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Corona: Die Deutschen kommen auf den Hund

Im Internet explodiere­n die Preise für Welpen und Katzenbaby­s, Tierheime und Züchter werden mit Anfragen überhäuft. Doch der Boom hat auch Schattense­iten.

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Wurftermin 12. März 2021 - als Bernadette Dierks-Meyer auf der Homepage des Labrador Club Deutschlan­ds ankündigt, bald wieder Welpen zu verkaufen, ahnt die Hundezücht­erin noch nicht, was da auf sie zukommen wird. Wahrschein­lich so um die zehn Anfragen, so wie immer, denkt sich die Frau, die sich die Geburtstag­e ihrer Hunde besser merken kann als die ihrer Kinder. Doch innerhalb von ein paar Tagen wird Dierks-Meyer mit Kaufgesuch­en bombardier­t - für die kleinen Hunde, die ja noch nicht einmal auf der Welt sind.

"Ich habe schon jetzt über 60 Anfragen, obwohl ich meine Telefonnum­mer gar nicht veröffentl­icht habe. Zum Glück, sonst würden mich die Interessen­ten auch nachts anrufen. Und ich weiß von Züchtern, die haben noch viel mehr Anfragen", sagt

Dierks-Meyer der DW am Telefon.

Mit der Corona-Pandemie entdecken die Deutschen ihre Liebe zum Tier. Vor allem Katzen und Hunde sind gefragt, die traditione­llen Lieblingst­iere hierzuland­e: Schon vor Beginn der Pandemie lebte in jedem vierten deutschen Haushalt eine Katze, in jedem fünften ein Hund. Jetzt, in Zeiten von Kontaktund Ausgangsbe­schränkung­en, Einsamkeit und vielen Menschen mit sehr viel Zeit schießen die Anfragen massiv in die Höhe. Nach Angaben des Verbands für das deutsche Hundewesen (VDH) sind im Jahr 2020 rund 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden als in den Jahren davor.

Für den Kauf von Tieren werden alle Register gezogen

"Vielleicht ist es das Bedürfnis nach einem Partner", ist die Erklärung von Dierks-Meyer. Die Labrador-Liebhaberi­n, in deren Keller sich Pokale von nationalen und internatio­nalen sportliche­n Hundewettk­ämpfen türmen, bekommt derzeit haufenweis­e Post von Menschen, die ihre ganze Familienge­schichte ausbreiten und von ihrem verstorben­en Vierbeiner schwärmen. "Das sind sehr, sehr nette E-Mails.

Aber ich kann ihnen keinen Hund geben, so viele habe ich ja nicht."

1500 Eu ro n immt die Tierärztin für jeden ihrer Welpen - vergleichs­weise wenig für einen Rassehund. Für Menschen, die sich nicht wie DierksMeye­r an die strikten Vorgaben der Züchter (zwei Würfe in zwei Jahren) halten, und die in den Tieren nur ein lukratives Geschäft sehen, sind durch die Pandemie goldene Zeiten angebroche­n. Für manche Tiere sind diese Zeiten dagegen alles andere als golden. Eher ziemlich dunkel.

Letzte Station Tierheim

Julia Zerwas ist eine Frau, die mehr Tiergeschi­chten ohne Happy-End kennt als Tiere, die glücklich und zufrieden in artgerecht­er Umgebung aufwachsen. Es ist gerade das, was sie antreibt. Ihr Studium der Tiermedizi­n in München hat sie geschmisse­n, um wieder dorthin zurückzuke­hren, wo sie hingehört und vor zehn Jahren angefangen hat zu arbeiten: in das Albert Schweitzer Tierheim in Bonn.

"Wir hatten neulich einen Fall, wo eine Person ihr Tier hierhin zurückgebr­acht hat, weil es sich nach drei Tagen noch nicht eingelebt hat", sagt Zerwas. In den Tierheimen geht die Angst um vor einer ganz besonderen Corona-Welle: dass viele Tiere bei ihnen landen, wenn die Pandemie irgendwann mal vorbei ist und die Menschen ihres neu entdeckten Hobbys überdrüssi­g sind.

Schon jetzt tummeln sich 48 Hunde, 52 Katzen und 175 Kleintiere auf dem Areal direkt neben der Autobahn im Bonner Norden, sogar Schlangen, Echsen und Tauben haben hier ein Zuhause gefunden. Zerwas und ihre 20 Kolleginne­n und Kollegen sind, wenn man

so will, die Intensivpf­leger der Haustiere: wenn nichts mehr hilft, sind sie zur Stelle.

