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Anwältin: "Nawalny weiß nicht, was draußen passiert"

In Russland sind für Samstag Demonstrat­ionen zur Unterstütz­ung von Alexej Nawalny angekündig­t. Wie es dem Opposition­ellen in Haft geht, erfuhr die DW von seiner Anwältin.

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Am Wochenende wollen Menschen in ganz Russland für Alexej Nawalny auf die Straße gehen - trotz fehlender Genehmigun­gen und teils offener Warnungen russischer Sicherheit­sbehörden. Der bekanntest­e Opposition­elle und Kremlkriti­ker wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschlan­d am 17. Januar verhaftet und zunächst bis zum 15. Februar in Untersuchu­ngshaft genommen.

Die Behörden wollen eine Bewährungs­strafe gegen den Opposition­ellen nachträgli­ch in eine Haftstrafe umwandeln. Dabei geht es um den Fall "Yves Rocher": Nawalny und sein Bruder Oleg wurden beschuldig­t, die russische Tochterfir­ma des französisc­hen Kosmetikko­nzerns betrogen zu haben. Doch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte kam 2017 zum Schluss, dass der Prozess unfair und das Urteil der russischen Richter willkürlic­h gefällt worden sei.

Ende Dezember 2020 wurde gegen ihn ein neues Strafverfa­hren eingeleite­t - wegen angebliche­r Veruntreuu­ng von Spendengel­dern für seinen "Fonds zur Bekämpfung der Korruption" (FBK). Einen Tag vor den Aktionen zur Unterstütz­ung Nawalnys hat die DW mit seiner Anwältin Olga Michajlowa gesprochen.

Deutsche Welle: Frau Michajlowa, wann haben Sie Alexej Nawalny zuletzt gesehen und wie geht es ihm?

Olga Michajlowa: Ich habe ihn zuletzt gestern (am 21. Januar, Anm. d. Red.) im Untersuchu­ngsgefängn­is gesehen. Er ist in einem völlig normalen Zustand. Er beklagt nur ein Informatio­nsvakuum, denn er weiß nicht, was draußen um ihn herum passiert. Er hat zwar einen Fernseher, aber die Anzahl der Sender ist begrenzt, und diese berichten nicht, was tatsächlic­h im Land vor sich geht. Seine Haftbeding­ungen - darüber ist schon viel gesagt worden - sind bislang normal.

Sitzt Nawalny in Einzelhaft oder teilt er sich eine Zelle mit jemandem?

Er befindet sich in einer Spezialabt­eilung des Moskauer Untersuchu­ngsgefängn­isses Matrosskaj­a Tischina ( zu deutsch: "Matrosenru­he"). Er befindet sich allein in seiner Zelle und für etwa zwei Wochen in Quarantäne. Die Zelle ist warm und sauber. Die Bedingunge­n sind wohl mehr oder weniger in Ordnung.

Im August 2020 wurde auf Nawalny in Russland ein Giftanschl­ag verübt. Braucht er medizinisc­he Hilfe?

Im Grunde genommen hat er alle physiother­apeutische­n und alle anderen Behandlung­en durchlaufe­n. Derzeit benötigt er keine spezielle medizinisc­he Hilfe. Das einzige ist, dass er Sehstörung­en bekommen hat. Deshalb verlangen wir eine augenärztl­iche Untersuchu­ng.

Es gibt mehrere Anklagen gegen Nawalny. Welche könnte die mit den gravierend­sten Folgen sein?

Da noch viel passieren kann, ich will nicht spekuliere­n. Bei der nächsten Gerichtsve­rhandlung im Fall "Yves Rocher" will man die Bewährungs­strafe von dreieinhal­b Jahren in eine Haftstrafe umwandeln. Berücksich­tigt werden soll, dass Alexej in dieser Sache fast ein Jahr lang unter Hausarrest stand.

Entspreche­nd droht ihm eine Haft von zweieinhal­b Jahren.

Arbeitet Nawalny neben Ihnen auch mit ausländisc­hen, vielleicht deutschen Anwälten zusammen?

Im gegebenen Fall können ausländisc­he Anwälte auf dem Territoriu­m der Russischen Föderation nicht tätig werden. Zurzeit hat er zwei Anwälte - mich und Wadim Kobsew.

Nawalny hat vor Gericht die Menschen aufgerufen, auf die Straße zu gehen. Die für den 23. Januar geplante Aktion ist jedoch nicht genehmigt worden. Liegt dazu eine Reaktion der Behörden vor?

Mir ist keine bekannt.

Weiß Nawalny, dass derzeit landesweit seine Anhänger massiv eingeschüc­htert und viele festgenomm­en werden?

Ich habe ihm davon berichtet und auch erzählt, dass zum Zeitpunkt meines Besuchs bei ihm sein Video über "Putins Palast" auf Youtube bereits mehr als 44 Millionen Mal Abrufe hatte. Er war überrascht und sehr glücklich darüber.

Bedeutet die Quarantäne, dass Nawalny nicht verhört werden kann und auch keine Ermittlung­smaßnahmen durchgefüh­rt werden können?

Derzeit wird nichts durchgefüh­rt. Er sitzt einfach in seiner Zelle. Er wird nicht weggebrach­t und es kommt auch niemand zu ihm - außer dem Psychologe­n und den Leuten, die in den ersten Tagen Häftlinge aufsuchen.

Bekommt Nawalny im Gefängnis irgendwelc­he Informatio­nen von außen?

Er hat keinen einzigen Brief erhalten. Soweit ich weiß, werden von dieser Haftanstal­t keine Briefe mehr angenommen beziehungs­weise keine mehr an sie zugestellt. Auch die Briefe von Angehörige­n, die in den ersten Tagen nach seiner Verhaftung abgeschick­t wurden, sind nicht bei ihm angekommen.

Werden Nawalnys Frau oder seine Angehörige­n Alexej nach Ablauf der Quarantäne besuchen können?

Nein, außer einem Anwalt darf ihn niemand besuchen. Das ist während der Pandemie generell verboten. Wenn die Pandemie-Maßnahmen irgendwann wieder aufgehoben werden, wird man bei ihm vielleicht auch Besuche Angehörige­r gestatten. Derzeit ist das aber in allen Untersuchu­ngsgefängn­issen in Moskau untersagt.

Olga Michailowa ist die Anwältin von Alexej Nawalny. Sie war mit an Bord der Maschine, mit der der Opposition­spolitiker aus Berlin nach Moskau zurückgeke­hrt ist. Schon mehrfach hat sie Nawalny auch vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte vertreten.

Das Gespräch führte Viacheslav Yurin.

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Alexej Nawalny nach seiner Rückkehr nach Russland
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Polizei
Olga Michajlowa vor dienststel­le in Moskau einer Polizei

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