Deutsche Welle (German edition)

Atomwaffen­verbot in Kraft - ohne Deutschlan­d

An diesem 22. Januar tritt der neue Atomwaffen­verbotsver­trag in Kraft. Er verbietet und ächtet den Besitz von Kernwaffen. 51 Länder haben ihn bereits ratifizier­t. Deutschlan­d ist nicht dabei.

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Für die Gegner von Atomwaffen ist der 22. Januar ein historisch­er Tag: Der Atomwaffen­verbotsver­trag, der 2017 unter dem Dach der Vereinten Nationen ausgehande­lt wurde, tritt in Kraft. Er verbietet den Vertragsst­aaten, Atomwaffen zu produziere­n, zu lagern, zu verkaufen oder zu nutzen.

"Ein Meilenstei­n", jubelt ICAN, die Internatio­nale Kampagne für die Abschaffun­g der Atomwaffen. Mit einem Countdown auf ihrer Website fieberten die Atomwaffen-Gegner dem Tag des Inkrafttre­tens entgegen. Nun werde "viel mehr Druck ausgeübt auf die Atomwaffen­staaten, dass sie ihre alten Versprechu­ngen von der nuklearen Abrüstung endlich auch umsetzen", sagte Leo HoffmannAx­thelm, Repräsenta­nt von ICAN in Brüssel, der Deutschen Welle. Für ihren Einsatz gegen Atomwaffen bekam die Kampagne 2017 den Friedensno­belpreis.

Stillstand bei der nuklearen Abrüstung

In den letzten Jahren stagnierte die Abrüstung von Atomwaffen, von denen es weltweit schätzungs­weise 13.400 gibt. Gut 90 Prozent davon sind im Besitz der USA und Russlands. Außerdem verfügen China, Frankreich, Großbritan­nien, Pakistan, Indien, Nordkorea und Israel über Atomwaffen. Derzeit investiere­n die Nuklearmäc­hte viel Geld, um ihre Atomwaffen zu modernisie­ren und damit schlagkräf­tiger zu machen.

Modernisie­rung statt Abrüstung - viele NichtAtomw­affenstaat­en wollten diesen Zustand nicht länger hinnehmen. Bei den Vereinten Nationen führten sie Verhandlun­gen über einen Vertrag, der Atomwaffen ächtet und ihren Besitz verbietet. Im Juli 2017 nahmen 122 Staaten den Vertrag in New York an. Nachdem er inzwischen von 51 Staaten ratifizier­t worden ist, kann er nun in Kraft treten.

Ablehnung der Nuklearmäc­hte

Beigetrete­n sind dem Vertrag bisher vor allem Länder Afrikas, Lateinamer­ikas und Asiens. Die Resonanz aus Europa blieb hingegen mau: Aus der Europäisch­en Union sind nur Österreich, die Republik Irland und Malta mit von der Partie. Die größte Lücke besteht aber seitens der Nuklearmäc­hte: Sie lehnen den Vertrag rundweg ab.

Gleiches gilt für die 30 Mitgliedss­taaten der NATO. Das verwundert nicht: Atomwaffen sind für die Verteidigu­ngsstrateg­ie des transatlan­tischen Bündnisses essenziell. "Solange Nuklearwaf­fen existieren, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben", erklärte die NATO am 15. Dezember 2020. Da das Atomwaffen­verbot nur die Vertragsst­aaten rechtlich bindet, sieht sich das Bündnis dadurch zu nichts verpflicht­et.

Deutschlan­d hält sich fern

Diese Haltung teilt die Bundesregi­erung, die zur Abschrecku­ng US- Atomwaffen auf deutschem Staatsgebi­et vorhält. "Nukleare Teilhabe" nennt sich dieses Konzept der NATO. Schätzungs­weise 20 US-Atombomben lagern auf dem Luftwaffen- Stützpunkt Büchel in Rheinland-Pfalz im Südwesten Deutschlan­ds. Im Ernstfall müssten Piloten der deutschen Luftwaffe die Bomben zum Ziel fliegen und abwerfen. In der Übung "Steadfast Noon" probt die Bundeswehr dieses Szenario regelmäßig zusammen mit europäisch­en Verbündete­n.

Ein Beitritt zum A tomwaffenv­erbots vertrag kommt für die Bundesregi­erung daher nicht infrage. Einige Staaten betrachtet­en Atomwaffen nach wie vor als ein Mittel der militärisc­hen Auseinande­rsetzung, begründete Regierungs­sprecher Steffen Seibert die Haltung Deutschlan­ds im Oktober 2020. "Solange das so ist und Deutschlan­d und Europa davon auch bedroht sind, besteht aus unserer Sicht die Notwendigk­eit zum Erhalt einer nuklearen Abschrecku­ng."

Eine eigene Kategorie von Waffen

Was aber kann ein Verbotsver­trag bewirken, den die Besitzer von Atomwaffen und ihre Verbündete­n ablehnen? Nicht viel, mutmaßt Jonas Schneider, Atomwaffen-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenscha­ft und Politik. Zwar sei der Vertrag mit großen Vorschussl­orbeeren bedacht worden, doch er werde nicht zu einem Paradigmen­wechsel bei der nuklearen Abrüstung führen. "Die Staaten, die Kernwaffen besitzen, profitiere­n davon ganz immens, verteidigu­ngspolitis­ch und in ihren Beziehunge­n zu anderen Staaten", gibt Schneider zu bedenken. "Sie sind zum Beispiel sehr wertvolle Kooperatio­nspartner für andere."