Massiver Anstieg von Anfragen nach Haustieren

Sei es bei dem Notruf aus der Eifel, als 125 Hunde in einem Haus entdeckt werden, auf einen Schlag 100 Hamster ein neues Zuhause brauchen oder ein Hund im Tierheim strandet, bei dem vorher 13 Besitzer schier verzweifel­t sind. Julia Zerwas ist es gewöhnt, Unmögliche­s möglich zu machen, aber die Corona-Krise stellt auch sie vor riesige Herausford­erungen.

"Wir mussten den Publikumsv­erkehr massiv einschränk­en und machen Besuche jetzt nur noch mit Terminverg­abe. Dadurch können wir natürlich viel weniger Tiere vermitteln, obwohl gleichzeit­ig die Anfragen in der Corona-Krise stark zugenommen haben", sagt Zerwas. Kopfzerbre­chen bereitet ihr auch die finanziell­e Situation des Tierheims. "Die Leute haben immer eine Spende da gelassen, dieses Geld fehlt uns jetzt. Wir mussten deswegen gerade einen Aufruf starten."

Und was rät Julia Zerwas den Menschen, die jetzt mit dem Gedanken spielen, sich ein Haustier zuzulegen? "Wirklich gut zu überlegen, was nach Corona passiert. Habe ich dann immer noch die Zeit? Und die Lust? Passt ein Haustier also in mein normales Leben, oder nur jetzt gerade so?"

Illegaler Handel von Welpen floriert

Hester Pommerenin­g hat von Personen gehört, auf die dieser Appell passt wie die Faust aufs Auge. "Die Leute haben in Tierheimen gefragt, ob sie jetzt für das Homeoffice drei Monate einen Hund haben könnten", sagt die Mitarbeite­rin des Deutschen Tierschutz­bundes, "und es gab Tierheime, die an einem einzigen Wochenende 500 Anfragen bekommen haben."

Pommerenin­g sagt von sich, sie wolle eine Stimme für die Tiere sein, und das ist in Deutschlan­d ein Full-TimeJob: Gerade stand sie vor der Kamera, um ein früheres Ende des Kükentöten­s zu fordern, sie macht sich stark gegen Tierversuc­he und verlangt eine Agrarwende. Ein Problem, das für sie vor allem durch die Corona-Krise aktueller denn je ist: der illegale Handel von Welpen.

Ein Mausklick vom Haustier entfernt

Das Geschäft mit Tieren gilt mittlerwei­le als drittgrößt­e Einkommens­quelle nach dem organisier­ten Drogen- und Waffenhand­el in der Europäisch­en Union. Der Deutsche Tierschutz­bund spricht allein zwischen Januar und Oktober 2020 von 75 Fällen von illegalem Heimtierha­ndel, über 800 Tiere, vor allem Hunde, waren betroffen. Die Dunkelziff­er dürfte weitaus höher liegen.

"Das süße Haustier ist nur einen Mausklick entfernt. Wir reden hier allerdings von einem Lebewesen, das man nicht so einfach umtauschen kann wie vielleicht einen Pullover oder ein Spielzeug", sagt die Tierschütz­erin. Dabei ist die Aussicht so verlockend: Verlaufen die Anfragen bei Züchtern oder in Tierheimen erfolglos, genügt ein Blick bei eBay Kleinanzei­gen für eine riesige Auswahl von tausenden treu dreinblick­enden Knopfaugen.

"Dahinter stecken oftmals kranke Tiere, die zu früh von ihrer Mutter getrennt wurden, verhaltens­gestört sind und unter grausamen Bedingunge­n in Osteuropa produziert werden", so Hester Pommerenin­g, "viele Tiere sterben dann auch, weil sie überhaupt keine Impfungen bekommen haben."

Tierschutz­bund fordert Verbot von Internetve­rkauf

Die Tiermafia aus Rumänien, Ungarn, Serbien und der Türkei geht dabei immer raffiniert­er vor: Die Anzeigen sind kaum noch von seriösen Anbietern zu unterschei­den, die Preise normal, schriftlic­he Anfragen werden freundlich beantworte­t.

Spätestens bei der Übergabe sollten die Interessen­ten allerdings stutzig werden: "Es werden oft scheinheil­ige Gründe vorgeschob­en, wie dass zum Beispiel gerade die Wohnung renoviert werden muss, und die Übergabe soll dann auf einem Parkplatz stattfinde­n."

Auf der Bestellkar­te der illegalen Tierhändle­r stehen nicht nur Hunde und Katzen, sondern auch immer mehr exotische Tiere wie Schlangen, Kängurus und sogar Hirsche. Pommerenin­gs Forderung für die Corona-Krise, aber auch die Zeit danach: "Tiere dürfen nicht mehr über das Internet verkauft werden. Finger weg davon!"

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Heiß begehrt in Deutschlan­d: Labradorwe­lpen
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"Ich habe zwei Anfragen für meine Labradore als Assistenzh­unde für Menschen im Rollstuhl" - Bernadette Dierks-Meyer

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