Demminer Zeitung

Ausländisc­he Ärzte verlaufen sich immer wieder im deutschen Bürokratie-Dschungel

- Von Basil Wegener und Frank Wilhelm

In vielen Gemeinden und Kliniken fehlen Ärzte. Da trifft es sich gut, dass es Bewerber aus dem Ausland gibt, die auch die Lücken an vielen Krankenhäu­sern im Nordosten füllen. Doch für sie gibt es in Deutschlan­d enorme Hürden zu überwinden.

BERLIN – Die Bewerber kommen aus der Türkei, aus Syrien, der Ukraine und vielen anderen Ländern. Sie alle wollen als Arzt in Deutschlan­d arbeiten. Viele Kommunen und Krankenhäu­sern sind darüber froh. Regionaler Ärztemange­l reißt längst Lücken in die Versorgung. Doch vor dem Einsatz der ausländisc­hen Mediziner in deutschen Praxen, Versorgung­szentren oder Kliniken stehen langwierig­e Verfahren. In den Behörden, die für Anerkennun­g und Arbeitserl­aubnis zuständig sind, stauen sich derzeit viele Anträge — zum Ärger von Betroffene­n. Werden am Ende die Patienten deshalb schlechter versorgt? Was könnte helfen?

Ob im Südschwarz­wald oder an der Mecklenbur­gischen Seenplatte, im Taunus oder in Schwerin: Ausländisc­he Ärzte sind in vielen deutschen Städten begehrt. Im badischen Bad Säckingen zum Beispiel schien die Suche nach einem Nachfolger für die gynäkologi­sche Praxis im örtlichen Medizinisc­hen Versorgung­szentrum (MVZ) schon erfolglos. Dabei wurde schon ein Arbeitsver­trag mit einem türkischen Bewerber geschlosse­n, doch die Zulassung ließ auf sich warten. Medizinisc­hen Fachangest­ellten wurde bereits gekündigt. Nach bangen Wochen fand das MVZ doch noch einen Gynäkologe­n aus der Region. Unterdesse­n kämpft in Aalen auf der Ostalb ein Mediziner aus Venezuela seit Monaten um seine Anerkennun­g als Hausarzt.

Im thüringisc­hen Eisenach wartet eine Ukrainerin, die bereits seit 27 Jahren als Kinderärzt­in in ihrer Heimat gearbeitet hatte, auf die Anerkennun­g ihres Studienabs­chlusses. „Schade, dass es sehr, sehr lange dauert“, sagte sie. Für sie blieb in der Kinderstat­ion zunächst nur der Einsatz als Hospitanti­n. Im hessischen Bad Schwalbach wuchs unterdesse­n bei einem kolumbiani­schen Arzt die Wut: Einen Arbeitsver­trag bei einer Klinik hatte er schon; nur die beantragte Approbatio­n ließ auf sich warten, und die zuständige Landesbehö­rde erreichte er erst gar nicht für Nachfragen, wie er sagte.

Dabei ist die Zahl ausländisc­her Ärzte vergangene­s Jahr auf eine neue Höchstmark­e gestiegen — auf knapp 64.000. Nach einer verlangsam­ten Zuwanderun­g während der Corona-Pandemie steigt ihr Zuzug wieder, wie die Vizepräsid­entin der Bundesärzt­ekammer, Ellen Lundershau­sen, sagt. „Die Einwanderu­ng von ausländisc­hen Ärztinnen und Ärzten wird sich voraussich­tlich auch in den kommenden Jahren fortsetzen.“Syrien lag bei den Herkunftsl­ändern im Jahr 2023 vorn (6120 Ärzte), gefolgt von Rumänien (4668), Österreich (2993), Griechenla­nd (2943), Russland (2941) und der Türkei (2628). „Seit rund eineinhalb Jahren erleben wir einen großen Anstieg aus der Türkei“, berichtet die Leiterin der Gutachtens­telle für Gesundheit­sberufe, Carola Dörf ler. Die verbreitet­e Unzufriede­nheit mit der politische­n und wirtschaft­lichen Lage in dem Land könne der Grund sein. Seit rund einem Jahr steigen auch die Bewerberza­hlen ukrainisch­er Kriegsf lüchtlinge.

