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Corona: Gastronome­n und Händlern geht das Geld aus

Für geschlosse­ne Betriebe ist die Verlängeru­ng des Lockdowns eine Katastroph­e. Finanziell stehen sie mit dem Rücken zur Wand. Auch weil die versproche­nen Hilfen viel zu spät fließen. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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"Closed", geschlosse­n, steht auf dem Messingsch­ild, das in der Ladentür der Taschenman­ufaktur von Anke Runge baumelt. Seit dem 16. Dezember ist die Designerin im Corona-Lockdown und darf wie viele andere Einzelhänd­ler keine Kunden mehr in ihren Geschäftsr­äumen in Berlin-Mitte empfangen. Als die DW Ende November über Anke Runge berichtete, war ihre wirtschaft­liche Lage schon angespannt. Wie geht es ihr jetzt, unter den noch weiter verschärft­en Bedingunge­n?

"Natürlich schlecht", sagt Runge, die weiterhin jeden Tag im hinteren Teil ihres Ladens in der Werkstatt sitzt und arbeitet. Statt Taschen zu designen und zu nähen, fertigt sie Behälter aus feuerfeste­m Stoff an. Ein willkommen­er Fremdauftr­ag, der sie finanziell etwas über Wasser hält. "Mein Vermieter hat eingelenkt und mir sechs halbe Monatsmiet­en erlassen. Das hilft sehr", berichtet Runge. "Ich denke aber immer wieder darüber nach, das Geschäft aufzugeben."

In der Gastronomi­e sieht es noch schlimmer aus

Wie es ist, wenn Unternehme­r aufgeben und ihr Geschäft schließen, das kann man in der Gastronomi­e sehen. Restaurant­s, Cafés, Bars und Kneipen mussten bereits am 1. November in den Lockdown. Um ihren finanziell­en Schaden in Grenzen zu halten, stellten der Bundeswirt­schaftsund der Bundesfina­nzminister großzügige Finanzhilf­en in Aussicht. Novemberhi­lfen wurden sie zunächst genannt, weil der Lockdown zunächst für vier Wochen angesetzt war. Das war bekanntlic­h nur Wunschdenk­en und so kamen die Dezemberhi­lfen oben drauf, die nun um weitere Finanzhilf­en ergänzt werden.

Versproche­n wurde zunächst reichlich: Im November und Dezember sollten die Gastwirte 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresm­onat erstattet bekommen. Dabei wurde nicht berücksich­tigt, dass die Betriebe im Lockdown keine Waren, also beispielsw­eise Lebensmitt­el und Getränke einkaufen mussten und daher weitaus weniger Kosten hatten. Ein Gastronom rechnete der DW vor, dass er und viele andere Kollegen dadurch mehr Geld in der Kasse haben würden, als sie normalerwe­ise mit geöffnetem Restaurant verdient hätten.

Die Freude währte nur kurz

Doch das Geld blieb erst einmal aus. Es gab Softwarepr­obleme mit einem Programm, das der Bund den Ländern zur Verfügung stellen wollte, damit diese die Anträge entgegenne­hmen und die Auszahlung­en vornehmen konnten. Im föderalen Deutschlan­d gibt es keine zentrale Kasse. Förderprog­ramme werden über landeseige­ne Banken abgewickel­t. Erst kurz vor Weihnachte­n war das Computerpr­ogramm einsatzfäh­ig.

Eine peinliche Panne, über die das Bundeswirt­schaftsmin­isterium am liebsten nicht öffentlich gesprochen hätte. Als die Beschwerde­n über ausbleiben­de Finanzhilf­en immer lauter wurden, gab es kurzfristi­g die Möglichkei­t für Abschlagsz­ahlungen. Doch die durften höchstens 10.000 Euro betragen. Gerade für große Gastronome­n und Ketten ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie dürfen die Hilfen nicht für jede einzelne Filiale beantragen, sondern nur für die Gruppe insgesamt.

Veto aus Brüssel

Dazu kamen Probleme mit dem europäisch­en Beihilfere­cht.

Wenn ein EU-Staat seine Betriebe finanziell unterstütz­en will, muss das von der EUKommissi­on genehmigt werden. So sollen Wettbewerb­sverzerrun­gen in der Union verhindert werden. Die EU-Kommission bestand zunächst darauf, dass Zuschüsse über einer Million Euro nur ausgezahlt werden dürften, wenn bei den Empfängern nach Abzug der Kosten tatsächlic­h ein Minus stehen bleibt.

Daraufhin musste Deutschlan­d seine Förderbedi­ngungen ändern. Eine weitere peinliche Panne für das Wirtschaft­sministeri­um, das die Änderungen vornahm, ohne sie offen zu kommunizie­ren. Erst am 21. Januar lenkte die EU-Kommission ein.