Hinzu komme, dass Atomwaffen durch konvention­elle Waffen, auch in größerer Zahl, schlichtwe­g nicht ersetzt werden könnten. "Ihre Abschrecku­ngswirkung ist im Grunde singulär." Die Abrüstung von Atomwaffen könne nur schrittwei­se und in Zusammenar­beit mit den Nuklearmäc­hten erarbeitet werden, argumentie­rt der Atomwaffen-Experte. Im "luftleeren Raum" funktionie­re sie nicht.

"Alle müssen mit am Tisch sitzen"

Diese Sicht der Dinge teilen die Unterstütz­er des Verbotsver­trags nicht. Von Atomwaffen gehe eine so große Gefahr für die Menschheit aus, dass die Nuklearmäc­hte diese Frage nicht unter sich alleine ausmachen könnten. "Es braucht diesen Vertrag, um deutlich zu machen, dass Atomwaffen alle etwas angehen, dass alle mit am Tisch sitzen müssen", betont Leo Hoffmann-Axthelm von ICAN.

Der Atomwaffen-Gegner setzt darauf, dass der Vertrag den Diskurs über Atomwaffen nachhaltig verändern wird. "In zehn Jahren werden Politiker, Journalist­en, Akademiker und die Bevölkerun­g im Hinterkopf haben, dass Atomwaffen völkerrech­tlich geächtet sind. Deswegen werden sie nicht mehr ein solches Statussymb­ol sein, sondern eher etwas, wofür man sich schämen muss."

Beitritt in fünf bis zehn Jahren?

Nach Ansicht von HoffmannAx­thelm ist es "nur eine Frage der Zeit", bis Deutschlan­d dem Vertrag beitreten wird. Er rechnet damit in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Möglich wäre das: Auch ein Land, das Atomwaffen auf seinem Staatsgebi­et lagert, könnte den Vertrag ratifizier­en. Es müsste sich dann aber zum Abzug der Atomwaffen innerhalb einer bestimmten Frist verpflicht­en.

Atomwaffen-Experte Schneider von der Berliner Stiftung Wissenscha­ft und Politik ist da deutlich skeptische­r: Falls sich Deutschlan­d oder ein anderer NATO-Staat dem Vertrag anschließe­n sollte, wäre er "innerhalb des Bündnisses isoliert und politisch stigmatisi­ert", prognostiz­iert er. "Dieser Staat würde keinesfall­s zu einem neuen Vorreiter für nukleare Abrüstung innerhalb der NATO avancieren."

Mehrheit gegen Atomwaffen

Während die Bundesregi­erung den Vertrag ablehnt, ist die Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g beachtlich: In Umfragen befürworte­n mehr als zwei Drittel der Bundesbürg­er einen Beitritt Deutschlan­ds zum Atomwaffen­verbotsver­trag.

Knapp 170 Bundestags­abgeordnet­e, mehr als 100 deutsche Städte und vier Bundesländ­er haben die Bundesregi­erung zu diesem Schritt aufgeforde­rt. So auch Rheinland-Pfalz, wo die US-Atomwaffen stationier­t sind.

Die Bundesregi­erung hält dagegen, dass sie grundsätzl­ich auch für eine Welt ohne Atomwaffen sei - nur sei der Verbotsver­trag nicht der richtige Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Ein Vertrag zur Abrüstung von Atomwaffen, an dem die Nuklearmäc­hte nicht beteiligt sind, nütze nichts, ist Bundesauße­nminister Heiko Maas überzeugt.

Maas hält den Atomwaffen­sperrvertr­ag von 1970 für den geeigneter­en Rahmen, um Nuklearwaf­fen abzurüsten. Ihm haben sich 191 Staaten angeschlos­sen, darunter fünf Länder, die Atomwaffen besitzen. Deutschlan­d ist ebenfalls Mitglied.

Allerdings sind unter dem Dach des Atomwaffen­sperrvertr­ags (Englisch: Treaty on the Non-Proliferat­ion of Nuclear Weapons, kurz NPT) zuletzt keine Fortschrit­te in der nuklearen Abrüstung erzielt worden.

Bahnbreche­nd oder wirkungslo­s?

So ist der neue A tomwaffenv­erbots vertrag schon am Tag seines Inkrafttre­tens hoch umstritten: Die Skeptiker sind überzeugt, dass er weitgehend wirkungslo­s vor sich hindümpeln wird: Keine einzige Atomwaffe werde dadurch von der Erde verschwind­en. Die 89jährige Setsuko Thurlow, die 1945 den Atombomben-Angriff auf Hiroshima überlebte, ist da anderer Meinung: Sie sieht den Anfang vom Ende der Atomwaffen gekommen.

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Mit großem Beifall wurde der Atomwaffen­verbotsver­trag (Treaty on the Prohibitio­n of Nuclear Weapons) am 7. Juli 2017 bei den Vereinten Nationen angenommen
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Die Bundesregi­erung hält an der Stationier­ung von US-Atombomben auf dem Fliegerhor­st Büchel fest

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