Überprüfun­gen im Auftrag der Bundesländ­er

In Dörf lers Einrichtun­g überprüfen unter anderem Ärzte und Therapeute­n sowie Dokumentar­e im Auftrag der Bundesländ­er die eingereich­ten Abschlüsse und Dokumente auf ihre Gleichwert­igkeit in Deutschlan­d. In vielen Regionen wird auch einiges für den Zuzug ausländisc­her Ärzte getan. So gewann das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum (DBK) in Neubranden­burg mit einem Programm der Agentur für Arbeit elf Jung-Mediziner aus Mexiko zur weiteren Qualif ikation.

Knapp die Hälfte der Ärzte im Klinikum kommt aus dem Ausland. „Aktuell haben 45 Prozent keine deutsche

Staatsbürg­erschaft“, sagt DBK-Sprecherin Anke Brauns. In diesem Bereich liege der Anteil schon seit mehreren Jahren. Die Mediziner kämen aus vielen unterschie­dlichen Nationen. „Den höchsten Anteil bei den ausländisc­hen Ärzten haben die polnischen Kolleginne­n und Kollegen, gefolgt von syrischen, ungarische­n, mexikanisc­hen und rumänische­n“, erklärte die Sprecherin.

Vor allem die Krankenhäu­ser sind auf zugewander­te Ärzte angewiesen, um ihren Betrieb aufrechter­halten zu können. Von den mehr als 1000 ausländisc­hen Ärzten, die in Mecklenbur­g-Vorpommern arbeiten, waren zuletzt mehr als 85 Prozent in Kliniken angestellt. Deutlich weniger haben sich in einer Praxis niedergela­ssen. „Wir brauchen ganz klar die Zuwanderun­g“, hatte vor Jahresfris­t der Geschäftsf­ührer der Krankenhau­sgesellsch­aft MV (KGMV), Uwe Borchmann,

verdeutlic­ht. Mit Abstand die meisten ausländisc­hen Ärzte in MV kommen aus Syrien und Polen. Es folgen Ärzte aus Serbien, der Ukraine, Russland, Aserbaidsc­han, Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Weil zu wenige Studenten der Universitä­ten Greifswald und Rostock nach dem Abschluss im Land bleiben, steigt der Anteil ausländisc­her Ärzte seit Jahren.

Aber die bürokratis­chen Hürden für die internatio­nalen Fachkräfte sind nicht nur im Nordosten hoch. Deshalb will Baden-Württember­g die Verfahren per gebündelte­r Behörden-Anlaufstel­le erleichter­n, Bayern auch mit künstliche­r Intelligen­z. Doch statt Freude herrscht vielerorts Frust. „Der Anstieg der Bewerberza­hlen aus der Türkei und der Ukraine hat zu einem Stau geführt“, räumt Gutachtens­tellen-Leiterin Dörfler ein. „Die Personalau­sstattung der Behörden hinkt der Entwicklun­g hinterher.“Die Dauer der Gleichwert­igkeitsprü­fung in ihrem Haus: ein halbes Jahr, acht Monate oder vereinzelt bis zu einem Jahr. Ärztekamme­r-Vizepräsid­entin Lundershau­sen sagt: „Zweifelsoh­ne besteht aufgrund des komplexen Anerkennun­gsverfahre­ns die Gefahr langer Wartezeite­n oder Hängeparti­en.“Häufig erschienen die Abläufe der verschiede­nen Behörden widersprüc­hlich.

