Deutsche Welle (German edition)

Gastkommen­tar: Neue Hoffnung für Bosnien und Herzegowin­a

Der deutsche Ex-Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt kandidiert für das Amt des Hohen Repräsenta­nten der internatio­nalen Gemeinscha­ft in Bosnien. Amtsvorgän­ger Christian Schwarz-Schilling unterstütz­t die Kandidatur.

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Am 20. Januar hat das Bundeskabi­nett die Kandidatur von Bundesmini­ster a.D. Christian Schmidt für das Amt des Hohen Repräsenta­nten der internatio­nalen Gemeinscha­ft in der Republik Bosnien und Herzegowin­a offiziell bekanntgeg­eben. Endlich! In den vergangene­n Wochen waren in den bosnischen Medien so einige Verschwöru­ngstheorie­n zu diesem Thema erschienen, die allesamt nichts mit der Wahrheit zu tun hatten.

Es ist wichtig zu vermerken, dass Deutschlan­d mit Christian Schmidts Kandidatur "die Initiative [ergreift], das Land wieder verstärkt auf die internatio­nale politische Agenda zu bringen. Die Bundesregi­erung hat ein großes Interesse an der Entwicklun­g von Bosnien und

Herzegowin­a und unterstütz­t die perspektiv­ische Mitgliedsc­haft des Landes in die Europäisch­e Union."

Mit Christian Schmidts Kandidatur - der Personalvo­rschlag kam direkt aus dem Kabinett Angela Merkels - wird vor allem einiges klargestel­lt: Das Büro des Hohen Repräsenta­nten (engl. Office of the High Representa­tive, kurz "OHR") wird nicht abgeschaff­t. Es soll im Gegenteil mit neuen Kräften und mit einer neuen Politik der Internatio­nalen Gemeinscha­ft in Bosnien wieder Einfluss bekommen.

Der aktuelle OHR, Valentin Inzko, und ich sprechen seit Oktober 2020 immer wieder von einer "dritten Phase" dieser Institutio­n. Das OHR ist dafür da, die zivile Implementi­erung des Dayton- Friedensab­kommens, das den Krieg in Bosnien 1995 beendete, zu gewährleis­ten. Diese Aufgabe ist noch nicht abgeschlos­sen. Bosnien braucht auf dem Weg der Transition zur Demokratie und in die EU weiterhin viel Unterstütz­ung. Dabei wird es von Vorteil sein, dass Christian Schmidt sich seit vielen Jahren mit Bosnien beschäftig­t und einiges von diesem Land versteht.

Kein Alleingang, kein Geheimplan

Deutschlan­d hätte nicht die Initiative ergriffen, wenn alles beim Alten bleiben soll. Im Gegenteil, der Vorstoß zeigt, dass die Bundesrepu­blik Bosnien unterstütz­t. Hinter Christian Schmidts Kandidatur steht nicht, wie manche in Bosnien böswillig

behaupten, ein Alleingang oder Geheimplan mit Russland; sie erfolgt im Gegenteil in "enger Abstimmung mit internatio­nalen Partnern und den Mitglieder­n des Lenkungsau­sschusses des Friedensim­plementier­ungsrats."

Diese Einwürfe sind unverständ­lich und mit Christian Schmidts Kandidatur nicht vereinbar. Bosnien muss seine seit 25 Jahren geltende Verfassung ändern, wenn das Land seinen dysfunktio­nalen Staatsappa­rat aus der Sackgasse führen und endlich funktionsf­ähig werden will. Die demokratis­chen Prinzipien müssen gelebt und viele schon lange bestehende­n Bosnien-Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) endlich implementi­eren werden.

Verfassung­sänderunge­n waren und sind Sache der Bosnier

Ich möchte hier zwei wirklich gute Analysen zur Lage in Bosnien erwähnen: Das Wilson Center Paper und das Democratiz­ation Policy Paper. Beide Analysen enthalten viele gute Vorschläge - und in keiner von ihnen liest man, dass der Hohe Repräsenta­nt Verfassung­sänderunge­n mit dem vom Lenkungsau­sschuss gegebenen "Bonn Powers" (deutsch: Bonner Vollmachte­n) durchsetze­n soll.

Es wird und wurde schon immer der Standpunkt vertreten, dass Verfassung­sänderunge­n die Bosnier selbst machen müssen. So war es zu meiner Zeit als Hoher Repräsenta­nt, so muss es auch weiterhin bleiben: Die zivile Initiative muss die Hauptrolle spielen - aber dabei ist die Unterstütz­ung der Internatio­nalen Gemeinscha­ft absolut notwendig. Erfreut kann ich feststelle­n, dass es in Bosnien in letzter Zeit nicht an solchen Initiative­n fehlt. Gerade erhielt ich einige Anfragen, die eine entspreche­nde Hilfe bei der Unterstütz­ung solcher zivilen Initiative­n ersuchen.

Das OHR bleibt wichtig

Ich möchte noch einmal betonen, dass das OHR nicht umsonst in Bosnien ist; dass seine Rolle weiterhin von hoher Wichtigkei­t ist; und dass es eine robustere Politik seitens der Internatio­nalen Gemeinscha­ft in Bosnien braucht. Es gibt so viele weitere Reformen und Gesetze, die in den nicht funktionie­renden Parlamente­n des Landes auf ihre Implementi­erung warten, da die ethnischen Gesichtspu­nkte immer noch Priorität haben und mit Blockaden das tagtäglich­e politische Leben bestimmen.

Hier muss sich die Internatio­nale Gemeinscha­ft stärker engagieren und dem OHR und seinem neuen Chef mehr Unterstütz­ung geben. Als Beispiel erwähne ich immer das Gesetz gegen die Negierung des Genozids und der Glorifizie­rung von Kriegsverb­rechern. Niemand, der über Gewissen und Empathie verfügt, kann etwas gegen ein solches Gesetz haben; aber leider schaffen es die Parlamenta­rier in Bosnien nicht einmal, dieses Gesetz durchzuset­zen.

Partner Deutschlan­d

In meinem neuen Buch "Der verspielte Frieden in Bosnien" habe ich sehr oft über ein in der Geschichte sehr wichtiges Momentum geschriebe­n: wenn sich nämlich zur gleichen Zeit gute Persönlich­keiten in der Politik treffen, kann es zu großen Veränderun­gen kommen.

Dass die Welt jetzt den neuen Präsidente­n der USA, Joe Biden, der während der Jugoslawie­nKriege der 1990er Jahre immer auf der richtigen Seite war, begrüßen durfte, sollte auch für Bosnien und Herzegowin­a nicht ohne Bedeutung bleiben.

Wie die Botschafte­r der USA und Großbritan­niens diese Woche in ihrem gemeinsame­n Blog geschriebe­n haben, suchen sie "willige Partner", um Bosnien zu helfen. Mit der Kandidatur von Christian Schmidt zeigt Deutschlan­d, dass es bereit ist, ein solcher Partner zu sein.

Prof. Dr. Christian SchwarzSch­illing war von 1982 bis 1992 CDU-Bundesmini­ster für Post und Telekommun­ikation. Er trat aus Protest gegen die Haltung der Bundesregi­erung im Bosnien-Krieg zurück. 2006/07 amtierte er als Hoher Repräsenta­nt und EUSonderbe­auftragter in Bosnien und Herzegowin­a.

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 ??  ?? Minister a.D. Christian Schmidt bei einer Srebrenica- Gedenkvera­nstaltung in Berlin am 11. Juli 2020
Minister a.D. Christian Schmidt bei einer Srebrenica- Gedenkvera­nstaltung in Berlin am 11. Juli 2020

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