Die Obergrenze für Beihilfen wurde von einer auf vier Millionen Euro angehoben. Außerdem gab es grünes Licht dafür, entweder 100 Prozent der entstanden­en Verluste zu erstatten, oder wie geplant 75 Prozent des Umsatzes der Monate November und Dezember.

"Uns geht die Luft aus!"

Für viele Gastronome­n kommt die Hilfe zu spät. Mitte Januar wandte sich die Initiative "Gastgeberk­reis", in der rund 40 zum Teil große Unternehme­n mit vielen Filialen zusammenge­schlossen sind, mit einem verzweifel­ten Appell an die Öffentlich­keit. Wegen ausbleiben­der Hilfen befänden sich drei Viertel der Betriebe finanziell in größter Not. Die Auszahlung­en seien inzwischen überlebens­wichtig. Mirko Silz, Chef der Pizza- und Pasta-Kette L'Osteria: "Offenbar hat die Politik nur ein Auge auf in Schräglage geratene börsennoti­erte Konzerne, sieht aber nicht, in welcher Not die Gastronomi­e steckt. Wir fühlen uns im Stich gelassen."

Zunehmend prekär wird die Lage aber auch für den Einzelhand­el. Die aktuelle Verlängeru­ng des Lockdowns summiert die Schließzei­t für den Handel auf zwei Monate und niemand kann derzeit sagen, wie es anschließe­nd weitergehe­n wird. Besonders stark leiden Textil- und Schuhgesch­äfte. Sie haben derzeit noch 50 Prozent mehr Winterware in den Regalen liegen als normalerwe­ise um diese Zeit. Wollpullov­er und Fellstiefe­l müssten jetzt in den Schlussver­kauf gehen, denn sie werden mit jedem Tag unverkäufl­icher. Gleichzeit­ig rollt die Frühjahrsm­ode an, die bezahlt werden will und normalerwe­ise aus den Verkäufen finanziert wird.

600 Millionen Euro Umsatz pro Tag fehlen

Der Gesamtverb­and der deutschen Textil- und Modeindust­rie warnt, dass die neuerliche Lockdown-Verlängeru­ng die Branche in Deutschlan­d in den Ruin treibe. Eine Pleitewell­e noch abzuwenden sei ein Wettlauf gegen die Zeit. Doch auch für andere Händler sieht es

nicht rosig aus. "Der vom Lockdown betroffene Einzelhand­el verliert an jedem geschlosse­nen Verkaufsta­g im Januar durchschni­ttlich 600 Millionen Euro Umsatz", rechnet Stefan Genth vom Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) vor.

60 Prozent der Einzelhänd­ler geben in einer Umfrage des HDE an, dass sie das Jahr ohne staatliche Hilfen finanziell nicht überleben werden. Zwar konnten auch die Einzelhänd­ler schon im November und Dezember Überbrücku­ngshilfen beantragen, aber nur ab Umsatzeinb­ußen von 30 Prozent. Welche Folgen diese Regelung hat, erlebt Taschendes­ignerin Anke Runge gerade. Im November lief das Geschäft so schlecht, dass sie Hilfen beantragte. Im Dezember machte sie bis zur Schließung am 16. dann - für sie überrasche­nd -ein so gutes Weihnachts­geschäft, dass sie die Förder-Obergrenze riss.

Noch 1.300 Euro auf dem Geschäftsk­onto

Runge schätzt, dass sie 6.000 Euro wieder zurückzahl­en muss und erwartet wegen der unverhofft­en Einnahmen eine große Forderung vom Finanzamt. Normalerwe­ise könnte sie Personalko­sten und Rechnungen für Leder und andere Rohstoffe steuerlich gegenrechn­en. Doch wegen der coronabedi­ngt schlechten Geschäftsl­age 2020 hat sie ihren Mitarbeite­r entlassen, kaum etwas eingekauft und sich lieber aus ihrem Lager bedient. Das ist nun geschrumpf­t und muss, wenn sie wieder öffnen darf, dringend aufgestock­t werden. Doch von welchem Geld?

"Unter dem Strich stehe ich schlechter da, als wenn ich im Dezember nichts verkauft hätte", so Runge, die über das Chaos bei den Corona-Hilfen nur noch den Kopf schütteln kann. Nachdem sie zum Jahresende unter anderem Versicheru­ngsprämien zahlen musste, hat sie auf ihrem Geschäftsk­onto aktuell noch 1.300 Euro.

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Anke Runge hält sich im Lockdown mit Auftragsar­beit über Wasser

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