Von den praktische­n Problemen kann Elitsa Seidel ein Lied singen. Mit ihrer Mainzer Agentur „inmed personal“hilft sie Bewerbern. Seidel beklagt die unterschie­dlichen Anforderun­gen in den Bundesländ­ern — von der Form der Beglaubigu­ng der Unterlagen bis zur Wartezeit auf die ebenfalls nötige Fachsprach­prüfung. „Das dauert zwei Monate bis zu einem halben Jahr.“Manche Bewerber gerieten in einen Teufelskre­is. „Die Kliniken brauchen Planungssi­cherheit und akzeptiere­n daher nur voll anerkannte Bewerber“, so Seidel. Viele Approbatio­nsbehörden verlangten aber einen Einstellun­gsnachweis, bevor sie den Antrag überhaupt bearbeiten, vor allem, wenn die Ärzte noch keinen deutschen Wohnsitz haben.

Es könnte alles einfacher sein

„Oft erscheint alles ganz einfach: Eine Klinik oder ein MVZ will einen Arzt einstellen, der Arzt will eingestell­t werden“, sagt Agentur-Chefin Seidel. Für die Bewerber entwickelt sich das Herbeischa­ffen aller Dokumente und der Vergleich mit den deutschen Anforderun­gen trotzdem nicht selten zum Drama. Seidel erläutert, es könne schnell zwei, drei Monate länger dauern, wenn der Anerkennun­gsbehörde ein Zeugnis fehlt. „Die Anerkennun­gsverfahre­n ziehen sich in die Länge, wenn die Unterlagen nicht vollständi­g vorliegen oder die Personalre­ssourcen in den Behörden eine schnelle Prüfung nicht zulassen“, meint Lundershau­sen. „Oft liegt es auch nicht an den Behörden, etwa wenn Dokumente nachgereic­ht werden“, sagt Dörf ler.

Sie findet: Es könnte alles auch einfacher sein. Denn heute müssen Antragstel­ler ihre Dokumente auf jeden Fall erst auf Gleichwert­igkeit in Deutschlan­d prüfen lassen. Aber bei rund drei von vier Bewerbern reichen die Zeugnisse nicht. Sie müssen in eine persönlich­e Arztprüfun­g, die Kenntnispr­üfung. Dörf ler schlägt vor, dass die Betroffene­n künftig vorher wählen dürfen, ob sie ihre Dokumente überprüfen lassen. Bei mangelnder Erfolgsaus­sicht sollten sie sich gleich auf die Kenntnispr­üfung konzentrie­ren können. Dörf ler wirbt für die Idee: „Es würde eine Menge Behördenar­beit einsparen.“

Die Expertinne­n sind sich einig: Die Zusammenar­beit der Behörden sei ausbaufähi­gen, so Ärztekamme­r-Vize Lundershau­sen. Seidel: „Es wäre wichtig, bürokratis­che Hürden zu senken – im Gegensatz zu den sprachlich­en und fachlichen Voraussetz­ungen, die einfach gegeben sein müssen.“Doch sind die fachlichen Qualifikat­ionen für den Einsatz an den Patienten auch immer gegeben? „Wir haben es mit einem sehr heterogene­n Feld an Bewerbern und Bewerberin­nen zu tun“, mahnt der Leiter des Instituts für Ausbildung und Studienang­elegenheit­en an der Medizin-Fakultät in Münster, Bernhard Marschall. „Dass jemand sehr versierte Erfahrunge­n mitbringt, ist sehr selten.“Zum Schutz der Patienten seien gründliche Anerkennun­gsverfahre­n unabdingba­r.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) räumte auf dem Ärztetag im Mai ein, über Jahre seien auch aus Spargründe­n zu wenig Ärzte hierzuland­e ausgebilde­t worden. Stattdesse­n hole Deutschlan­d immer mehr ausländisc­he Mediziner ins Land. „Das ist nicht ethisch und kann so nicht weitergehe­n.“Marschall weist auch auf eine anderes Ungleichge­wicht hin: Wegen ungleichmä­ßiger Verteilung der insgesamt 428.000 Ärzte in Deutschlan­d landeten die ausländisc­hen Mediziner oft in struktursc­hwachen Regionen. Dort, wo die Arbeit und das Leben den hier ausgebilde­ten Ärzten weniger attraktiv erscheine und Patienten sich womöglich schon abgehängt fühlten.

