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"Mein Kampf" gibt es jetzt auch auf Polnisch

In Polen ist eine wissenscha­ftliche Ausgabe von Adolf Hitlers Buch erschienen. Das Projekt ist umstritten - und das Interesse an der Edition unerwartet groß.

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Fünf Jahre nach der deutschen Edition, die vom Institut für Zeitgeschi­chte ( IfZ) in München herausgege­ben wurde, kommt nun die wissenscha­ftliche Ausgabe von Adolf Hitlers "Mein Kampf" in die Buchhandlu­ngen in Polen. Eigentlich war der Verkaufsst­art für den 20. Januar geplant - doch vielerorts ist das Buch bereits seit einigen Tagen zu haben.

"Wir hatten 'Mein Kampf' bereits am Samstag im Angebot. Aber alle Exemplare sind schon vergriffen. Der Chef soll am Nachmittag den Nachschub bringen. Soll ich Sie in die Warteliste aufnehmen?", fragte am Mittwoch (20.01.2021) eine Verkäuferi­n in der Buchhandlu­ng Eureka im Warschauer Stadtteil Saska Kępa den Autor dieses Textes.

In der Tat ist das Interesse groß: "Es gab viele Vorbestell­ungen im Internet. Auch die Großhändle­r nehmen mehr Exemplare als sonst", sagte im Gespräch mit der DW Bogusław Kubisz, stellvertr­etender Chefredakt­eur des Bellona-Verlages. Sein Verlagshau­s, das sich auf historisch­e Themen aus dem Zweiten Weltkrieg spezialisi­ert, hat das Projekt gewagt. "Wir hatten zunächst 4000 Exemplare gedruckt. Es sieht so aus, als ob wird bald zweite Auflage nachdrucke­n müssen", so Kubisz.

Das ist ke ine Selbstvers­tändlichke­it in dem Land, das 1939 das erste Opfer Nazi-Deutschlan­ds wurde und im Verlauf des Krieges sechs Millionen Menschen verlor, die Hälfte davon polnische Juden. Schon deshalb hatte der Verlag auf jegliche Werbung für "Mein Kampf" verzichtet. Ein für polnische Verhältnis­se hoher Preis von 149 Złoty (ca. 36 Euro) soll zudem dafür sorgen, dass das Buch nicht in falsche Hände gerät.

Ein Kenner des Dritten Reiches

Der Bellona- Verlag hatte ursprüngli­ch an eine Übersetzun­g der Münchner Ausgabe gedacht. Doch am Ende bekam der Warschauer Zeithistor­iker Cezary Eugeniusz Król den Auftrag. Er gilt als ausgewiese­ner Kenner des Dritten Reiches, hat über NS-Propaganda publiziert und die Tagebücher von Hitlers Propaganda­minister Joseph Goebbels herausgege­ben. In den Jahren 2002-2006 leitete er die Zweigstell­e der Polnischen

Akademie der Wissenscha­ften (PAN) in Berlin.

Król hat drei Jahre allein an der Übersetzun­g und am kritischen Apparat gearbeitet, der fast 2000 Anmerkunge­n umfasst. Von ihm stammt auch die Einführung, in der er auf 60 Seiten die Entstehung­sgeschicht­e des Hitler-Buches und seine Rezeption im Dritten Reich und nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt.

Warnung vor Abbau der Demokratie

"Hitlers Buch soll als Warnung verstanden werden. Die Menschen sollen begreifen, wie schnell ein demokratis­ches System demontiert und in eine Diktatur umgestalte­t werden kann," erklärt Król. "Das kann überall auf der Welt heute, morgen oder übermorgen passieren, wenn wir nicht wachsam sind," so der Historiker.

Król gesteht ein, dass unter polnischen Fachkolleg­en die Meinungen über seine Arbeit geteilt sind. "Gegner des Projektes rieten mir: Lass die Finger davon. Du beleidigst die NSOpfer und ihre Familien, stärkst nur die Rechtsextr­emisten und musst eventuell mit strafrecht­lichen Folgen rechnen. Setzt deinen guten Ruf nicht aufs Spiel," erinnert sich der Historiker. Seine anfänglich­e Idee, das Buch in Zusammenar­beit mit der PAN zu realisiere­n, war am Widerstand einiger Kollegen gescheiter­t.

Hitlers Buch entmytholo­gisieren

Doch Król ließ sich nicht von seiner Idee abbringen. "Jemand musste das machen", unterstrei­cht er. Die wissenscha­ftliche Ausgabe sei überfällig gewesen, zumal in Polen in den 90er Jahren zwei illegale Ausgaben von "Mein Kampf" erschienen waren - beide auf der Grundlage stark gekürzter englischen Version und ohne wissenscha­ftlichen Kommentar.

"Hitlers Buch galt als 'verbotene Frucht', deshalb war es die höchste Zeit, dieses 'Werk' durch eine kritische Ausgabe zu entmytholo­gisieren", argumentie­rt der Król.

Zu viel Kommerz?

Sein Breslauer Kollege Krzysztof Ruchniewic­z sieht das Projekt skeptisch. "Es ist gut, dass 'Mein Kampf' endlich von einem profession­ellen Historiker in Polen herausgege­ben worden ist," urteilt er. Ruchniewic­z wäre allerdings lieber, wenn der Verlag die IfZ-Ausgabe, die er für vorbildlic­h hält, ins Polnische übersetzt hätte. "Bald kommt die französisc­he Übersetzun­g auf den Markt. Der polnische Verlag hätte denselben

Weg gehen sollen".

Für misslungen hält Ruchniewic­z auch das Cover. Der schwarze Titel auf rotem Hintergrun­d fällt zwar im Schaufenst­er auf - aber ihm sei die graue Titelseite der deutschen Ausgabe viel lieber. "Das ist zu viel Kommerz. Muss das sein?", fragt der Direktor des Willy-BrandtZent­rums für Deutschlan­d- und Europastud­ien der Universitä­t Wroclaw.

Autor Król dagegen hofft auf lebhafte Debatten unter Fachleuten - und mit Leserinnen und Lesern. Leider mussten die bereits geplanten öffentlich­en Lesungen wegen Covid19 vorerst abgesagt werden. Immerhin steht eine Online-Diskussion mit dem Journalist­en Piotr Zychowicz auf YouTube auf dem Programm. Der lanciert in seinen Publikatio­nen die These, Polen hätte 1939 ein Bündnis mit dem Dritten Reich eingehen sollen - gegen Stalins Sowjetunio­n.

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Schwarzer Titel auf rotem Hintergrun­d: die polnische wissenscha­ftliche Ausgabe von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf"
 ??  ?? Die polnische kritische Ausgabe von "Mein Kampf" zwischen anderen Titeln in einer Warschauer Buchhandlu­ng
Die polnische kritische Ausgabe von "Mein Kampf" zwischen anderen Titeln in einer Warschauer Buchhandlu­ng

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