Deutsche Welle (German edition)
Die Todesschwadron von Minsk
Vor 20 Jahren verschwanden führende weißrussische Oppositionspolitiker spurlos. Ein Kronzeuge berichtet der Deutschen Welle exklusiv, wie er als Soldat einer Spezialeinheit bei ihrer Verschleppung und Ermordung half.
Anfang September meldete sich ein Mann namens Juri Garawski beim russischen Dienst der Deutschen Welle. Der 41Jährige lebt als Asylbewerber in einer deutschsprachigen Region in den Alpen. Das Land, so bat
Juri, sollten wir geheim halten. Er fürchte den langen Arm seiner alten Kameraden im Minsker Sicherheitsapparat. Denn die Geschichte, die der Kronzeuge zu erzählen hat, ist hochbrisant.
Garawski diente als Wehrpflichtiger in einer Minsker Militäreinheit. Aus ihren Reihen wurde 1999 die schnelle Eingreiftruppe SOBR rekrutiert. Garawski gehörte von Anfang an dazu, er wurde ausgebildet für den Kampf gegen organisierte Schwerkriminelle.
Gegenüber der DW schildert er, wie ihn Dmitri Pawlitschenko, damals Oberstleutnant
und Gründer der SOBR-Truppe, in eine handverlesene Gruppe von Soldaten aufnahm. Ihr erster Einsatz am Abend des 7. Mai 1999 endete mit einem Verbrechen.
Killerkommando entführt früheren Innenminister
Mitten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk entführte die SOBR-Gruppe den ehemaligen Innenminister Juri Sacharenko und fuhr mit ihm zu einem Truppenübungsplatz. Dort soll ihn Pawlitschenko, der Kommandeur des Killer-Kommandos, erschossen haben – so die Aussage des Kronzeugen. Der Leichnam sei dann zum Krematorium im Minsker Nordfriedhof gebracht worden. Sacharenko hatte sich von Lukaschenko losgesagt und betrieb gemeinsam mit anderen regierungskritischen Kräften die Absetzung des Präsidenten. Lukaschenko hatte zuvor in zwei umstrittenen Volksabstimmungen seine Machtbefugnisse ausgeweitet, seitdem regiert er uneingeschränkt durch das Parlament. Weißrussland gilt als letzte Diktatur Europas.
Am 16. September 1999 der zweite Fall: Die SOBR-Einheit – wieder in Zivil – entführt Viktor Gontschar, früher Leiter der zentralen Wahlkommission, und Anatoli Krassowski, einen
Geschäftsmann, der die Opposition unterstützt. Das Schicksal der beiden könnte nun, nach der Aussage des Kronzeugen, aufgeklärt werden: Danach wurden beide zum Militärstützpunkt Begoml gebracht, dort im Wald exekutiert und in Gräbern verscharrt, die bereits vorher ausgehoben worden waren.
Mordbefehle nur mündlich gegeben
Die Gruppe sei bei beiden Mordaktionen vom Offizier Pawlitschenko kommandiert worden, berichtet Kronzeuge Garawski: "Es gibt keine schriftlichen Beweise, Videoaufnahmen, Protokolle – nichts dergleichen. Alles war nur mündlich." Garawski zeigte der DW Kopien von Dokumenten, die die Angaben zu seiner Person belegen sollen. Das Rechercheteam der DW hat seine Angaben in drei Ländern überprüft und sich anschließend entschieden, seine Aussagen zu veröffentlichen.
Trotzdem bleiben Fragen nach der Motivation des Kronzeugen unbeantwortet. Warum geht Juri Garawski ausgerechnet jetzt damit an die Öffentlichkeit? Warum hat er sich nicht schon früher gegenüber einem Medienunternehmen oder einer internationalen Organisation offenbart? Was genau hat er gemacht, zwischen seinem Ausscheiden aus dem aktiven
Dienst und seiner Flucht in jenes zentraleuropäische Land, in dem er einen Asylantrag gestellt hat? Manchen Fragen weicht Garawski aus. Sicher ist, dass er über detailliertes Täterwissen verfügt.
Sonderermittler vermutet Drahtzieher in der Staatsspitze
Jedenfalls fügt sich der Kern seiner Aussagen in das Bild, das Sonderermittler Christos Pourgourides im Auftrag des Europarates bereits 2004 vom Verschwinden der Oppositionspolitiker in Minsk gezeichnet hat. Pourgourides war für die zyprischen Konservativen Abgeordneter der Generalversammlung. Der gelernte Strafverteidiger bezeichnet die Gruppe innerhalb der Sondereinheit SOBR als "eine Todesschwadron, angeführt von Pawlitschenko" und macht für das Verschwinden der Politiker eine "Verschwörung" verantwortlich.
