MVZ will einen Arzt einstellen, der Arzt will eingestellt werden“, sagt Agentur-Chefin Seidel. Für die Bewerber entwickelt sich das Herbeischaffen aller Dokumente und der Vergleich mit den deutschen Anforderungen trotzdem nicht selten zum Drama. Seidel erläutert, es könne schnell zwei, drei Monate länger dauern, wenn der Anerkennungsbehörde ein Zeugnis fehlt. „Die Anerkennungsverfahren ziehen sich in die Länge, wenn die Unterlagen nicht vollständig vorliegen oder die Personalressourcen in den Behörden eine schnelle Prüfung nicht zulassen“, meint Lundershausen. „Oft liegt es auch nicht an den Behörden, etwa wenn Dokumente nachgereicht werden“, sagt Dörf ler.
Sie findet: Es könnte alles auch einfacher sein. Denn heute müssen Antragsteller ihre Dokumente auf jeden Fall erst auf Gleichwertigkeit in Deutschland prüfen lassen. Aber bei rund drei von vier Bewerbern reichen die Zeugnisse nicht. Sie müssen in eine persönliche Arztprüfung, die Kenntnisprüfung. Dörf ler schlägt vor, dass die Betroffenen künftig vorher wählen dürfen, ob sie ihre Dokumente überprüfen lassen. Bei mangelnder Erfolgsaussicht sollten sie sich gleich auf die Kenntnisprüfung konzentrieren können. Dörf ler wirbt für die Idee: „Es würde eine Menge Behördenarbeit einsparen.“
Die Expertinnen sind sich einig: Die Zusammenarbeit der Behörden sei ausbaufähigen, so Ärztekammer-Vize Lundershausen. Seidel: „Es wäre wichtig, bürokratische Hürden zu senken – im Gegensatz zu den sprachlichen und fachlichen Voraussetzungen, die einfach gegeben sein müssen.“Doch sind die fachlichen Qualifikationen für den Einsatz an den Patienten auch immer gegeben? „Wir haben es mit einem sehr heterogenen Feld an Bewerbern und Bewerberinnen zu tun“, mahnt der Leiter des Instituts für Ausbildung und Studienangelegenheiten an der Medizin-Fakultät in Münster, Bernhard Marschall. „Dass jemand sehr versierte Erfahrungen mitbringt, ist sehr selten.“Zum Schutz der Patienten seien gründliche Anerkennungsverfahren unabdingbar.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumte auf dem Ärztetag im Mai ein, über Jahre seien auch aus Spargründen zu wenig Ärzte hierzulande ausgebildet worden. Stattdessen hole Deutschland immer mehr ausländische Mediziner ins Land. „Das ist nicht ethisch und kann so nicht weitergehen.“Marschall weist auch auf eine anderes Ungleichgewicht hin: Wegen ungleichmäßiger Verteilung der insgesamt 428.000 Ärzte in Deutschland landeten die ausländischen Mediziner oft in strukturschwachen Regionen. Dort, wo die Arbeit und das Leben den hier ausgebildeten Ärzten weniger attraktiv erscheine und Patienten sich womöglich schon abgehängt fühlten.
Heute vor 75 Jahren wurde das Grundgesetz offiziell verkündet. Unser Gastkommentator Heiko Lietz meint, mit der Einheit 1990 wäre es Zeit für eine neue Verfassung gewesen.
SCHWERIN – Am 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland unter der Regie der westlichen Besatzungsmächte USA, Frankreich und Großbritannien gegründet. Nachdem der Parlamentarische Rat das Grundgesetz im Auftrag der drei westlichen Besatzungsmächte ausgearbeitet und genehmigt hatte, wurde es als eine vorläufige Teilverfassung Westdeutschlands für eine Übergangszeit feierlich verkündet.
Denn in der Präambel des Grundgesetzes war der Gedanke an eine zukünftige Vereinigung mit folgendem Satz fest verankert: „Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit zu vollenden.“Im Artikel 146 heißt es: „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
Im Grundgesetz sind die Menschenrechte in Artikel 1 19 als Grundrechte verbürgt und einklagbar. Sie binden alle Staatsgewalt. Darin sind aber nur die bürgerlichen und politischen Rechte einbezogen. Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte sind im Grundgesetz an dieser Stelle nicht aufgenommen worden. Das war ein entscheidender Geburtsfehler, denn dadurch wurde die unantastbare Würde des Menschen rechtlich nicht mehr ausreichend abgesichert.
Nach dem Verständnis der Uno ist es Aufgabe des Staates, beide Teile in gleicher Weise zu fördern und rechtlich abzusichern. Denn die Menschenrechte sind in ihrer Gesamtheit allgemeingültig und unteilbar, sie bedingen einander und sind miteinander verknüpft. Doch die Hoffnung auf eine zukünftige Vereinigung wurde durch die politische Weltlage mehr und mehr auf die lange Bank geschoben.
Es begann 1949 mit der Gründung zweier deutscher Staaten, setzte sich fort im Mauerbau 1961 und kulminierte in dem Besuch von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker 1987 bei Helmut Kohl in Bonn. Auf der politischen Ebene arrangierte sich die politische Elite im Westen mehr und mehr mit dieser neuen Realität. Spätestens mit der gleichzeitigen Aufnahme beider Staaten in die UNO 1973 schien alles entschieden.
Doch das scheinbar festgefügte DDR-System bekam in den 1980er-Jahren mehr und mehr Risse. In der unabhängigen Friedensbewegung organisierte sich der politische Widerstand, andere wiede