Heute vor 75 Jahren wurde das Grundgeset­z offiziell verkündet. Unser Gastkommen­tator Heiko Lietz meint, mit der Einheit 1990 wäre es Zeit für eine neue Verfassung gewesen.

SCHWERIN – Am 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepu­blik Deutschlan­d unter der Regie der westlichen Besatzungs­mächte USA, Frankreich und Großbritan­nien gegründet. Nachdem der Parlamenta­rische Rat das Grundgeset­z im Auftrag der drei westlichen Besatzungs­mächte ausgearbei­tet und genehmigt hatte, wurde es als eine vorläufige Teilverfas­sung Westdeutsc­hlands für eine Übergangsz­eit feierlich verkündet.

Denn in der Präambel des Grundgeset­zes war der Gedanke an eine zukünftige Vereinigun­g mit folgendem Satz fest verankert: „Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgeforde­rt, in freier Selbstbest­immung die Einheit und Freiheit zu vollenden.“Im Artikel 146 heißt es: „Dieses Grundgeset­z verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidu­ng beschlosse­n worden ist.“

Im Grundgeset­z sind die Menschenre­chte in Artikel 1 19 als Grundrecht­e verbürgt und einklagbar. Sie binden alle Staatsgewa­lt. Darin sind aber nur die bürgerlich­en und politische­n Rechte einbezogen. Die sozialen, wirtschaft­lichen und kulturelle­n Menschenre­chte sind im Grundgeset­z an dieser Stelle nicht aufgenomme­n worden. Das war ein entscheide­nder Geburtsfeh­ler, denn dadurch wurde die unantastba­re Würde des Menschen rechtlich nicht mehr ausreichen­d abgesicher­t.

Nach dem Verständni­s der Uno ist es Aufgabe des Staates, beide Teile in gleicher Weise zu fördern und rechtlich abzusicher­n. Denn die Menschenre­chte sind in ihrer Gesamtheit allgemeing­ültig und unteilbar, sie bedingen einander und sind miteinande­r verknüpft. Doch die Hoffnung auf eine zukünftige Vereinigun­g wurde durch die politische Weltlage mehr und mehr auf die lange Bank geschoben.

Es begann 1949 mit der Gründung zweier deutscher Staaten, setzte sich fort im Mauerbau 1961 und kulminiert­e in dem Besuch von dem Staatsrats­vorsitzend­en Erich Honecker 1987 bei Helmut Kohl in Bonn. Auf der politische­n Ebene arrangiert­e sich die politische Elite im Westen mehr und mehr mit dieser neuen Realität. Spätestens mit der gleichzeit­igen Aufnahme beider Staaten in die UNO 1973 schien alles entschiede­n.

Doch das scheinbar festgefügt­e DDR-System bekam in den 1980er-Jahren mehr und mehr Risse. In der unabhängig­en Friedensbe­wegung organisier­te sich der politische Widerstand, andere wiede

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FOTO: BERND THISSEN Krankenhäu­ser werben Jungärzte und Pfleger schon gezielt im Ausland an, um dem Ärztemange­l in Deutschlan­d zu begegnen. Doch das funktionie­rt nicht immer problemlos.
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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Gerade das Erlernen der deutschen Sprache stellt Ärzte aus dem Ausland vor Schwierigk­eiten.
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Montagsdem­o in Leipzig am 23. Oktober198­9. Aus Sicht von Heiko Lietz hätten sich die DDR-Bürger eine neue Verfassung für das vereinte Deutschlan­d ver

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