Im DW- Interview geht Pourgourides einen Schritt weiter: "Es ist unmöglich, dass diese Entführungen und Morde ohne Zustimmung von – um es vorsichtig zu sagen – von sehr hohen Funktionären erfolgten.
Und wenn ich das sage, dann richten sich meine Gedanken auf den Präsidenten von Belarus." Schon damals war von internationalen Beobachtern und Menschenrechtsorganisationen gemutmaßt worden, dass der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hinter dem Verschwinden der Oppositionellen stecke. Zur Befehlskette kann Kronzeuge Garawski keine Angaben machen. Er sagte der DW, er sei damals aber davon ausgegangen, dass Lukaschenko bei den Staatsmorden eine Rolle spielte: "Ich denke, er hat es gewusst."
Opfer-Angehörige skeptisch über Täter-Reue
Schuldgefühle und Momente der Reue habe er erst später empfunden, so Garawski: "Irgendwo tief drinnen mögen Fragen aufgetaucht sein, aber wenn einem jungen Mann ein Befehl erteilt wird, dann bist du entweder ein Teil des Systems oder nicht. Das heißt, ich war mir bewusst, dass ich bis zum Ende mitmachen muss."
An die Angehörigen der Opfer, die heute zum größten Teil im Exil in den USA, den Niederlanden und in Deutschland leben, richtet Garawski über die Deutsche Welle Worte der Entschuldigung: "Ich spreche Ihnen mein aufrichtiges Beileid aus, da ich an deren Ermordung beteiligt war. Alles Weitere hängt von ihnen und von unserer weißrussischen Justiz ab."
Jelena Sacharenko, älteste To c h t e r des ehemaligen Innenministers, lebt i m westfälischen Münster im Exil.
Sie erfuhr von der Deutschen Welle vom Kronzeugen und von den Details über den Tod ihres Vaters.
Sie bleibt Garawski gegenüber skeptisch: "Es kann nicht sein, dass sein Gewissen plötzlich erwacht ist. Entweder hat man ein Gewissen oder man hat keins und wird nie eins haben." Doch auch Jelena Sacharenko weiß: "Es geht gar nicht um ihn – es geht um das ganze System, das hinter ihm steht."
Impuls für Aufklärung mutmaßlicher Staatsmorde
Die Grünen-Politikerin Margarete Bause, Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages gegenüber der DW: "Es darf nicht vergessen werden, dass die schwerwiegenden Vorwürfe, wonach Präsident Lukaschenko persönlich in diese Verbrechen involviert war, bis heute nicht aufgeklärt sind. Die Bundesregierung und die EU dürfen nicht nachlassen, Aufklärung zu fordern. Sie müssen ihr Möglichstes tun, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden." Das Auftreten des Kronzeugen könnte den Bemühungen um eine umfassende Aufklärung der mutmaßlichen Staatsmorde vor 20 Jahren neuen Auftrieb geben.
vor den US-Truppen und ist bis September 1945 in USamerikanischer und britischer Kriegsgefangenschaft. Dort spricht ihn ein US-Offizier an und sorgt dafür, dass Scherer wegen gesundheitlicher Probleme auf die Krankenstation verlegt wird. "Er hat mir erzählt, dass seine Familie von Deutschland in die USA ausgewandert sei und sein
Vater noch vorzüglich Deutsch spreche", erinnert sich Scherer.
Nach dem Krieg nimmt der Deutsche Kontakt zum ehemaligen Feind auf, es entsteht ein reger Briefwechsel. Scherers zwei Söhne fliegen zum Besuch nach Ohio, die Familie kommt zum Gegenbesuch, der US-Offizier selbst betritt aber nie wieder deutschen Boden.
"Meine Söhne haben ihn eingeladen und gesagt, bitte komm mit deiner Frau hierher, wir übernehmen alle Kosten für den Flug und so weiter." Vergeblich - der frühere Bomberpilot schlägt das Angebot aus. "Er bat uns um Verständnis und sagte, er sei über Deutschland im Einsatz gewesen und könne nicht an den Ort seiner Taten zurückkehren", erklärt Scherer.
Leb en sau fg ab e E ri n n erungsarbeit
Für den promovierten Germanisten wird es zur Lebensaufgabe, an die Geschichte zu erinnern. Scherer schreibt 20 militärgeschichtliche Bücher, darunter "Die letzte Schlacht" über die Ardennenoffensive. Er treibt die Arbeitsgemeinschaft für Erinnerungsarbeit voran und schneidet in Rocherath im Jahr 2000 ein Gedenkband durch, als zum ersten Mal die Überlebenden der beiden Divisionen aus den USA und Deutschland zusammenkommen.
Heute gehört der 95-Jährige zu den letzten noch lebenden Soldaten der Ardennenoffensive. Seine Botschaft ist aktueller denn je: "Der Mensch ist befähigt, seine Konflikte friedlich zu lösen. Und Annäherung und Versöhnung zwischen ehemaligen Gegnern hilft nicht nur, zur Normalität zu finden, sondern auch, dass Ähnliches nicht noch einmal passiert."
miert unter zwei Namen: Vadim K. und Vadim S. Jedenfalls hält der Generalbundesanwalt K. und S. "mit hoher Wahrscheinlichkeit" für ein und dieselbe Person. Nach russischer Lesart handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Männer. Wobei Vadim K. für kurze Zeit auch in Russland wegen einer schweren Straftat gesucht wurde. Er soll 2013 in Moskau einen Mord begangen haben, zu dem es nach Angaben der Bundesanwaltschaft eine russische Fahndungsmitteilung gegeben habe. Die sei später aber gelöscht worden.
Vom Mord in Moskau gibt es Bilder einer Überwachungskamera
Das Besondere an der Tat: Sie wurde mit Hilfe einer Überwachungskamera aufgezeichnet. Darauf sei zu sehen, dass sich der Täter seinem Opfer mit einem Fahrrad nähert. Auf die gleiche Weise wurde in Berlin Zelimkhan Khangoshvili alias Tornike K. ermordet. Nach einem Abgleich von Bildern aus Fahndungsdatenbanken der Polizei gehen deutsche Sicherheitsbehörden davon aus, dass der Berliner und der Moskauer Mörder identisch sind. Und vor allem: dass der russische Staat hinter dem Mord im "Kleinen Tiergarten" steckt.
Russland weist diesen Vorwurf weit von sich. Das sei eine "absolut haltlose Spekulation", sagte ein Sprecher Putins nach dem Rauswurf seiner beiden Diplomaten Anfang Dezember. Schon damals zeichnete sich ab, dass Moskau mit einer Retourkutsche reagieren könnte. Man sehe sich gezwungen, darauf zu reagieren. Acht Tage später ist es nun so weit: Im Gegenzug müssen zwei deutsche Diplomaten ausreisen. Das deutsche Außenministerium reagierte prompt: Die russische Regierung sende das "falsche Signal".
Viel Lob für Bundeskanzlerin Angela Merkel
Dass die diplomatische Krise weiter eskalieren könnte, lässt sich erahnen. "Weitere Schritte in dieser Angelegenheit behält sich die Bundesregierung im Licht der Ermittlungen vor", heißt es in der Erklärung. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Ausweisung der russischen Botschaftsmitarbeiter damit gerechtfertigt, dass Moskau bei der Aufklärung des Berliner Mordfalls "leider keine aktive Hilfe" geleistet habe.
Für ihr Vorgehen erhielt die deutsche Regierungschefin Unterstützung aus den eigenen christdemokratischen Reihen und von der Opposition. Merkel gehe nicht von "irgendwelchen Spekulationen" aus, sondern gehe "konsequent rechtsstaatlich" vor, sagte der Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch. Bisher gebe es aber "viele Vermutungen", die Ergebnisse des ermittelnden Generalbundesanwalts blieben abzuwarten, sagte Bartsch der Deutschen Welle.
"Staatsschutzspezifische Tat von besonderer Bedeutung"
Auch der Außenpolitik-Experte Alexander Graf Lambsdorff von den Freien Demokraten (FDP) hält das Vorgehen der Bundesregierung für "vollkommen plausibel". Er glaube, der Mord im Kleinen Tiergarten werde die deutschrussischen Beziehungen belasten. Welche Dimension die Affäre inzwischen hat, lässt sich schon aus der Einschätzung des Generalbundesanwalts vom 4. Dezember ablesen. Er geht von einem "mutmaßlichen politischen Hintergrund" aus. Nach den bislang vorliegenden Indizien handele es sich um eine "staatsschutzspezifische Tat von besonderer Bedeutung".